Lernen
Auf dem Weg zur Mehrsprachigkeit
Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmedium, sie ist viel mehr: Sie transportiert Kultur, Identität und Geschichte eines Landes. Mehrsprachigkeit, also die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu verstehen und zu sprechen, bedeutet Anschlussfähigkeit gegenüber den Sprechern der betroffenen Sprachen.
Freitag, 16.12.2011, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.12.2011, 9:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Wie die Europäische Union vielfach betont, hat die Schule den Auftrag, zu Mehrsprachigkeit zu erziehen. Doch wie vermitteln Lehrer diese Mehrsprachigkeit idealerweise? Die Forschung ist sich einig: Der Erwerb von Mehrsprachigkeit gelingt leichter, wenn das Wissen um die zu dieser Kompetenz führenden Prozesse den Lernern transparent ist.
Franz-Joseph Meißner, Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Präsident der Sektion Spanisch der Klett Akademie, hat den Begriff der „Mehrsprachigkeitsdidaktik“ wesentlich mitgeprägt. Jeder Lerner, so die zu Grunde liegende These, hat sein eigenes mehrsprachliches und lernbezogenes Vorwissen, das er beim Erlernen einer weiteren Fremdsprache einbringt. „Dieses Vorwissen umfasst das rein sprachliche Wissen, Wissen über Sprachen, Sprachenbewusstheit und Wissen über das Sprachenlernen“, erklärt Meißner. „Im Zentrum der Mehrsprachigkeitsdidaktik steht also die Aktivierung des lernrelevanten Vorwissens. Diese ist möglich, wenn wir ad hoc Teile der Zielsprache verstehen. Daher ist auch von der Interkomprehensionsdidaktik die Rede.“ Dies bedeute, dass man z. B. mit Französischkenntnissen lesend oder hörend immer schon ein bisschen Italienisch oder Spanisch verstehen kann.
Wie lernen Schüler eigentlich Sprachen?
„Die traditionelle Weise, Sprachen zu lernen oder zu unterrichten, beruht weitgehend auf einem Schema, das sich durch ‚Vorzeigen / Vorstellen – Nachmachen – Kontrollieren – Wiederholen‘ kennzeichnen lässt. Das Modell blickt auf den Input und den Output … und übersieht, was sich in der berühmten black box abspielt. Für die Interkomprehensionsdidaktik ist hingegen das Vorwissen und Ausprobieren, die Einsicht in das eigene Lernhandeln und das lernerseitige Überprüfen von Lernweg und Lernergebnis zentral“, so Meißner. „Hierbei muss das träge Wissen im Hinblick auf das Lernziel aktiviert werden.“ Der Lerner blicke dann auf sein eigenes Lernhandeln; er entwerfe seinen Lern- bzw. Lösungsweg, legt sich einen Lernhandlungsplan zurecht und probiere ihn aus.
In allen Bereichen müsse viel mehr vom Lernen her und weniger von überkommenen Übungsformaten gedacht werden, fordert Meißner. Dies beginne bei der Lehreraus- und -weiterbildung und ende bei den Schulbüchern und dem Unterricht. Wie lernt ein Schüler die Zielsprache? Das müsse die zentrale Frage sein. In dieser „Kompetenzorientierung“ sieht Meißner einen Schritt in die richtige Richtung.
Das Vorwissen aufwecken
Die Mehrsprachigkeitsdidaktik formuliert Aufgaben lernerorientiert, dies hat für die Lernmaterialien und den Unterricht Konsequenzen. Selbst wenn Lerner die Zielsprache noch nicht beherrschen, können sie sich den Sinn eines Textes erschließen, weil sie die Strukturen teilweise aus anderen Sprachen kennen. Vor allem beim Erlernen von romanischen Sprachen sind diese Synergien nutzbar. „Estos son malos tiempos.“ Wer Französisch kann, versteht diesen Satz auch, ohne ein spanisches Wort zu beherrschen, da die spanischen Ausdrücke „malos“ sowie „tiempos“ den französischen „mauvais“ (schlecht) und „temps“ (Zeiten) sehr ähnlich sind.
Deshalb seien Querverweise in Schulbüchern und anderen didaktischen Materialien nötig, sagt Meißner. Diese müssten auch das Lernen selbst und die Lernerfahrungen einschließen. Der Ernst Klett Verlag versucht diese Idee umzusetzen: Die Fremdsprachenredaktionen stehen in einem engen Austausch, um Lernern das Vorwissen – zumindest soweit es in den Lehrwerken angelegt ist – bewusst zu machen. Bereits in der Lehrerausbildung müsse genau hingeschaut werden, wie die anderen Sprachen unterrichtet werden, so Meißner. Die Lehrer müssen sich mehr vernetzen und über die Fächer hinaus zusammenarbeiten. Marielen Senger, angehende Englisch- und Geschichtslehrerin, sieht in der Heterogenität der Schüler eine Chance: „Das individuelle Vorwissen der Schüler bietet einen großen Fundus für das Erlernen einer neuen Sprache. Diesen Schatz muss man nutzen.“ In ihrer Universität in Münster sei „Mehrsprachigkeitsdidaktik“ ein wichtiges Thema.
