Diskursive Deeskalation
Die Medien und der 11. September
Wie haben die Medien in Deutschland auf den 11. September reagiert und wie hat sich die hiesige Medienlandschaft verändert? Lewis Gropp geht diesen Fragen nach und schaut optimisch in die Zukunft.
Von Lewis Gropp Sonntag, 11.09.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 16.09.2011, 15:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Menschheit habe das 21. Jahrhundert durch ein Feuertor beschritten, so kommentierte Kofi Annan, damaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, die Anschläge des 11. September. Doch auch wenn große Teile der Bevölkerung in den USA und Europa die Terrorakte als gezielten Angriff auf die westlichen Gesellschaft und ihre freiheitlich liberale Demokratie verstanden – in den deutschen Medien blieben bellizistische Attacken und unreflektierte Pauschalurteile über Muslime und deren vermeintlich inhärent gewalttätige Kultur und Religion zunächst aus. Im Gegenteil: Die großen Zeitungen warfen nicht den ersten Stein, sondern suchten nach Erklärungen, es wurden Fragen gestellt, Antworten gesucht. Why do they hate us so much?, titelte die New York Times – in den Redaktionsräumen in Deutschland suchte man ebenfalls nach Antworten auf diese Frage.
Auf Skurrile Weise beschrieb Al Jazeera dieses dringliche Informationsbedürfnis des Westens über den Islam: In der Bildunterschrift eines Fotos, das die zweite auf die World Trade Center zufliegende Boeing 737 darstellte, war zu lesen: „Die Anschläge vom 11. September haben im Westen ein großes Interesse an der islamischen Kultur geweckt.“ Und so grotesk diese Aussage angesichts der Grausamkeit der Anschläge erscheinen, so enthalten sie mehr als nur einen Funken Wahrheit. Insbesondere in Deutschland haben die Anschläge von New York und Washington die Medienberichterstattung dahingehend verändert, dass die bis dahin kamera- und mikrofonscheuen Islamwissenschaftler der alten Schule durch eine neue medienaffine Generation abgelöst wurde. Vermeintliche „Experten“, die mitunter großen Einfluss auf die öffentliche Meinung hatten, wie beispielsweise der umstrittene Gerhard Konzelmann, wurden von promovierten Islamwissenschaftlern wie Navid Kermani, Katajun Amirpur, Gudrun Krämer, Mathias Rohe, Udo Steinbach oder Stefan Weidner abgelöst. Diese neue Generation von Islamwissenschaftlern war in der anschwellenden Islamdebatte in erster Linie damit beschäftigt, die deutsche Öffentlichkeit von der Vielfalt islamischer Kulturen zu informieren und davon, dass das Bild einer inhärent gewalttätigen Kultur ein verkürztes Zerrbild darstellt. Es ging auch immer wieder darum zu erklären, dass die politischen und gesellschaftlichen Missstände in der islamischen Welt in vielen Fällen keine religiösen Ursachen haben – und nicht selten sogar auf die Rechnung des Westens gehen, weil dieser Diktatoren stützte (wie beispielsweise in Ägypten und Algerien), demokratische Regierungen stürzte (wie beispielsweise im Iran) oder auch selber ganz direkt radikalislamische Bewegungen förderte (wie beispielsweise in Pakistan und Afghanistan). Diese neuen Islamwissenschaftler stehen der islamischen Kultur offen und vorurteilsfrei gegenüber, aber anders als Annemarie Schimmel, die ‚Grand Dame‘ der alten deutschen Islamwissenschaft, die dem Islam wohlwollend zugeneigt war – und sich beispielsweise nicht dazu durchringen konnte, Ayatollah Khomeinis Todesfatwah gegen Salman Rushdie zu kritisieren –, taugt diese neue Generation deutscher Islamwissenschaftler nicht zur Verharmlosung islamisch gerechtfertigter Gräueltaten, hier finden sich keine Zwischentöne kulturrelativistischer Apologetik.
Neben diesen in der Regel an die Universitäten angebundenen Akademikern und den zahlreichen Islamwissenschaftlern, die mittlerweile freiberuflich als Journalisten ihre Expertise vermitteln, gibt es in Deutschland zudem eine Vielzahl an Redakteuren von großen Tageszeitungen, die über umfangreiche Kenntnisse über die islamische Welt und den Islam verfügen. In wohl keinem anderen Land der Welt werden über die klassischen Printmedien derartig umfassende und fundierte Kenntnisse vermittelt wie in Deutschland. Das hat sicher etwas mit der bedeutenden Tradition orientalistischer Forschung zu tun, die bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückreicht – neben Frankreich und England war Deutschland auf diesem Gebiet über viele Generationen führend und ist es zum Teil bis heute. Es ist aber auch auf die insgesamt sehr hohe Qualität des deutschen Journalismus zurückzuführen. Und nicht zuletzt auf die in diesem Land geführte Islamdebatte, für die der 11. September vor zehn Jahren ein tragischer Katalysator war, und die einen Bedarf an Know-how auf diesem Gebiet generierte. Islamische Themen waren auf einmal gefragt – auch, wenn es dabei selten um den Islam als Religion ging, sondern immer nur um Politik.
