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Integrationsdebatte

Multiple Paradoxa

Es geht hier nun um in Deutschland lebende Menschen, in deren aller Biographien der Libanon auftaucht. Sie werden ihn einfach nicht los. So wie man eben den berühmt berüchtigten Migrationshintergrund nicht los wird. Susanne Rieper zu Besuch bei...

Von Susanne Rieper Mittwoch, 05.10.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.10.2011, 21:45 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Sichtlich ist man immer noch dabei, sich aneinander zu gewöhnen. Die Wogen schlagen hoch in der so genannten Integrationsdebatte in Deutschland. Würden sich im Zuge dessen nicht bestimmte Menschen immer öfter in ihrer Existenz bedroht fühlen, könnte man doch glatt darüber lachen und sich Dinge denken wie „Gebt den Leuten doch Zeit. Die kennen sich ja kaum noch.“ Oder „Manche Leute sind einfach zu blöd, um zu verstehen.“

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Wenn man sich etwas genauer und ernsthafter mit der Debatte beschäftigt, dann wird die ganze Angelegenheit gleich auch etwas trauriger. Trauriger insofern, als dass man zum Schluss kommt, dass innerhalb dieser Debatte außer Angst und Hass, wenig Konstruktives entsteht. Man kommt zudem zum Schluss, dass im Grunde genommen am eigentlichen Gegenstand der Debatte vorbeidiskutiert wird. „Thema verfehlt“, so würde es meine damalige Deutschlehrerin nennen. Die eigentliche Problematik ist nicht die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern das eigentliche Problem ist die Krise des deutschen Sozialstaates und die Identitätskrise der deutschen Gesellschaft. Aber darüber reden die wenigsten, ist ja auch reichlich unangenehm das Thema und die Lösungsansätze hierfür sind auch wirklich harte Arbeit. Da müsste man doch tatsächlich Schwächen und Defizite bei sich selbst einräumen und nicht wie sonst die Schuld beim anderen suchen. Das alles will man nicht hören. Also höre auch ich jetzt auf, davon zu reden.

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Lieber schere ich ganz im Sinne der Integrationsdebatte und der Einfachheit wegen Menschen mit Migrationshintergrund über einen Kamm. Tatatataaaa! Der gemeinsame Nenner ist der Libanon. Es geht hier nun um in Deutschland lebende Menschen, in deren aller Biographien der Libanon auftaucht. Sie werden ihn einfach nicht los. So wie man eben den berühmt berüchtigten Migrationshintergrund nicht los wird. Den Migrationshintergrund tot schweigen finde ich auch nicht angebracht. Warum sollte man auch eine Bereicherung verheimlichen? „Du weißt doch wie man Knefe macht, oder? Magst du mir das Rezept verraten?“ Den Migrationshintergrund hat man. Man muss mit ihm nur umgehen lernen. Man selbst, der davon betroffen ist und sein Umfeld.

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Und genau darum geht es im Folgenden. Es geht um die oben genannten Personen, welche, es ist kaum zu glauben, auf unterschiedlichste Art und Weise mit ihrem libanesischen Migrationshintergrund umgehen. Ich will mich an dieser Stelle bei all jenen Teilnehmern der Integrationsdebatte entschuldigen, die diesen gedanklichen Schritt, auch differenzieren genannt, nicht mehr schaffen. Nun denn. Im Zuge einer meiner Recherchen traf ich folgende Personen, die mir Einblick in ihre Identitätsjonglage gewährten.

Nawal, eine junge gebildete Frau ist eine von ihnen. Sie ist im Libanon geboren und lebt nun gemeinsam mit ihrem deutschen Mann in Deutschland. Ihr ist der Bezug zum Libanon, zur arabischen Tradition, als ich sie traf hielt sie gerade Ramadan, und das Beherrschen der arabischen Sprache sehr wichtig. Genauso wichtig sind ihr aber auch Deutschland und die deutsche Sprache, da es sich dabei um das Umfeld handelt, in dem sie nun lebt. Sie ist in beiden Ländern und in beiden Kulturen zu Hause. Man muss seine Wurzeln kennen. Nur so wird man zu einer gefestigten Persönlichkeit. Man muss wissen woher man kommt, so ihre Meinung. Ihre Tochter spricht sowohl Deutsch als auch Arabisch, jedoch wenn man sie etwas fragt, selbst wenn man sie auf Arabisch etwas fragt, antwortet sie auf Deutsch.

