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Forderung

Deutschland ENTNAZIFIZIEREN

Rund 130 Erstunterzeichner aus Politik, Medien, Wissenschaft und Gesellschaft fordern im Hinblick auf die Verwicklung von Behörden in die Neonazimordserie Bund und Länder auf, Deutschland zu ENTNAZIFIZIEREN. MiGAZIN dokumentiert den Aufruf im Wortlaut:

Montag, 27.02.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.03.2012, 9:03 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

1951 beschloss der Deutsche Bundestag, dass die von den Alliierten auferlegte, im Grundgesetz vorgeschriebene Entnazifizierung der deutschen staatlichen Institutionen beendet werden soll. Personelle Kontinuitäten in Gesellschaft, Kultur, Presse, Ökonomie, Jurisdiktion und Politik blieben in den folgenden Jahrzehnten erhalten, struktureller, insbesondere ein offener und verdeckter Rassismus, sowie Einstellungen, welche rechte Gewalt verharmlosen reichen bis heute.

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Nachdem erst Mitte November 2011 bekannt geworden ist, dass eine Organisation, die sich zum Nationalsozialismus bekannte, jahrelang rassistische Morde begehen konnte und staatliche Institutionen offensichtlich in einem bisher noch nicht bekannten Ausmaß involviert waren, fordern wir die konsequente Entnazifizierung Deutschlands.

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Damit meinen wir vor allem die Anerkennung des Rassismus als ein reales Problem in Deutschland. Die Forschung hat den Rassismus in Deutschland bereits als ein strukturelles Problem analysiert. Die Heitmeyer-Studie und die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen deutlich, dass Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Rund jeder zweite Deutsche ist der Meinung, es gebe „zu viele Ausländer“ in Deutschland. Die Islamfeindlichkeit steigt, der Antisemitismus hält an. Rassismus manifestiert sich nicht nur am Rande der Gesellschaft, im rechten Terror, sondern spiegelt sich auch im Denken und Handeln von Personen wider, welche in staatlichen Institutionen tätig sind, wie zum Beispiel dem Innenministerium, der Polizei oder dem Verfassungsschutz. Rassismus ist kein neues Phänomen in Deutschland, sondern hat eine lange Tradition.

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Teilnahme: In einer online Petition kann man die Aktion unterstützen. Die Unterzeichnung erfolgt mit wenigen Klicks, wenn man einen Facebook, Google oder Twitter Account hat.

Aber welche Schritte sollten gegen die Akzeptanz rassistischen Denkens in der Mitte der Gesellschaft unternommen werden? Eine Ausweitung der Forschung zu Ursachen und Folgen des Rassismus für die Gesellschaft in Deutschland und deren öffentliche Diskussion unter Einbeziehung der rassistischen, völkischen und kolonialen Traditionen wären erste wichtige Schritte für eine kritische Auseinandersetzung. Die Erforschung soll durch die entscheidungsrelevante Mitarbeit von Vertreter_innen betroffener Gruppen erfolgen. Darunter verstehen wir unter anderem: Migrant_innen-Selbstorganisationen, Minderheitenorganisationen und von diesen Institutionen anerkannte Wissenschaftler_innen aus der Rassismusforschung sowie antifaschistische Initiativen aus der Zivilgesellschaft. Gerade Deutschland hätte sich auf Grund seiner historischen Verantwortung bereits früher dem Rassismusproblem klar und konstruktiv öffnen müssen.

Gleichzeitig liegt auch in Deutschlands Vergangenheit der Schlüssel, diese Auseinandersetzung anzugehen. Eine Offenlegung aller NS-Verbindungen von staatlichen Institutionen wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Strukturen werden von Menschen gestaltet. Mit einer Offenlegung sämtlicher Biografien, in denen sich die Verbindungen zum Nationalsozialismus zeigen, lassen sich auch die Kontinuitäten zu Deutschlands rassistischer Vergangenheit erkennen. Die Strukturen sind kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu reformieren. Insbesondere sind die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst durch unabhängige, transparent arbeitende Institutionen zu überprüfen.

