Debatte
Wer wohin gehört
Wer hat eigentlich unsere Politiker jemals danach gefragt, wer oder was zu Deutschland gehört? Ständig äußern sie sich dazu, aber ich kann mich nicht recht entsinnen, dass wir sie überhaupt dazu befragt hätten.
Von Tim Gerber Montag, 04.06.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 08.01.2016, 14:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ob der Islam zu Deutschland gehört, oder die Muslime? Das Judentum und die Juden? Die Christen und das Christentum? Wer fragt eigentlich danach oder woher kommt dieses Bedürfnis bei unseren Politikern, sich immer wieder ausgerechnet zu dieser Frage – die keine ist – mit Inbrunst und Verve zu äußern und dann auch noch darüber zu streiten? Was sollen alle diese Glaubensfragen? Opium fürs Volk?
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt Jesus laut Neuem Testament. Also der gehört schon mal nicht zu Deutschland. Denn das ist wohl von dieser Welt, auch wenn mancher seiner Mächtigen schon so weit entrückt scheint, dass das Reich Jesu ihm näher sein mag als die Stammkneipe von Herrn Meyer oder die Teestube von Herrn Gürek.
Was zu Deutschland gehört ist seit den Zwei-Plus-Vier-Verträgen von 1990 zum Glück eigentlich restlos geklärt, selbst für die Wiedergänger der Vertriebenenverbände. Die Details zum Grenzverlauf dürften sich bei den Vermessungsämtern erfragen lassen. Weder der See Genezareth noch Mekka oder der Ganges werden sich darin finden lassen. Wer zu Deutschland gehört, kann man den Melderegistern entnehmen – inklusive Glaubensbekenntnis, das aber nur zu steuerlichen Zwecken. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“, sagt Jesus laut Neuem Testament dazu.
Welche Gebäude wo stehen dürfen, also zu Deutschland gehören oder nicht, oder abgerissen werden müssen, wissen die Bauämter. Unsere Moscheen dürften mehrheitlich den aktuellen Bauvorschriften entsprechen und von der zuständigen Behörde ordentlich genehmigt, also baurechtlich gesehen ziemlich deutsch sein. Beim Kölner Dom wäre ich mir da nicht so sicher. Die Synagogen haben wir ja vorsorglich alle abgerissen, weil sie ihre Baugenehmigungen nicht vorweisen konnten. Da kennen wir Deutschen ja kein Pardon, es geht alles mit Recht und Ordnung einher. Selbstverständlich helfen wir unseren jüdischen Mitbürgern tausend Jahre später, nun dem deutschem Baurecht entsprechende Gebetsstätten zu errichten. Das Kapitel können wir also abschließen.
Mich würde an Glaubensfragen jedenfalls mehr interessieren, was unsere Politiker glauben, wie wir aus Ali, Irina und Kevin tüchtige Ingenieure machen – meinetwegen deutsche. Wie wir ihre Schulen sanieren, ihre Universitäten ausstatten? Bei der anhalten Umverteilung von gemeinschaftlich Erarbeitetem in private Taschen, also einem anhaltenden Raubbau am Gemeinwesen? (lateinisch privare = rauben). Die wenigen Begünstigten dieses Systems müssen dann ihren Überschuss investieren und so uns mit ihrem sinnlosen Überfluss an der falschen Stelle von einer Finanzkrise zur nächsten jagen. Das gehört definitiv zu Deutschland – leider, aber keiner der Mächtigen spricht darüber, dass das nicht zu Deutschland gehören sollte.
Mich interessiert, was die Politiker glauben, wie sie mich und meine Nachbarn vor Mordanschlägen brauner Banden schützen können. Das ist meine Gretchenfrage für die Innenminister. Ach Friedrich, wie hältst Du’s mit der NSU, würde ich Margareten hauchen lassen, wenn ich Goethe wäre. Wie verhindert man Brandanschläge auf Moscheen, Kirchen und Synagogen? Wie beendet man die von Extremisten gegenseitig provozierte Gewalt? Die christlichen Kirchen habe ich nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Mir ist eigentlich nicht bekannt, dass islamistische Extremisten Anschläge auf christliche Gotteshäuser verübt hätten. Dass sie auf die Provokationen von Pro NRW hereinfallen, spricht allerdings nicht für ihre Intelligenz. Aber dass ausgerechnet Dummheit nicht zu Deutschland gehören würde, hat meines Wissens noch keiner unserer Politiker behauptet — das spricht immerhin in gewisser Weise für sie.
