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DIW-Studie

Deutscher Lebensstil soll über Einbürgerung entscheiden

Immer mehr Deutsche sind der Meinung, dass vor allem das Verhalten und der "deutsche Lebensstil" ausschlaggeben für die Einbürgerung sein sollten. Auslöser dieser Veränderung sei der Gesetzgeber mit den Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts.

Freitag, 05.08.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Wer darf Deutsche oder Deutscher werden?“- Auf diese Frage antworten die Deutschen inzwischen anders als noch in den 90er Jahren. Immer mehr Bundesbürger ohne Migrationshintergrund („Deutsche“) sind der Meinung, dass vor allem das Verhalten für die Einbürgerung ausschlaggebend sein sollte. Hingegen halten weniger Deutsche die „ethnisch deutsche Abstammung“ für das entscheidende Kriterium. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

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Der Anteil der Menschen, die sogenannte „zivil-kulturelle“ Voraussetzungen für wichtiger halten – also etwa die Beherrschung der Sprache oder die Anpassung an den Lebensstil – lag 2006 bei 57 Prozent (West) und 54 Prozent (Ost) und ist damit rund drei Mal so hoch wie im Jahr 1996. Was genau die Befragten unter einem „deutschen Lebensstil“ verstehen, kann die Studie nicht beantworten. Jedenfalls hielten im Jahr 2006 nur vier Prozent (West) bzw. drei Prozent (Ost) der Befragten die „ethnisch deutsche Abstammung“ für besonders wichtig.

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Weniger Fremdenfeindlichkeit
„Ein Rückgang der Fremdenfeindlichkeit im Land ist mit diesem Wandel nicht automatisch verbunden“, erläutert DIW-Forscherin Ingrid Tucci dem MiGAZIN. „Personen, die das Verhalten und die kulturelle Anpassung der Migranten als entscheidendes Kriterium für die Staatsbürgerschaft erachten, weisen genauso oft stark fremdenfeindliche Einstellungen auf wie Personen, die die ethnische Zugehörigkeit für bedeutsamer halten.“

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Drei Erkenntnisse sprechen jedoch dafür, dass die Deutschen sich dem Thema Zuwanderung geöffnet haben: Die Anzahl der Deutschen mit stark fremdenfeindlichen Einstellungen ist im Untersuchungszeitraum zurückgegangen, es machen sich weniger Menschen als früher große Sorgen über Zuwanderung, und 80 Prozent der Befragten bezeichnen Deutschland heute als Einwanderungsland.

Zuwanderungssorgen bei einfachen Arbeitern größer
Für die Studie haben Tucci und Claudia Diehl von der Universität Göttingen Daten der DIW-Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) ausgewertet und mit Daten aus der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) ergänzt. Das SOEP zeigt, dass noch im Jahr 1999 mehr als ein Drittel aller Bundesbürger ohne Migrationshintergrund sehr besorgt wegen des Themas Zuwanderung waren. Zehn Jahre später lag der Anteil nur noch bei einem Viertel. Menschen, die einfache Routine-Jobs ausführen, machen sich weiterhin überdurchschnittlich große Sorgen über Zuwanderung.

Die Allbus-Daten zeigen, dass die Anzahl der Menschen mit stark ausländerfeindlichen Einstellungen zwischen 1996 und 2006 in Westdeutschland von neun auf vier Prozent und in Ostdeutschland gar von 15 auf vier Prozent zurückging. „Auffällig ist, dass deutlich weniger Befragte den Aussagen zustimmten, die in Deutschland lebenden Ausländer würden den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen oder Probleme auf dem Wohnungsmarkt verursachen“, erläutert Tucci.

