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Ein Erklärungsversuch

Wieso wird Bundespräsident Wulff so erbarmungslos angegriffen?

Bundespräsident Christian Wulff ist seit Wochen Thema Nr. 1 in den Medien. "Kreditaffäre" hin, "Drohanruf" bei der Springer-Presse her: Wulff ist Vielen ein Dorn im Auge. Ein Erklärungsversuch von Yasin Baş.

Von Montag, 09.01.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.12.2015, 9:24 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Weshalb redet Deutschland seit einigen Wochen so ausgiebig über Bundespräsident Christian Wulff und kaum noch über die rechtsextremistische Terrorbande und deren Verbindungen zu V-Leuten der Nachrichtendienste? Sind die von vielen Politikern als „Staatsaffäre“ bezeichneten Morde und deren Hintergründe denn schon aufgeklärt? Und wieso wird Bundespräsident Wulff so erbarmungslos angegriffen?

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Bundespräsident Christian Wulff ist ein CDU-Politiker. Und als Bürger wählen wir Politiker und keine Päpste oder Heiligen. Die Bundesversammlung tut dasselbe, wenn sie einen Bundespräsidenten wählt. Wulff stammt aus Osnabrück, die multikulturell und multireligiös geprägt ist. In der „Friedensstadt“ herrscht ein vorbildliches Miteinander der Religionen und Ethnien. Die Arbeitsgemeinschaft der Religionen in Osnabrück (AROS) trifft regelmäßig zusammen. In ihr sind Mitglieder aller Religionsgemeinschaften und Konfessionen vertreten, die Osnabrück zu bieten hat. So auch die Bahai-Gemeinde, Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft, orthodoxe Christen und andere Gruppierungen, die es außer den großen Religionen Judentum, Christentum und Islam gibt. In der „Stadt des Westfälischen Friedens“ Osnabrück wurde Christian Wulff auch von dem 2007 verstorbenen Yılmaz Akyürek geprägt.

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Akyürek engagierte sich in den 70ern und 80er Jahren als Vorsitzender des türkischen Elternrates vor allem dafür, dass die Kinder der türkischen Familien in Osnabrück ihren Platz im deutschen Schulsystem fanden. Er hat auch die Arbeit des Ausländerbeirates der Stadt Osnabrück mit geprägt, dem er über zwanzig Jahre lang angehörte. Für seine vielseitigen interkulturellen und interreligiösen Verdienste wurde Akyürek 1999 durch die Verleihung der Osnabrücker Bürgermedaille gewürdigt. 2008 wurde sogar ein Platz in Osnabrück nach Yılmaz Akyürek benannt. Wieso ich ihnen davon berichte?

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Christian Wulff und Yılmaz Akyürek waren enge Bekannte. Sie arbeiteten auch während der Zeit der Tätigkeit von Akyürek im Ausländerbeirat miteinander. Damals war Wulff noch Ratsherr und eine Zeit auch Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion Osnabrück. Wulff respektierte Akyürek so sehr, dass er sich bei einer Veranstaltung von seinem Stuhl erhob und Akyürek ehrwürdig begrüßte und ihn bat, neben sich Platz zu nehmen. Dieser Respekt gegenüber einem Menschen, ganz gleich, welcher Herkunft er war, brachte Wulff Sympathien bei den Osnabrückern ein. Auf lokaler Ebene hatte Wulff die Herzen der Menschen schon gewonnen.

Auf Landesebene setze er ein Zeichen, als er als Ministerpräsident von Niedersachsen die erste muslimische und türkische Ministerin in Deutschland in sein Kabinett berief. Dadurch bewies Wulff Weitblick und Fingerspitzengefühl. Er konnte schon – im Gegensatz zu Parteifreunden und anderen Politikern – recht früh die demografische Entwicklung des Landes deuten und dementsprechend handeln. In einem Land, in dem knapp 20 Prozent der Bevölkerung ausländische Wurzeln haben, in dem über drei Millionen Menschen türkischer Herkunft leben und in dem fast fünf Millionen Muslime heimisch sind, war Christian Wulff der Erste, der auf die Idee kam, eine Muslimin zur Ministerin zu ernennen. Damit schrieb Wulff Geschichte in Deutschland. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde Wulff in den Augen mancher nationalistischer Kreise zur Gefahr.

Auch an der Einführung des islamischen Religionsunterrichts an den niedersächsischen Grundschulen sowie der Etablierung islamisch-pädagogischer Lehrstühle an staatlichen Universitäten war Christian Wulff mitbeteiligt. Der Wissenschaftsrat der Bundesrepublik Deutschland hat diese Initiative von Wulff auf ganz Deutschland übertragen.

