Mehrstaatigkeit
Abschaffung der Optionspflicht
Seit Jahren herrscht ein politischer Streit um die Abschaffung der Optionspflicht. Eine Reihe von Gründen spricht für die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, schreibt Şükrü Uslucan.
Von Şükrü Uslucan Freitag, 04.05.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.05.2012, 23:49 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Kinder ausländischer Eltern, die durch ihre Geburt in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten, zusätzlich aber auch die ihrer Eltern innehaben, müssen sich zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Diese Regelung ist seit ihrer Verabschiedung 1999 politisch umstritten. Bisher sind alle Gesetzesinitiativen zur Abschaffung der Optionspflicht gescheitert.
Auf dem Integrationsgipfel Ende Januar forderten Vertreter von Migrantenorganisationen und Oppositionsparteien erneut die Abschaffung dieser Regelung. Am 9. Februar hat die SPD den Antrag „Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren – Mehrfache bzw. doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen“ im Bundestag eingereicht. Nach Abschluss der Beratungen wurde der Antrag dem Rechts- und Innenausschuss zur weiteren Beratung überwiesen.
Anlass dieser Initiativen sind die Vorwirkungen des Optionsmodells. Im Laufe des Jahres 2008 ist der Geburtsjahrgang 1990 volljährig geworden, weshalb die Betroffenen von den Einwohnermeldeämtern angeschrieben wurden. Ab dem Jahr 2013 droht hier ein von Amts wegen zu betreibendes Entzugsverfahren (§ 34 Abs. 1 StAG). Bis 2018 müssen sich dann all jene rund 50.000 jugendlichen Mehrstaater für eine Staatsbürgerschaft entschieden haben, um diesem Entzugsverfahren zu entgehen.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wird die Zahl der Optionspflichtigen zum Jahr 2025 sogar auf rund 320.000 steigen. Es wird angenommen, dass ein Großteil der betroffenen Personen eine Beibehaltungsgenehmigung beantragen und/oder gerichtlich gegen den Verlust der Staatsangehörigkeit vorgehen wird. Ferner ist davon auszugehen, dass in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fällen die Mehrstaatigkeit auch nach Abschluss des aufwendigen Optionsverfahrens nicht verhindert wird, weil etwa die Voraussetzungen für die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung vorliegen. So sind zahlreiche Unzumutbarkeits- bzw. Härtefälle gesetzlich vorgesehen. Dies ist etwa der Fall, wenn durch die Aufgabe der anderen Staatsangehörigkeit besondere persönliche oder finanzielle Nachteile drohen.
Dementsprechend fordern auch zahlreiche Rechtsexperten die Streichung des Optionsmodells. Zwar meinen sie allesamt, dass diese Regelung nicht eindeutig verfassungswidrig sei. Die meisten teilen jedoch die Einschätzung, dass die Optionspflicht rechts- wie integrationspolitisch kontraproduktiv sei und ein „bürokratisches Monstrum“ darstelle. Auch nahezu alle Bundestagsparteien und zahlreiche Migrantenorganisationen plädieren für eine Abschaffung der Optionspflicht.
Anders sieht dies ein Großteil von CDU/CSU. Hier überwiegt die Auffassung, dass die Fälle, in denen die Mehrstaatigkeit bereits jetzt zugelassen wird, ausreichend seien. Zuletzt hat diese Position Stephan Mayer, Vorsitzender des CSU-Innenarbeitskreises, Anfang Februar im Bundestag vertreten. Mayer zufolge könne eine Einbürgerung erst am Ende eines erfolgreichen Integrationsweges stehen. Auch müsse niemandem die deutsche Staatsbürgerschaft „aufgedrängt“ werden, wenn er die andere nicht abgeben will. Inzwischen erkennen aber auch Teile der CDU, dass es einer Regelung bedarf, welche den Bedürfnissen der Betroffenen nach einer Beibehaltung gerecht wird. So hat sich etwa der Berliner CDU-Landesverband gegen den Optionszwang ausgesprochen. In der am 17. November 2011 geschlossenen Koalitionsvereinbarung mit der SPD ist die Unterstützung des Berliner Senats für die Abschaffung des Optionszwangs im Staatsangehörigkeitsrecht vorgesehen.
