Noah Sow
„Sich ins 21. Jahrhundert zu begeben, wie soll das Nachteile haben?“
Für Noah Sow ist es an der Zeit, dass die Massenmedien das eigene „weißdeutsch-dominante Narrativ“ aufbrechen. „Wenn hier Veränderung weiterhin verpasst wird, wird die Kluft zwischen Medien und der Gesellschaft weiter wachsen“, sagt sie im Gespräch mit MiGAZIN.
Von Van Hove / Graser Dienstag, 28.02.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.03.2012, 1:05 Uhr Lesedauer: 11 Minuten |
Johnny Van Hove: Das Medienmagazin ZAPP der ARD zeigte vor einigen Wochen, wie Schwarze Deutsche Schauspieler_innen hauptsächlich für exotische, migrantische oder kriminelle Rollen in öffentlichen Fernsehserien gecastet werden. Ist der Umgang der Medien mit Ihnen ähnlich stereotyp und kolonialistisch geprägt?
Noah Sow: Der Umgang der Dominanzgesellschaft mit People of Color (PoC) ist ganz grundsätzlich davon geprägt, wie diese gelernt hat, uns wahrzunehmen. Nämlich als Vertreter_innen eines Kollektivs, gefährlich, übersexualisiert, fremd, als zu betrachtende oder zu bevormundende Objekte und so weiter. Das schlägt sich in Begegnungen mit den meisten Menschen nieder, selbstverständlich auch mit denjenigen, die in den Medien arbeiten.
Wie schätzen Sie den ZAPP-Beitrag im Allgemeinen ein? Too little, too late? Oder als ein positives Zeichen für eine gesteigerte Sensibilität in Bezug auf dominante Diskurse innerhalb der öffentlichen Sender?
Sow: Ich finde es positiv, dass der ZAPP-Beitrag entstanden ist und gesendet wurde, und denke, dass die politische und soziale Bildungsarbeit der letzten Jahrzehnte wohl auch nicht an hundert Prozent der Medienschaffenden spurlos vorübergegangen ist. Aber nach wie vor werden Themen aus dem Diskriminierungsspektrum Rassismus medial noch oft als „Probleme“ der „Betroffenen“ verhandelt. Betroffen sind in einem System der Ungleichbehandlung jedoch immer alle, nicht nur die Benachteiligten. Und insbesondere die, denen daraus Vorteile entstehen, gewollt oder ungewollt. Ich habe den Eindruck, dass diese Tatsache ganz langsam zunehmend in solchen Beiträgen anklingt, zumindest gesagt werden kann ohne komplett herausgeschnitten zu werden. Mir zeigt das, dass wir uns möglicherweise als Gesellschaft entwickeln: weg vom „wir Weißen gegen die Schwarzen“ hin zu einem „wir Leute, die wir alle keine Lust auf Diskriminierung haben und gemeinsam etwas verbessern wollen – gegen die unsympathischen Besitzstandswahrenden“. Das hoffe ich zumindest. Ich bin im Grunde Romantikerin.
PoC sind äußerst unterrepräsentiert an relevanten Positionen in den Redaktionen. Wer sind denn eigentlich die dominanten Gruppen in den Medien?
Noah Sow (1974) ist Autorin, Musiker- in, Aktivistin, Medi- en kritikerin, Produ- zentin und Künstler- in, die sich intensiv in unterschiedlichen Projekten der Anti- rassismus-Arbeit engagiert. 1990 bis 2007 war sie als Moderatorin, Produ- zentin, Redakteurin im Radio und TV tätig. 2001 war sie Mitglied der Jury in der Casting-Show Popstars, stieg aller- dings während der Staffel aus, weil sie den von einem ihrer Ansicht nach „un- möglichen Mensch- enbild“ geprägten Umgang mit den Kandidaten nicht mittragen wollte. Sie ist Gründerin und Vorsitzende des media-watch-Vereins der braune mob. 2008 veröffentlichte sie das Buch: „Deutschland Schwarz Weiss“
Sow: Die dominanten Gruppen sind überall dieselben. Für jede Rolle, jede Wohnung, jeden Arbeitsplatz, die eine PoC aus rassistisch motivierten Gründen nicht bekommt, wird letztlich eine weiße Person bevorzugt. Vor allem mit Blick auf Institutionen ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, unter anderem auch, damit ein Grundverständnis von „Rassismus“ überhaupt erst entwickelt werden kann. Der ist nämlich entgegen landläufiger Meinung keine „Einstellung“ oder bösartige Handlung, sondern ein System, in dem die Gruppe der PoC konsequent und automatisch benachteiligt und die Gruppe der weißen Deutschen ebenso systematisch bevorzugt wird. Da dies momentan noch der Status Quo in der BRD ist, durchzieht er auch alle möglichen Systeme, Einrichtungen und Institutionen. Sogar die meisten „Antirassismusbeauftragten“, jedenfalls die, die Geld dafür bekommen, sind weiß.
Warum sollten dominante Gruppen sich überhaupt für Gleichberechtigung interessieren? Lohnen tut sich das ja ganz offensichtlich nicht für sie.