Gesetzgeber fördert Forderung nach deutschem Lebensstil
„Der Rückgang der stark ausländerfeindlichen Einstellungen ist nicht dem Wandel des Zugehörigkeitsverständnisses zuzuschreiben“, erklärt Tucci. „Denn anders, als man vielleicht erwartet hätte, weisen die Verfechter zivil-kultureller Einbürgerungsvoraussetzungen nahezu ebenso häufig stark fremdenfeindliche Einstellungen auf wie die Befürworter der traditionellen Einbürgerungskriterien.“

Einen Einfluss auf die Einstellung der Deutschen zu den Themen Zuwanderung und Staatsangehörigkeit, so Tucci und Diehl, könnten die Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre gehabt haben. „Kurz gesagt hat das Kriterium der deutschen Abstammung in den letzten Jahren an Bedeutung verloren, während andere Kriterien wie Beherrschung der deutschen Sprache und Anpassung an den deutschen Lebensstil landesweit an Gewicht gewonnen haben.“ Die Forscherinnen führen dies unter anderem auf die Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechts zurück. (bk)
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  1. Ottokar sagt:

    @Leo Brux

    Angenommen. Aber mal ein hypothetisches Beispiel:

    Nehmen wir an, es fände eine massive Zuwanderung aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten in unser Land statt. Diese Zuwanderung passiert relativ schnell und überschreitet die 20-Millionen-Grenze von Menschen. (Ich bin mir sicher, dass Ihre Partei diese Leute mit Sicherheit nicht abweisen wollen würde).

    Die Frage: Wäre dann unsere Gesellschaft IMMER noch eine pluralistische, oder müsste man sagen, es sind nur noch Teile davon pluralistisch, andere, zugewanderte Teile doch eher traditionell (mit ihren Extra-Problemen ethnischer Differenzen)?

    Mal ganz ehrlich, Userin Arabeska hat ihr wahres Gesicht gezeigt: Sie verabscheut (als Deutsche) große Teile der eigene Kultur, und möchte alles möglichst vielfältig haben. Das ist nicht weiter schlimm, ehrlich, mir geht es ähnlich. Im Gegenteil, ich hätte es gerne noch viel vielfältiger. Dann aber im gleichen Atemzug davon schwärmen, wie schön homogen dieser oder jene Staat doch ist, finde ich schon dreist. Wahrscheinlich wäre sie die erste, die mit einem Schild dagegen demonstriert, wenn diese wunderschöne Homogenität in Gefahr wäre.

    Meine Meinung: Multi-Kulti ja, aber auch für alle! Alles sollte möglichst vielfältig, durchmischt und kunterbunt durcheinandergewürfelt werden.

    Finden Sie das Verhalten von Staaten wie Bhutan nicht etwa auch rassistisch? Warum beanspruchen manche das Recht auf kulturelle Homogenität, während das bei anderen völkischer Nationalismus sein soll?

    • Leo Brux sagt:

      Ottokar,

      zu Tunesien und arabeska hab ich das vorgebracht – wie wär’s, Sie würden DARAUF eingehen?

      Was Tunesien angeht und seine Homogenität: Wer bestreitet, dass es in eher traditionalen Gesellschaften, wenn sie sich modernisieren, Extraprobleme bezüglich der ethnischen Differenzen gibt? Etwa in Ägypten bezüglich Muslime und Kopten. Oder in Syrien, im Irak …
      Nur, beziehen wir jetzt UNSERE Maßstäbe aus Tunesien und Ägypten? Wir sind über die groben ethnischen Abgrenzungen hinaus, glücklicherweise. Wir haben uns für eine pluralistische Gesellschaft entschieden, und wir leben sie. In unserer Gesellschaft gelten unsere Kriterien, und Heterogentität ist jetzt ein Gewinn.

      Zu einer Einwanderung von 20 Millionen und so aus Nordafrika: Da zeigt sich Paranoia. Wir haben in Deutschland und Europa ziemlich restriktive Zuwanderungsregelungen. Es gibt kaum Einwanderung aus Nordafrika. Kennen Sie die aktuelle Zuwanderungsstatistik?

  2. Ottokar sagt:

    Leo,

    zu Tunesien sagte ich „Angenommen“, bedeutet, ich gebe Ihnen uneingeschränkt recht. Keine weiteren Fragen, keine weiteren Diskussionspunkte sind von meiner Seite aus vorhanden.

