Brückenbauer
Bei uns gibt es so etwas nicht!
Ein Vergleich zwischen zwei Ländern: Auf der einen Seite steht Deutschland, das Land in dem ich zur Welt gekommen und aufgewachsen bin, auf der anderen Seite England, das Land in das ich vor etwa zwei Jahren „zugewandert“ bin.
Von Selma Yılmaz Ilkhan Freitag, 01.06.2012, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.06.2012, 1:42 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Seitdem ich nun in London lebe, habe ich immer wieder Situationen erlebt, in denen ich auf die Migranten hier im Lande regelrecht neidisch wurde. Ich wurde neidisch, weil hier die meisten Menschen mit Migrationshintergrund einfach als ein fester Bestandteil und eine Bereicherung für die gesamte Gesellschaft betrachtet werden. Ich wurde neidisch, weil diese Menschen, ohne lange überlegen zu müssen, „I`m British“ sagen können und sich auch wirklich so fühlen, ganz gleich, woher sie ursprünglich hergezogen sind.
Ein solches Verständnis beruht meist auf Beidseitigkeit und ist bei uns in Deutschland leider sehr selten anzutreffen. So kam es im Laufe meines Lebens oft zu ähnlichen Dialogen wie unten aufgeführt:
- Person mit offensichtlich deutschem Hintergrund stellt mir folgende Frage: „Ah, Sie sprechen aber super Deutsch, woher kommen Sie denn eigentlich?“
- Ich antworte: „Aus Hanau.“
- Woraufhin diese Person in einem etwas überraschten Ton die Frage wie folgt wiederholt: „Neiiin ich meine, woher kommen Sie tatsächlich!“
- Daraufhin antworte ich etwas verunsichert nochmals: „Aus Hanau.“
- Doch meist gibt sich die Person noch immer nicht zufrieden und fügt noch hinzu: „Nein, ich meine woher kommen Ihre Eltern und somit auch Sie!“
Also muss schließlich die Türkei als mein Herkunftsland identifiziert werden. Dass ich in Deutschland zur Welt kam, hier aufgewachsen bin und hier studiert habe, oder dass meine Eltern erst 17 Jahre jung gewesen sind, als sie nach Deutschland zogen, dass aus uns mittlerweile in Deutschland eine große Familie geworden ist, dass ich und somit meine Familie ein fester Bestandteil Deutschlands geworden sind, hat leider gar keine Bedeutung. So etwas gibt es nur bei uns!
Ich werde ja gar nicht so angenommen, wie ich bin. Mein Kopftuch, meine Kippa, meine Dumalla wird beinahe als eine Gefahr betrachtet. Ich müsse mich integrieren wird von mir verlangt, aber wie denn bitteschön?!
In London hingegen wurde mir erst nach fast einem halben Jahr bewusst, dass es hier gar nicht so normal ist, jemanden nach seinem Herkunftsland zu fragen. Als ich in London zum ersten Mal einen Polizisten mit Dumalla sah, war ich wahrhaftig verblüfft und entsetzt. Für die anderen Passanten jedoch war diese Situation ganz normal. Ich bin es ja schließlich nicht gewohnt, einen Polizisten mit einem „religiösen Symbol“ zu sehen. Ebenso wenig bin ich es gewohnt, Lehrerinnen mit Kopftuch an einer staatlichen Schule unterrichten zu sehen, ich bin es nicht gewohnt, Menschen mit Kippa, Zizit und Stramel in der Öffentlichkeit zu sehen.
Bei uns heißt es doch immer wieder: „Passt nicht zum öffentlichen Bild“. Aber Moment mal, wer definiert denn eigentlich, was zum öffentlichen Bild passt und was nicht? Wie kommt es denn überhaupt, dass ich so wie ich bin, nicht zum öffentlichen Bild passe? In der Theorie heißt es doch immer: „Damit eine gelungene Integration zustande kommen kann, bedarf es, dass sich das Gesellschaftsbild auf allen Ebenen wiederfindet.“ Auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens müssen die oben ausgeführten Menschen vertreten sein? In meinem Geburtsland Deutschland? Aber bei uns gibt es doch so etwas gar nicht!
So wie es in London klappt, so kann es auch bei uns klappen? Ich sage: „Ja!“
Denn erst dann wird es uns allen auch leichter fallen, „Ich bin deutsch“ oder gar „Ich bin eine Deutsche“ zu sagen. Erst dann werde ich mich wirklich respektiert und dazugehörig fühlen, erst dann wird mich die Mehrheitsgesellschaft als eine Deutsche akzeptieren und mich nicht loben, nur weil ich die deutsche Sprache spreche.
Meine Dozentin an der University of London meinte einmal: „In Germany we are facing more an assimilation than integration”. Ich musste ihr leider zustimmen, denn richtige Integration ist keine Einbahnstraße. Wenn die Mehrheitsgesellschaft von mir erwartet, dass ich mich integriere (wie lange das noch anhalten soll, weiß ich zwar leider auch nicht), dann sollte ich aber auch das Recht haben, erwarten zu dürfen, dass mich diese Gesellschaft so annimmt und akzeptiert, wie ich eben bin. Wenn ich Politiker/in, Lehrer/in, Polizist/in etc. sein möchte, dann dürften diese Wege mir nicht verschlossen werden, sondern sollten weit offen sein. Meine „Leidensgenossen“ und ich müssten/sollten auf allen Ebenen vertreten sein.
