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Islamophobie: Angst fressen Sinne auf

Eigentlich ist es unredlich, ja verwerflich, politisch Andersdenkenden „psychische Störungen“ zu attestieren. Doch was tut man, wenn gewisse Menschen ganz offensichtlich von Phobien geleitet werden und für Sachargumente nicht mehr zugänglich sind? Ganz klar, das tun, was Populisten stets fordern: Sagen, was Sache ist! Auch wenn es politisch gerade inkorrekt ist.

Von André Krause Dienstag, 10.01.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.01.2012, 7:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Vor einigen Wochen ist das neue Jahrbuch des Zentrums für Niederlande-Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erschienen. Im 21. Band dieser Reihe geht es hauptsächlich um den historischen politischen Machtwechsel in Den Haag, der sich im Herbst 2010 vollzogen hat. Zur Erinnerung: Erstmals wird unser Nachbarland von einem Minderheitskabinett regiert, das sich von Geert Wilders‘ rechtspopulistischer Partij voor de Vrijheid (PVV) tolerieren lässt. Frans Becker, stellvertretender Direktor der Wiardi Beckmann Stichting, des wissenschaftlichen Büros der Partij van de Arbeid (PvdA), blickt zu diesem Anlass im Rahmen seines Aufsatzes „Vom Poldermodell zum Populismus. Die Niederlande als politisches Laboratorium“ auf die turbulenten Jahre seit der so genannten Fortuyn-Revolte im Frühjahr 2002 zurück.

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Dabei kommt Becker unter anderem zu dem Schluss, dass die Niederlande mittlerweile „auf eine paradoxe Weise mit dem politischen Erbe (umgehen), das so lange die Geschichte des Landes bestimmt hat.“ In diesem Zusammenhang sind vor allem die Ausführungen zum Thema „Toleranz und Freiheitssinn“ interessant.

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Diese beiden Prinzipien werden nach der Ansicht des renommierten niederländischen Politikwissenschaftlers „als Waffe gegen die Neuankömmlinge eingesetzt, die als nicht ausreichend freiheitsliebend und tolerant empfunden werden.“ Das Ergebnis bestünde darin, dass den (muslimischen) Einwanderern das Recht auf Religionsfreiheit im Grunde abgesprochen werde. Da die Toleranz zudem beim Kopftuch aufhöre, stelle sich die Frage, „ob solche Paradoxien nicht zu einer leichten Form einer nationalen Schizophrenie führen werden.“

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Mit dieser Haltung befindet Becker sich in guter Gesellschaft. Bereits der niederländische Historiker Maarten van Rossem zweifelte im Jahre 2010 im Rahmen seines Werkes „Waarom is de burger boos?“ („Warum ist der Bürger böse?“) offen und in deutlich schärferen Formulierungen an der Stichhaltigkeit der mittlerweile politisch korrekten Islamkritik sowie der diffusen Angst vor einer „Islamisierung“ der Niederlande: „Wie soll diese Minderheit (die Moslems, Anm. AK), sozialökonomisch schwach und außerdem diskriminiert, der dominanten Kultur der übergroßen Mehrheit erfolgreich zu Leibe rücken können? Hier wird die jüngste Geschichte wirklich auf den Kopf gestellt: Es ist nicht der Islam, der die westliche Kultur bedroht, es ist die westliche Kultur, die dem Gefühl vieler Moslems zufolge den Islam bedroht, was man ansonsten auch von diesem Islam denken möge.“ Kurzum: Das „paranoide Bild der unterstellten Islamisierung befindet sich […] jenseits der Grenzen der Redlichkeit.“

Unterstützt werden Van Rossems Ausführungen nicht zuletzt von einer in der öffentlichen Diskussion bislang deutlich zu kurz gekommenen Studie der konservativen (!) US-amerikanischen Denkfabrik Pew Research Center aus dem Jahre 2011. Die Forscher des Pew Forum on Religion & Public Life haben die mutmaßlichen muslimischen Bevölkerungsanteile im Jahre 2030 in nahezu allen Ländern der Welt errechnet. Für islamophobe Zeitgenossen eigentlich ein Grund zur Freude: In den Niederlanden steigt der Anteil der muslimischen Bevölkerung in den nächsten zwei Jahrzehnten von 5,5% (2010) auf gerade einmal 7,8% (2030). In Deutschland ist das Bild ähnlich: 5,0% (2010), 7,1% (2030). Ist das der „Tsunami der Islamisierung“? Bei einer nüchternen Betrachtungsweise schaut es eher nach einem harmlosen Sturm im Wasserglas aus. Das Abendland geht nicht unter. Es wird bloß ein bisschen bunter. So what?

