Integration im 16:9 Format
Die Suche nach „vielfältigem“ Personal
Es scheint so, als suche die ganze Welt „vielfältiges“ und „weltläufiges“ Personal, die in ihre „multinationalen“ Unternehmen und Organisationen reinpassen. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit genauso wie Italien für Berlusconi oder das ZDF für Thomas Gottschalk.
Von Martin Hyun Mittwoch, 30.11.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 09.05.2020, 1:00 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Als ich den Mitbegründer der Söhne Mannheims – Billy Davis und den Gitarristen Andreas Bayless, die beide meine Initiative „Hockey is Diversity“ unterstützen, vor ihrem Konzert in Berlin traf, spielten wir auch ein Lied zusammen. Die Söhne Mannheims haben ein Song mit dem Titel „Meine Stadt“, die wir kurzerhand in „Mein Land ist hier in Deutschland, ganz egal wo her Du auch her bist“ umdichteten.
Einige Tage nach dem außergewöhnlichen Treffen mit Billy Davis und Andreas Bayless führte mich der Weg in die Akademie des Auswärtigen Amtes am Schwarzen Weg im Berliner Bezirk Tegel. Mit dabei war eine Kaderschmiede der zukünftigen Elite des Landes einer renommierten Stiftung. „Weltweit wir“ las ich auf der Broschüre, die an den Sitzen ausgelegt waren. Das ist der Slogan, mit dem das Auswärtige Amt wirbt.
Eine Beamtin des höheren Dienstes führte uns in die Aufgaben und Ziele ihres Arbeitgebers ein. Wir erfuhren, dass das Auswärtige Amt rund 6.750 Bedienstete beschäftigt. Von den 6.750 waren 1.600 im höheren Dienst. Anschließend war es uns gestattet, Fragen zu stellen, wie etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Ich stellte der Beamtin die Frage, wie hoch der Anteil des Personals im gehobenen und höheren Dienst sei, die einen Migrationshintergrund haben. Gerade im Auswärtigen Amt, die mit „weltweit wir“, „weltoffen“ und „weltbewusst“ wirbt, bietet sich das doch an, fügte ich hinzu. Bei meiner zweiten Frage ging es darum, inwiefern die Personalentscheider, Lebensläufe von Deutschen mit Migrationshintergrund berücksichtigen, die sich aus finanziellen Gründen kein Studium in den USA, England oder Frankreich leisten konnten, geschweige denn ein unentgeltliches Praktikum bei der UNO in New York und trotzdem den Wunsch hegen, für das Auswärtige Amt arbeiten zu wollen.
Meine Fragen brachten die Beamtin Frau XY in Verlegenheit und sie ignorierte sie zunächst. In der Pause erinnerte ich sie höflich daran und bat um Beantwortung. Sie hielt Wort. Die sonst so selbstsicher auftretende Frau kam ins Stottern und gestand, dass sie keine Zahl kenne, wie viele Kolleginnen und Kollegen im gehobenen und höheren Dienst einen Migrationshintergrund haben. Meine zweite Frage wiegelte XY damit ab, dass nicht alle Bedienstete aus exzellenten Familien stammen. Weiter fügte sie hinzu, dass man darauf achte, Leute reinzuholen, die zum Amt passen, nämlich jene mit „vielfältigem“ bzw. „einschlägigem“ Lebenslauf und „Weltläufigkeit“.
Außerdem suche man nach Persönlichkeiten, die folgendem Anforderungsprofil entsprechen: „stabil, flexibel, kontaktfreudig, politisch denkend, Wunsch Deutschland in der Welt zu vertreten, hohes Maß an interkultureller und sozialer Kompetenz sowie intellektuelle Leistungsfähigkeit, fortgesetzte Neugier auf fremde Länder, Kulturen und Traditionen, gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen sowie Freude an öffentlichen Auftritten“. Ergänzend zu dem Anforderungsprofil unterstrich XY, dass man „Deutsch im Sinne von Artikel 116“ sein und somit „jederzeit bereit sein muss, sich für die freiheitlich demokratische Grundordnung“ einzusetzen. Dasselbe verlange ich von „meinem“ Land auch, dachte ich mir im Stillen und verkniff mir dabei die eine oder andere Bemerkung. Denn gesellschaftlich besteht da noch eine große Diskrepanz.
