Zukunftsdialog
Die ach so wichtige doppelte Staatsbürgerschaft
„Wie sieht Deutschland in fünf bis zehn Jahren aus?“ Die Antworten findet man möglicherweise im Zukunftsdialog. Danach haben wir noch mehr Islamkritik und Ausweisung von Migranten am laufenden Band. Doppelte Staatsbürgerschaft ist kaum ein Thema.
Von Birol Kocaman Dienstag, 10.04.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.04.2012, 22:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Dialog über Deutschlands Zukunft.“ Das ist der Titel, unter der Fachleute und Bürger seit dem 1. Februar 2012 Themen setzen. Es geht um die Fragen: „Wie sieht Deutschland in fünf bis zehn Jahren aus? Wie wollen wir gegen Ende des Jahrzehnts leben?“ Diskutiert wird mit Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich. Drei Bürgergespräche haben bereits stattgefunden.
Und bis zum 15. April lassen sich noch Vorschläge einreichen, kommentieren und bewerten. Die Absender jener zehn Vorschläge, denen die meisten Nutzer ihre Stimme gegeben haben, werden nach dem Ende des Zukunftsdialogs ins Bundeskanzleramt eingeladen. Dort treffen sie die Bundeskanzlerin und können ihre Ideen persönlich vorstellen.
Ob und was das Ganze bringen soll, darüber streiten sich Pessimisten und Optimisten seit der ersten Bekanntmachung des „Zukunftsdialogs“. Dass die Themen aber einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und in einem Abschlussbericht für die Bundeskanzlerin zusammengestellt werden, ist beschlossene Sache. Damit ist diesen Themen zumindest Aufmerksamkeit sicher.
Ein Instrument also, um sich und seinem Anliegen, Gehör zu verschaffen. Und ein Blick in die Top 50 der bisherigen (Stand: 9. 4.2012, Uhr 13) Abstimmung zeigt, dass hier vor allem Rechte mobilmachen. Von den rund 1.276.000 abgegebenen Stimmen wurden rund 21 Prozent (267.000) an Themen vergeben, die entweder Muslime oder Ausländer zum Ziel haben.
So wird unter dem scheinbar unbehelligt daherkommenden Vorschlag „Offene Diskussion über den Islam“ (2. Platz mit 137.000 Stimmen) unterstellt, dass das Thema Islam „von Politik und Medien gründlich gemieden, Islamkritiker […] bestenfalls ignoriert, meist aber diffamiert, Islamkritik […] pathologisiert und kriminalisiert“ wird. Einen unterstellenden Ton pflegt auch lotharvolldrauf mit seinem Vorschlag „über die Islamisierung Deutschlands“. Wie weit seien „wir gewillt […] unsere Kultur aufzugeben“, möchten er und 4.700 andere (Platz 35) von der Bundeskanzlerin wissen. Und Arno Reinhard und mit ihm 3.800 meinen mit der Forderung über eine „schonungslose Debatte über den Islam“, Assimilation einfordern zu können.
Weitere zehn Prozent der Vorschläge, die es in die Top 50 geschafft haben, richten sich gegen Zuwanderer im Allgemeinen. Forderungen nach Abschiebung, Einführung von Zuwanderungshürden oder die Erschwerung von Einbürgerungen. Selbst eine Forderung nach „Gedenken an die Opfer von Migrantengewalt“ – in Anspielung auf die Gedenkfeier für die Neonazi-Opfer – hat es mit rund 5.000 Stimmen in die erste Seite der Vorschläge mit den meisten Stimmen geschafft.
Doch nicht alles ist braun in der Top-50-Liste. Für die doppelte Staatsbürgerschaft hat sich beispielsweise Dr. Ali Söylemezoğlu starkgegemacht. Über Facebook und Mails an Bekannte und Freund versucht er, auf „sein“ Anliegen aufmerksam zu machen. Bisher wurde sein Vorschlag von 4.207 Personen unterstützt. Innerhalb der Top 50 sind das 0,3 Prozent aller abgegebenen Stimmen und ein abgeschlagener 39. Platz.