    Zu der Masseneinwanderung aus Nordafrika sagte ich „hypothetisch“, ich dachte, dies sei klar. Gut, ich meine das als reine Fiktion, welche niemals eintreten wird. Vor dieser Fiktion fürchte ich mich auch nicht, sie wird es niemals geben. Allgemein gesprochen meine ich damit: kann sich eine (ehemals) pluralistische Gesellschaft oder Teile davon durch Zuwanderung traditioneller Gruppen wieder hin zu einer traditionellen Gesellschaft wandeln? Oder ist dieser Prozess Ihrer Meinung unmöglich: einmal pluralistisch, immer pluralistisch?
    Es war eine rein hypothetische Frage, möchten Sie sie mir trotzdem beantworten?

  3. Ottokar sagt:

    Leo Brux gibt mir also recht, indem er schweigt? Eine pluralistische Gesellschaft kann durch massive Zuwanderung also wieder zu einer traditionellen werden, mit den „Extraproblemen“ ethnischer Spannungen. Man sieht das sehr schön an der Kurdenproblematik, die leider auch hier in Deutschland ausgetragen werden muss.

    • Leo Brux sagt:

      Ottokar,
      Sie haben paranoische Vorstellungen von Zuwanderung.
      Ich hab Sie gebeten, sich die Zahlen der letzten Jahre anzuschauen. Haben Sie das getan?

      Die Zuwanderer, die Deutschland hat, kommen fast alle aus den Ländern Europas.

      Bezüglich der Kurden: Wo hätten wir denn hier in Deutschland ein Problem mit der Kurdenproblematik? Das Auffallende ist doch, dass wir so gut wie keine Probleme haben mit ethnischen Spannungen. Wenn es Spannungen gibt, dann gehen sie von hysterischen Fremdenfeinden aus. Oder von sozialen Problemen – der Verwahrlosung in einigen städtischen Quartieren in einigen wenigen Städten in Deutschland.

  4. Ottokar sagt:

    Ach Herr Brux, bitte, unterstellen Sie mir doch bitte keine psychische Erkrankung. Ich sagte doch nun schon dreimal, dass es eine hypothetische Frage war und erwähnte explizit, dass ich mich davor nicht fürchte. Ja, ich kenne die Zahlen und ja, ich habe sie mir angesehen, und ja, sie beunruhigen mich nicht.

    Nochmals meine Frage:

    Allgemein gesprochen meine ich damit: kann sich eine (ehemals) pluralistische Gesellschaft oder Teile davon durch Zuwanderung traditioneller Gruppen wieder hin zu einer traditionellen Gesellschaft wandeln? Oder ist dieser Prozess Ihrer Meinung unmöglich: einmal pluralistisch, immer pluralistisch?

    • Leo Brux sagt:

      Ottokar,
      der wahrscheinlichste Weg, dass eine pluralistische Gesellschaft ihren Pluralismus abschafft, ist nicht der, dass sie zu viel Einwanderung von nicht-pluralistisch-werdenden Menschen zulässt, sondern der, den Deutschland 1933 gegangen ist: Es könnten diejenigen, die die Homogenität (damals: völkische „Reinheit“) zum Prinzip erheben, sich durchsetzen und ethnisch entsprechend säubern.

      Aber klar, wenn wir, die 82 Millionen Einwohner Deutschlands, jetzt 82 Millionen Bengalen aus Bangladesh oder 82 Millionen hinduistische Inder aus Bihar und Uttar Pradesh ins Land holen würden, samt Wahlrecht und allem, dann würden wir ein Problem kriegen, was den Pluralismus anbelangt, weil es nur mehr bedingt Integration in Richtung Grundgesetz/FDGO und europäischem Verständnis von Pluralismus gäbe. Bei 1 Million hingegen wär’s kein großes Problem, wenn man das richtig anpackt, also keine Ghettos schafft und auch sozial dafür sorgt, dass nichts auf die Weise anbrennt, wie man das in England beobachten kann.

