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Der Koran

Ein Nahöstlich-Europäischer Text

Mit seinen jüngsten Äußerungen, der Islam gehöre nicht nach Deutschland, hat Bundespräsident Joachim Gauck gezeigt, wie wenig er über die christlich-islamische oder europäisch-morgenländische Geschichte weiß.

Von Dienstag, 05.06.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.06.2012, 23:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Ein Blick in die Standardliteratur wie Hugh Goddard’s A History of Christian-Muslim Relations beweist anhand historischer Fakten, dass der Islam für die christlich-europäische Gemeinde keineswegs ein Fremdkörper war. Ein kleiner Blick auf die berühmte Ausstellung „1001 Erfindungen“ reicht aus, um sich davon zu vergewissern, dass Mathematik, Geographie, Medizin, Astronomie, Theologie und viele andere Wissenschaften vom 7. bis 17. Jahrhundert von Muslimen bereichert wurden.

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Muslimische Wissenschaftler nahmen ihre Inspiration hauptsächlich vom Koran, der sie dazu motivierte, kontinuierlich nach Wissen zu streben und die Zeichen Gottes im Kosmos zu entdecken. Wie der berühmte Religionshistoriker Wilfred Cantwell Smith feststellte, ignoriert die Geschichtsschreibung bis heute die Tatsache, dass Millionen Christen im ehemaligen Byzantinischen Reich und in Nordafrika aus intellektuellen Gründen zum Islam konvertierten.

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Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, mit welcher Vehemenz einige Persönlichkeiten sich dagegen wehren, Muslime könnten irgendeinen konstruktiven Beitrag zur menschlichen Zivilisation geleistet haben oder dass es eine attraktive Seite am Islam geben könnte, die Millionen in ihren Bann zog. Dass der zivilisatorische Einfluss der Muslime zum Teil auch durch vergangene aggressive Kolonial- und Imperialpolitik des Westens unterbrochen wurde, wird gerne übersehen. Eine etwas faire Geschichtsdarstellung scheint daher angebracht.

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In ihrem Vortrag „Der Koran – ein nahöstlich-europäischer Text“ an der Princeton-Universität stellt die Koranwissenschaftlerin Prof. Dr. Angelika Neuwirth von der Freien Universität Berlin gängige Annahmen auf die Probe.

Sie stellt die These auf, dass der Koran zum gemeinsamen kulturellen Erbe Europas gehört und dass es genau diese Tatsache ist, die sie motiviert, sich mit dem Koran auf intellektueller Ebene ernsthaft und aufrichtig auseinanderzusetzen. Deutschland, das durch viele als das jüdisch-christliche Abendland beschrieben wird, beruft sich in seinen Gründungsdokumenten auf das reiche Erbe der Spätantike: Biblische und post-biblische Themen wie die patristische Literatur finden ihren Anklang in der deutschen Geschichte.

Interessanterweise ist der Koran genau wie die jüdischen und christlichen Schriften in der Epoche des siebten Jahrhunderts und in derselben Region, dem Nahen Osten, verwurzelt. Trotzdem wird er bis heute hartnäckig vom Verständnis des kulturellen Erbe Europas ausgeschlossen. „Das Christentum und Judentum gehören zu Europa, der Islam aber nicht“, heißt es. Das aber widerspricht den historischen Tatsachen.

Der Koran wurde in kein historisches Vakuum geboren. Vielmehr herrschte eine gewisse Kontinuität. So findet die Erwähnung von biblischen Propheten ihren Anklang im Koran ohne nennenswerte Begründung oder Ausführung. Warum? Weil der Koran voraussetzt, dass seine Zuhörerschaft eine Beziehung zur Thora und den Evangelien besitzt. Schließlich versteht sich der Koran nicht als neue, sondern als die letzte, universale und andauernde Mitteilung aus einer Reihe göttlicher Offenbarungen – oder wie es Mustafa Ceric, der islamische Gelehrte aus Bosnien formuliert hat: Das Alte, das Neue und das Letzte Testament stehen in engem Zusammenhang zueinander. Der Koran war also eine wichtige Stimme im Konzert der Religionen des 7. Jahrhunderts.

Gegenwärtig ist aber wenig zu lesen oder zu hören von den reichen und theologischen Diskursen der Spätantike, an denen Juden, Christen und Muslime gemeinsam teilnahmen. Teilweise polemisch, manchmal sogar konfliktreich, doch offen und ehrlich und mit der Einsicht, dass man sich miteinander auseinandersetzen muss und ohne Scheu, voneinander herausgefordert zu werden und zu lernen. Man denke an Theologen wie Johannes von Damaskus, Theodore Abu Qurra, Hunayn ibn Ishaq, Thomas Aquinas, Nikolaus Cusanus, um nur einige in Erinnerung zu rufen, die den Koran studierten und ihre eigenen theologischen und philosophischen Traktate damit bereicherten.

Warum sollte der Koran also weniger von Bedeutung sein als das Alte und das Neue Testament oder „säkulare“ Texte? Wieso sollte der Koran im öffentlichen Diskurs über Moral, Ethik, Umwelt, Politik, Wirtschaft etc. nicht auch einmal von Nahem beäugt und ernst genommen werden? Es ist Zeit für ein Umdenken auf allen Ebenen.

Im Falle der „Bunten Republik Deutschlands“, sollte das reiche geistige Erbe des Nahen Ostens thematisiert und der Koran als „nahöstlich-europäisches Element“ wiederbelebt werden. Berührungspunkte, und davon gibt es viele, aber auch konfliktreiche Themen der Vergangenheit sollten kritisch unter die Lupe genommen werden.

Besonders Lehrer mit multikulturellen Klassen müssen hier einen Schwerpunkt setzen. Es ist in unserer pluralistischen Gesellschaft nicht länger tragbar, dass diese gemeinsame Geschichte im Unterricht ausgeblendet wird. Dabei liefert gerade die gemeinsame Geschichte, Potenzial für ein gemeinsames Ethos, für ein neues WIR. Aktuell Meinung

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  1. Migrantin sagt:

    @Zara
    Manchmal erinnert mich die Art, wie Sie ihren Agnostizismus betreiben, an den aggressiven und intoleranten Ton derjenigen religiösen Ereiferer, die Sie kritisieren. Ruhig Blut, die Mehrheit religiöser Menschen respektiert Sie. Tun Sie es ihnen gleich. Das sage ich Ihnen als Agnostikerin. So erreichen Sie gar nichts, außer, dass Sie eine neue Front aufmachen. Wenn Sie das tun, was genau ist dann die zivilisatorische Erkenntnis, die Sie den anderen voraus haben?

  2. Al-Dschabir sagt:

    Hier eine Videoempfehlung über die Wissenschaftsbereicherung der Muslime, ohne die die Renaissance nicht stattgefunden hätte.

    BBC 4 Doku- „The language of Science“
    https://www.youtube.com/watch?v=TPlaS_wGzx8

  3. Al-Dschabir sagt:

    Weitere Empfehlungen für Neugierige:

    Artikel: http://www.fontaene.de/Issue/detail/was-die-moderne-zivilisation-dem-islam-schuldet
    ———–
    Video: 1001 Inventions Video- Ben Kingsley
    http://waymo.de/play/chrS8VK/
    ———-
    Artikel: IZ-Muslimische Zivilisationen brachten auch Wissensgesellschaften hervor
    http://www.islamische-zeitung.de/index.cgi?id=14674

  4. Al Bundy sagt:

    Al-Dschabir, ich habe mir ein par Artikel bei „Die Fontäne“ durchgelesen. Dort wird ausschließlich der Islam lobgehudelt., als hätte der Islam das Dezimalsystem erfunden und nicht die Inder.
    In einem Artikel über „Pilze“ wurde behauptet das Pilze sehr reich an Proteinen sind. Dabei haben Pilze kaum mehr Proteine als eine Gurke.Also Aussagen von völlig unqualifizierten Personen denen Sie Glauben schenken.
    Märchen aus 1001 Nacht sind da glaubwürdiger als die Artikel bei „Die Fontäne“
    Warum sind Muslime heutzutage so zurückgeblieben wenn sie angeblich alles erfunden haben?

