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Ali Konkret

Liberal-Konservativ-Plakativ: Muslime à la Carte

Der Ramadan hätte so entspannt beginnen können, wenn uns nicht der deutsche Blätterwald mit Lamya Kaddor vom „Liberal-Islamischen-Bund“ mal wieder eine neue Folge aus der ewig langen Reihe „Liberaler Muslim, Konservativer Muslim“ gebracht hätte.

Von Mittwoch, 24.08.2011, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.04.2016, 23:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Reaktionen darauf reichten von erhitzten Blogger-Beiträgen bis hin zum publizistischen Einlauf in der „Islamischen Zeitung“ und der „FAZ“. Sie zeigten, dass gerade aus der muslimischen Community die wenigsten bereit sind, diese politische Denkschablone auf sich zu übertragen.

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Als mich im letzten Jahr ein Journalist vom Deutschlandradio in einem Gespräch über „Politik und Religion“ zum Schluss mit dem Label „liberaler Muslim“ bekleben wollte, bat ich ihn höflich in aller Bescheidenheit mich lediglich als „Muslim“ zu sehen. Der Journalist war etwas irritiert, hatte ich zuvor als aktiver Grüner mit ihm noch über das Verhältnis von säkularem Staat und Religion geplaudert, über Nachhaltigkeit, Atomausstieg und Menschenrechte.

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Ich erklärte ihm einfach, dass ich in meinen Glauben nicht durch politische Kampfbegriffe wie „liberal“ oder „konservativ“ bewertet haben möchte, unter denen nicht selten die Wertungen „gut“ und „böse“ verstanden werden, aber oft auch „nicht praktizierend“ und „praktizierend“.

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Aber wie sieht denn die Wahrnehmung von „liberal“ und „konservativ“ in der Praxis aus? Wenn Leute hören, dass ich bete und faste, bekomme ich nicht selten Kommentare wie „Das sieht man dir aber nicht, dass du so „streng“ gläubig bist.“ oder „Bist du jetzt Fundi geworden?“ zu hören.

Ich denke mir oft, wenn ich schon durch das Ausüben ganz normaler Bestandteile des Glaubens als „Fundi“ durchgehe, wo wären dann so extrovertierte Persönlichkeiten wie Pierre Vogel einzuordnen?

Und: Muss man es immer einem sofort ansehen, dass man sich etwas um seinen Glauben kümmert? Braucht die Gesellschaft lange Bärte und schwarze Burkas, um das sofort identifizieren zu können? Fühlt sie sich dadurch sicherer?

Im Grunde genommen ist das der eigentliche Kern der Debatte in der Diskussion um Muslime hierzulande und in Europa: die Sichtbarkeit von Religiosität in zunehmend areligiös werdenden westlichen Gesellschaften.

Der Zank um das Kopftuch mit seinen rechtlichen Auswirkungen (Burkaverbote wo keine Burkas sind, Kopftuchverbot im Öffentlichen Dienst), umstrittene Moscheebauten oder die Debatte um rituelles Schlachten zeigen das ganz deutlich.

Es geht dabei weniger um liberale Interpretationen des Korans, um historisch-kritische Methoden (die im Übrigen auch bei der oft als „konservativ“ abgestempelten islamischen Organisation „DITIB“ breit diskutiert werden) oder darum, ob die Existenz von 5-Sterne-Kühlschränken den Genuss von Schweinefleisch rechtfertigen könnte.

Das interessiert große Teile der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft herzlich wenig.

Die Diskussion um „liberal“ und „konservativ“ ist deshalb vor allem eine politische, die bei den Entscheidungsträgern in den Parlamenten und einigen Medien großen Anklang findet und dabei genau die Begriffe benutzt, die benötigt werden, um wichtige Weichenstellungen für so banale Dinge wie Islamischen Religionsunterricht oder die rechtliche Anerkennung des Islams in unserem Land zu initiieren bzw. zu bremsen.

Wie sich die Politik aus dieser Diskussion dann ihre Gremien bastelt, zeigt das Beispiel des „Beraterkreises zur Integration von Muslimen“ des niedersächsischen Innenministeriums, der 2008 initiiert wurde und sich teilweise wie das „Who is Who“ der Islamkritik liest, gekräuselte Nackenhaare inklusive.

