Türkei
Dersim – Aufarbeitung einer schwierigen Geschichte
Es gibt einige unerhörte Vorfälle in der türkischen Geschichte, die aufgearbeitet werden sollten. Darunter zählt zweifelsfrei das Massaker von 1937 in der südöstlichen Stadt Dersim. Das Thema muss jedoch fern ab von parteipolitischen Interessen verfolgt werden.
Von Hakan Demir Dienstag, 06.12.2011, 7:33 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.12.2011, 9:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Vor etwa 74 Jahren verübte das türkische Militär in der südöstlichen Stadt Dersim ein Massaker. Die Opfer waren vorwiegend kurdische Aleviten. Seitdem ist dieser Vorfall in das kollektive Gedächtnis der Türkischen Republik eingebrannt. Eine Aufarbeitung war jedoch auf höchster staatlicher Ebene und in der Gesellschaft noch nicht vollzogen worden. Dem Thema nahm sich nun die Regierungspartei AKP an. Bei dem Massaker in der südöstlichen Stadt Dersim sollen nach offiziellen Angaben über 13 000 Menschen getötet worden sein.
Erdoğan entschuldigt sich für das Massaker
Den Auftakt zur Auseinandersetzung um das Massaker in Dersim von 1937 läutete Recep Tayyip Erdoğan am vergangenen Mittwoch in Ankara ein. Er warf in seiner Rede, der größten Oppositionspartei CHP vor, für das Massaker in der südöstlichen Stadt Dersim verantwortlich zu sein. Während Erdoğan sich im Namen der Türkischen Republik für das Massaker entschuldigte, forderte er zugleich den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei CHP Kemal Kılıçdaroğlu auf, dies ebenfalls zu tun.
Hintergrundinformation:
Kurz nach der Gründung der Türkischen Republik am 29. Oktober 1923 gab es bereits erste bewaffnete Aufstände vom kurdischen Stammes-führer Seyit Riza gegen die junge Republik. Der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk sah seine Aufgabe darin, die Landesgrenzen und die Integrität des Staates zu verteidigen. Zu diesem Zweck ließ er die Aufstände durch das Militär unterdrücken. Als Verantwortlicher für das Massaker in Dersim wird jedoch die CHP und damit Atatürks langjähriger Weggefährte und damaliger Ministerpräsident Ismet Inönü gesehen. [Korrektur: Schah Said hat den Aufstand Mitte der 1920er gegen Atatürk angeführt und nicht Seyit Riza aus Dersim!]
Kılıçdaroğlu lehnt derweil eine direkte Verantwortung ab und verweist darauf, dass die Staatsarchive geöffnet werden müssen, was jedoch bislang von der Regierungspartei AKP abgelehnt werde. Die Attacken Erdoğans seien zudem, so Kılıçdaroğlu, der Versuch die Gesellschaft zu spalten. In die Diskussion mischte sich inzwischen auch Staatspräsident Abdullah Gül ein, der ebenfalls für die Öffnung der Archive pädiert.
Welches politische Kalkül verfolgt Erdoğan?
Diese Debatte muss sicherlich auch vor dem Hintergrund der anstehenden Verfassungsreformen gesehen werden. In diesem Zusammenhang braucht die AKP die Stimmen der Oppositionsparteien. CHP und die nationalistische MHP sind kaum kompromissbereit, sofern die Ewigkeitsklauseln der Verfassung berührt sind, wozu unverbrüchlich die kemalistischen Grundsätze der Einheit des Staates, des Volkes und der Sprache zählen. Die pro-kurdische Partei BDP pocht unterdessen auf die Reform dieser Grundsätze.
Änderung der Verfassung
Die AKP hat sich selbst die ambitionierte Aufgabe gestellt, eine vollkommen neue Verfassung aufzusetzen. Gleichzeitig steht die AKP-Regierung unter dem Druck der EU, die seit Jahren eine demokratischere Verfassung als Eintrittskarte in die Gemeinschaft fordert. Die Diskreditierung der CHP und damit auch indirekt der (kemalistischen) Türkischen Republik könnte zumindest einen fruchtbareren Boden für die ambitionierten Verfassungsänderungen der AKP bereiten. Denn zu den Stammwählern der CHP zählen unablässig seit Jahrzehnten die Aleviten, die nach verschiedenen Angaben etwa 25 Prozent der 74 Millionen Bevölkerung der Türkei ausmachen. Entsprechend könnte die Loslösung dieser religiösen Gemeinschaft von der CHP, die sich grundsätzlich mit dem Kemalismus identifiziert, einen positiver Faktor für die AKP-Verfassungsreform darstellen.
Aufarbeitung der Geschichte – Ein richtiger Schritt!