Mich interessiert jedenfalls weder, ob der Islam nach Meinung eines Politikers zu Deutschland gehört, noch seit wann oder ab wann oder warum nicht. Das ist so interessant wie die Frage, wann wir Germanen christianisiert wurden, also nur für historisch interessierte Menschen von Bedeutung. Interessanter wäre da noch die Frage, wie es die PR-Abteilung der römischen Staatskirche seinerzeit eigentlich geschafft hat, das heidnische Sonnenwendfest zu integrieren und mit Weihnachten den größten eigenen Religionszinnober daraus zu zimmern?
Davon könnte man immerhin lernen, auch das Fastenbrechen oder Jom Kipur so zu integrieren, dass keiner mehr die sinnlose Frage danach stellt, wohin das alles eigentlich gehört und wohin nicht. Wir könnten Weihnachten zu einem wandernden Fest machen, dass immer mit dem Fastenbrechen zusammen fällt, sodass die Muslime bald glauben, dass sie selbst traditionell schon immer eigentlich Weihnachten feiern. Das hätte zudem den Vorteil, dass die Christen auf der Südhalbkugel auch mal weiße Weihnachten hätten.
Ich muss Schluss machen, der Vatikan ruft an, ob ich die PR dort übernehmen will. Dabei bin ich Protestant und weiß gar nicht, woher die meine Gedanken kennen … Aktuell Meinung
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hast vollkommen Recht, super Artikel!
Im Ergebnis ist es unerheblich, ob der Muslime zu Deutschland als eine im Abendland gewachsene Chronologie angehört, der Ausländer mit einer muslimischen Konfession hier lebt, der Migrant, der einen muslimisch gelebten Hintergrund hat und nun in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt findet, der Nachbar, der als Konvertit zum Islam übergetreten ist und in hier fest verwurzelt ist, sowie die muslimischen Kinder, die in Deutschland in eine Konfession hineingeboren werden, wie auch die Jugendlichen, die zwar schon in Deutschland geboren worden sind und auf individuelle Art und Weise mit den Chancen und Risiken des Lebens auf der Suche nach einer individuellen Identität ihr Dasein in der hiesigen Gesellschaft finden wollen …
ALLE haben eine überschneidendes einfaches Bedürfnis: respektvoller Umgang mit ihrer Konfession und Anerkennung, dass sie hier in Deutschland Realität sind und diese Konfession auch ein Teil ihrer Identität ist!
Diese Tatsache lässt sich nicht leugnen und darin liegt die Entzauberung jeglicher Wortakrobaten, denn sie leben unter uns und zum größten Teil auch mit uns …
@ Misti
Sie schreiben: “
ALLE haben eine überschneidendes einfaches Bedürfnis: respektvoller Umgang mit ihrer Konfession und Anerkennung, dass sie hier in Deutschland Realität sind und diese Konfession auch ein Teil ihrer Identität ist!
ALLE., das ist so wie Sie es schreiben einfach läachhaft, denn Sie schreiben nur über den respektvollen Umgang mit hier lebenden Muslimen!!!
Was ist mit dem Respekt gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, die z.b. ohne Religion ist? Oder was ist mit den vielen anderen Religionen, die auch in Deutschland vertreten sind? Meinten Sie die auch mit ALLLE?
