Syrien
Schiitisch-Sunnitisches Tauziehen?
Die Meinungen in der arabischen Bevölkerung über die Proteste in Syrien klaffen stark auseinander. Woran liegt das? An den unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten?
Von Anja Tuchtenhagen Freitag, 02.09.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.03.2016, 12:18 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Hunderte von Demonstranten ziehen skandierend durch die Straßen. Man kann sie von weitem hören. “Bashar bas! Bashar bas!” rufen sie immer wieder. Es geht um den syrischen Präsidenten, Bashar al-Assad, dessen Herrschaft in seinem Heimatland nun bereits seit Monaten auf der Kippe steht. In seiner prekären Lage kämpft der Präsident mit allen Mitteln gegen die an, die versuchen ihn zu stürzen. Spekulationen über die Zahl der Personen, die bei gewaltsam niedergeschlagenen Protesten ums Leben kamen, gehen in die Tausende. Die Protestierenden in Syrien begehren auf gegen Unterdrückung und Zensur. Sie wollen den Präsidenten und den ihm loyalen, gut ausgebildeten Sicherheitsapparat fallen sehen. Die Demonstranten jedoch, die hier in Beirut durch die Straßen ziehen, wollen genau das Gegenteil erreichen. “Bashar bas” –Bashar al-Assad ist der Einzige für sie.
Die protestierenden Exilsyrier im Libanon bleiben ihrem von westlichen Ländern als Diktator bezeichneten politischen Führer treu. Sein Konterfei klebt auf den Autos der Demonstranten, ziert 2×2 Quadratmeter messende Stoffplanen. Zwischen den Fahnen, die die Demonstranten durch die Luft schwenken, findet sich auch die gelb-grüne Fahne der libanesischen Hisbollah. Mit nicht geringerer Inbrunst wird sie hoch in die Luft gereckt. Die Gemüter erhitzt, mit Schweißperlen auf der Stirn versammelt sich die Menge gegen Mittag vor der syrischen Botschaft im Zentrum Beiruts. “Bashar bas! Bashar bas!”, hallen die heiseren Stimmen durch die sonntäglich ruhigen Straßen.
“Die haben doch noch nie etwas von Menschenrechten und Meinungsfreiheit gehört”
Am Rande der aufgestachelten Menge schüttelt Ahmad, Besitzer einer syrischen Autohausfiliale in der libanesischen Hauptstadt, verächtlich den Kopf. “Schau nur, wie dumm sie sind, diese Leute. Der Großteil von ihnen kann noch nicht einmal lesen und schreiben. Sie arbeiten hier Tag ein Tag aus vor sich hin, weil es in ihrem Heimatland nicht genügend Arbeitsplätze gibt und gehen für einen Mann auf die Straße, der sich nicht um sie kümmert”.
Syrische Arbeitskräfte sind im Libanon seit Bürgerkriegsende 1990 präsent, seit das syrische Militär die Verwaltung des konfliktgebeutelten Libanon übernahm. Auch heute noch, sechs Jahre nach dem syrischen Abzug arbeiten sie im Libanon, meist auf dem Bau, in einem der zahlreichen Großprojekte. Bauen boomt im Libanon und die Männer aus dem Nachbarland sind günstige Arbeitskräfte. “Diese Leute denken nicht nach, auf dem Bau erzählt ihnen keiner was von Menschenrechten und Meinungsfreiheit”. Ihr Landsmann, der Autohändler verachtet ihr Eintreten für Bashar. Er selbst komme aus Dara’a, der Provinz im Süden Syriens, wo es mit den Anti-Bashar Protesten angefangen hat. “Da wo ich herkomme sind die Leute intelligenter, sie sind besser gebildet. Sie haben gemerkt, welch unterdrückerisches Machtspiel in Syrien gespielt wird”, brüstet er sich.
Die Menschen, die hier auf die Straße gingen seien doch noch dazu von der Hisbollah instrumentalisiert. Die gebe ihnen Geld und rufe sie zum Protestieren auf, weil sie “Angst hat, dass ihr langjähriger Freund Bashar gestürzt wird und dann die Waffenlieferungen ausbleiben”, meint er. Das Regime in Syrien ist seit langem Allierter der libanesischen politischen “Partei Gottes”, die gleichzeitig Miliz ist und mutmaßlich dank Unterstützung aus Syrien und dem Iran über reich gefüllte Waffenlager verfügt.
Angst vor konfessionell gefärbten Buergerkriegen und sunnitischer Dominanz im Nachbarland
Ahmads Opponenten halten dagegen, dass es doch verwunderlich sei, dass die Proteste ausgerechnet in Grenzprovinzen zum Libanon und Jordanien aufgebrochen sind, und nicht in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Sie wittern eine sunnitische Verschwörung, ins Land getragen von den Sunniten im Norden des Libanon und den Jordaniern, von denen sie vermuten, dass sie unter der Schirmherrschaft Saudi-Arabiens agieren. Diese Ansicht hat ihre Wurzeln in einer regionalen Konfliktkonstellation, die zu nicht unbeträchtlichen Teilen entlang konfessioneller Linien ausgerichtet ist. Bezeichnend dafür ist das politische Verhalten des sunnitischen saudi-arabischen Regimes das seine schiitischen Minderheiten unterdrückt und mit dem Iran um die Hegemonie am Golf wetteifert. Der seit der Revolution 1979 schiitische Gottesstaat Iran hält mit seinen -manchmal als Satellitenstaaten bezeichneten- Verbündeten Syrien und Libanon dagegen. Beide Länder verfügen über bedeutende schiitische Bevölkerungsteile.