„Es ist sehr wohl möglich, sowohl mit dem Herkunftsland, wie auch mit Deutschland emotional verbunden zu sein“ schreibt Söylemezoğlu als Begründung und zitiert den Deutschen Carl Schurz, der in die USA ausgewandert war, dort General im Bürgerkrieg, Senator und später Innenminister der USA wurde: „Wer sein altes Vaterland nicht ehrt, ist auch des neuen nicht wert.“
Wenn der Tag gekommen ist und die Kanzlerin über ein „Gesetz gegen die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern und Aramäern“ (Platz 1 mit rund 145.000 Stimmen) oder über ein Verbot von Halal-Lebensmitteln (Platz 10 mit 60.000 Stimmen) diskutiert, werden türkische und islamische Verbände, Politiker, Ausländerbeiräte und Intellektuelle wieder aufschreien und kritisieren, dass andere Themen wieder einmal zu kurz kommen.
Auf die Idee, das Anliegen von Söylemezoğlu zu unterstützen oder sich für einen eigenen Vorschlag starkzumachen, kommt bisher kaum jemand. Rund ein Dutzend Vorschläge zum selben Thema gibt es bereits, die meisten mit weniger als zehn Klicks. Dabei leben in Deutschland drei Millionen Türkeistämmige, die in ganz großen und einflussreichen Verbänden organisiert sein sollen. Gesellschaft Leitartikel
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@ Mobo
– So viel ich weiß, hat Faruk Sen beide Staatsbürgerschaften. Selbst wenn er nur die deutsche hätte, wäre er für mich aufgrund seines Verhaltens Ausländer
– Yeni Vatan Link: es geht um eine Formulierung in einer österreichischen Zeitung. Diese Formulierung ist deutsch, weil Ö deutschsprachig ist. Die stehende Formel „Türkenfrage“/“türkische Frage“ gibt es im ganzen deutschen Sprachraum, auch bei uns.
– Der Judenvergleich ist bei Türken sehr beliebt, aber nicht nur bei denen.
Dürfte übrigens meiner Meinung nach keine „türkische Erfindung“ sein, sondern wurde ihnen von linken Deutschen beigebracht – so viel zur Entschuldigung der Türken. Schon Wallraff hat das als „Türke Ali“ ins Spiel gebracht.
– Erinnere ich mich richtig? Sie selbst haben doch vor kurzem im Migazin zu einem Artikel kommentiert, daß Assimilation in Deutschland nichts bringe. Das ist auch ein Judenvergleich.
– Wenn Ihnen die Internet-Seiten zu unseriös sind, kann ich Ihnen gerne aus Büchern detaillierte Türken-Juden-Vergleiche bringen. Serdar Somuncu z.B. ist da gar nicht erschrocken oder auch Zafer Senocak.
– Der Türken-Juden-Vergleich fällt mir seit den achtziger Jahren auf. Und ja, ich habe ihn nicht nur medial gehört, sondern auch privat von Türken in Diskussionen.
@ MoBo
„Im übrigen Sprach ich von der türkischen Gesellschaft in der Türkei und nicht von Deutschtürken.“
Da seh ich keinen großen Unterschied, wenn es um die Armenierfrage geht. Sehen Sie einen? Wenn ja, in welchen Punkten?
Der „Zukunftsdialog“ ist ein Witz. Wenn man anonym, mehrfach für einen Vorschlag stimmen kann, können einen die Ergebnisse nicht verwundern. Schließlich wird auf einschlägigen Webseiten täglich für die entsprechenden Vorschläge geworben.
Eine Unterstützung mit Klarnamen und Adresse, ähnlich wie beim Petitionsausschuss des Bundestages wäre das Mindeste.
@ Sugus:
Auf den Judenvergleich gehe ich nicht weiter ein, weil wir da nicht dieselbe Sprache sprechen. Außerdem ist es ja eigentlich Of-Topic. Zurück zu Armenien:
“Im übrigen Sprach ich von der türkischen Gesellschaft in der Türkei und nicht von Deutschtürken.”
Da seh ich keinen großen Unterschied, wenn es um die Armenierfrage geht. Sehen Sie einen? Wenn ja, in welchen Punkten?“
Ganz einfach:
– der Völkermord in Armenien wurde von der Vorgängerregierung der türkischen Republik durchgeführt. Die Verantwortung dafür also zuzugeben ist eine Angelegenheit der Türkei, nicht Deutschlands.
– in Deutschland sind die Türken eine Minderheit. wenn man nun über ein Gesetz ihnen etwas aufzwingen will, was in ihrem Herkunftsland aber gesellschaftliche ganz anders Diskutiert wird, dann bringt man sie ggf. künstlich in einen Loyalitätskonflikt: in Deutschland müssen sie dann von Genozid sprechen, in der Türkei könnte dies aber strafbar sein. Der Unterschied zwischen Deutschland und Türkei ist, in wie weit die vom Gesetz betroffenen „den Ton“ angeben oder eben nicht.
