Studie
Zuwanderer aus Drittstaaten sind integrationswillig
Zuwanderer aus Drittstaaten bewerten Integrationskurse und Sprachtests überwiegend positiv. Größtes Hindernis für Einbürgerung in Deutschland ist die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie.
Montag, 02.07.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
In Deutschland gelingt es im europäischen Vergleich überdurchschnittlich gut, Zuwanderer aus Drittstaaten ihrer Qualifikation entsprechend zu beschäftigen. 85 Prozent der befragten Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland gaben an, ihre Tätigkeit entspreche ihrer Qualifikation bzw. ihren Fertigkeiten. In den anderen sechs EU-Ländern passte die Qualifikation nur bei zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten zur ausgeübten Tätigkeit.
Das ist ein Ergebnis des Immigrant Citizens Survey (ICS), einer vergleichenden Studie zur Integrationserfahrung von Zuwanderern aus Drittstaaten in sieben EU-Ländern, die vergangene Woche (27.6.12) in Berlin vorgestellt worden ist. Für die ICS-Studie sind insgesamt 7.473 Zuwanderer in Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Portugal, Spanien und Ungarn befragt worden, davon 1.220 in Deutschland.
Arbeitslosigkeit & Diskriminierung
Dem überdurchschnittlich guten Abschneiden bei der Passgenauigkeit von Arbeitsplatz und Qualifikation bei Zuwanderern aus Drittstaaten steht allerdings eine hohe Arbeitslosigkeit unter Zuwanderern gegenüber. Dies weist auf eine Spaltung des Arbeitsmarktes hin: Wer mit seinem anerkannten Abschluss Arbeit gefunden hat, ist häufig auch entsprechend der Qualifikation beschäftigt. Wer über keinen anerkannten Abschluss verfügt, hat wenig Chancen.
Zudem geben die Befragten Probleme mit Diskriminierung an, als weiteres Problem nennen sie kurzzeitig befristete Arbeitsverträge. „Hier besteht nach wie vor politischer Handlungsbedarf“, stellte Gunilla Fincke, Direktorin des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) fest. „Der Familienname darf nicht darüber entscheiden, ob jemand zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird oder nicht.“ Außerdem empfiehlt Fincke: „Es gibt trotz Anerkennungsgesetz nach wie vor eine Lücke bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, die in die Länderhoheit fallen, wie z.B. Lehrer und Erzieher. Es ist überfällig, dass die Länder diese Lücke schließen.“
Zuwanderer Integrationswillig
Ein weiteres überraschendes Ergebnis ist die positive Bewertung von Integrationskursen und Deutschtests. Insbesondere Letztere werden in der Öffentlichkeit häufig als zu hohe Hürde für Zuwanderung kritisiert, weil sie Voraussetzung für den Ehegattennachzug sind. Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten bewerten verpflichtende Integrationsmaßnahmen wie Integrationskurse positiv. 95,8 Prozent der Befragten beantworteten die Frage, wie hilfreich sie verpflichtende Integrationskurse für eine gelingende Integration finden, zustimmend: Knapp zwei Drittel finden sie sehr hilfreich, ein weiteres Drittel etwas hilfreich. Dabei fällt die Einschätzung von Kursteilnehmern noch positiver aus als von Befragten, die selbst keinen Kurs absolviert haben.
Auch Sprachtests für nachziehende Familienangehörige stoßen auf ein hohes Maß an Zustimmung: 96,7 Prozent finden, dass sie neu zuwandernden Familienmitgliedern helfen, sich von Anfang an in Deutschland besser zurechtzufinden (69,8 % helfen „sehr“; 26,9 % helfen „etwas“). Befragte türkischer Herkunft unterscheiden sich in dieser Einschätzung nicht von den nicht-türkischen Befragten. „Entgegen anderslautender Zuschreibungen sind Zuwanderer in hohem Maß bereit, ihren Beitrag zu Integration zu erbringen. Die hohe Zustimmung zu Integrationskursen und Sprachtests bestätigt dies. Umso wichtiger ist es, dass Zuwanderer auch faire Chancen zu gesellschaftlicher Teilhabe erhalten“, sagte Dr. Gunilla Fincke, Direktorin des Forschungsbereichs beim SVR. Verbesserungsbedarf sieht der SVR-Forschungsbereich bei Angeboten für Personen mit niedrigem Bildungsniveau. Sie hatten die geringste Zufriedenheit mit den Integrationskursen geäußert. Fincke empfiehlt daher, speziell auf diese Gruppe zugeschnittene Kursangebote weiter zu entwickeln und sicherzustellen, dass Kursteilnehmer möglichst über ähnliche Lernvoraussetzungen verfügen.
Einbürgerungshürde: Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit
Als größtes Hindernis für eine Einbürgerung wird die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit genannt, insbesondere von türkischen Staatsangehörigen, bei denen 70°% dies als Problem nennen. Zudem erkennen knapp die Hälfte der Befragten – im Vergleich zu ihrem aktuellen Aufenthaltstitel – keinen Gewinn durch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Von den Befragten ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist nur jeder fünfte Befragte in Stuttgart (22,6°%) und jeder vierte Befragte in Berlin (24,4°%) an einer Einbürgerung interessiert, und das obwohl in beiden Städten Einbürgerungskampagnen laufen. Dieses Desinteresse ist laut SVR eine Herausforderung für die deutsche Einbürgerungspolitik. Die Staatsangehörigkeit sei die Eintrittskarte zu einer auch politisch gleichberechtigten Teilhabe.
Download: Die ICS-Studie ist auf Englisch und in deutscher Übersetzung erschienen und kann unter www.immigrantsurvey.org heruntergeladen werden: „Immigrant Citizens Survey. How Immigrants experience integration in 15 European cities” und “Immigrant Citizens Survey. Wie Zuwanderer Integration erleben. Eine Erhebung in 15 europäischen Städten.“ Die ergänzende deutsche Publikation „Deutsche Integrationsmaßnahmen aus der Sicht von Nicht-EU-Bürgern. Ergebnisse des Immigrant Citizens Survey für Deutschland“ steht ebenfalls zum Download bereit.
Außerdem sollten in einer Demokratie, insbesondere in pluralen Gesellschaften, Wohn- und Wahlbevölkerung möglichst übereinstimmen. Fincke verwies darauf, dass fünf der sieben untersuchten EU-Staaten Doppelstaatigkeit akzeptieren, in Spanien als sechstem Land gilt dies mit Einschränkungen. De facto findet in Deutschland schon jetzt die Hälfte der Einbürgerungen unter Hinnahme von Doppelstaatigkeit statt. Zwar wird in Deutschland die doppelte Staatsangehörigkeit bei Nicht-EU-Bürgern nur im Ausnahmefall akzeptiert. EU-Bürger haben hingegen einen Anspruch, bei einer Einbürgerung ihre bisherige Staatsangehörigkeit zu behalten. „Die Ausnahme ist längst zum Regelfall geworden. Dies führt zu einer fragwürdigen Ungleichbehandlung“, sagte Fincke. „Wir setzen uns für ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht ein, das die Lebensrealität der Menschen berücksichtigt.“ Außerdem müsse aktiv für die Einbürgerung geworben werden.
Abgeordnete mit Migrationshintergrund erwünscht
Die Staatsangehörigkeit sei zudem eine entscheidende Voraussetzung für politische Partizipation und insbesondere für das Wahlrecht auf allen Ebenen des föderalen Systems. Dabei zeigt sich ein großer Wunsch nach mehr Sichtbarkeit von Zuwanderern im Parlament. Etwas mehr als ein Drittel (67,9°%) der Befragten meinten, dass Deutschland mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Bundestag brauche. Dennoch würde nur ein knappes Drittel (32,0°%) Abgeordnete mit Migrationshintergrund auch unbedingt wählen. Dies zeigt, dass der Migrationshintergrund eines Kandidaten allein nicht ausreicht, um gewählt zu werden. Vielmehr kommt es auch auf seine politische Ausrichtung an. Der Forschungsbereich empfiehlt politischen Parteien, gezielt Nachwuchsförderung für Kandidaten mit Migrationshintergrund zu betreiben, damit Zuwanderer stärker im politischen Leben vertreten sind.
Auch in den anderen sechs EU-Staaten wünschen sich 70-80 Prozent der Zuwanderer mehr Politiker mit einem Migrationshintergrund. Dr. Jan Niessen, Direktor der Migration Policy Group erläutert: „Generell zeigen Einwanderer in den meisten Ländern unserer internationalen Umfrage eine hohe Wahlbereitschaft, teilweise sogar eine höhere als die entsprechende Mehrheitsbevölkerung. Bisher treten allerdings nur sehr wenige Zuwanderer in politische Parteien oder Gewerkschaften ein. Parteien in Europa sollten daher mehr tun, um Einwanderer einzubeziehen und zu mobilisieren.“ (hs) Gesellschaft Leitartikel Studien
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Tja, das sind Sachen, die wir alle schon wussten bzw. wissen. Leider wird dies nichts bei den Entscheidungsträgern ändern… Dazu sind sie halt zu unflexibel.
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