      Da diese Gefahr per Zuwanderung also nicht besteht, können wir uns auf die Gefahr per Homogenisierungsdruck konzentrieren. Darum wende ich mich gegen Lutheros. Für den sind Unterschiede von vorne herein etwas Gefährdendes und deshalb etwas zu Eliminierendes, teils durch Nichtwahrnehmung, teils durch — meiner Vermutung nach — ethnische Säuberung. Solange Lutheros nicht selber andere praktische Konsequenzen aus seinen Einlassungen zieht, bleibe ich bei meinem Verdacht.

  5. Sugus sagt:

    @ Leo Brux
    Zu anderen unterstellten „Zuwanderungsparanoia“ möchte ich folgendes bemerken:
    1.) Die Geburtenrate der „Deutschtürken“ mag gesunken sein, sie liegt immer noch über jener der Deutschen, was bedeutet, daß die Türken absolut und relativ zunehmen – und das, ohne daß ein Türke aus der Türkei das Land betritt.
    2.) Die oft postulierte „Abnahme der Türken“ in Deutschland in den letzten Jahren ist keine, da der Wanderungsverlust durch die Geburten der hiesigen „Deutschtürken“ mehr als ausgeglichen wurde.
    3.) Die deutsche Politik hat sich als unfähig erwiesen, das Problem zu lösen und jeder, der gegen Massenzuwanderung ist, wird inzwischen als „Rassist“ gebrandmarkt. Die 20 Millionen Zuwanderer sind also durchaus möglich – aber nicht aus Nordafrika, sondern langfristig aus Anatolien nach einem EU-Beitritt der Türkei. Macht es nicht besser.

    • Leo Brux sagt:

      Sugus,
      Sie vergessen einzurechnen, dass viele der Deutschtürken sich vollständig assimilieren, also keine Deutschtürken mehr sind. Nehmen Sie Necla Kelek, Güner Balci, Gülcan … Es gibt dafür wohl hunderttausend Beispiele.
      Die Geburtenrate liegt also etwas über derer der Ethnodeutschen, aber die Assimilationsrate macht das mehr als wett. Insofern sinkt die Zahl der Deutschtürken tendenziell.

      Hinzu kommt, dass man heute Deutscher ist, wenn man die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Die Zahl der Einbürgerung könnte höher sein, aber auch auf diese Weise kommen Jahr für Jahr einige zigtausend weg von der Zahl der Türken. Einer, der deutscher Staatsbürger ist, ist kein Türke, oder?

      Wenn Sie dennoch meinen (Ihren Formulierungen ist das so zu entnehmen), dass er oder sie auch als deutscher Staatsbürger ein Türke ist, dann sollten Sie sich nicht wundern, wenn ich Sie angreife. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, einem Deutschen sein Deutschsein abzusprechen – es erinnert fatal an das Programm der NSDAP von 1920: Ein Jude kann kein Deutscher sein, steht da. (In der damaligen Sprache: „Kein Jude kann Volksgenosse sein.“)

  6. Maenam sagt:

    „Die Zuwanderer, die Deutschland hat, kommen fast alle aus den Ländern Europas.“
    Das ist ja höchst erfreulich. Aber einen Zuwanderer aus den USA, Polen, Spanien, Griechenland ,quasi fast ganz Europa fühlt die absolute Mehrheit der Gesellschaft in Deutschland nicht als Zuwanderer. Einen Bill, Pedro, Vaclav, Manoli oder Alberto würde ich nicht als Zuwanderer bezeichnen weil die selbst Teil dieser Gesellschaft sind.Deßhalb muss man vom „gefühlten“ Zuwanderer sprechen und da stehen die Türken an erster Stelle, gefolgt von allen anderen Muslimen.

  7. Sugus sagt:

    @ Leo Brux
    Sie greifen 95% aller Türken mit deutscher Staatsbürgerschaft an (übrigens auch Sorben, Dänen) – die sich nämlich immer noch ungebrochen ethnisch als Türken definieren.

    • Leo Brux sagt:

      Sugus,
      wär ich nach Brasilien ausgewandert, hätt ich meine Herkunftskultur mitgenommen und dort weiter gepflegt. Wär jemand wie ich der Sohn eines deutschen Einwanderers in Brasilien, wär ich selbstverständlich beides, Brasilianer und Deutscher. Ich finde Doppelidentitäten ebenso natürlich wie fruchtbar. Ich hoffe also sehr, dass sich unsere Deutschtürken immer auch als Türken fühlen. Als Türken UND als Deutsche. Natürlich schwindet die Herkunftswelt von Generation zu Generation immer mehr. Leider. Ich hätte nichts dagegen, wenn sich die ehemaligen Ruhrpolen heute noch als Ruhrpolen erleben würden. Ein bisschen mehr polnische Kultur täte uns gut. Aber gegen den Trend zur Assimilation kann man wenig machen, und es ist ja auch verständlich, wenn nach 4 Generationen die Bindung an die Herkunft nur noch eine vage und blasse Bedeutung hat.

      Unter diesem Gesichtspunkt hat die grassierende Türken- und Islamfeindlichkeit vielleicht sogar ihre gute Seite: Sie hilft den Zuwanderern dabei, ihre Herkunft nicht so schnell zu vergessen und an mitgebrachten Traditionen besser festzuhalten.

      (Das mit dem Angriff hab ich nicht verstanden. Vielleicht erklären Sie es mir nochmal.)

  8. Ottokar sagt:

    Mir ist noch ein Punkt eingefallen in Punkto landestypischer Lebensstil: was einen Menschen meiner bescheidenen Meinung wirklich heimisch macht, ist es, die politische und kulturelle Situation eines Landes sequentiell zu verfolgen, üblicherweise via Radio, Zeitung oder TV.

    Wie sieht es aus bei unseren orientalischen Freunden? Lesen die wirklich die Süddeutsche, den Kulturteil der FAZ, das Feuilleton, die TAZ? Oder zumindest die BILD? Wird da auch mal Arte, ARD und ZDF oder sogar die Dritten geguckt? Hand auf’s Herz, der durchschnittliche Anatole liest die Hürriet und schaut türkisches Fernsehen via Satellit. Ist es nicht so?
    Der durchschnittliche Deutsche wohl eher die BILD und RTL2 Fußball :)

    Das ist nicht schlimm, ich kenne das. Ich habe selber jahrelang im Ausland gelebt, und mir ist eines Tages aufgefallen (nach Jahren), wie wenig ich eigentlich über die politische Lage weiß. Ich kaufte mir deutsche Zeitungen, kochte deutsches Essen, gut, schaute einheimisches Fernsehen aber nur zur Berieselung und weil deutsches TV nicht verfübgar war, ganz unterbewußt, ganz natürlich.

    Mir ist aufgefallen, dass das der letzte Schritt wäre, um ein Einheimischer zu werden. In den Kneipen konnte ich nicht wirklich mitreden, dazu fehlten mir die Kenntnisse der politischen Lage, dazu fehlte mir auch das Verständnis des landestypischen Humors (Humor ist das, was am schwierigsten zu verstehen ist). Ich war da, aber eine unsichtbare Mauer trennte mich von den Einheimischen. Ein Kollege von mir, ein Rumäne, hatte sich dann entschieden, für immer dort zu bleiben. Nach 4 Jahren war er ein Einheimscher. Voll und ganz assimiliert, und hat dennoch seine rumänsichen Wurzeln nicht vergessen. Vielleicht war sein Glück, dass es dort fast keine Rumänen gab zu der Zeit…? Deutsche gab es auch nicht, aber bei mir war es so, dass ich im Grunde nie vor hatte, zu bleiben. Und das hat mich daran gehindert, den letzten Schritt zu gehen: ein Einheimischer zu werden. Ich denke, so geht es vielen Orientalen… sie sagen ja selbst, meine Heimat ist die Türkei, der Libanon, der Irak. Kaum ein Türke sagt irgendwann, ich bin ein Deutscher! Voll und ganz! Täusche ich mich?

    • Leo Brux sagt:

      Ottokar,
      es geht in dieser Debatte darum, was man bei der Einbürgerung juristisch abgesichert fordern kann und soll.
      Da wird es keine Fernsehkonsum-Messung geben können.