Auch die „Deutsche Islamkonferenz“ ist so ein politisches und steuerfinanziertes Kaffeekränzchen, allerdings bisher noch immer nicht ganz überzeugend durch ihre Zielsetzung (Sicherheitspolitik vs. Integration vs. Anerkennung) ihres Schirmherrn, Bundesinnenminister „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – Friedrich. Ende offen.

Große Teile der Gesellschaft wünschen sich aber etwas anderes, und zwar den unsichtbaren Muslim à la Carte, der einmal im Jahr zum Zuckerfest in die Moschee ohne Minarett geht, Kopftücher ins Museum hängt, sich zwischendurch mal ein Bier zischt, im Ramadan die Rollos runtermacht und sich ganz im Necla-Kelek-Style durch den Genuss einer Bratwurst von seinen angeblich inneren Zwängen befreit.

Der sehr pluralen Lebens- und Glaubenswirklichkeit von über 3,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland, von denen sich nur die wenigsten ein politisches Label an den Kopf tackern lassen wollen, entspricht diese Debatte wohl kaum, wohl aber dem Aufmerksamkeitsbedürfnis ihrer Stichwortgeber, die übrigens so austauschbar wie Kissenbezüge von Ikea sind. Aktuell Meinung

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  1. hanna sagt:

    leo brux,

    es ist gerade der (bisherige) mangel an diesen von ihnen vorgeschlagenen und grundsätzlich zu begüßenden inhaltlichen auseinandersetzungen und präzisierungen, der die gegner eines vereinfachten und polarisierenden labelings „liberal/konservativ“, mich eingeschlossen, motiviert, sich hier zu wort zu melden.

    so wie sie zur zeit benutzt werden, gerade von frau kador, sind diese begriffe lediglich inhaltsleere hülsen; sie sagen recht wenig aus über die gesellschaftspolitische positionierung oder auch theologische ausrichtung und quellenzugang der menschen, die sie auf sich selbst oder auf andere anwenden.

    „liberal“ und „konservativ“ sind begriffe, die schon in ihrem ursprünglichen, politischen, verwendungskontext mehrdeutig und höchst ambivalent geworden sind. erst recht sind sie im kontext der theologischen deutung der heutigen lebenswirklichkeit wenig ausagekräftig. es sind bedeutungen, die begriffe zur wirklichkeit werden lassen, und im rahmen der aktuellen debatte über den „liberalen“ vs. „konservativen“ islam sehe ich nicht, dass sie mit bedeutungen aufgeladen werden, am allerwengisten von frau kador. ebenso wenig sehe ich, dass die lebenswirklichkeit und die pluralität der deutschen muslime, auch nicht ihre ideologische positionierungen, mit diesen zwei begriffen erfasst werden könnten, selbst wenn man ihre bedeutung konkretisieren würde. denn worin genau bestehen die INHALTE, politische wie theologische, der von frau kador benutzen begrifflichkeit?

    dafür ist sie (die begrifflichkeit) aber durchaus „catchy“, und eignet sich im kontext der islamdebatte sehr gut dafür — und das ist das eigentlich verheerende — die unterscheidung in „gute“ und „böse“ muslime fortzuführen und zementieren, mit der man (nicht nur) in der vergangenheit diskriminierende strukturen und verzerrte öffentliche bilder des islams und der muslime aufrecht erhalten hat.

    wenn wir tatsächlich eine debatte über den islamischen pluralismus haben wollen, eine debatte, die sich darüber hinaus als beitrag für den gesamtgesellschaftlichen pluralismus verstehen will, dann bringt es recht wenig, dies nach dem prinzip „selbstverherrlichung vs. pauschale disqualifizierung andersdenkender“ zu betreiben, auch nicht dann, wenn man eine populäre begrifflichkeit benutzt. und dies alles, wohlgemerkt, ohne ein einziges stichhaltiges inhatliches argument, theologischer oder anderer natur.