Im von der FDP geführten Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sucht man auch Führungskräfte. Kürzlich habe ich Stellenangebote zugeschickt bekommen. Das Entwicklungsministerium, das die FDP einst abschaffen wollte und heute von der FDP geleitet wird, sucht einen Leiter für die Stabsstelle „Recht, Gremien und Unternehmensentwicklung“, einen Leiter für die Stabsstelle „Qualitätssicherung, Innen- und Außenrevision“, einen Abteilungsleiter für die Abteilung „Beratungsstelle entwicklungspolitischer NRO (bengo), Förderprogramm entwicklungspolitische Bildung (FEB) und das Aktionsgruppenprogramm (AGP)“, einen Abteilungsleiter für „Weltwärts – Sekretariat, Sekretariat Ziviler Friedensdienst und Senior Expertenservice“, einen Abteilungsleiter für die Abteilung „Personal und Organisation“, einen Leiter für den neu zu gründenden Bereich „Förderprogramme und Finanzierung“ und einen Leiter für den ebenfalls neu zu gründenden Bereich „Kommunale Entwicklungszusammenarbeit und Bildungsprogramme“.
Jeder, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, „Weltläufigkeit“ und „einschlägigem Lebenslauf“ kann sich auf diese Stellen bewerben. Letztendlich werden aber nur FDP Leute genommen. Die öffentliche Ausschreibung der Stellenangebote ist nur pro forma und soll den Anschein eines demokratischen Auswahlverfahrens widerspiegeln. Es herrscht politischer Konsens darüber, dass ein Minister seine eigenen Leute mit in sein Ministerium bringt und sie mit hohen Posten versieht.
Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ein Bewerbungsverfahren beim Bundesverfassungsschutz läuft, aber es muss ähnlich sein, wie es derzeit im Bundesministerium für Entwicklung ausgeführt wird. Seitdem rechtsextremistischen Terror Trio aus Zwickau, das zehn Menschenleben forderte, wissen wir, dass die Integration der V-Männer in rechtsextremistischen Organisationen mustergültig verlaufen ist. So gut das einige der V-Männer erst gar nicht die Rolle eines rechtsextremen verinnerlichen mussten, weil sie diese Kernkompetenz bereits mitbrachten. Was aus der Parallelwelt der V-Männer und der 16 Landesverfassungsschutzbehörden und Bundesbehörde geschieht, steht noch in den Sternen. Innenminister Friedrichs hält sie für „unverzichtbar“. Ich bin mir jetzt schon sicher, dass die Behörden und Arbeitgeber der rechtsextremistischen Bürokraten überleben werden. Nun hat man wieder einen Grund mehr, das Thema Vorratsdatenspeicherungsgesetz ins Gespräch zu bringen. Nachdem sich die Lage wieder beruhigt hat, wird man auch dort wieder nach geeignetem Personal, der zu der Behörde passt, suchen. „Top die Wette gilt!“, um es in den Worten des Jahrhundertentertainers Thomas Gottschalk zu formulieren.
Neben dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit, der NPD bzw. des Verfassungsschutzes sowie weitere politische Dienststellen sucht auch das ZDF händeringend nach einem „vielfältigen“ und „weltläufigen“ Nachfolger ihres Star Entertainers Thomas Gottschalk. Gottschalk ist der Helmut Kohl des Samstagabend Programms – seit über zwei Jahrzehnten. Da ist es kein Wunder, dass so ein Erbe sehr schwer anzutreten ist und Showgrößen wie Harpe Kerkeling und Anke Engelke, bereits abgesagt haben. Derzeit gibt es eine Vielfalt von Namen, die im Zusammenhang mit Gottschalks Nachfolge in Verbindung gebracht werden.