  5. Al-Dschabir sagt:

    @ Al-Bundy

    „In einem Artikel über “Pilze” wurde behauptet das Pilze sehr reich an Proteinen sind. Dabei haben Pilze kaum mehr Proteine als eine Gurke.“

    Hier mal eine Protein-Tabelle:
    http://www.proteintabelle.de/proteine-eiweiss-zuchtpilze-wildpilze-pilze.html

    Steinpilze (100gr.) > 27 gr. Eiweiß
    Pilze getr. (100gr.) > 38 gr. Eiweiß
    Champignos “ > 38 gr. Eiweiß

    Wer ist jetzt die Gruke aus 1001 Nacht?

  6. Al Bundy sagt:

    Al-Dschabir,Sie müssen getrocknete Pilze auch mit getrockneten Gurken vergleichen. Oder besser umgekehrt, frische Pilze mit frischen Gurken.
    Erst denken dann schreiben.

  7. andres sagt:

    @al bundy @al-Dschabir

    Was bezwecken Bücher wie die „Fontäne“?
    Da wird so getan, als wenn Europäer keinen Respekt vor anderen Kulturen und deren Leistungen hätten.
    Es ist in der europäischen Geschichtsdarstellung durchaus üblich daß die islamische Kultur der europischen bis ungefähr zur Renaissance als überlegen dargestellt wird, da gibt es keine Verunglimpfung des Islams.
    Hier wird von gewissen Moslems wieder eine sogenannte Diskriminierungstheorie aufgestellt, die so nicht existiert.
    Das bedeutet allerdings nicht, daß es in der islamischen Hochblüte überragende Erfindungen gegeben hätte…..Fakt ist, daß der Islam mit seinen Eroberungen einen intakten Wirtschaftsraum übernommen hat und den ausgenommen von der Religion weitgehend unverändert belassen hat.
    Das europäische Mittelalter, welches einen weitgehenden Bruch mit der antiken europäischen Geschichte beinhaltet, ist meiner Meinung nach so zu erklären, daß sich nach dem machtverlust des Röm. Reiches der politische und später auch wirtschaftliche Mittelpunkt des Kontinents vom Mittelmeerraum ind die nördlichen Regionen verschoben hat, was eben zu einer völligen Neuformung des europäischen Wirtschaftsraum geführt hat, vorallem wenn man bedenkt, das die Gebiete nördlich der Alpen, im Fachjargon, damals weitgehen unzivilisiert waren.

  8. Vielfalt sagt:

    Danke für diesen Beitrag.
    Das Religionen gesellschaftsspaltend sind, würde ich nicht so pauschal sagen @europa

    Es hängt immer von den einzelnen Menschen und deren „Ideologien“ ab. Es gibt überall Nationalisten, Rassisten und Extremisten. In Südost-Asien gibt es Menschen verschiedenster Religionen die friedlich zusammenleben.
    Klar gibt es auch Spalter, doch sind es nicht die Religionen, sondern die Menschen. Genauso gibt es Spalter in Europa / in Deutschland die eurozentristisch / nationalistisch in einer „globalisierten Welt“ latenten Rassismus in Worten und Taten betreiben. Leider auch gezielten politischen Rassismus. Sich mit dem uns „fremden“ (was auch immer es sein mag) ausseinander zu setzen und „das Fremde“ kennenzulernen (zu erleben) heißt sich damit identifizieren zu können. Was „ich annehme“ (annehmen kann / lerne), stoße ich nicht ab (exkludiere), sondern, nehme es an (akzeptanz). Erst dann können wir darauf hoffen das wir uns als Menschen trotz der unterschiedlichen Ansichten respektieren!
    In diesem Sinne, für eine wirkliche Inklusion und für mehr Vielfalt wünsche ich mir von allen, das sie sich mit dem ausseinandersetzen was oft medienpolitisch angeprangert wird. Demnächst wird es nicht der Islam (der Orient / die arabische Welt / die Muslime insgesamt) sein, sondern China (Asien).
    Empfehlenswerte Beiträge von: Dr. Sabine Schiffer
    vom Institut für Medienverantwortung Erlangen.