    „differenzierung als fairnessgebot“ — dies fordert heiner bielefeldt von der mehrheitsgesellschaft im umgang mit dem islam; dies kann und soll auch von protagonisten der islamdebatte, also auch von lamya kador, eingefordert werden. eine gesellschaftliche gruppe aus der luft zu konstruieren ohne konkrete hinweise und belege, sie dann pauschal, weil ohne inhaltliche bezüge, als „konservativ“ zu bezeichnen, sie ferner mit bestimmten eigenschaften zu etikettieren, dies alles nicht zuletzt um eigene geltungsansprüche zu erheben — nunja, auf diese art und weise werden mythen und feindbilder erschaffen, nicht aber die grundlage für eine sinnvolle und inhaltsträchtige debatte.

    und es ist die methodik dieser vorgehensweise samt ihrer möglichen konsequenzen, nicht die innerislamische debatte per se, die von ali bas (falls ich ihn richtig verstanden habe) kritisiert und abgelehnt wird.

    • Leo Brux sagt:

      @hanna:

      „inhaltsleere Hülsen“ – keineswegs. Radhan hat im MiGAZIN viel klaren Inhalt geliefert. Auch auf der LIB-Website wird man fündig. Ich selber habe mal zwei Streitthemen hier im MiGAZIN angeschnitten und bisher nicht ein einziges Wort dazu von der Seite der Kritiker des LIB gehört.
      Bei mir wächst der Eindruck, dass die Abwehr vor allem darin besteht, NICHT auf irgendwelche Inhalte einzugehen, sondern pauschal und grundsätzlich zu bleiben. Ich bin geduldig. Ich warte darauf, dass ich mal inhaltlich – einzelne Sachfragen betreffend – ins Gespräch mit denen komme, die jetzt auf die „liberalen Muslime“ schimpfen.

      „liberal und konservativ sind ambivalente Begriffe“: Natürlich sind sie das. Ist das ein Problem? Begriffe sind glücklicherweise ambivalent, das erst macht sie überhaupt in multiplen Kontexten verwendbar. Die Begriffe möcht ich mal sehen, die nicht ambivalent sind!

      Wenn LIB etwas als konservativ bezeichnet und sich selbst als eine gute, moderne Alternative sieht – ist das bereits Selbstverherrlichung und pauschale Diffamierung anderer?

      Was will LIB? Hilal Sezgin formuliert es in der taz so:

      Selbstverständlich hat Bahners recht, dass der deutsche Staat „eine freisinnige Koranauslegung nicht gegenüber einer bewahrenden bevorzugen“ darf. Das erwartet aber auch keiner. Wir sind nicht „die besseren“ Muslime. Wir sind einfach noch mal eine in manchen Hinsichten andere Spielart, die sich mit demselben Recht zusammenschließen darf wie die „bewahrenden“ Muslime oder die „bewahrenden“ und „freisinnigen“ Katholiken und Protestanten eben auch. Genauso legitim ist auch das Interesse muslimischer Eltern mitzubestimmen, womit bekenntnisgebundener Unterricht über „den“ Islam gefüllt werden soll.

      Und ich als Nicht-Muslime, aber als freisinnig-religiöser Mensch, der Freude hat an der Vielfalt und der Ambiguität, begeistert ist von der multikulturellen Umwelt, in der ich das Privileg habe, leben zu dürfen, ein Bewunderer der islamischen Religion und ihrer 1400jährigen Geschichte – ich sage: Mir gefällt das, was LIB einbringt in die Islamdebatte, in den Islam überhaupt. In Deutschland wächst ein „deutscher“ Islam heran, als Teil eines vielfältigen europäischen Islam.

      Muslime, seid froh, dass sich zusätzliche Möglichkeiten, Muslim zu sein, auftun! Deutschland braucht das, viele Muslime in Deutschland brauchen das. Es muss immer eine große Bandbreite geben in einer Religion, denn die Gläubigen sind verschieden, und die Lebensumstände, in denen sie ihre Religion leben und religiöse Bedürfnisse entwickeln, sind ebenfalls verschieden.