Sow: Es gibt vielfältige positive Anreize, auch für Angehörige der Dominanzkultur, Gleichberechtigung und Gleichbehandlung anzustreben. Vorteile sind zum Beispiel, dass die eigene Würde dadurch wiedergewonnen wird, da das Erreichte sich nicht auf Ungleichbehandlung stützt. Andere Vorteile: Eine unvorbelastete Interaktion wird möglich, die Selbstwahrnehmung wird weniger fremdgesteuert, der eigene Horizont wird immer mehr erweitert, Schuldgefühle werden weniger, und Energie, die zuvor in Abwehr gesteckt wurde, wird frei, z.B. für Kreativität. Erreicht werden kann das durch das bewusste Aufgeben von Privilegien. Zum Beispiel: nicht zwanghaft immer und überall das letzte Wort zu allen interkulturellen Themen haben zu wollen, oder sich nicht trotz mangelnder dekolonialer Bildung als allwissend zu imaginieren.
Unparteilichkeit und Objektivität bleiben bei vielen Journalist_innen – zumindest in der Rhetorik – ein zentrales Anliegen. Warum, denken Sie, beharren so viele Medienschaffenden auf ihre vermeintliche Neutralität?
Sow: Die Objektivitäts- und Neutralitätsmythen sind wichtige Bausteine von white Supremacy. Wenn ich mich hinter einer solchen Position, die ja immer auch als übergeordnet gilt, verstecken kann, kann ich Menschen oder Geschehen einordnen, ohne dass das Ganze auf mich zurückfällt. Natürlich gibt aber in Wirklichkeit kein Mensch die eigene Sozialisierung und das bisweilen stark eurozentrisch geprägte Weltbild an der Redaktionstüre ab.
Viele Journalist_innen tun und glauben trotzdem, dass ausgerechnet ihnen dieses Zauberstück gelingen könnte…
Sow: Ich glaube eigentlich, dass niemand sich wirklich einbildet, objektiv zu sein, sondern dass vielmehr gelernt wurde, dass es als Schutzbehauptung, als Abwehr, als Rechtfertigungsformel funktionieren kann. Auf dem anderen Ende der Wippe werden Ge-anderte üblicherweise als befangen, betroffen, nicht-objektiv empfunden. Ihre Positionen im Diskurs können dementsprechend abgetan oder zumindest als etwas eingestuft werden, was unbedingt nur eine „persönliche Meinung“ sei. Da bei Ungleichheit, wie ich eben schon erwähnte, immer alle betroffen sind, können wir die Denkfehler „Neutralität“ „Unparteilichkeit“ und „Objektivität“ jetzt aber ruhig langsam streichen.
Sie plädieren für das Offenbar-machen der eigenen Position in der journalistischen Arbeit. Was sind die Vor- und Nachteile für die Medienmacher_innen und Mediennutzer_innen?
Sow: Eine Positionierung ist wichtig, vor allem ausgehend von Angehörigen der Dominanzkultur, eben weil sie dadurch die Chance haben, das Privileg aufzugeben, sich hinter einer imaginierten „Neutralität“ zu verstecken. Nebenbei kommunizieren sie dadurch dann auch, dass sie die Zuhörenden oder Lesenden mit Marginalisierungshintergrund als Rezipierende mitdenken, was leider noch selten der Fall ist. In dem Moment, in dem die Sprechenden und Schreibenden ehrlich zugeben, dass sie ebenfalls eine Perspektive haben – z.B. eine männliche, heterosexuelle, weiße und so weiter – fällt der Claim weg, allwissend zu sein und wird die Positioniertheit, die sowieso besteht, hör- und sichtbar. Somit kann das Ganze dann auch als zugewandte Geste verstanden werden: „Ich beharre nicht darauf, dass ich alles einschätzen kann und über alle denkbaren Perspektiven verfüge. Ich erkenne an, dass das nicht die einzige Sicht der Dinge ist, dass ich über bestimmte Erfahrungen nicht verfüge, sondern eben nur über meine.“ Interview Leitartikel
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Sehr guter Artikel,
kluge Interviewfragen und außerdem immer wieder schön Noah Sow’s geistreichen prägnanten Analysen zu lesen. Kann man von vielen Kommentaren hier allerdings nicht behaupten.
Einige Kommentatoren haben nicht verstanden, dass People of Color nicht bedeutet, dass man unbedingt schwarz oder afrikanischen Ursprungs sein muss, um als People of Color zu gelten. People of Color sind all Diejenigen, die nicht als Teil der weißdeutschen Gesellschaft gelten und aufgrund ethnischer, religiöser oder kultureller Zuschreibungen alltäglichen, institutionellen und anderen Formen des Rassismus ausgesetzt sind. Es ist ein politischer Begriff. Insofern repräsentiert der Begrif nicht 2%, sondern 20% der Gesellschaft.
„People of Color“ ist ein politischer Begriff … genauso wie „Weißer“ oder „Schwarzer“.
Faktisch gibt es weder weiße noch farbige Menschen … der Begriff „Hautfarbe“ ist völlig verfehlt, weil er aus einer Begriffsbildung schöpft die dem extrahumanen Bereich entstammt … es gibt keine „People of Color“ und schon gar keine „schwarzen“ oder gar „weißen“ Menschen.
Es ist ein grundlegendes Kennzeichen des Rassismus, dass er Kategorien aus der gegenständlichen und extrahumanen Welt auf den Menschen überträgt um diesen dann unterschiedliche Wertigkeit zuzusprechen.
Das beginnt eben schon mit dem für selbstverständlich gehaltenen Konzept der „Hautfarbe“ überhaupt… ein Widersinn ein völlig abstruser Begriff, der sich als Selbstverständlichkeit etabliert hat … aber Veränderung geschieht nur wenn damit begonnen wird das scheinbar Allerselbstverständlichste zu hinterfragen …
Josef Özcan (Diplom Psychologe / Kölner Appell gegen Rassismus e.V.)