Inmitten populistischer Tendenzen mit antiislamischem Einschlag in ganz Europa wie auch den USA ist Deutschland vor xenophoben Auswüchsen und einem kulturrassistischen Diskurs weitgehend verschont geblieben. Öffentliche Debatten werden bisher frei von Demagogie und Populismus ausgefochten. Das Klima droht sich zu verändern. Als Innenminister hat Wolfgang Schäuble immer wieder – unter positivem Medienecho – auf die Tatsache hingewiesen, dass der Islam ein Teil Deutschlands sei. Doch als Präsident Wulff die gleichen Worte wählte, schlug ihm ein kühler Wind entgegen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Leute wie Alice Schwarzer, Monika Maron, Ralph Giordano, Hendryk Broder und Thilo Sarrazin die Medien mit populistischen Halbwahrheiten und Diffamierungen bedienen und gefährliche Ressentiments schüren. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darf Necla Kelek immer wieder ungestraft behaupten, der Islam als solcher müsse abgeschafft werden. Diese Forderung könnte man durchaus als verfassungsfeindliche Propaganda einstufen – die Forderung nach Abschaffung einer Religion verstößt gegen das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der Religionsfreiheit. Doch Kelek und ihre Mitstreiter behaupten, der Islam sei keine Religion, sondern eine verfassungsfeindliche Ideologie. Dabei belegen zahlreiche Studien, dass der Großteil der in Deutschland lebenden Muslime nicht an Radikalismus interessiert ist. Auch wenn es die Islamkritiker nicht glauben mögen: Es gibt ihn, den moderaten Islam, mitten in Deutschland. Für alles andere gibt es den Verfassungsschutz.
Insgesamt gesehen hat die Debatte über den Islam seit dem 11. September 2001 an Dynamik gewonnen. Aber auch der Islam in Deutschland hat sich verändert – das spiegelt sich auch in den Medien wieder. Der größte islamische Verband, der Zentralrat der Muslime, wird nicht mehr durch den in seinen Ansichten konservativen und in seinem Auftreten unbeholfen wirkenden Axel Ayub Köhler vertreten, sondern von dem liberalen, mediengewandten Ayman Mazyek; im Internet gibt es immer mehr Blogs und Webseiten von Muslimen, die sich mit den Fragen von Religion und Gesellschaft auseinandersetzen und keinen Gegensatz zwischen ihrer deutschen und islamischen Identität sehen; es gibt zahlreiche islamische Magazine, die sich in der Mitte der Gesellschaft verorten, wie das von Sineb El Masrar herausgegebene Mädchenmagazin ‚Gazelle‘ oder die ‚Deutsch-Türkischen Nachrichten‘; und es erscheinen auch immer mehr seriöse Debattenmagazine, wie beispielsweise das ‚Migazin‘ oder das jüngst von der Islamwissenschaftlerin Nimet Seker gegründete Printmagazin ‚Horizonte. Zeitschrift für muslimische Debattenkultur‘. Zudem haben sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten vermehrt darum bemüht, junge Journalisten mit Migrationshintergrund zu fördern und einzustellen.
Mit dem 11. September sind sich der Westen und der Islam ein großes Stück näher gekommen – im Guten wie im Schlechten. Aber ein Blick in die deutsche Medienlandschaft zeigt, dass die Vorstellung vom Kampf der Kulturen einstweilen widerlegt werden konnte: Keine Eskalation ist alternativlos. Und wir als Medienschaffende tragen alle Verantwortung, mit einer faktenbasierten Versachlichung zur diskursiven Deeskalation beizutragen. Aktuell Meinung
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„Warum sollte man überhaupt vor Religionen als solchen (egal welcher) Respekt haben?“
Das frage ich mich auch. Es ist keine besondere Einzelleistung, an ein fiktives Gotteskonstrukt frenetisch zu glauben. Vor Kulturen, vor Menschen, vor Taten, JA! Aber nur vor drögem Glaube? Für mich ist Glaube eher Tunnelblick als Offenheit.
@Relbrandt
Glaube ist die Faulheit zu denken und Verantwortung zu übernehmen.
11. September ist eine Schweinerei. Mit Islam hat es kaum tun. Selbstmord wird im Koran nicht erwünscht bzw. nicht gut.
@ arabeska
Darf ich Ihren letzten Beitrag als Eingeständnis dafür verstehen daß das Thematisieren der Kreuzzüge in der aktuellen Debatte auch für Ihre eigene Argumentation nicht zielführend ist weil die Moslems selbst jahrhundertelang Eroberungskriege geführt haben?
@ Fikret
Ich bin kein Islamwissenschaftler, aber soweit ich weiß stehen Märtyrer des Kampfes für die Ausbreitung des Islam in hohem Ansehen.
@Snillisme ,Das Ansehen vom Christentum scheint auch,gar nicht schlecht zu sein. Das hat nicht viel zu sagen. Nicht übertreiben!
@ Fikret
Das war eine zurückhaltende Formulierung. Konkret: Märtyrerfamilien bekommen Geld und Ehre von der islamisch geprägten Gesellschaft, der Koran verspricht ihnen das Paradies. Alles nur unislamischer Zufall?
Ein im Kampf für den Islam gefallener Dschihadist wird nicht als Selbstmörder verdammt.
@Sinillisme
„Ich bin kein Islamwissenschaftler, aber soweit ich weiß stehen Märtyrer des Kampfes für die Ausbreitung des Islam in hohem Ansehen.“
Genau: Sie sind kein Islamwissenschaftler! Von daher sollten Sie derartige Äußerungen, die Sie sich durch die Blöd-Zeitung angeeignet haben, einfach mal lassen!
@ Mika, Ich bin auch kein Islamwissenschaftler. Ich kann aber lesen: Im Koran steht eideutig dass man kein Suizid machen soll (Entschuldigung ich habe gerade englische Version) – „Do not kill yourself. Allah is Merciful unto you.“ (Surat al-Nisaa‘ 4:29). Ich habe die Blödzeitungen nicht nötig.
Tja Fikret, vielleicht sollten Sie genauer lesen:
1.Ging es um die Äußerungen von Snillisme!
2. Betrafen die Äußerungen Märtyrertum und nicht den Suizid!
@ Mika
Sind Sie Islamwissenschaftler?