Kritik am Optionsmodell
Im Ergebnis verursacht das Optionsmodell nicht nur einen unverhältnismäßig hohen bürokratischen, sondern auch emotionalen Aufwand wegen des damit verbundenen Entscheidungszwanges zwischen beiden Staatsangehörigkeiten. Allerdings ist in vielen anderen Fällen die Mehrstaatigkeit (völker-)rechtlich zugelassen, etwa in gemischt-nationalen Ehen. Schließlich sind alle (völker-)rechtlichen Problembereiche der Mehrstaatigkeit (wie z. B. Wehrpflicht, diplomatischer Schutz, Ehe- und Familienrecht, Kollisionsfälle im internationalen Privatrecht) weniger dramatisch als oftmals diskutiert. Hinzu kommt, dass für sie zum größten Teil bereits Lösungen gefunden wurden oder sie ohne weiteres durch zwischenstaatliche Vereinbarungen gelöst werden können.
Endlich zur Kenntnis zu nehmen wäre auch, dass die Sozialisationsannahmen, die das Abstammungsprinzip als allgemein akzeptiertes Verleihungskriterium begründen, hierzulande kaum noch voll zutreffen. Deshalb sollte ergänzend das Geburtsortsprinzip gelten. Denn das Optionsmodell als „Zwischenlösung“ unterstellt über Gebühr, dass die Loyalität und Integrationsfähigkeit von in Deutschland geborenen und/oder aufgewachsenen Kindern mit zwei ausländischen Elternteilen, die zumeist seit Jahrzehnten im Inland leben, zweifelhafter ist als jene aus gemischt-nationalen Ehen, in denen die Mehrstaatigkeit völkerrechtlich hinzunehmen ist. Es kann jedoch nicht durchweg behauptet werden, dass Erziehungsberechtigte ohne deutschen Pass schlechter integriert sind als jene mit deutscher Staatsangehörigkeit. Ein großer Teil derjenigen, die alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen, nehmen die deutsche Staatsangehörigkeit nur deswegen nicht an, weil sie zur Aufgabe ihrer ursprünglichen Staatsbürgerschaft gezwungen werden. Daraus ein Integrationsniveau abzuleiten ist unzulässig.
Alternative
Pragmatischer und unideologischer wäre statt der Optionslösung die „generationale“ Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes könnte demnach so lange akzeptiert werden, wie die eigene Migrationserfahrung noch fortbesteht oder Teil der erzählten Zuwanderungsgeschichte ist. Demnach sollte mindestens bis zur dritten Generation eine Hinnahme ohne weiteres auf Antrag erfolgen dürfen. Ab der vierten und spätestens fünften Generation sollte die andere Staatsbürgerschaft nur beibehalten werden, wenn tatsächlich noch hinreichende Bindungen zum ehemaligen Herkunftsland bestehen und diese auch nachgewiesen werden, z. B. durch Immobilien, Investitionen oder enge Kontakte zu Familienmitgliedern.
Selbst die türkische Regierung erwägt inzwischen, ihr Staatsbürgerschaftsrecht entsprechend zu ändern. Der Vorteil einer solchen Praxis bzw. Vereinbarung wäre, dass dann die Einbürgerungsverfahren deutlich verkürzt werden könnten. Auch würden sie weniger bürokratisch ablaufen. Mit einer solchen Änderung würde die Bundesrepublik endlich den vielfältigen Forderungen auf der Ebene des Europarates nachkommen, ihr Staatsbürgerschaftsrecht in diesem Punkt dem Migrationskontext anzupassen. Aktuell Meinung
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Nicht nur das Optionsmodell (welches rein in sich unlogisch ist), sondern auch der Grundsatz zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit gehören abgeschafft. Wenn über 50% der Ausländer unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, kann man ohnehin nicht mehr von einem Grundsatz und von Ausnahmefällen sprechen. Bei dieser Prozentzahl entspricht der Doppelpass eher der Regel und die Vewehrung entspricht Ausnahmefällen, welche allerdings auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zugeschnitten wurden. Soviel zur Gleichbehandlung nichtdeutscher Bürger…
…aber aussiedler -die behalten ihre staatsbürgerschaft der länder aus den sie ausgewandert sind.deutschland deine moral?
