Der Fall Sarah Kuttner
Shitstorm? Wohlverdient!
Der Fall Kuttner zeigt eigentlich nichts Neues: In Deutschland ist Rassismus alltäglich. Nur interessiert sich kaum jemand derer, die nicht selbst davon betroffen sind, wirklich dafür.
Von Caren Miesenberger Dienstag, 29.05.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.05.2012, 23:48 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Vor zwei Wochen las Sarah Kuttner, Ex-Viva-Sternchen und Autorin, im Hamburger Club Uebel & Gefährlich aus ihrem Buch „Wachstumsschmerz“. Der Abend endete ungewöhnlich – Kuttner wurde angezeigt, weil sie in ihrem Roman rassistisches Vokabular verwendet.
Ein Hamburger rief die Polizei und zeigte die 33-jährige wegen Beleidigung an. Am Montagmorgen erschien in der Hamburger Morgenpost ein Artikel, der für das Boulevardblatt überraschend deutlich Rassismus thematisiert. Kuttner selbst nahm erst zwei Tage nach Erscheinen des Artikels via Facebook Stellung. Es folgte die übliche Begründung: Sie sei keine Rassistin und „zutiefst erschrocken darüber, wie viele Menschen sich in den letzten Tagen eine handfeste Meinung über mich, basierend auf einer einseitigen Berichterstattung der Boulevardpresse, gebildet haben“.
Spiegel Online bezeichnet den Fall als „Der Skandal, der wohl keiner ist.“ – und das ist es, was das Thema brisant macht: Wem steht es bei dem Thema zu, sich beleidigt zu fühlen? Wer darf es als Skandal bezeichnen?
Darf Frank Spilker, bei der Lesung anwesender Sänger der Band Die Sterne, sagen, dass Kuttner in ihrem Buch „den Alltagsrassismus thematisiert, der ihr jetzt vorgeworfen wird“? Weshalb fragt Spiegel Online einen Menschen, der nicht von Rassismus betroffen ist? Wieso steht es ihm zu, das zu bewerten?
Die Aussage von Mola Adebisi, ehemaliger Kollege von Kuttner, wird von Spiegel Online gleichzeitig darauf reduziert, dass dieser sie als „minderbemittelt“ bezeichnet – obwohl er gegenüber der Morgenpost ganz klar sagt, dass sich Kuttner während ihrer Zeit als Viva-Moderatorin rassistisch verhielt. Ihm wird damit die Deutungshoheit, was rassistisches Verhalten ist und was nicht, abgesprochen. Gleiches geschieht in vielen Kommentaren auf Facebook.
Oft heißt es, dass Adebisi öffentliche Aufmerksamkeit brauche und sich deshalb zum Thema äußert – was natürlich ein Witz ist! Denn wer ist qualifiziert, etwas dazu zu sagen, wenn nicht eine Person of Color? Sicherlich nicht die Menschen, die in Deutschland keinen Rassismus am eigenen Leib erfahren.
Die deutsche Medienlandschaft hat ein Problem mit Rassismus – das macht der Fall Kuttner deutlich. Sie wird als Opfer eines Shitstorms inszeniert. Internetpublikationen wie Publikative.org rudern mit ihren Artikeln zum Fall Kuttner zurück, löschen sie sogar – weil sie „vorverurteilend“ waren.
Ein weiterer entscheidender Punkt: Nicht die Stimme des Opfers zählt, sondern die des Täters. Man muss sich selbst noch mal vergewissern, wie die Lage denn wirklich war – wie man es drehen und wenden kann, damit das N-Wort an rassistischem Gehalt verliert. Die Antwort: Kann man nicht! Allein die Tatsache, dass Sarah Kuttner ihre Puppe mit dem N-Wort beschreibt, outet sie.
Und deshalb sollte sie sich mit Noah Sows „Deutschland Schwarz-Weiß“ hinsetzen und ihr Denken aufarbeiten. Ich schenke Ihnen gerne ein Exemplar, Frau Kuttner! Aktuell Meinung
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@Torgey,
es gingt um diese Stelle:
„Nichts zu sagen ist allerdings gegen meine Negerpuppe. Ein riesiges Stoffungetüm, ganze achtzig Zentimeter purer, aber unschuldiger Rassismus mit einem obszön großen Kopf, der so schwer ist, dass er der Puppe immer wieder auf die schmalen Schultern fällt und ihr so permanent einen ergreifend niedergeschlagenen Eindruck verleiht. Als wäre das nicht schon entsetzlich genug, wird das Ganze noch von einem furchterregenden Paar praller, aufgenähter Wurstlippen getoppt. Vollkommen undenkbar, dass so etwas heute noch verkauft würde, soweit ich weiß, hat mein Vater sie vor über zwanzig Jahren von irgendeiner Reise mitgebracht.“
http://www.welt.de/regionales/hamburg/article106373727/Sarah-Kuttner-wehrt-sich-gegen-Rassismusvorwurf.html
Liebe Autorin,
zuerst schreiben Sie, als Kritik bzw. Vorwurf: „In Deutschland ist Rassismus alltäglich. Nur interessiert sich kaum jemand derer, die nicht selbst davon betroffen sind, wirklich dafür.“
Später aber ein anderer Vorwurf von Ihnen: „Weshalb fragt Spiegel Online einen Menschen, der nicht von Rassismus betroffen ist?“ und weiter „Denn wer ist qualifiziert, etwas dazu zu sagen, wenn nicht eine Person of Color? Sicherlich nicht die Menschen, die in Deutschland keinen Rassismus am eigenen Leib erfahren.“
Also heißt das kurz gesagt, die Leute, die keine persons of color sind, sollen sich zwar für das Thema interessieren, dürfen aber an Diskussionen dazu nicht teilnehmen!?
Die Haltung, die außerdem in diesem Artikel aufblitzt – nämlich dass jemand (egal wer) entscheiden darf, wem es „zusteht“ sich irgendwie zu fühlen oder etwas zu bewerten, und vor allem, wem es NICHT zusteht – finde ich jedenfalls völlig daneben.
Und für DIESE Auffassung spielen das Thema und unterschiedliche Grade an Betroffenheit auch überhaupt gar keine Rolle
Sprache ist ständig im Wandel und ändert sich. Wenn man mittelalterliche Texte liest, ist es schwierig deren Inhalt zu „erfahren“. Oder auch Inhalte einer Sprache verschieben sich – zum Guten oder Schlechten sei dahin gestellt. Man nehme nur das Wort „Geil“. In meiner Jugendzeit bedeutete es eine „schlimme“ sexuelle Aussage, heute sagen Jugendliche über Alles und Jedes „Geil“ wenn sie es für „Toll“ finden.
Ich sage heute noch „Negerkuss“ und zu einem Afrikaner „Schwarzer“. Die gedankliche Unterscheidung ist wichtig!!!!
Pragmatikerin