Wir fordern Dezernate für rassistisch motivierte Delikte, diese hätten schon viel früher zu einer Aufklärung der Morde der Rechtsterroristen führen und sogar Leben unschuldiger Menschen retten können. Die Aufklärung soll gegenüber der Gesellschaft transparent erfolgen. Beim kleinsten Verdacht auf eine rechte Motivation muss der Fokus darauf gerichtet werden.

Noch immer gibt es keine befriedigenden Stellungnahmen der Regierung und Landesregierungen, weshalb die Zahl der rassistisch motivierten Morde von öffentlicher Seite klein geredet wird. Wir erwarten eindeutige Stellungnahmen von der Bundeskanzlerin, vom Bundesinnenministerium und von den Ministerpräsidenten der jeweiligen Länder zu sämtlichen Fällen, insbesondere, wie sie zu der Einschätzung von „nur“ 48 Tötungsdelikten mit rechter Tatmotivation gegenüber der 182 von der Amadeo-Antonio-Stiftung ermittelten kommen, sowie ihrer Untersuchung. Auch Fälle vor 1990, die in offiziellen Statistiken bisher nicht vorkommen, sind zu berücksichtigen.

Ein unabhängiges Gremium kann hier für Aufklärung sorgen. Nach einer ernsthaften Aufklärung der Zusammenhänge sind entsprechend personelle Konsequenzen zu ziehen. Ähnlich wie es bei der rassistischen Ermordung von Stephen Lawrence, einem jungem Schwarzen Mann, in England der Fall war. Fünf Jahre nach dem Mord wurde in England die Macpherson-Kommission ins Leben gerufen, ein unabhängiges Gremium, das einen Bericht erarbeitete. Mit dem Ergebnis, dass Scotland Yard bei den Ermittlungen auf dem rechten Auge blind war.

Die Kommission veröffentlichte Empfehlungen, wie institutioneller Rassismus in den Sicherheitsbehörden und in der Gesellschaft verhindert und bekämpft werden kann.

Die beste Methode sich dem Rassismus in Deutschland zu stellen, ist nicht ihn zu verdrängen, sondern offen und klar diesem Problem entgegen zu treten.

Die Bezeichnung der NSU-Morde als “Dönermorde” ist nur ein Beispiel zahlreicher rassistisch geprägter medialer Stereotypen. Eine unabhängige Media-Watch-Stelle könnte eine rassistische Grundprägung durch die Medien verhindern. Daher sehen wir den Aufbau einer solchen Einrichtung – nach dem Vorbild des britischen Ofcom (Independent regulator and competition authority for the UK communications industries) – als dringend erforderlich an. Eine unabhängige Media-Watch-Stelle erarbeitet antirassistische Richtlinien, deren Einhaltung in Zusammenarbeit mit dem Presserat kontrolliert wird. Medien reproduzieren tagtäglich Bilder, in denen Menschen, die eigentlich durch Rassismus benachteiligt sind, als Kriminelle, als Tatverdächtige dargestellt werden.

Deutschland bedarf ganz dringend eines aktiven Abbaus von institutionellem Rassismus. OECD Untersuchungen zeigen, dass Teilhabechancen, etwa beim Zugang zu Bildung oder auf dem Arbeitsmarkt abhängig vom nationalen oder ethnischen Hintergrund sind.

Hierzu benötigen wir die Implementierung von Anti-Diskriminierungsgesetzen (wie bereits von der EU vorgeschrieben) und eine Abkehr von einer restriktiven Einwanderungspolitik. Zudem fordern wir kontinuierliche Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeiter_innen des öffentlichen Dienstes in Bezug auf Anti-Rassismus und Anti-Diskriminierung.