Der einzige richtige Weg wäre jedoch – um der vielen Opfer willen – die Errichtung einer Untersuchungskommission. Dies wäre ein richtiger Schritt nach vorn und ein Ausgang aus der selbstverschuldeten Polemik der beiden Parteien. Positiv ist indes, dass – ganz gleich – welche Politik die AKP verfolgt, die Gesellschaft endlich anfängt, Licht in ihre Vergangenheit zu bringen. Neben dem Militärcoups Anfang der 1980er und nun dem Massaker in Dersim von 1937 wird sie sich vielleicht auch viel tiefer und weiter in die eigene Vergangenheit durchbohren müssen. Die Europäer sähen es zumindest gerne. Aktuell Ausland
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Leider ist die Türkei immer dabei sich zu entschuldigen,wie bitte steht es um Massaker an Türken aus ?
Gehen wir grob von 1821 -1923 aus,wer will sich bei uns entschuldigen ?
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Ich hab auch die Vermutung dass es in erster Linie darum geht den Kemalismus zu beschädigen. Gerade hier wird eine sehr starke Geschichtsklitterung betrieben. Mit den Ereignissen um Dersim will man das Denkmal Mustafa Kamals rampunieren.
Lieber Kollege Demir,
es mag sein, dass Sie die Ereignisse vereinfacht darstellen, damit Ihre Leserschaft, die in türkischer Geschichte wahrscheinlich nicht bewandert ist, die Zusammenhänge (auch die der aktuellen türkischen Innenpolitik) besser versteht. Aber leider kann die Unzulänglichkeit des Artikels nicht nur in dieser Vermutung begründet sein. Die Hintergrundinformation, die Sie im Kasten zur Erklärung anbieten, verklärt die historischen Fakten gänzlich. Scheich Said hat nichts mit Dersim zu tun. Das ist ein völlig anderes historisches Ereignis, ein Aufstand, der im Südosten der Türkei stattgefunden hat – mehr als zehn Jahre vor dem Völkermord an der kurdisch-alevitischen Bevölkerung von Dersim. Das „Massaker“ von Dersim war eine vom Staat in einem Gesetz von 1935 (Tunceli Kanunu – Tunceli-Gesetz) beschlossene Vernichtung der Bevölkerung von Dersim (der Name dieser Provinz wurde im genannten Gesetz umbenannt, türkisiert in Tunceli). In den Jahren 1937 und 1938 wurden zehntausende Menschen vom türkischen Militär gezielt ermordet. Männer, Frauen, Kinder, Babys, Greise. Dörfer wurden bombardiert, Menschen wurden in Höhlen vergast, ja, vergast – zu einer Zeit, als die Welt den Begriff „Vergasung“ noch nicht kannte. Tausende Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, abertausende Mädchen wurden als Adoptivkinder in den Westen der Türkei an türkische Familien gegeben. Das alles erfüllt den Tatbestand des Völkermordes entsprechend der Definition der UN von 1948. Und der Grund für diese staatlich geplante und durchgeführte Vernichtung war nicht etwa, wie Sie in der Hintergrundinformation historisch falsch darzulegen versuchen, ein kurdischer Aufstand, sondern der, dass die neu gegründete Türkische Republik unter Atatürk es sich zum Ziel gesetzt hatte, alle Menschen zu Türken zu assimilieren. Die Bevölkerung von Dersim wollte aber weder ihren Glauben aufgeben und sunnitisch werden, noch ihre Sprache(n) (Kirmancki, Zaza, Kurdisch) und Kultur aufgeben. Wenn es einen Aufstand gab, dann erst nach dem Erlassen des Tunceli-Gesetzes und dem Beginn des Völkermordes. Sie verwechseln den Anführer dieses späteren Aufstandes Seyit Riza mit Scheich Said. Nach dem sich Seyit Riza übrigens dem türkischen Staat ergeben hatte, wurde sein Alter von knapp 80 auf unter 70 herabgestuft, damit er erhängt werden konnte. Das wurde er dann auch. Und bis heute verrät der türkische Staat den Nachkommen des Ermordeten nicht, wo seine Überreste liegen.
Mit der Bitte um Veröffentlichung zur Richtigstellung und
mit kollegialen Grüßen
Kemal Hür
Journalist
@Kemal Hür
lieber kemal, herrn demir vereinfacht seine artikel nicht damit die leser es besser verstehen. herrn demir selbst versteht die sachverhalte selbst nicht so gut.
die tinte auf seinem abschlusszeugnis dampft noch. es zeugt von hilflosigkeit herrn demir auch noch zum LEITER des aslandsressort beim MIGAZIN zu machen. ich lach mich kaputt. würde mal gerne wissen wessen protege er ist.