Aber auch die Welt sucht den neuen Superstar, nachdem Bunga Bunga Sylvio Berlusconi die Showbühne verlassen hat. Nur wenige Showgrößen wissen, dass man gehen muss, wenn es am schönsten ist. Wer wird auf Berlusconi folgen, der die Welt so unterhalten konnte mit seinen Partys und Fehltritten, wie nur ein Original-Berlusconi es konnte. Es ist immer besser zu gehen, bevor andere den Vorhang für dich fallen lassen. Diese schmerzliche Erfahrung mussten Gaddafi und Saddam Husseins machen, dessen Karrieren bekanntlich vorzeitig beendet wurde. Das Comeback des Karl Theodor zu Guttenbergs lässt noch auf sich warten und Außenminister Westerwelles Karriere wird spätestens im Jahr 2013 beendet. Ich dachte an Lothar Matthäus, der zurzeit vereinslos und auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung ist und eigentlich immer so auftritt, dass er an Aufträge und Weisungen nicht gebunden ist und immer so agiert, als sei er nur seinem eigenem Gewissen unterworfen. Zu seiner aktiven Zeit hatte der Rekordnationalspieler für den Inter Mailand gespielt und verfügt über genügend Landes- und Sprachkenntnisse. Zudem ist Matthäus neben seiner Leidenschaft für Fußball, für seinen schnellen Abschluss mit Frauen bekannt.
Es scheint so, als suche die ganze Welt „vielfältiges“, „weltläufiges“ Personal, die in ihre „multinationalen“ Unternehmen und Organisationen reinpassen. Dabei spiegelt sich die Vielfalt nicht in Ethnie, Religion oder Zugehörigkeit sondern an der Vielfalt von Menschentypen ab. Ich komme zu der Erkenntnis, dass die Integration eine Begegnung auf dem Papier ist. Der Einzug der wirklichen Vielfalt in die von mir genannten Organisationen lässt noch auf sich warten.
Bei diesem Gedankengang erinnerte ich mich an die Worte der Frau XY vom Auswärtigen Amt, die sagte „Das Auswärtige Amt ist im 21. Jahrhundert noch nicht angekommen“. Das Amt ist eine „Welt“ für sich. Das könnte man auch von ganz Deutschland meinen, außer vielleicht dem Land Niedersachsen oder Baden-Württemberg. Die Schwaben, die in Berlin mit Flucht, Vertreibung und Gentrifizierung assoziiert werden und nicht sonderlich beliebt sind haben eine Anwerbekampagne gestartet für die wirklichen „vielfältigen“ Menschen, nämlich Migranten aka Menschen mit Migrationsgeschichte. In der Annonce heißt es „Und weil wir in Wirklichkeit so weltoffen sind, finden Zugezogene hier schnelle eine neue Heimat. […] Um die Chancen von Migranten zu verbessern, gibt es bei uns eine Integrationsministerin. Sie sehen: Wir integrieren sogar in unsere Verwaltung. Nur einer von vielen Gründen, jetzt umzuziehen […]“.
Bundeskanzlerin Merkel äußerte sich zu der Schuldenkrise Europas sehr energisch mit den Worten „Deutschlands Zukunft ist untrennbar mit der Zukunft Europas verbunden. Deutschlands und Europas Zukunft sind untrennbar verbunden mit dem Zustand der internationalen Staatengemeinschaft und den globalen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Gleichzeitig ist klar: Jedes Land muss seinen Beitrag dazu leisten. Genau das erleben wir in diesen Tagen in Europa: gemeinschaftliches Handeln und Eigenverantwortung“.