„Sprachen ohne Grenzen“
„Die Sprache ist der anspruchsvollste, weil paradoxe Kitt der europäischen Gemeinschaft.“ Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg sieht die Sprache als vereinheitlichendes und zugleich trennendes Medium für Europa. Ein kostbares Gut also ist sie, die Sprache, die es in ihrer Vielfalt zu erhalten gilt. Diese Idee verfolgte auch das Projekt „Sprachen ohne Grenzen“ am Goethe-Institut. Auch hier werden die persönlichen Erfahrungen und das Vorwissen des Lerners als entscheidend für das weitere Sprachenlernen betrachtet. In den Jahren 2008 und 2009 hat das Projekt mit den Themenschwerpunkten „Mehrsprachigkeitspolitik“, „Mehrsprachigkeitsdidaktik“ und „Mehrsprachigkeit und Künste“ Sprachenlerner in der ganzen Welt angesprochen und auf die Bedeutung der Mehrsprachigkeit hingewiesen. Heute noch verbindet das Goethe-Institut Veranstaltungen, Berichte und Einzelinitiativen aller Art rund um das Thema Mehrsprachigkeit unter dem Dach des Projektes. (klett) Aktuell Feuilleton
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Die Wirksamkeit des Interkomprehensionsunterricht ist belegt, wie Prof. Dr. Marcus Bär, ein Schüler Prof. Meißners in seiner Dissertation in präzise dokumentierten Fallstudien dargelegt hat: Marcus Bär (2009). Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8-10, Tübingen: Gunter Narr Verlag.
Einsichtiges sprachvergleichendes Lernen ist jedoch auch innerhalb anderer Sprachzweige möglich, die sowohl semantische wie auch strukturelle Ähnlichkeiten haben. Oft kann sogar ein Dialekt eine Hilfe zum Verständnis von Sprachen, die im räumlichen Kontakt stehen, bieten.
Internationalismen, die sich häufig aus unserem lateinischen oder griechischen Spracherbe aber auch zunehmend aus internationalen Verkehrssprachen speisen, bieten auch über Kontinente hinweg Ansätze zur Verständigung und sollten beim Lernen von Sprachen genutzt werden.
Rita Zellerhoff
@ Dr. Rita Zellerhoff
Ich habe zu diesem Thema keine wissenschaftliche Meinung, aber die Sprachkenntnisse, welche Sie meinen, werden doch ganz wenig benötigt, vielleicht ein kath. Priester muss Latein lernen, ein Auswanderer zu den Eskimos sollte vielleicht Inuit/Inuktitut behrrschen usw. ;-)
Jewder andere normale Mensch, wenn er nicht auf Dauer in einem für ihn fremden Land lebt und diese Sprache dann auch kann, kann sich auf vielerei Möglichkeiten berufen, um sein Gegenüber auch in einer fremden Sprache zu verstehen. Im Urlaub ziehe ich einen „elektronischen Dolmetscher“ vor, der es mir erleichtert, zu kommunizieren oder „mit Händen und Füssen“ reden ist oft sehr lustig usw. Oft habe ich auch ein grosses Blatt Papier dabei wo ich zeichne, was ich will oder meine, das klappt auch z.B. im Busch in Afrika.
Man sollte also Sprache nur dann überbewerten, wenn man sie dauerhaft benötigt. ;-)
Pragmatikerin
Nachtrag:
Mit Englisch komme ich fast überall durch
Meine Kenntnisse,außer Deutsch, Turkisch, Englisch, etwas Französich,Arabisch,Latein und ein bißhen Altgriechisch empfinde ich als Gewinn.
Hallo Fikret
In meiner Muttersprache und in der Weltsprache Englisch unterhalte ich mich so, wie es nötig ist, dass mein Gegenüber jederzeit versteht, was ich ihm sagen will.
In französich, russisch, jugoslawisch, italienisch und auch in Spanisch kann ich mich so drastisch ausdrücken, dass mein Gegenüber versteht, dass ich mit ihm nicht kommunizieren will.
Orientalische Sprachen kann ich nicht, diese haben mir bisher aber auch nicht zur Unterhaltung gefehlt. ;-)
Pragmatikerin