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob Menschen, die sich ängstigen (oder hassen, aber diese Gruppe soll hier mal außen vor bleiben), mit wissenschaftlichen Erkenntnissen vollständig oder bloß ein Stück weit kuriert werden können. Ein Blick in zahllose Online-Foren (man denke auch an die Facebook-Seiten von Politikern, die sich mit dem Thema Islam beschäftigen), stimmt diesbezüglich nicht gerade optimistisch. Dort regiert allzu oft das Motto „Angst fressen Sinne auf“. Und wenn die Sachargumente ausgehen, werden Angriffe ad hominem lanciert. Das läuft nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Deutschland so. Man erkundige sich mal beim Münsteraner CDU-Bundestagsabgeordneten Ruprecht Polenz…

Doch es geht insgesamt freilich nicht um den (unmittelbaren) Gesundungseffekt. Es geht darum, dass die Wissenschaft aufklärt und gegebenenfalls davon deutlich abgegrenzt Stellung bezieht.

Berücksichtigt man die o.g. Ausführungen von Frans Becker und Maarten van Rossem sowie die Erkenntnisse des Pew Research Center, gelangt man abschließend zu folgendem Ergebnis: Eine sachliche, unideologische Islamkritik ist in westlichen Gesellschaften ebenso notwendig und oft berechtigt wie eine kritische Auseinandersetzung mit den Auswüchsen aller anderen Religionen bzw. Weltanschauungen. Diese Kritik darf jedoch nicht mit einer völlig unbegründeten Islamophobie (sowie erst recht nicht einem blinden Islamhass Breivik’scher Prägung) verwechselt werden. Phobien führen meist zu unvernünftigen, panikartigen Handlungen – beispielsweise zu einer Infragestellung des Grundrechts der freien Religionsausübung bei einer gleichzeitigen Lobpreisung der (fraglos fast ausschließlich positiv zu beurteilenden) Segnungen der Aufklärung. Oder zu demographischen Wahnvorstellungen. Ängste gibt’s gratis, da ist für jeden etwas dabei.

Mit der Realität haben sie jedoch meist nicht viel oder rein gar nichts zu tun. Was schizophren ist, sollte auch so benannt werden. Auch wenn es momentan politisch inkorrekt ist. Ein Griff zum Jahrbuch des Zentrums für Niederlande-Studien kann nicht nur dank Frans Beckers Artikel bereits ein Schritt in die richtige Richtung sein: Eine Stimme von deutlich über 80% der Niederländer, die sich bei den letzten Wahlen zur Zweiten Kammer 2010 zu den Grundwerten ihrer Gesellschaft, einschließlich der Religionsfreiheit für Moslems, ohne Wenn und Aber bekannt haben und weiterhin bekennen. Aktuell Meinung

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  1. Rudolf Stein sagt:

    „Wie soll diese Minderheit (die Moslems, Anm. AK), sozialökonomisch schwach und außerdem diskriminiert, der dominanten Kultur der übergroßen Mehrheit erfolgreich zu Leibe rücken können?“
    Lieber Herr Krause, da gehen Sie mal nach Rotterdam, nur ein Beispiel. Da ist bereits der Bürgermeister Türke. Außerdem können Sie mit den geringen Prozentzahlen, die Durchschnittswerte über das ganze Land gerechnet sind, herumjonglieren wie Sie wollen. Landnahme durch Einwanderer geht anders. Fragen Sie mal die Israeliten im Alten Testament, wie sie das Problem in Kanaan gelöst haben: einsickern, lokale Schwerpunkte besetzen, Landmarken bauen und alles andere nach und nach auffüllen. Sieht man sich so manche transformierten Stadtteile in Berlin, Köln oder dem Ruhrgebiet an, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses neolithische Modell der Einwanderung auch heute noch funktioniert. Vor allem, wenn man über den Zaun ins UK blickt, wo die Historie schon so weit fortgeschritten ist, dass den Menschen und ihrer Kultur und Religion nun ihre Rechtsprechung auf dem Fuß folgt. Warum sollten sie nicht eines Tages ihre politische Ordnung installieren? Spätestens, wenn sie die Mehrheit in ihrer Gesellschaft errungen haben. Herr Krause, Sie werden es mir bitte nicht verübeln, dass ich Sie im Verdacht habe. Sie wollen mir Sand in die Augen streuen.