Auf die Frage, wie er die aktuellen Geschehnisse in Syrien beurteile, antwortet ein schiitischer Geschäftsmann aus Beirut, er fühle sich durch die Protestwelle, die durchs Nachbarland geht bedroht. Er frage sich, was passiere, wenn das restriktive Regime Assads durch – wie er es bezeichnet – islamistische Horden gestürzt würde. “Dann wird dort eine sunnitische Bastion errichtet, dann wird das Land von einer religiösen Mehrheit regiert und religiöse Minderheiten werden das Nachsehen haben”.
Die Alawiten – regierende Minderheit in Syrien
Syrien ist ein multikonfessionelles Land, in dem Sunniten, Schiiten, Christen, Drusen und zahlreiche andere Religionsgemeinschaften leben. Bisher hatte Bashar, selbst Mitglied der Minderheit der als Schiiten klassifizierten Alawiten, Religion und Politik voneinander getrennt. Die alawitische Herrschaftsdynastie der Familie Assad und ihr gut ausgebautes geheim- und sicherheitsdienstliches Netz wird von vielen Syrern jedoch als unterdrückerisch wahrgenommen. Sie fühlen sich als Regierte einer Minderheit, die sich unrechtmäßig an ihre Macht klammert. Die Identität der Alawiten wiederum ist vorwiegend geprägt durch ihre Selbstwahrnehmung als verfolgte Bevölkerungsgruppe. Es gäbe keine Begründung dafür, warum eine Minderheit in Syrien nicht die Macht innehaben solle, findet der Beiruter IT-Spezialist, der auf Reisen nach Saudi-Arabien seine schiitische Religionszugehörigkeit verschweigt. “Das syrische politische System basiert, im Gegensatz zum libanesischen, nicht auf einer Verteilung der politischer Ämter nach konfessionellem Proporz. In Syrien kann jeder an die Regierungsspitze gelangen, ganz gleich seiner Herkunft, und das ist auch gut so”, stellt er klar.
An der Korrektheit dieser Aussage lässt sich insofern zweifeln, als Assads Familie nun bereits seit 40 Jahren die politischen Geschicke des Staates durch dynastische Erbfolge leitet, und politische Machtpositionen mit ihr langjährig loyalen Akteuren besetzt sind, die der Alawiten-Dynastie als zuverlässige Machtstütze dienen.
Ein multidimensionales Konfliktgefüge
Die Diskussion, welche Haltung nun die zutreffende ist, ist müßig. Wahrscheinlich finden sich auf beiden Seiten Akteure, denen es schlichtweg um regionale Machterhaltung- bzw. Erweiterung geht. Die Proteste gegen al-Assad mögen zu einer guten Portion von sektiererischem und islamistischem Charakter sein, und aktiv aus dem sunnitischen Ausland unterstützt werden, wie es der schiitische Geschäftsmann vermutet. Ein anderer Teil der Aufständischen mag aber aus einer demokratischen Überzeugung heraus handeln, und aus dem genuinen Willen, eine freiere Gesellschaft zu errichten. Eine Gesellschaft, in der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geachtet werden, und deren Armee nicht mehr mit Panzern und anderem militärischen Geschütz gegen die eigene Bevölkerung auffährt, wenn sie einen Machtverlust zu befürchten hat. Ob die Menschen in Dara´a allerdings wirklich intelligenter und gebildeter sind als die Stadtbevölkerung von Damaskus, wie es der syrische Autohändler behauptet, daran mag genauso zu zweifeln sein.
Ob Bashars Unterstützer vorwiegend aus einer Protesthaltung gegen seine sunnitischen Gegner und den Zweifeln an dem was danach kommt handeln, ist schwer zu beurteilen. Inwiefern die syrischen Bauarbeiter von der Hisbollah kooptiert wurden, ebenfalls. Die Hisbollah sowie Bashar al-Assad und die iranische Führung genießen durch ihre harte Haltung gegenüber dem –in arabischer Wahrnehmung- israelischen Feind Anerkennung in der arabischen Bevölkerung. Ein Großteil der Araber fühlt sich von den mit dem Westen verbündeten arabischen Staaten Saudi-Arabien, Jordanien und Ex-Präsident Mubaraks Ägypten aufgrund ihrer Israel-freundlichen Haltung hintergangen.
Der israelisch-palästinensiche Konflikt spielt eben eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Region, auch in innerstaatlichen Belangen. Diese Rolle geht mühelos über konfessionelle Grenzen hinweg. Nicht umsonst prangen in den fast ausschließlich von Sunniten bewohnten palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon Plakate von al-Assad, Hisbollah, Khamenei und Co. an den Hauswänden. Es geht nicht nur um ein Tauziehen zwischen Schiiten und Sunniten. Das Seil hat mehr als zwei Enden. Aktuell Ausland
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