Es ist nicht davon auszugehen, dass sich der flächendeckende Widerstand bei CDU/CSU gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft als Regelfall bald legen wird, insbesondere, weil das Optionsmodell weiten Teilen der konservativen Basis dieser Parteien bereits zu weit geht.
Das kernargument lautet immer: Man könne hier niemandem die Staatsbürgerschaft „schenken“, der anderswo bereits eine habe, da er im Zweifel eher diesem anderen Staat – seinem „ursprünglichen“! – gegenüber „loyal“ sein könnte, was den „Volksdeutschen“ zum Nachteil gereichen könnte.
Man mag diese „Blut- und Boden“-Argumentation nun albern, gestrig oder sonstwas finden – ohne die Union wird man kein Staatsbürgerschaftsrecht ändern können.
Eine pragmatische Alternative wäre, mit einzelnen Staaten (z.B. Türkei, Italien, Griechenland, Polen) bilaterale Abkommen zu schließen, die hier permanent ansässigen Bürger dieser Länder hier immerhin an ALLEN Wahlen (also nicht nur kommunal für EU-Bürger) teilnehmen zu lassen, wenn sie dafür nachweislich das Wahlrecht in ihrer Heimat ruhen lassen.
Auch dieser Vorschlag ist ganz klar nur eine Notlösung – der unglückliche Optionszwang bliebe bestehen – doch wäre er zumindest kurzfristig dazu imstande, breiten Bevölkerungsschichten eine deutlich bessere politische Partizipation zu ermöglichen, als dies derzeit der Fall ist. Zudem ließe sich aufgrund der Reziprozität des Vorhabens, sowie seiner potentiellen Widerrufbarkeit, kaum Stimmung dagegen machen, ohne sich dabei durch dumpfen Nationalismus aus der Debatte zu disqualifizieren.
Schade, dass eine Staatsangehörigkeit hier nur als ein Stück Papier betrachtet wird, um materielle Vorteile genießen zu können.
@ Alternative: „…..seinem “ursprünglichen”! – gegenüber “loyal” sein könnte…..“
–> genau das ist die Denke, aber warum besteht diese Denke nicht auch bei EU-Ausländern. Wird ein Franzose, Niederländer oder Engländer mit deutscher Staatsangehörigkeit im Zweifel diesen Ursprungsländern loyal sein (das sind in diesem Fall größtenfalls sogar direkte Nachbarn)? Wer weiss es… im Endeffekt stellt sich so eine Frage aber eigentlich in einer globalen Welt normalerweise nicht mehr. Aber es gibt Leute, die immer noch in Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts leben…
@ Markus
… welche materiellen Vorteile meinen Sie? Mir sind keine materiellen Vorteiel bekannt, die ich jetzt mehr hätte, wenn ich die deutsche Staatsbürgerschaft hätte im Gegensatz zu meiner jetzigen Niederlassungserlaubnis. Helfen Sie mir mal weiter!
Wer zwei staatsbürgerschaften besitzt, besitzt Keine!
Denkt mal drüber nach!
Es ist nicht die „Blut- und Bodenauffassung“ der CDU/CSU sondern die „Blut- und Bodenauffassung“ vieler Immigranten(nachkommen), die bei der Mehrstaatlichkeit zum Problem wird. Die Auffassung „Ich habe türkisches Blut und kann deshalb kein Deutscher sein“ ist leider auch in der jungen Generation weit verbreitet und entspricht bedauerlicherweise der NPD-Rassenideologie. Dass die Entscheidung für den deutschen Pass in solchen Fällen keine „Loyalitätsbekundung“ sondern auf materielle Vorteile abzielt, ist durch Studien belegt, in denen sich eine Mehrheit der Türkischstämmigen bei Arbeitsverlust und fehlender Sozialhilfe für eine sofortige Rückkehr in die Türkei entscheiden würde.
Ferner belegen Studien aus den USA, dass die Identifikation Mexikanischstämmiger und doppelter Staatsbürgerschaft mit den USA wesentlich geringer ist, als bei denjenigen, die nur die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen.