MiG.Oranje
Wiederholungstäter Geert Wilders
Im neuen PVV-Wahlprogramm „Ihr Brüssel, unsere Niederlande“ präsentiert Geert Wilders ein Best of seiner altbekannten anti-muslimischen Tiraden. Keine Frage: Auch anderthalb Jahre als „Tolerierungspartner“ des Minderheitskabinetts Rutte haben den Politiker aus Venlo nicht gezähmt. Aber ist das wirklich schlimm?
Von André Krause Freitag, 20.07.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 24.07.2012, 7:04 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Im Kapitel „Unsere Immigrationspolitik“ probiert die PVV den Wähler mit 26 Thesen bzw. Forderungen zu überzeugen. Insgesamt betrachtet weicht die im Jahre 2006 gegründete Einmannpartei kaum vom alten Wahlprogramm „Die Agenda der Hoffnung und des Optimismus“ (2010) ab. Das sind fraglos die unvermeidlichen Nebenwirkungen einer in Deutschland unmöglichen Organisationsstruktur, die keine Mitglieder und somit keine interne Demokratie mit Parteitagen oder Programmkommissionen kennt. Letztendlich schreibt Wilders für Wilders.
Bereits der kurze Einleitungstext auf Seite 34 lässt das Herz des gemeinen Rechtspopulisten höher schlagen. Ein Auszug: „Das niederländische Volk bezahlt einen grauenhaften Preis für den Mangel an Patriotismus einer Generation von politisch-korrekten Politikern. Gerade als sie für unser Volk hätten eintreten müssen, erlagen sie einem platten Weg-mit-uns-Idealismus. Die Schleusen öffneten sich für hunderttausende Moslems, hierher gelockt mit Jobs, Sozialleistungen, Wohnungen und Bildung. Die Folgen sind katastrophal. Inzwischen begreift das jeder.“
Man beachte: „Jeder“. Anderthalb Jahre „Tolerierungspartnerschaft“ haben dazu geführt, dass die PVV noch stärker als zuvor die gesamte niederländische Bevölkerung für sich vereinnahmt. Kolumnisten, die plattem „Islamkritiker-Bashing“ erliegen, könnten nun von rechtspopulistischem Größenwahn schreiben.
Die Einleitung zum Kapitel „Unsere Einwanderungspolitik“ bietet zudem zahlreiche erprobte Wilders-Oneliner, zum Beispiel auf Seite 35: „Remigration ist eine schöne Sache.“ Oben genannte Schreiberlinge, die es mit der PVV nicht so gut meinen und zur Polemik neigen, dürften sich nun fragen, ob sie eine niederländische Ausgabe der Titanic in den Händen halten.
Der Forderungskatalog, welcher 22 Oneliner, 2 Zweizeiler und 2 Dreizeiler umfasst, entlarvt Wilders auch in den Augen objektiver Zeitgenossen als Wiederholungstäter.
Unter der Überschrift „Immigration“ finden sich unter anderem die folgenden Punkte: „Das Allerwichtigste: raus aus der EU = Immigration wieder in niederländischer Hand“; „Immigrationsstopp für Menschen aus muslimischen Ländern“; „Für Ausländer gilt: Arbeiten oder Abhauen“; „Assimilationsverträge. Nicht unterzeichnen oder einhalten = raus aus dem Land“. Zu guter Letzt: „Nicht mehr als tausend Asylbewerber im Jahr“. Tausend! Auch bösartige Kolumnisten müssen nun anerkennen: Es ist völlig unangebracht, der PVV vorzuwerfen, sie wolle die Grenzen schließen, sich hinter den Deichen verschanzen und das Ausland abschaffen. Tausend Neuseeländer oder Nachfahren der südafrikanischen Boeren wären im Polderland auch unter einem Ministerpräsidenten Wilders herzlich willkommen! In den Niederlanden gab es schon Rechtspopulisten, die zeitweise exakt 0 Asylbewerber zulassen wollten („Die Niederlande sind voll“, Pim Fortuyn).
Unter der Überschrift „Integration“ wird die aufgetischte Kost auch für den wohlwollenden Leser ziemlich fade. Wer alte programmatische Schriften kennt, erlebt nämlich mehrere Déjà-vus. Eine Liste zum Abhaken: „Der Islam ist keine Religion, sondern eine totalitäre Ideologie“ – An prominenter Stelle vertreten! „Keine einzige Moschee mehr dazu“ – Aber sicher! „Keine Moscheen in geschlossenen Ortschaften“ – Das ist neu.
Nun stellt sich erst recht der kritische Kolumnist allerdings die Frage: Was möchte uns der Autor damit sagen? Da keine Moscheen mehr gebaut werden sollen, liegt es auf der Hand, dass dies weder auf dem Land, noch in geschlossenen Ortschaften geschieht. Nix ist nix und bleibt nix. Es ist aber nicht davon auszugehen – so viel Fairplay kann man auch von „Islamkritiker-Bashern“ erwarten -, dass Geert Wilders sein Wahlprogramm, Jahrgang 2012, mit irgendwelchem sprachlichen Firlefanz beschmutzt. Deshalb könnte „Keine Moscheen in geschlossenen Ortschaften“ bedeuten: Reißt alle Moscheen, die nicht Offshore oder im Nirwana stehen, ab. Da auch in den Niederlanden der Arbeitsmarkt kränkelt, verbirgt sich hinter dieser Forderung mutmaßlich ein rechtspopulistisches Konjunkturprogramm für die Baubranche. Vielleicht sind die Minarette wiederverwertbar. Feyenoord Rotterdam (Lieblingsverein von Pim Fortuyn!) plant ein neues Stadion…
Apropos „Minarette“: Ein Minarett-Verbot hat die PVV selbstverständlich erneut auf der Menükarte. Zudem sollen weiterhin alle muslimischen Schulen geschlossen, der Koran verboten und das Tragen von Kopftüchern besteuert werden. Der fraglos poetische Ausdruck „Kopflumpensteuer“ (kopvoddentaks) fällt beim letztgenannten Punkt übrigens nicht. Anderthalb Jahre „Tolerierungspartnerschaft“ haben offenbar doch ein paar Spuren hinterlassen. „Islamkritiker-Basher“ könnten nun unken, Wilders rücke sprachlich der ansonsten verteufelten politisch-korrekten Elite auf den Pelz.
