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Plädoyer

Kleines Spiel mit großen Folgen

Heute tagt der Gesundheitsausschuss im Bundestag zum Thema Glücksspielsucht. Emal Ghamsharick hat sich den Traum vom schnellen Geld junger Männer an Spielautomaten und in Wettbüros näher angeschaut.

Von Emal Ghamsharick Mittwoch, 21.03.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.10.2022, 18:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Eurokrise ist ganz unten angekommen. Im Titelsong zum Indiefilm „Verzokkt“ heißt es treffend: „Sie steht draußen mit dem Kind, ihr Mann hat keinen Job, er geht zur Fußballwette, er hat alles verzockt / überall Spielotheken, der Staat sagt er ist bankrott, der Euro ist bald nichts mehr wert, denn sie haben alles verzockt.“

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In dem Self-Made-Film befassen sich junge Spandauer mit dem Problem. Besonders in ärmeren Berliner Bezirken findet man inzwischen mehr und mehr Spielotheken. Durch die Abwesenheit einer Sperrbezirksverordnung und den hohen Leerstand bei Gewerberäumen haben Spielotheken und Wettbüros vielerorts die Ladengeschäfte ersetzt.

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Der Traum vom schnellen 3er BMW lockt vor allem junge Männer, für die ohne geregeltes Einkommen ein solcher Luxus unerschwinglich scheint. Gleichzeitig sieht man auf der Kottbusser Brücke zwischen Neukölln und Kreuzberg gut erhaltene Einsteigermodelle des BMW-Klassikers für unter 3000 Euro, die am besten gestern verkauft werden sollten, weil das Benzingeld im Spielautomaten verschwunden ist.

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Nicht zuletzt die Verfügbarkeit zinsgünstiger Kredite feuert die Spielerei auf allen Ebenen der Gesellschaft an. Aber besonders die Zocker abseits des Frankfurter Parketts kommen nur schwer wieder in die schwarzen Zahlen. 19,4 % der verschuldeten Spieler stehen laut Jahrbuch Sucht 2011 (G. Meyer) mit mehr als 25.000 Euro in der Kreide. Während das für einen Aktienhändler wenige Monatsgehälter sind, kann diese Summe einen jungen Angestellten in den Ruin treiben.

Zwar hat der Berliner Senat durch die Einführung des Berliner Spielhallengesetzes im Juni 2011 reagiert – in dieser Form einzigartig in Deutschland – allerdings hat sich die Gesetzesänderung noch nicht auf das Stadtbild ausgewirkt. Die maximale Zahl von Spielhallen pro Gebäude und der Mindestabstand zwischen den Etablissements wurden ebenfalls geregelt, aber gleichzeitig wurde die Besteuerung fast verdoppelt, von 11 % auf 20 %.

Das könnte im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass erfolgreiche Betreiber vor Konkurrenz geschützt werden und der Wert von Spielhallen und Wettbüros als Steuereinzugsorgane für den Berliner Senat steigt. Es besteht die Gefahr, dass sich die Spielhallenindustrie zur fütternden Hand für den Fiskus entwickelt.

Das deutsche Strafgesetzbuch (§§ 284-287) verbietet einerseits öffentliches Glücksspiel und erteilt anderseits dem Staat ein Monopol, das durch Konzessionen an Betreiber von Spielbanken, Spielotheken und Wettbüros weitervermittelt wird, zum Schutz des Bürgers. Geht man allerdings auf die Sonnenallee in Neukölln oder zum östlichen Ende der ehemaligen Stalinallee in Ostberlin, so sind die Spieler höchstens vor den Blicken der Passanten geschützt.

Zwar halten sich inzwischen die meisten Betreiber an das Jugendschutzgesetz, sodass Jugendliche vor Eintritt nach dem Ausweis gefragt werden, doch auch die wenigsten achtzehnjährigen Jungs haben das Verantwortungsgefühl oder das Einkommen, um sich dieses teure Hobby zu leisten.

Außerdem lässt sich der Jugendschutz besonders bei Spielautomaten leicht umgehen, denn Jugendliche finden an beinahe jeder Imbissbude einen „Novoline.“ Natürlich kann man Jugendlichen nicht den Zugang zu Imbissbuden verbieten, aber die Aufstellung von Spielautomaten in Gastronomiebetrieben muss gesetzlich geregelt werden.

Es wird geschätzt, dass 54 % aller Einnahmen aus Automatencasinos mit Süchtigen erwirtschaftet werden. Wie die meisten Süchte, beginnt auch die Spielsucht oft in der Jugend; die Konditionierung ist umso effektiver, je früher sie einsetzt. Irgendwann wirken die farbigen Lichter und die fröhlichen Melodien auf Süchtige wie Pawlows Klingel auf seine berühmten Versuchshunde. Das programmierte Suchtverhalten wird durch die kleinsten Signale ausgelöst.

Allein hinter dem legalen Glücksspiel steht laut dem Jahrbuch Sucht in Deutschland ein Markt von rund 24 Milliarden Euro. Dazu kommen Sportwetten, Automatenspiel und Kartenspiele im Internet – Märkte die zwar verboten, aber nicht kontrollierbar sind. Durch fehlende Auflklärungsarbeit geraten immer mehr junge Menschen in diesen Sog.

Großflächige Informationskampagnen, Filme, Kulturprojekte können Leute nicht abhalten, aber zumindest warnen. Ein Spaziergang durch die Außenbezirke deutscher Großstädte zeigt, dass die Zeit überfällig ist.

Vor allem die Medien sind gefordert. Anstatt sich über Thilo Sarrazin oder Islamisierung aufzuregen, sollte man fragen, wo die schleichenden Gefahren für unsere Gesellschaft lauern. Letztlich sind es die scheinbar harmlosen Genüsse wie kleines Spiel, „Bierchen“ und „Kippchen“, die Gesellschaften, Gesundheiten und Kontostände langfristig ruinieren. Das haben die ehrwürdigeren Vertreter aller Weltreligionen erkannt. Selbst wenn es wahr sein sollte, dass wir mit unterschiedlichen Talenten geboren werden – in unseren Schwächen sind wir uns leider oft erschreckend ähnlich. Gesellschaft Leitartikel Meinung

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  1. Jan sagt:

    Sehr guter Beitrag. Mit dem neuen Gesetz wird der Markt bzw. das Marktvolumen unter anderem auch durch die Globalisierung sehr stark wachsen. Vermutlich wird sich das dann ähnlich auf die Zahlen der Spielsüchtigen auswirken :(