Nachdem er zum Bundespräsidenten gewählt wurde, setzte sich Wulff immer wieder für den interkulturellen und interreligiösen Dialog ein. Fast in jeder Rede, Neujahrsansprache und Grußmitteilung kamen diese Begrifflichkeiten nun vor. Wulff sprach von einer „Bunten Republik Deutschland“ und erinnerte auch die „ewig Gestrigen“ daran, dass sich Deutschland änderte. Auch wenn viele es nicht wahrhaben wollten oder konnten, Deutschland wurde schon seit Jahren und Jahrzehnten vielfältiger, verschiedener und bunter. Der Bundespräsident sah und sieht in jedem Menschen, der in Deutschland lebt einen Staatsbürger. Ein bis zu dieser Zeit noch nie da gewesenes „Wir-Gefühl“ zog mit Wulff durch Deutschland. Durch diese neue Bewegung und Dynamik, durch diese moderne Denkweise haben Millionen Menschen ihre Liebe zu diesem Land wieder entdeckt. Die Identifikation mit Deutschland fällt mit Bundespräsidenten Wulff einfacher als je zuvor.

Das Fass zum Überlaufen brachte für manche Kreise das Bekenntnis des Bundespräsidenten am Tag der Deutschen Einheit, dass „auch der Islam ein Teil von Deutschland“ ist. Kein Politiker, bis auf den früheren Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (2009), hatte so etwas bis dahin in den Mund genommen. Ähnlich wie jetzt wurde Wulff für diese wahren Worte wochenlang von den Medien und bestimmten Politkern – auch aus der eigenen Partei – heftig angegriffen.

Auf der anderen Seite erfuhr die „katholische Biografie“ Wulffs einen „Knick“. Für die Scheidung von Christiane Wulff und die Eheschließung mit Bettina Wulff wurde er von fundamentalistisch-katholischen und evangelikalen Kreisen heftig angegangen. Denn nach Kirchenrecht bleibt seine erste Ehe kirchenrechtlich weiterhin bestehen und Wulff ist vom Sakrament der Eucharistie ausgeschlossen. Die Anfeindungen und Beleidigungen kann man in einschlägigen Internetforen lesen.

Und zu guter Letzt kritisierte Wulff die versagenden Sicherheitsbehörden und Verantwortlichen im Kampf gegen den rechtsextremistischen Terrorismus und bat die Hinterbliebenen um Verzeihung. Er empfing die Familien sowie Angehörigen der Opfer, von denen einige von fast allen Medien und Teilen der Behörden zuvor verdächtigt wurden. Christian Wulff vergoss im Gegensatz zu anderen Politikern und Würdenträgern ehrliche Tränen anstatt Krokodilstränen. Das haben Millionen Menschen gespürt und gefühlt. Diese Anteilnahme hat man bei Landesministern oder Ministerpräsidenten vergeblich gesucht. Auch in seiner Weihnachtsansprache ging Wulff auf die Neonazi-Verbrechen ein, widmete der Thematik den größten Teil seiner Rede und forderte „lückenlose Aufklärung“. Aktuell Meinung

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  1. Optimist sagt:

    @ Mathis

    Ahja, dann können Sie uns sicher auch die Frage beantworten, warum im Fall des VS-Skandals niemand (!) seinen Platz räumen musste, selbst einschlägige Personen wie der „kleine Adolf“ lediglich versetzt wurden. Das lässt nur den Schluss zu, daß ein Kredit von „Freunden“ mit niedrigen Zinsen moralisch schlimmer bewertet werden, als eine Mordserie und institutionelle Unterstützung der Nazis.

  2. Mathis sagt:

    Der VS-Skandal liegt nicht bei den Akten, sondern wird von einem Untersuchungsausschuss untersucht.Das Thema ist sehr viel wichtiger, als der „Fall Wulff“, das wird niemand bestreiten wollen.
    Wenn ein Amt allerdings einzig und allein davon lebt, dass die Person, die es bekleidet, eine allgemein akzeptierte ethisch-moralische Funktion hat, dann ist der Verdacht, sich von Lobbyisten abhängig gemacht zu haben, etwas, was den Bundespräsidenten seiner einzigen Funktion beraubt.Und damit ist er eigentlich „überflüssig“.
    Die Schlussfolgerungen,@Optimist, sind Ihre Schlussfolgerungen !

  3. Leopoldy sagt:

    Also, ich bin da völlig anderer Meinung. Deutschland ist ein säkularer Staat. Es gibt keine Staatsreligion und auch keine religiös fundierten Gesetzte in Deutschland. Religion ist Privatsache! Dazu gehört, dass Deutschland in der christlich, freiheitlichen, westlichen Kultur verankert ist und der Islam nie auf kulturelle. wirtschaftliche oder politische Entwicklungen in Deutschland einen Einfluß hatte……es sei denn von aussen. Der Satz von Herrn Wulff ist also ganz leicht widerlegbar und in sich schon Nonsens.