– Nun kommt für mich die Frage nach der Intention solch eines Gesetzes. Was für einen Nutzen haben wir in Deutschland, wenn die Leugnung des Völkermordes unter Strafe gestellt wird? Das Thema Völkermord in Armenien spielt in der deutschen Gesellschaft eigentlich keine Rolle, trotz einer gewissen Komplizenschaft des Deutschen Kaiserreichs (Militärattachees usw.). Es zielt also nur darauf ab, die türkischstämmige Bevölkerung zu beeinflussen. Wie oben genannt kann es dazu führen, dass wir sie in eine Situation bringen, in der sie in einem Staat etwas nicht dürfen was sie woanders müssen. Ist dies unser Ziel? Oder anders gefragt: was bringt das in der ernsthaften Auseinandersetzung über die Frage nach dem Völkermord? Wird das die Türken dazu bringen, die Geschichte zu überdenken, oder wird dies eher zu Ressentiments gegen Europa führen? Es gibt ja – wenn auch noch im Kleinen – Ansätze in der Türkei, über Armenien neu zu diskutieren. Wenn wir aber nun aus Europa mit Verboten kommen, zerstören wir alle Bemühungen einer innertürkischen Diskussion. Eine ernsthafte Diskussion und Neubewertung in der türkischen Gesellschaft kann aber nicht durch Verbote von Außen kommen.
@ MoBo
„der Völkermord in Armenien wurde von der Vorgängerregierung der türkischen Republik durchgeführt. Die Verantwortung dafür also zuzugeben ist eine Angelegenheit der Türkei, nicht Deutschlands.“
– Es geht nicht um Verantwortung, sondern um Anerkennung, und das ist unabhängig von der Rechtsnachfolge der Täternation. Was glauben Sie, was los wäre, wenn z.B. die USA den Völkermord an den Armeniern anerkennen würde? Obwohl die USA damit auch nichts zu tun haben?
„in Deutschland sind die Türken eine Minderheit. wenn man nun über ein Gesetz ihnen etwas aufzwingen will, was in ihrem Herkunftsland aber gesellschaftliche ganz anders Diskutiert wird, dann bringt man sie ggf. künstlich in einen Loyalitätskonflikt: in Deutschland müssen sie dann von Genozid sprechen, in der Türkei könnte dies aber strafbar sein.“
-Ich will den „Deutschtürken“ nichts aufzwingen. Mir genügte es, wenn die deutsche Regierung den Genozid ohne Vorbehalte anerkennt. Das tut sie übrigens nicht, mit Rücksicht auf die Deutschtürken (Wählerstimmen etc.). Im übrigen bliebe es den „Deutschtürken“ überlassen, den Genozid weiterhin zu leugnen. Sie müssten dann halt nur die gesellschaftlichen und juristischen Konsequenzen tragen. Das müssen Neonazis auch, wenn sie den Holocaust leugnen.
„Nun kommt für mich die Frage nach der Intention solch eines Gesetzes. Was für einen Nutzen haben wir in Deutschland, wenn die Leugnung des Völkermordes unter Strafe gestellt wird?“
-Wir Deutsche setzen den Machtansprüchen der Türken-Lobby etwas entgegen. Die bemüht ja auch unablässig den Judenvergleich, ohne wirklich am Schicksal der Juden oder an deutscher Geschichte interessiert zu sein oder damit zu tun zu haben. Er ist schlicht nützlich, um die Deutschen gefügig zu machen.
Ich interessiere mich nicht wirklich für das, was 1915 im Orient passiert ist. Aber wenn ich es instrumentalisieren kann, um türkischen Interessenverbänden etwas entgegenzusetzen: ja, bitte. Wir reden zu viel über Auschwitz und zu wenig über Der-es-Sor.
@Mobo
Sorry aber wenn ich Sie reden höre dann kommt immer irgendwie der Tenor von Herrn Kolat durch. „Man darf das nicht tun, da man sonst türkische Jugendliche psychisch belasten könnte“ Zitat Kolat.
Die einzige psychische Belastung wäre die einzusehen das man eben nicht die schönste, stärkste …. Nation dieser Erde ist. Ist das ein Beinbruch? Gerade in solchen Fragen wäre etwas mehr Demut angebracht.