Pragmatikerin
Gehört der bedeutetende Orientalist Gotthelf Bergsträßer (1886–1933) zu Deutschland? Gehört die umfangreiche, von ihm angelegte Sammlung von Koran-Fragmenten und Tonaufzeichnungen mit Koran-Rezitation, die heute vom Projekt des Corpus Coranicum übernommen worden ist, zu Deutschland? Was ist überhaupt Deutschland? Ist es das staatliche Gebilde BRD, das keine vollständige Souveränität besitzt und dessen Bürger immer noch darauf warten, über eine gesamtdeutsche Verfassung anstelle des als Provisorium gedachten Grundgesetzes abstimmen zu dürfen? Oder sind es all jene Gebiete, in denen mehrheitlich Menschen leben, die sich überwiegend der deutschen Sprache bedienen, also z. B. auch Südtirol? Oder sind dazu auch jene Gebiete zu zählen, in denen vor Ende des Zweiten Weltkriegs mehrheitlich Deutsche lebten, die dann teils vertrieben und teils ermordet wurden, also wie bspw. Schlesien, Pommern, Ostpreußen, das Sudentenland (wenn wir davon ausgehen, daß die BRD kein alleiniges Vertretungsrecht für Deutschland besitzt und die Zwei-Plus-Vier-Verträge nichtig sind)?
Gehören all jene unmoralischen, dummen und verlogenen Berufspolitiker zu Deutschland, die, sich in ihrer Machtausübung auf das System der parlamentarischen (indirekten) Demokratie berufend, dem Land selbst und anderen Menschen in der Welt Schaden zufügen? Es gibt anscheinend auch Deutsche, die diesbezüglich anderer Meinung sind und eine neue Ordnung in einem neuen Deutschland anstreben (www.neudeutschland.org). Warum sollten nicht auch eingebürgerte muslimische und nichtmuslimische Migranten und deren Nachkommen sowie zum Islam konvertierte Deutsche ein Recht darauf haben, nach einem alternativen Deutschland zu streben, in dem die genannten Politiker nicht dazugehören?
@Misti
ALLE haben eine überschneidendes einfaches Bedürfnis: respektvoller Umgang mit ihrer Konfession und Anerkennung, dass sie hier in Deutschland Realität sind und diese Konfession auch ein Teil ihrer Identität ist!
—–
Wieso muss ich eine Religion respektieren? Schon so oft gehört aber niemand kann es erklären, das einzige Argument „es ist für die Leute wichtig (bzw. heilig) und deshlab muss ich man es respektieren“. Totaler Nonsens.
Wenn man dann den Vergleich unternimmt wie zum Beispiel „ich lehne den Konservativismus ab, kenne aber viele, die konservativ sind und ich als Menschen respektiere und schätze, die aber nie verlangen würden, ich müsste Konservatismus respektieren“ kommt dann als Antwort „aber das ist Religion“
So what?
Ich als Agnostiker finde es eine Anmaßung, dass mir Leute verbieten wollen Dinge rational zu beurteilen. Solche Verbote hatten wir als Europa ein paar hundert Jahre siechend a, Boden lag.
Religionen kritisch zu hinterfragen ist Menschheitsrecht.
@Pragmatikerin:
„Was ist mit dem Respekt gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, die z.b. ohne Religion ist?“
Noch sind wir ja nicht soweit, im Moment sind mein ich, 27% Konfessionslos, Tendenz ist aber steigend. Manche, so wie ich, können auch nicht austreten, weil sie dann ihren Job verlieren und so geht es vielen, v.a. im pädagogischem und pflegerischem Bereich.
@Lynx:
Was stört Sie an unserem Grundgesetz?
hallo Zara
Sie schrieben:
„Noch sind wir ja nicht soweit, im Moment sind mein ich, 27% Konfessionslos, Tendenz ist aber steigend. Manche, so wie ich, können auch nicht austreten, weil sie dann ihren Job verlieren und so geht es vielen, v.a. im pädagogischem und pflegerischem Bereich“
Ich weiss, speziell in der kath. Kirche ist das meiste nur Schall und Rauch. Wenn ich nur an die „Priesterkinder“ denke, und wie die „Lösung“ des Problemes behandelt wird, wird mir schlecht.
Meinen (kath.) Glauben habe ich mir tief im Herzen bewahrt, aber mit den Verrtretern der „Firma“ (Katholischen Kirche) habe ich schon vor Jahrzehnnten gebrochen.
Sie leben, wie es immer wieder gefordert wird, Religion ist Privatsache, und wenn ich privat nichts glaube geht das auch niemand etwas an.
Ich wünsche einen schönen Tag
Pragmatikerin