Der Musiker den ich traf, ist in Deutschland geboren. Seine Eltern sind Libanesen. Er spricht fließend Deutsch, auch seine Lieder schreibt er auf Deutsch. Seine Freundin ist Deutsche. Als einziger seiner Familie hält er nicht Ramadan, betet nicht, trinkt Alkohol. Seine Familie weiß nichts von seinem Lebensstil. Oft hat er aufgrund seines Lebensstils seiner Familie gegenüber Schuldgefühle. Sie wären nicht glücklich, wenn sie wüssten, wie er sein Leben lebt, meint er. Den Libanon kennt er kaum. Erst einmal war er bisher in Beirut. Arabisch spricht er ungern, da er wegen seines schlechten Arabisch ausgelacht wird. Dennoch fühlt er sich als Libanese, der in Deutschland lebt, obwohl er wenig über seine Herkunft weiß. Das, so sagt er, gibt ihm zwischendurch immer wieder zu denken.

Als ich über die Türschwelle von Hrouddas Wohnung trat, in der sie gemeinsam mit ihren Eltern wohnt, hatte ich schwupp Deutschland verlassen und befand mich in einer Wohnung in Dahie, einem traditionellen Stadtteil Beiruts. Cremefarben, verschnörkelt, goldig. Mit derartigen Möbeln war die Wohnung gefüllt. An den Fenstern hingen opulente Vorhänge, an den Wänden eingerahmte Suren. Der Fernseher zeigte das Bild einer arabischen Fernsehshow. Alles wartete nach einem weiteren Tag des Fastens auf das Abendessen. Und dann saß da Hroudda auf dem Sofa im Wohnzimmer, 18 Jahre alt, in Deutschland geboren, mit geradem Rücken, selbstsicher, lächelnd. Sie trägt kein Kopftuch. Vor ihr am Tisch eine Packung Kleenex, wie sie in keiner libanesischen Wohnung fehlen darf, schön versteckt in einer passenden Schatulle. In ihrem wahrscheinlich schönsten Kleid, libanesischer Kitsch vom Feinsten, auch ihr Make-up sehr libanesisch, für mich persönlich etwas zu dick aufgetragen, erzählt sie mir in einem einwandfreien Deutsch von ihrem Verlobten, auch er Libanese, und wie er bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten hatte. Sie erzählte von ihrem Job als Bürokraft in einem Unternehmen und von ihren libanesischen Nachbarn, mit welchen sie sehr engen Kontakt pflegt. Fragt man Hroudda nach ihrer Muttersprache, kommt sie ins Zweifeln und kann keine eindeutige Antwort geben.

In der Wohnung des Intellektuellen sieht es anders aus. Er ist im Libanon geboren und lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Er ist mit einer deutschen Frau verheiratet. An den hohen, weißen Wänden seiner Wohnung hängt moderne Kunst. Als ich ihn traf, zeigte er mir stolz seine Bibliothek voller Homers und Camus. Er spricht sowohl fließend Arabisch als auch Deutsch. Seine wissenschaftlichen Arbeiten verfasst er in deutscher Sprache. Seine Tochter spricht kein Arabisch, da ihm wichtig war, dass sie die deutsche Sprache fehlerlos beherrscht. Er meinte aber auch, dass seine Tochter ihn in bestimmten Situationen besser verstanden hätte, würde auch sie Arabisch sprechen. Diese Erfahrung hätte weh getan, jedoch hat er grundsätzlich keine starke emotionale Bindung zu seiner Muttersprache. Auch dem Libanon stehe er eher gleichgültig gegenüber. Er lebe ja jetzt in Deutschland.

Identität, so scheint es, ist zu einer individuellen, nicht mehr ortsgebundenen und selten eindeutigen Angelegenheit geworden. Schön finde ich das! Jetzt müssen sich nur noch die Köpfe an diese Vielfalt gewöhnen, denn wie so oft hinkt das menschliche Denk- und Vorstellungsvermögen der offensichtlichen Realität hinterher. Das nämlich würde uns auch in der vielbeschworenen Integrationsdebatte ein gutes Stück voran bringen. Aktuell Meinung

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