Ich fragte mich nur, ob der Bundeskanzlerin nicht zuerst an der Zukunft ihres eigenen Landes liegen sollte, bevor sie sich um andere kümmert. Ich wünschte mir, dass die Bundeskanzlerin genau dieselben Worte zum Thema Integration gefunden hätte, wie sie es vor der 142. Sitzung im Bundestag tat. Spontan dichtete ich Kanzlerin Merkels Worte um und machte daraus „Deutschlands Zukunft ist untrennbar mit der Zukunft der Menschen mit Migrationshintergrund verbunden. Deutschlands Zukunft ist untrennbar verbunden so viele qualifizierte Menschen mit Migrationsgeschichte, Frauen oder mit Behinderung den Einstieg in die Arbeitswelt zu ermöglichen, sodass sie produktiv für unser Land werden. Diese können wir nur gemeinsam bewältigen. Gleichzeitig ist klar: Jeder im Land muss seinen Beitrag dazu leisten ob mit oder ohne Migrationsgeschichte.“
Wenn man aber in einer Parallelwelt lebt, wie Bundeskanzlerin Merkel oder Personalentscheider aus verschiedenen Organisationen und Unternehmen, dann ist es schwer, sich in die Lage der Migranten hineinzuversetzen. In dieser Hinsicht suchen die Migranten nach Menschen, Arbeitgebern und Personalchefs, für die, diese Weit- und Vielfältigkeit existenziell-fundamental ist, oft vergeblich. Aktuell Meinung
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@ Tai Fei
„Ich poste praktisch über allem mit dem gleichen Nick“
Belassen wir es dabei!
Pragmatikerin.
ja, ich dachte auch mal an das Auswärtige Amt – erst langsam gingen mir die Lichter auf. Im gesamten höheren Dienst reproduierzt sich mit Ausnahmen in der Regel die „Elite“ selber – ein übliches Phänomen. Wie ich bei Freunden sah, helfen da auch jahrgangsbeste Staatsexamen nicht hinweg, selektiert wird subtil, wie schon seit der Grundschule, Lehrerkinder und Autoritätstrainierte kommen oft besonders weit. Dies ist eben eine Ellenbogengesellschaft, wenn sie dich zu fassen bekommen, versuchen sie dich unterzutauchen, einen „Makel“ findet man immer, am Ende bleibt der XXX-Sohn übrig für die Stelle. So what, habe seitdem viele viele depressive alkoholabhängige gelangweilte Diplomaten, Verwaltungschefs, Politiker und Richter kennengelernt, mit denen ich keine Sekunde tauschen möchte. […] Sie sind sich selbst überlassen und die allermeisten Deutschen werden genauso untergebuttert von ihrer „Elite“. Selbst einfachste Tätigkeiten sind ohne Vitamin B und Parteizugehörigkeit nicht mehr verfügbar, selbst in Dörfern irgenswo. Es fehlt schlicht an einer guten Governance (und damit an vielem mehr, besonders gedanklich).
„Sehn Sie, das unterscheidet uns erheblich. Ich poste praktisch über allem mit dem gleichen Nick“
……..und unter welchem Nick posten Sie unpraktisch ;-) ?
Pragmatikerin
@ Tai Fei
„Das ich eine ähnliche Sprachwahl und Argumentationskette heran ziehe wie andere hier, liegt vielleicht an der Tatsache…….“
Ich entschuldige mich ganz hoch offiziel bei bogo70, falls sie hier im Forum noch mitliest. Ich habe ihr Unrecht getan mit dem „Nickwechsel“ :-)
Man wird so alt wie eine Kuh, man lernt immer noch dazu :-(
Pragmatikerin
@ Sinan A.
Sie schrieben:
„Die Pragmatikerin ist seit vielen Jahren als Nationalistin mit geschätzten mehreren 10.000 Beiträgen unterwegs…..“
Geben Sie den Nick „Pragmatikerin“ in Ihren Browser ein, Sie werden erstauint sein, wo ich „nur“ schreibe ;-)
Pragmatikerin