      Außerdem ist heute ein Deutscher, der türkischer Herkunft ist und lieber türkische Programme anschaut, genauso ein Deutscher wie ich, der ich eigentlich überhaupt nie fernsehe. Das gehört heute zur deutschen Kultur, dass sie multikulturell ist. Unsere beiden Lebensstile, Ottokar, sind vielleicht stärker verschieden als der Lebensstil eines türkische Programme bevorzugenden Deutschtürken und der Ihre.

  9. Sugus sagt:

    @ Leo Brux
    Ihre eigenen Worte:
    „Wenn Sie dennoch meinen (Ihren Formulierungen ist das so zu entnehmen), dass er oder sie auch als deutscher Staatsbürger ein Türke ist, dann sollten Sie sich nicht wundern, wenn ich Sie angreife.“
    Was denn nun, Herr Brux? Sowohl-als-auch oder entweder-oder? Ein Türke mit deutscher Staatsbürgerschaft ist automatisch kein ethnischer Türke mehr?

    • Leo Brux sagt:

      Sugus,
      er ist beides. Und rechtlich ist er ein Deutscher.
      Ich gehe immer davon aus, dass man beides sein kann und eigentlich auch sein sollte, wobei rechtlich die Staatsbürgerschaft entscheidend ist; Sie gehen immer davon aus, dass man nicht beides sein könne, und dass dabei vor allem das Ethnische zähle. Das liegt in Ihrer Formulierung, die ich angegriffen habe. Wenn ein Deutscher mit türkischen Wurzeln sich ethnisch als Türke sieht (was ich sympathisch und gesund finde), dann ist er dennoch staatsbürgerlich Deutscher genauso wie ich, der ich Ethnodeutscher bin.

  10. Sugus sagt:

    @ Leo Brux
    D’accord. Man sollte jedoch bedenken, daß die Dinge immer im Fluß sind. Vielleicht hat sich ein Großteil der Albaner in den 50er Jahren auch als „Jugoslawen“ gefühlt, in den 80er Jahren sicher schon nicht mehr.
    Ich sehe daher ein Problem darin, daß sich hier Millionen Türken befinden, die sich als ethnische Türken fühlen, türkische Medien konsumieren etc. und nur dem Pass nach Deutsche sind.
    Ich will nämlich kein zweites Kosovo in Deutschland. Können Sie das ansatzweise nachvollziehen, ohne mir gleich das Nazi-Etikett anzuheften?

    • Leo Brux sagt:

      Sugus,
      was ich beobachte, ist, dass sich diejenigen, deren Herkunftsland die Türkei ist, vor allem deshalb dieser Herkunft so bewusst bleiben, weil sie auf besonders heftige Anfeindungen in Deutschland stoßen. Wenn man ständig und pentrant als Fremder und Türke angemacht wird, dann bleibt man auch fremder und türkischer, als wenn man freundlich aufgenommen wird. Dann wird man gern Deutscher. Ich hab das ganz unmittelbar an meinem türkischen Schwiegervater erlebt – einer, der Deutschland und die Deutschen bewundert hat – und übel gemobbt worden ist von Arbeitskollegen – und der nun immer wieder seine Bewunderung für Deutsche und Deutschland in eine Balance bringen musste mit der Gemeinheit, mit dem Ressentiment vieler seiner Arbeitskollegen. Er hat zu den Menschen gehört, die Ambiguitätstoleranz hatten: die Fähigkeit, mit der Zweideutigkeit der Realität zu leben, also damit, dass Türken und Deutsche ihre guten und ihre üblen Seiten haben. Im Gesamtergebnis ist er aber wegen seiner schlimmen Erfahrungen mit Deutschen türkischer geblieben als es sonst der Fall gewesen wäre. Er hätte, von seinem Naturell her, gerne gesagt und gefühlt, ein Deutscher geworden zu sein. Die Deutschen haben es nicht zugelassen.

      Wie soll denn aus Deutschland ein zweiter Kosovo werden — mal rein demographisch gedacht?
      Da fällt mir nicht das Nazi-Etikett ein, Sugus, sondern das Paranoia-Etikett.