Mein Land muss endlich merken, dass eine Generation von gut ausgebildeten Jugendlichen langsam auswandert, nur weil sie nie tatsächlich wahrgenommen wurden und nicht wirklich willkommen waren. Sonst werden wir es im Nachhinein bereuen, dass wir Jahre lang geglaubt haben, dass die Argumentation „Bei uns gibt es so etwas nicht!“ die richtige Einstellung war. Aktuell Meinung
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Umbecco sagt: 25. April 2013 um 12:11
„Sie überdramatisieren die Aussage von Paco! Er hat niemanden der Lüge bezichtigt, sondern lediglich die Darstellung der Autorin in Frage gestellt (und eine Falschdarstellung darf man selbstverständlich ohne schlechtes Gewissen unterstellen).“
Vielleicht hat Paco andere Erfahrungen gemacht, vielleicht haben noch viel mehr andere Leute andere Erfahrungen gemacht, aber wenn Paco sagt: 23. April 2013 um 23:24
“Beim Lesen des Artikels habe ich mich denn auch gefragt, ob die Autorin auch mal auf die Strassen in London geht.”,
dann bestreitet er die von der Autorin dargestellte, persönliche Beschreibung. Das ist keine Überdramatisierung meinerseits sondern eine Unterstellung der Unwahrheit durch Paco.
@TaiFei
Aber Paco „fragt“ sich das doch nur bzw. er zieht es in Zweifel, weil es nicht seinen Beobachtungen/Erfahrungen entsprach.
Und wenn ich nochmal dahin gehe, dann gibt es noch eine dritte Meinung! Und keiner ist ein Lügner und keiner bezichtigt einen anderen der Lüge! Das sind Meinungen und falls diese eines Tages nicht mehr voneinander abweichen, dann leben wir in einer Diaktatur! Ich glaube die Autorin hätte sich auch niemals angemaßt „die Wahrheit“ zu kennen! Sie hat nur IHRE persönlichen Eindrücke niedergeschrieben! Und die sind nun mal nicht per se richtig!
@TaiFei
Sie unterstellen mir LAUFEND die Unwahrheit, bezichten mich sogar als Nazi-Kollaboroteur der ehemaligen Ostgebiete (wenn ich damals schon geboren gewesen wäre, könnte ich kaum weniger darüber lachen.) Aber hier wieder den Moralapostel spielen.
Fakt ist: London ist eine Weltstadt, höchstens Berlin kann da noch ein wenig mithalten. Klar geht man da eher unter (und wird somit gefühlsmäßig weniger diskriminiert), als im beschaulichen Hanau irgendwo, wo auch der Langhaarige oder Punker verächtlich fortgejagt wird. Das ist ja wohl ein klitzekleiner Unterschied, meinen Sie nicht?
Paco fragt (eine Frage ist per se weder eine Behauptung, Unterstellung oder gar Lüge) sich, ob die Autorin auch mal auf die Straßen Londons geht.
Logischerweise wird sie das tun, zum Einkaufen etwa, das weiß auch Paco.
Gemeint ist mit der Formulierung lediglich, ob die Autorin über den Tellerrand ihrer gewohnten Umgebung in London hinausgeblickt hat – schließlich ist London eine Weltstadt mit sehr vielen verschiedenen Facetten und Milieus.
@R. Kessler
Ich habe Ihnen gar nichts unterstellt. Ich habe dies sogar EXTRA betont, dass das nicht meine Intension ist. Spielen Sie sich also nicht als Opfer auf.
@Umbeco/Lionel
Ich verstehe, was Sie ausdrücken wollen. Jedoch hat die Autorin genau diese Feststellungen in London gemacht. Dieser Eindruck mag sehr persönlich sein und sicher auch nicht überall in UK zutreffen. Die besagte Formulierung von Paco ist jedoch eine einseitige Unterstellung der Unwahrheit. Ob dass nun also Frage oder Aussage formuliert ist spielt hier keine Rolle, da diese Frage ja eh rein rhetorisch ist. Eine ernsthafte Antwort kann ja hier nicht erwartet werden.
@Tai
So, so, gar nichts unterstellt? Wenn man sagt: ich will Ihnen ja nichts unterstellen, aber …“, dann impliziert das meines Erachtens schon eine Unterstellung. So feinsinnig müsste man halt sein.
„„I`m British“ sagen können und sich auch wirklich so fühlen, ganz gleich, woher sie ursprünglich hergezogen sind.“
Liegt es vielleicht daran, dass die Briten ein Weltreich waren, sich und durch die Kolonien, welche ja im Grunde ein schreckliches Kapitel sind und immer wieder romantisiert worden sind, ein anderer Gedanke entwickeln konnte? Ein multiethnischer Gedanke? Andererseits weiß man, dass in den Kolonien ein krasser Rassismus herrschte, man lese zum Beispiel mal George Orwells „Tage in Burma“ oder „Shooting an Elephant“. Auch die Einwohner der Kolonien hatten bei den weißen Briten im Königreich selbst nie ein gutes Ansehen und waren IMMER Menschen zweiter Klasse oder „Exoten“. Ich denke nicht, dass sich das in der weißen Gesellschaft heute groß geändert hat. Deshalb finde ich das ungewöhnlich, dass sich Migranten ebenfalls als „British“ bezeichnen.
Ich persönlich wünsche der Autorin alles Gute und weiterhin viel Glück.
Rolf Kessler sagt: 26. April 2013 um 10:13
„@Tai
So, so, gar nichts unterstellt? Wenn man sagt: ich will Ihnen ja nichts unterstellen, aber …”, dann impliziert das meines Erachtens schon eine Unterstellung. So feinsinnig müsste man halt sein.“
Ich habe lediglich Ihre behauptete Kausalität aus ethnischer/nationaler Abstammung und geistiger Gesinnung widerlegt. Sie finden dort auch nirgends eine ABER-Vormulierung.
Da das aber in einem anderen Thread statt gefunden hat, bringt die Diskussion in diesem hier nicht viel.