Zwei Aspekte, darunter ein Dreizeiler, seien an dieser Stelle noch angeführt. Es ist annehmbar, dass sich die Autoren dabei besonders viel Mühe gegeben haben.
Erstens: „Überhaupt kein Kopftuch bei den Generalstaaten (Erste und Zweite Kammer, vergleichbar mit dem Bundesrat und dem Bundestag, Anm. AK) als Herz unserer Demokratie; nicht beim Kabinett und seinen Beamten, nicht bei Parlamentsmitgliedern, nicht bei Mitarbeitern und nicht bei Besuchern, bei niemanden“. Es ist lobenswert, dass Geert Wilders hier die Reinigungskräfte im Parlament nicht noch einmal explizit aufgezählt hat. Dies hätte gängige Vorurteile unter autochthonen Niederländern – im PVV-Kosmos „Henk und Ingrid“ – im Hinblick auf die berufliche Karriere von allochthonen Untertanen der Oranjes bloß bestätigt. Ein weiteres Indiz für die wachsende Political Correctness im (ehemaligen?) Anti-Establishment-Lager? Der Wilders-Kritikaster dürfte sich die Hände reiben.
Zweitens: „Nur Sozialleistungen für denjenigen, der gut Niederländisch spricht, keine Burka trägt“. Der erste Teil dieses Oneliners dürfte nicht nur die polemischen Kolumnisten durchaus verwirren. Die aufmerksamen Leser könnten Wilders, geboren im limburgischen Venlo, sogar als üblen Heimatverräter brandmarken, der geteert und gefedert nach Mekka gefahren werden sollte: Man kann von Limburgern nämlich viel (Positives) behaupten, aber in den Augen des durchschnittlichen Holländers sprechen „die da im Osten“ ganz sicher nicht „gut Niederländisch“, Stichwort „zachte G“ (weiches G). Aber das führt an dieser Stelle eindeutig zu weit und in die „bashige“ Irre…
Da die PVV in ihrem neuen Wahlprogramm aus nachvollziehbaren Gründen (Zeitgeist!) in erster Linie „Europa“ bzw. die EU aufs Korn nimmt, lautet die Kernforderung auf Seite 37 (Zweizeiler!): „Frau Malmström, mische dich fortan nicht in unsere Immigrationspolitik ein. Wir entscheiden selbst, wen wir hinein lassen und wen nicht.“ Klar, der EU-Austritt wird an mehreren Stellen gefordert. Dann kann die EU-Kommissarin aus Schweden so viel gackern wie sie möchte…
Im Ernst: Was soll man nun von den immigrations- und integrationspolitischen Aussagen in „Ihr Brüssel, unsere Niederlande“ halten? Klar, Wiederholungstäter Wilders serviert alte Klassiker. Ein Best of des rechtspopulistischen Jahrzehnts zwischen Maastricht und Den Helder. Die Aufregung hält sich in Grenzen. Man könnte sagen, dass sogar die eingefleischtesten PVV-Gegner mit den Schultern zucken: Na, und?
Na und! DAS ist vielleicht die beste Reaktion. Selbstverständlich riecht die Anti-Islam-Hetze weiterhin übel. Jeder aufgeklärte Demokrat (jaja, große Worte!) öffnet rasch ein Fenster, um frische Luft zu atmen. Die Gefahr, dass Wilders‘ Tiraden manchem besonders schwachen Geist die Sinne komplett vernebeln, bleibt bestehen. Wer den Limburger ernst bzw. wörtlich nimmt, wird gewiss nicht mehr zum Islam konvertieren… Zudem erschwert auch das „neue“ PVV-Wahlprogramm eine seriöse, respektvolle Kritik an der einen oder anderen Schattenseite „des“ Islams. Gerade konservative niederländische Kolumnisten wie Bart Jan Spruyt – kurzzeitig PVV-Ideologe – zerlegen Wilders aus diesem Grunde in jedem Beitrag zu diesem Thema in 1.000 Einzelteile.
Aber eine Sache stimmt ohne jeden Zweifel optimistisch: Die Hetze und das Kabarett, welches nicht nur die üblichen „Islamkritiker-Basher“ in „Ihr Brüssel, unsere Niederlande“ entdecken, schließen eine weitere „Tolerierungspartnerschaft“ oder gar eine echte Regierungsbeteiligung der Einmannpartei bereits im Vorfeld aus. Schließlich haben nicht zuletzt mangelnde Seriosität und fehlendes Verantwortungsbewusstsein der Rechtspopulisten im April zum vorzeitigen Sturz des Minderheitskabinetts Rutte geführt. Diesbezüglich dürfte sich Geert Wilders also nicht als Wiederholungstäter entpuppen. Zu allem Überfluss haben in den letzten Tagen gleich drei Abgeordnete die PVV-Fraktion frustriert, zum Teil unter (Krokodils-)Tränen, verlassen. Wilders hat seinen Laden definitiv nicht (mehr) im Griff. Den Titel „Mr Zuverlässig“ kann er sich abschminken…
Daher dürfte das neue PVV-Motto ab September 2012 lauten: „Ihre Regierung, unsere Opposition“. Aktuell Meinung
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