Statistisches Bundesamt
Armutsrisiko ist bei Migranten besonders hoch
Die Armutsgefährdungsquote der Menschen mit Migrationshintergrund ist mehr als doppelt so hoch wie das der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund, Ausländer sind sogar dreimal höher gefährdet. Das teilt das Statistische Landesamt mit.
Dienstag, 18.10.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 23.10.2011, 18:25 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
2010 waren in Deutschland 26 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund armutsgefährdet. Damit war ihr Armutsrisiko mehr als doppelt so hoch wie das der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (12 Prozent). Dies teilte das Statistische Bundesamt gestern anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung der Armut am 17. Oktober mit.
„Das Armutsrisiko ist von vielen sozioökonomischen Faktoren abhängig“, so das Bundesamt. Die bei der Gesamtbevölkerung bekannten Muster – zum Beispiel überdurchschnittliches Armutsrisiko bei Alleinerziehenden, Schulabbrechern und Erwerbslosen – gelten auch für die Menschen mit Migrationshintergrund, allerdings auf höherem Niveau. Beispielsweise ist jede zweite Alleinerziehende mit Migrationshintergrund armutsgefährdet – bei Alleinerziehenden ohne Migrationshintergrund ist es jede dritte. Manche Phänomene treten bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zudem in besonderem Maße auf: so sind sie deutlich häufiger von Kinderarmut und Altersarmut betroffen.
Info: Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund umfasst sowohl Deutsche mit Migrationshintergrund als auch Ausländer. Gemäß der Definition der Europäischen Union gelten Menschen als armutsgefährdet, wenn sie mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen müssen.
Noch akuter ist die Situation bei Ausländern. Deren Armutsgefährdungsquote (32 Prozent) lag 2010 deutlich über jener von Deutschen mit Migrationshintergrund (22 Prozent). Auch unterschied sich das Armutsrisiko je nach Aufenthaltsdauer: Bei Zuwanderern, die im Jahr 2010 noch keine fünf Jahre in Deutschland lebten, lag die Armutsgefährdungsquote bei 32 Prozent. Bei den rund 1,2 Millionen Migrantinnen und Migranten, die vor 1971 nach Deutschland eingewandert sind, betrug sie hingegen 18 Prozent.
Unsoziale Politik schafft Armut
Für die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevim Dağdelen, ist die „unsoziale Politik der letzten Jahrzehnte“ verantwortlich für diese Misere. Obwohl die wesentlichen Handlungsfelder und die Knackpunkte seit Jahrzehnten bekannt seien, habe sich im Leben der meisten Migranten kaum etwas zum Besseren verändert.
Memet Kılıç, integrationspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, kennt die Gründe: „unter anderem die Chancenungleichheit im Bildungssystem, Diskriminierungen bei der Arbeitsplatzsuche und unzureichende Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse.“ Kinder aus einkommensschwachen Familien dürften nicht mehr in den Haupt- und Förderschulen abgestellt werden. Außerdem fordert der Grünen-Politiker die Abschaffung von Vorrangprüfungen, wonach zuerst Einheimische bei der Vergabe von offenen Stellen durch das Arbeitsamt bevorzugt werden, und die Ausweitung von anonymen Bewerbungsverfahren.
Ausländer häufiger in schlecht bezahlten Jobs
„Die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems, eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sowie erleichterte Einbürgerungsmöglichkeiten wären dringend notwendige Schritte gegen soziale Ausgrenzung und Armut von Migranten“, ergänzt Dağdelen.
Aktuelle Zahlen der Bundesarbeitsagentur geben der Linkspolitikerin Recht. Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnt beschäftigten Ausländer lag im März 2011 bei 456.000 oder 9,4 Prozent (+2,5 Prozent im Vorjahresvergleich) bei einem Gesamtdurchschnitt von 7,1 Prozent. Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnt beschäftigten Deutschen hat sich im selben Zeitraum dagegen um 0,5 Prozentpunkte verringert. Bei den geringfügig entlohnten Beschäftigten in einem Nebenjob gab es ebenfalls Zuwächse (Ausländer +9,9 Prozent und Deutsche +6,0 Prozent). Damit hatten insgesamt 275.000 Ausländer im Januar 2011 einen Nebenjob, das entspricht einem Anteil von 11,3 Prozent.
Bundesregierung schwächt Antidiskriminierungsstelle
Auf die Studie der Universität Konstanz macht Kılıç aufmerksam. Forscher hatten in einem Feldversuch gezeigt, dass trotz vergleichbarer Qualifikationen und Fähigkeiten, Bewerber mit türkischen Namen insgesamt 14 Prozent weniger positive Antworten erhielten. In kleineren Unternehmen waren es sogar 24 Prozent. Die Studie kam zu dem Schluss, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) effektiver gestaltet werden muss.
Davon ist die Bundesregierung derzeit aber weit entfernt. Die Abgeordneten der schwarz-gelben Regierungskoalition haben Ende September drastische Kürzungen ausgerechnet bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) beschlossen. Insgesamt soll der Etat von 2,9 Millionen Euro um 367.000 Euro oder rund 13 Prozent auf 2,533 Millionen Euro abgesenkt werden. Dabei wurde die ADS mit Inkrafttreten des AGG im August 2006 errichtet und solle unter anderem der Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft entgegenwirken.
Kürzung trifft insbesondere Migranten
Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) warnte nach Bekanntwerden der Kürzungen davor, die ADS arbeitsunfähig zu machen. „Das AGG wird systematisch ausgehöhlt, indem die zentrale staatliche Institution, die mit seiner Umsetzung beauftragt ist, kaputtgespart und in ihrer inhaltlichen Arbeit beeinflusst wird“, so Birte Weiß, Vorständin des advd. Mit scharfer Kritik reagierte auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (tgd), Kenan Kolat: „Die Kürzung hat vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund fatale Folgen, die stark von Alltagsrassismus und Mehrfachdiskriminierung betroffen sind.“
Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund besteht aus den seit 1950 nach Deutschland Zugewanderten und deren Nachkommen. Ihre Zahl belief sich 2010 auf rund 15,7 Millionen Menschen, davon hatten rund 8,6 Millionen einen deutschen Pass. Die Armutsgefährdungsquoten beziehen sich auf das mittlere Einkommen für Deutschland und wurden basierend auf Ergebnissen des Mikrozensus 2010 berechnet. (hs)
Gesellschaft Leitartikel
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Ihr habt die Kranken vergessen. Die haben ein mindestens genauso hohes Armutsrisiko, wenn nicht noch höher! Und wenn man dann an einer Krankheit leidet, die es „offiziell“ nicht gibt, ist man richtig am A….! Dann ist man nicht nur arm, man wird auch noch falsch oder gar nicht behandelt, diskriminiert, in die Psycho-Ecke geschoben. Sowas nennt man auch „modernes Mittelalter“. Die Leute werden von vorn bis hinten für dumm verkauft.
Desweiteren muss man beachten das Leute mit einer Duldung oder einer Aufenthaltserlaubnis kaum möglichkeiten haben sich eine Existenz aufzubauen.
Die Gesetze sind das Hindernis und nicht die Menschen.