  2. Lynx sagt:

    Nicht der Islam benötigt dringend eine Veränderung – wie Lamya Kaddor behauptet –, sondern sie selbst bedarf der Änderung, denn so ist sie ein Beispiel dafür, wie unfreiheitlich und intolerant diese „liberalen“ Muslime in Wirklichkeit doch sind. Wer als Vertreter der Muslime auftreten will – dieser Rat ist vorranging an die Vertreter des obersten Dachverbands gerichtet –, muß alle mittragen, die sich noch irgendwie im weiten Rahmen des Islams bewegen, sowohl „modernistische Liberale“ auf der einen als auch „fundamentalistische Salafisten“ auf der anderen Seite, und alle, die dazwischen liegen. Er darf sich von keinem „distanzieren“, denn sonst läßt er einen Bruder oder eine Schwester im Islam fallen und spielt sich zu Unrecht als Vertreter „der“ Muslime auf.
    Es ist doch merkwürdig, wie verschoben die Normen in den Köpfen der Nichtmuslime und auch einiger Muslime heute sind. Logischerweise sollten für jeden Muslim seine Vorbilder der Gesandte Allahs – Allah segne ihn und seine Familie und gebe ihnen Heil – und die ersten rechtschaffenen Muslime sein. Diese sind die Mitte, und je weiter man sich von ihnen entfernt, desto mehr gerät man an den Rand des weiten Rahmens dessen, was noch Islam ist, also ins Extreme. Nach den Worten des Propheten selbst ist jemand, der das Frühlicht- und das Nachtgebet nicht in Gemeinschaft in der Moschee verrichtet, als Heuchler anzusehen. Aus islamischer Sicht ist ein Extremist also z. B. jemand, der sich als Muslim bezeichnet, aber nur gelegentlich betet, und jemand, der die Verpflichtung zu den grundlegenden gottesdienstlichen Handlungen verleugnet und den Islam nicht praktiziert, ist weder ein „liberaler“, noch sonst irgendwie ein Muslim.
    Die frühen Muslime pflegten von anderen Muslimen, die die religiösen Vorschriften nicht einhielten oder die Sunna des Propheten mißachteten, keine Belehrung in Dingen ihrer Religion anzunehmen.
    Was heißt „konservativ“? Gilt es als „Fundamentalisten“ die Fundamente, d. h. die Grundlagen der Religion zu konservieren, d. h. zu bewahren und zu erhalten, oder Vorstellungen und Gebräuche, die nicht unmittelbar oder gar nicht zur Religion gehören, die aber von Unwissenden als wesentliche Teile von ihr angesehen werden?

  3. Musa Can sagt:

    Stammtischpolemik pur. Hätte genauso von einem CSU-Politiker stammen können.

    Inhaltslos und rhetorisch stumpf zugleich. Weit und breit keinen Qur’an-Zitat, keine Beispiele aus dem Leben des Propheten s.a.s., der Awliya oder andere Lichtgestalten unserer reichen Zivilisation. Einfach nur: bla, bla, bla.

    Ganz ehrlich Ali Bey, dann kann man es doch glatt sein lassen ;-)

    An die MuslimInnen, fällt bitte nicht darauf ein, haltet Euch an Qur’an und Sunnah und lasst diese populistischen Debatten bei Seite!

    Denkt immer zuerst an die Einheit der Ummah! Q49:9 als Beispiel.

    Einen weiterhin gesegneten Ramadan, und dass wir endlich mal auch in DE aus dem Quark kommen ;-)

    • Leo Brux sagt:

      Musa Can,
      ich bin mir nicht sicher, aber mir kommt Ihr Text so vor, als ob sich hier ein Fundamentalist äußert – entweder ein Salafi oder einer von PI, der mal in die Schuhe eines Salafi geschlüpft ist, um zu provozieren.

  4. Snillisme sagt:

    Sehr interessante Diskussion darüber ob und wie ‚liberal‘ und ‚konservativ‘
    zu unterscheiden sind.
    Ich hätte da einen Vorschlag: Nennen wir doch einfach diejenigen ‚liberal‘ , die liberal sind!? Das meint Leute, die ihre religiösen Überzeugungen für sich selbst als bindend betrachten und sich danach richten, die aber ihre Mitmenschen, weibliche Familienmitglieder eingeschlossen, damit nicht weiter belästigen.
    Und ‚konservativ‘ würde man eine Religionsauffassung nennen, innerhalb welcher der und besonders die Einzelne sich übergriffigen religiösen Regeln nicht oder nur äußerst schwer entziehen kann. Das ist der staus quo in so gut wie allen traditionellen islamischen Communities und wäre daher folgerichtig mit ‚konservativ‘ umschrieben.