Der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland bedarf einer erheblich stärkeren Finanzierung von Antidiskriminierungsstellen, antifaschistischen Initiativen und zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Rassismus. Oft wird erwartet, dass antirassistisches Engagement von Migrantinnen-Organisationen ehrenamtlich erbracht wird. Auch dies ist ein Ausdruck dafür, welchen geringen Wert die Gesellschaft der Bekämpfung des Rassismus beimisst – Nazis gibt es nur, weil diese Gesellschaft sie zulässt. Rassismus auf ein Problem zwischen Nazis und Migranten zu reduzieren, heißt die Realität dieses Landes zu verkennen und der Verantwortung aus dem Weg zu gehen.

Wir sollten die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht mit noch mehr Gleichgültigkeit strafen. Ihr Tod sollte unser Leben, unser Denken und unser Handeln verändern. Deutschland und die deutsche Bundesregierung muss etwas gegen den wachsenden alltäglichen Rassismus in der Gesellschaft unternehmen: Deutschland muss sich ENTNAZIFIZIEREN.

Die Erstunterzeichner_innen: Aktuell Gesellschaft

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  1. Horst Weihser sagt:

    @Rechenratz

    Die Türken wären doch die ersten, die aufschreien würden, wenn sich in ihren Gegenden zu hundertausenden die Schwarzafrikaner breit machen würden. In der arabisch-orientalischen Welt sind Schwarze immer noch Menschen zweiter Klasse, das darf man nicht vergessen!

    „Schwarze Afrikaner und orientale Menschen haben seit prähistorischer Zeit Kontakt zueinander. Einige Historiker schätzen, dass bis zu 14 Millionen schwarze Sklaven im orientalischen Sklavenhandel von 600 bis 1900 n. Chr. das Rote Meer, den Indischen Ozean und die Wüste Sahara durchquerten. Der marokkanische Sultan Mulai Ismail „der Blutdürstige“ (1672–1727) stellte ein Heer von 150.000 schwarzen Sklaven auf und zwang damit das gesamte Land sich ihm zu unterwerfen“
    [..]
    „Das arabische Wort Abd (arabisch ‏عبد‎, „Sklave“) ist weiterhin eine gebräuchliche Bezeichnung für Schwarze im Nahen Osten, auch wenn es oft nicht abfällig gemeint ist“

    Quelle: Wikipedia

    Da gibt es also auch für die Muslime noch einiges aufzuarbeiten! Nur wenn BEIDE Seiten sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, kann ein Zusammenwachsen funktionieren. Hoffentlich klappts!

  2. Alpay sagt:

    Sie wissen doch gar nicht wer sich dort so alles breitmacht. Sie Reduzieren die Leute auf ihre Herkunft. Was für eine grandiose Sprache.

  3. Aprika sagt:

    @Alpay:

    „Wenn Sie etwas gegen Entnazifizierung haben, dann haben Sie ja etwas gegen diese Republik. “

    Netter rhetorischer Trick. Sie wollen damit suggerieren, dass eine „Entnazifizierung“ nötig wäre, vermeiden es aber, in dieser Hinsicht inhaltlich darauf einzugehen, sondern gebrauchen die typischen Phrasen der linksextremen Ecke: „rassistisch“, „rechtsextremistisch“, „fremdenfeindlich“ etc. Die „Entnazifizierung“ dient in erster Linie dazu, jegliche Kritik an Ausländern – und dazu gehört sogar die Nennung von Ausländergewalt – zum Verstummen zu bringen und sich selbst als Opfer in Szene zu setzen.

  4. Alpay sagt:

    Es wundert Sie also nicht, dass der militärische Abschirmdienst der USA ein Zusammentreffen von Nazis, Islamisten und deutschen Sicherheitsbehörden observiert? Wenn Sie die Ereignisse verfolgen würden, dann wüssten Sie dass es genau darum geht. Und Sie bestreiten dann auch vermutlich die Kürzungen der finanziellen Mittel für Projekte, die sich um diese Belange kümmern. Nein ich benutze keine „linken Phrasen“, dass sind Begriffe, die das Innenministerium für solche Statistiken benutzt. Linke Phrasen wären z.B. „chauvinistisch“, „sexistisch“ oder „imperialistisch“. Migranten sind keine Ausländer, Integrierte keine Migranten. Das mit den Tricks gebe ich mit Dank zurück.