    Alles Gute und Frieden wünsche ich allen Menschen.

  9. posteo sagt:

    Bei dem Artikel fällt zunächst auf, wie großzügig die Autorin mit historischen Daten umgeht. Z. B. hier:„Ein kleiner Blick auf die berühmte Ausstellung „1001 Erfindungen“ reicht aus, um sich davon zu vergewissern, dass Mathematik…und viele andere Wissenschaften vom 7. bis 17. Jahrhundert von Muslimen bereichert wurden.
    Dazu ist zu sagen, dass die islamische Hochblüte gerade mal bis zum Ende des 14. Jahrhunderts anhielt.
    Ebenso schreibt sie von „ theologischen Diskursen der Spätantike, an denen Juden, Christen und Muslime gemeinsam teilnahmen.“
    Mit Verlaub, die Spätantike ging mit Kaiser Herakleios (610–641) zu Ende. Allzu viel Gelegenheit zum theologischen Diskurs dürften Christen und Muslime, insbesondere in Europa bis dahin kaum gehabt haben.
    Dazu gehört auch, welche Bezüge die Autorin zwischen Islam und Europa und dann speziell zu Deutschland herstellt.
    So gibt die Autorin unter anderem „der vergangenen aggressive Kolonial- und Imperialpolitik des Westens“ am Niedergang der islamischen Blütezeit die Schuld.
    Bagdad wurde bereits im 13. Jahrhundert durch die Mongolen zerstört. Im gleichen Zeitraum war mit den Osmanen ein zweites islamisches Großreich in Kleinasien entstanden, das ebenso aggressiv nach Europa, wie nach Vorderasien strebte und auf Wissenschaft und Gelehrsamkeit nicht allzu viel gab.
    El Andalus war zu diesem Zeitpunkt bereits in mehrere Kalifate zerfallen, die sich gegenseitig bezankten.
    Als im 19. Jahrhundert die Engländer und Franzosen ihre Kolonien errichteten, waren die islamischen Länder bereits weit abgeschlagen.

    Unverständlich bleibt für mich auch die Begründung für die Zugehörigkeit des Islam zu Europa aus seinem Ursprung im vorderen Orient. Das Christentum gelangte nach Europa, indem es vom römisch-griechischen Weltreich (nach anfänglicher heftiger Unterdrückung) zur Staatreligion erhoben wurde. Das Judentum gelangte nach der Zerschlagung des jüdischen Königreichs mit den Exilanten hierher. Der Islam wurde durch militärische Eroberungen nach Europa gebracht und daher vielerorts auch eher als Bedrohung denn als Bereicherung angesehen.
    Aber was hat das ganze mit Deutschland zu tun? Ich sage, nicht allzu viel. In Deutschland findet sich die ganze Welt wieder. Der Islam ist für Deutschland sicher nicht so charakteristisch wie Kartoffeln und (das übrigens aus China stammende) Sauerkraut.

    „Wieso sollte der Koran im öffentlichen Diskurs über Moral, Ethik, Umwelt, Politik, Wirtschaft etc. nicht auch einmal von Nahem beäugt und ernst genommen werden?“
    Gerne, ich bitte die Autorin um konkrete Beispiele.
    „Besonders Lehrer mit multikulturellen Klassen müssen hier einen Schwerpunkt setzen… Dabei liefert gerade die gemeinsame Geschichte, Potenzial für ein gemeinsames Ethos, für ein neues WIR.“
    Ebenfalls gerne, aber bitte auch an die vielen nicht jüdisch-christlich-muslimischen Schüler zu denken.

  10. Donkey Kong sagt:

    Posteo, die islamische Welt wurde leider durch uns versklavt und ausgebeutet. Man denke nur an Nordafrika oder auch die „Versklavung“ der fleißigen Gastarbeiter aus der Türkei. Ohne diese Ausbeutungen wären wir immer noch ein Bauernstaat. Soviel Respekt muss schon sein. Und natürlich stammt fast das meiste Wissen aus dem Islam: Optik, Mathematik, Physik, Bodenkunde, Medizin. Lesen Sie mal nach!