Bundesverfassungsgericht
Bisherige existenzsichernde Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz sind verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht urteilte: Die Höhe der Leistungen für AsylbewerberInnen sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Hendrik Lammers begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und hält sie für längst überfällig.
Von Hendrik Lammers Donnerstag, 19.07.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.06.2016, 18:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Am Mittwoch (18. Juli) fiel das längst überfällige Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe: Die Regelungen hinsichtlich der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) verstoßen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG).
Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts äußerte sich wie folgt: „Die Höhe der Geldleistungen [ist] weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich“. „Unverzüglich“ müsse der Gesetzgeber tätig werden.
Bis zur Neuregelung durch die Bundesregierung traf das höchste deutsche Gericht eine Entscheidung für den Übergang und für die vergangenen Monate dieses Jahres. Ab 1. Januar 2011 müssen die Sozialämter rückwirkend für nicht bestandskräftig festgelegte Leistungen im Anwendungsbereich des AsylbLG nach den Grundlagen des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches neu berechnen. Bis die Bundesregierung ihrer Pflicht nachkommt, eine Neuregelung zu treffen, werden die Sätze entsprechend angehoben.
Seit 1993 waren die Regelsätze des AsylbLG nicht verändert worden – trotz Preissteigerungen in Höhe von mehr als 30 % und einem in den ursprünglichen Regelungen festgehaltenen Anpassungsmechanismus. Die Leistungshöhe sei „evident unzureichend“, urteilten die Richter.
Ein permanenter Verfassungsbruch über zwei Jahrzehnte ist beschämend für ein Land, welches sich dem Gebot der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Sozialstaatlichkeit verpflichtet sieht. Aber um einen wertschätzenden Umgang mit Asylsuchenden ging es dem deutschen Staat nicht. Ihm geht es um Anreizminderung. Die „gruppenbezogene Differenzierung“ – so benennt die Bundesregierung diese Diskriminierung – hielt man viele Jahre nicht nur für tragbar, sondern für notwendig. Schließlich ging es darum, Pull-Effekten vorzubeugen. Im Klartext: Ein Flüchtling soll Menschen im Herkunftsland eher von den Schwierigkeiten in der BRD berichten, denn von Vorzügen eines Wohlfahrtsstaates. Restriktionen, Druck, Schikane sind die als notwendig erachteten Mittel des Staates um den Wohlstand des Landes zu erhalten und sich vor Schutzsuchenden zu schützen. Da gehört das AsylbLG in die Logik eines institutionell diskriminierenden Systems der Herabsetzung von Flüchtlingen. Soziale Ausgrenzung, Desintegration, psychische Krankheiten sind die Folgen.
Auch wenn die Entscheidung nur einen Bereich der staatlich verordneten Herabsetzung von Flüchtlingen berührt, ist sie dennoch als bahnbrechend zu bezeichnen. Sie betrifft einen bedeutenden Bereich der Schlechterstellung von Flüchtlingen. Schließlich geht es hier nicht lediglich um Geld. Es geht um Partizipation. Es geht darum, dass soziokulturelle Leben nicht nur von außen betrachten zu können. Das Bundesverfassungsgericht sieht dies ähnlich: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums umfasst sowohl die physische Existenz als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.“
Nicht zu vergessen ist, dass es dem Staat einerseits darum geht, die Kosten an Sozialleistungen so gering wie möglich zu halten. Andererseits wird aber Menschen, die ebenjene Leistungen beanspruchen (müssen) oftmals der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Ein de facto Arbeitsverbot für Menschen mit Duldung (Status der vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung) und Aufenthaltsgestattung (Status zur Durchführung des Asylverfahrens) führt zum unfreiwilligen Leistungsbezug. Die Aufhebung dieser widersprüchlichen Logik durch eine realitätsnahe und menschenwürdige Arbeitsmarktintegrationspolitik sollte der nächste Schritt sein. Aktuell Meinung
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