  5. andres sagt:

    Wiedermal der falsche Ansatz bei einem wichtigen Problem!
    Was sind Nazis?
    Ähnlich wie viele Moslems, zu einem nicht unerheblichen Teil Mitglieder der Unterschicht.
    Wo sind die, die sich für diese abgehängten der Gesellschaft interessieren???
    Macht sich niemand Gedanken, warum diese Leute (Kinder von Eltern) auf diese Ideen kommen?
    Welche Perspektiven haben diese Leute in diesem Land?

  6. alpay sagt:

    Nazis haben Angst vor Überfremdung, oder hab ich da was falsch verstanden? Und das mit den Unterschichten können Sie sich sparen, sie pauschalisieren wieder und diskreditieren „viele Moslems“ (Muslime?) Zum Nachschlag gibt es dann einen zweiten Kalender mit Tips und Tricks, wie man mit Migranten / Ausländern umgeht. Mit Serdar Somuncu: Wir wollen auch mal wieder! Wieder was?

  7. Horst Weihser sagt:

    Alpay, alle Menschen haben Angst vor Überfremdung. Spülen wir doch mal 80% Deutsche in ein anatolisches Dorf, mal sehen, wie es dann mit der Gastfreundschaft steht. Vor allem, wenn die Deutschen dann auch noch bleiben und Kirchen fordern.

  8. alpay sagt:

    Sie sind auf dem richtigen Weg Horst. Ich habe mir lange genug deutsch-deutsche Anfeindungen (Ossi, Wessi, Kuhschweitzer, Sauschwaben) anhören müssen, um so naiv zu sein, dass „Deutsch“ ein einheitbildender Begriff wäre, oder Muslim, oder Türke, Ausländer, Migrant. Sie finden auf dieser Seite keinen Artikel der sich darum bemüht, das Deutsche aus Deutschland herauszufiltern. Die Autoren hier bemühen sich dieses Land mitzugestalten, und da sind wir doch schon einen Schritt weiter, als uns gegenseitig Kulturimperialismus vorzuwerfen. Wir werden sehen, ob nach 50 Jahren nicht doch Kirchen in den deutschen Gemeinden in der Türkei stehen werden. Aber ganz ehrlich, Integration ist nicht mein Thema, ich gehe nur auf bestimmte Aussagen ein, weil ich ein deutscher Migrant mit Identität bin ;)

  9. andres sagt:

    @alpay
    Da hat mal wieder wer was gesagt und deshalb darf ich das jetzt auch….nerv!….und dann wird zur Unterstützung noch mit nem Kalender rumgewedelt…der nichts mit dem Thema zu tun hat!!
    Nazis sind nichts anderes als die rumpöbelnden Türken, Araber oder sonstige…..zum Großteil abgehängte der Gesellschaft…und trotzdem soll es ja auch gebildete Moslems und Deutsche geben…ändert dennoch nichts an der Tatsache und dem Grund dieses Problems!!!

  10. alpay sagt:

    Genau, aber als bewusster Deutscher muss ich auf diese Abgehängten eingehen, weil genau sie den Bodensatz für neue Ausgrenzungen bilden. Ich vergleiche mich nicht mit dem Rest der Welt, wir reden über hier. Ich will in diesem Land keine Abgehängten mehr. Ich dachte ich bin in einem Land mit Kultur, wo Prävention grösser geschrieben wird als Strafen. Nazis könnten auch auf der dunklen Seite des Mondes auf 2018 warten um die Welt anzugreifen (nicht meine Idee „Iron Sky“).