Und was Verbote in Europa bringen würden? Ganz einfach. Bei Demonstrationen türkischstämmiger Bürger wäre es schlicht verboten gegenteiliges zu skandieren und es würde entsprechende nationalistische Klientel immer mehr unter Druck setzen und diesen tatsächlich klar machen das hier eben nicht (mehr) alles erlaubt ist. Das ist für mich auch nicht anders im Umgang mit Salafisten. Wer meint am christilichen Osterfest tausende Korane verteilen zu müssen im „Glauben“ bekehren zu müssen ist auf dem Holzweg. Genauso wenig ist die (deutsche) Gesellschaft davon überzeugt Genozidleugner und ihre Aussagen dulden zu müssen. Und gerade an eben diesem Beispiel das „etwas was in Europa verboten ist in der Türkei umgekehrt behandelt werden muss“ zeigt doch auch wie weit man noch voneinander entfernt ist. Ich habe es auch schon probiert. Es ist quasi unmöglich mit Türken (die keiner Minderheit angehören) vernünftig über dieses Thema zu sprechen. Haben Sie sich noch nie gefragt Mobo wieso explizit zu diesem Thema sämtliche türkische Regierungen seit Staatsgründung zu bedacht darauf waren keine Diskussionen aufkommen zu lassen. Das schreit doch gerade danach das etwas faul sein muss. Wer nichts zu verbergen hat unterdrückt eine Diskussion nicht.
Und um das eigentliche Thema „Zukunftsdialog“ anzusprechen. Wer behauptet, das sämtliche Bürger die für bestimmte Themen zu tausenden gestimmt haben Nazis sind ist voll auf dem Holzweg. Auch die hohen Verkaufszahlen von Sarrazins Buch sagen dazu nichts aus. Denn eines sollte klar sein. Wären all die Menschen die Sarrazins Buch gekauft haben Nazis dann säße die NPD im Bundestag. Alleine das die NPD eben nicht erfolgreich ist zeigt doch im Gegensatz zu anderen Ländernachbarn wo die Deutschen stehen.
JA zur Mehrstaatigkeit!
Und zwar durch schnelle rechtliche Umsetzung der Regierung. Traut Euch doch mal was „Unangenehmes“ durchzusetzen, wie Schröder damals mit seiner Agenda 2010. Ihn haben Umfragen nicht interessiert, sondern das Wohl seines Landes…
@ Udo: volle Zustimmung. Ich halte ihn für undemokratisch, weil lediglich die Gruppe gewinnt, die am besten vernetzt ist und am besten mobilisiert. Außerdem können Randpositionen durch ein höheres Mobilisierungspotential eher zur Geltung kommen. Die Vorschläge selber können zwar kommentiert, nicht aber durch Diskussionen modifiziert werden.
Undemokratisch ist vielleicht das falsche Wort – populistisch und nicht geeignet, ein Meinungsbild zu erfragen.
@ MoBo
Wir sprechen die gleiche Sprache, Deutsch, also:
-Türkische Zeitung „Tercüman“ im Mai 1983:
„gestern die Juden, heute die Türken“
(Hanne Straube, Der kandierte Apfel, Türkische Deutschlandbilder, S. 173)
– Dursun Akcam, „Deutsches Heim, Glück Allein“ (1993, S. 229):
„werden sie die Türken wie die Juden abschlachten“
– Aus Link von „Frankfurter Allgemeine“ (für Sie seriös?):
„Die Deutschen würden, wenn sie könnten, allen aus der Türkei ein „T“ tätowieren und ihnen das Gleiche antun, „was sie während der Nazidiktatur den Juden angetan haben““
http://www.faz.net/aktuell/politik/rassistische-aeusserungen-ueber-deutsche-eklat-um-tuerkischen-generalkonsul-1798895.html
Zum Artikel selbst:
„Es ist sehr wohl möglich, sowohl mit dem Herkunftsland, wie auch mit Deutschland emotional verbunden zu sein“ schreibt Söylemezoğlu als Begründung und zitiert den Deutschen Carl Schurz, der in die USA ausgewandert war, dort General im Bürgerkrieg, Senator und später Innenminister der USA wurde: „Wer sein altes Vaterland nicht ehrt, ist auch des neuen nicht wert.“
Carl Schurz war ein deutscher Revolutionär, der nicht einfach auswanderte, sondern geflohen ist. Ich nehme ihm ab, daß er Deutschland und den USA emotional verbunden war, aber am Ende seines Lebens war er loyaler amerikanischer Staatsbürger, der mit Wilhelm II ganz sicher nichts am Hut hatte. Die emotionale Verbundenheit z.B. zu Spanien hat auch ein Deutscher, der jedes Jahr in Andalusien urlaubt. Dafür braucht er nicht die spanische Staatsbürgerschaft.