Brückenbauer
Ringen um die Vorhaut
Nichts kann heutzutage noch bunter sein als die Debatte um die Beschneidung von Jungen. Ärzte, Rabbis, Imame, Geisteswissenschaftler, Juristen, der Nachbar von nebenan. Alle wollen es wissen: Ist die Beschneidung ein Akt gegen das Wohl des Kindes?
Von Arzu Değirmenci Mittwoch, 01.08.2012, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 03.08.2012, 0:11 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Für viele gilt: Das Verbot der Beschneidung verletzt das Recht der Religionsausübung! Beziehen tut man sich dabei auf das Grundgesetz Artikel 4 Absatz 2, wo nämlich in Schriftgröße 10 steht, dass die ungestörte Religionsausübung durch das Grundgesetz gewährleistet wird.
Das Merkmal „beschnitten“ oder „nicht beschnitten“ ist nur ein Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Aber auch ohne Vorhaut kann man sich entscheiden, ob man fastet oder nicht, ob man den Talmud liest oder nicht oder ob man zur Synagoge oder in die Moschee geht oder nicht. Die Entscheidung wird einem nicht durch das Abschneiden der Vorhaut vorgegeben, sondern liegt bei einem selbst.
Fakt ist, dass die beiden hier angesprochenen Religionen, Judentum und Islam, über Jahrhunderte hinweg den religiösen Brauch „Beschneidung“ fortsetzen konnten und im 21. Jahrhundert ein Kölner Landgericht die Tradition als „Körperverletzung“ ansieht. Irreversibel sei der Eingriff, so die Argumentation des Gerichtes.
Aber es gibt noch extremere Eingriffe, wie ich das in der koptischen Sankt-Markus-Kathedrale in der ägyptischen Stadt Alexandria erlebt habe. Nach meinem Rundgang in der Kathedrale war ich geschockt. Denn kleine 1-jährige Kinder hatten ein tätowiertes Kreuz auf den Arm oder Finger. Durch mein europäisches Gehirn flossen sofort die Bilder der Schmerzprozedur der Eintätowierung und das Geschrei der Kinder. Und hier stellte ich mir die Frage, wer hat diesen Eingriff vorgenommen?
Zurück zu unserer Beschneidungsfrage. Was spricht gegen die Beschneidung, wenn die Rahmenbedingungen wie z.B. klinische Umgebung statt Hinterhof, medizinischer Experte statt Dilettant stimmen und einwandfrei durchgeführt werden? Warum sollte Beschneidung nicht durchgeführt werden, wenn in Deutschland Religionsfreiheit explizit durch Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert wird?
Das Gesetz gewährleistet mit diesem Artikel, dass die Religionsausübung nicht eingeschränkt werden darf, worauf sich viele religiöse Gruppen anlehnen. Und mal unter uns. Was passiert denn, wenn man die Beschneidung unter Strafe stellt? Es entsteht eine neue „Beschneidnungsmigrationswelle“ ins Ausland, wo Beschneidungen nicht gleich strafrechtlich verfolgt werden. Dänemark als Nachbarland hätte bestimmt einen guten Profit davon. Dann stellt das Land nicht nur Heiratsurkunden aus, sondern vielleicht auch Beschneidungsformulare.
Zum Eindämmen dieser Migrationswelle, werden pädagogische Maßnahmen in Deutschland nicht wirklich etwas beitragen. Traditionen sind zwar wandelbar, aber die Veränderungen müssen von innen heraus kommen und können nicht von oben durch Gesetze oder pädagogische Maßnahmen geändert werden.
Manchmal soll man alte Traditionen und religiöse Gebräuche ruhen lassen und nicht versuchen, durch die Brille des 21. Jahrhunderts zu betrachten, auszuwerten und rationale Entscheidungen zu treffen. Gesetze sollen Menschen schützen und nicht umgekehrt. Wenn manche Menschen sich durch Gesetze eingeschüchtert und bedroht fühlen, muss man das ernst nehmen, so wie die jüdische und islamische Gemeinschaft gerade, und nicht versuchen, rationale Begründungen zu finden. Aktuell Meinung
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Vor ein paar Monaten hat die Beschneidung noch keinen interessiert, plötzlich mit dem Kölner Provinzurteil sind auf einmal alle so fixiert auf das muslimisch-jüdische Geschlechtsteil. Jetzt wettert jeder gegen die Religionsfreiheit mit dem Hinweis, das Kind werde in SEINER Freiheit eingeschränkt. Gleichzeitig werden in Deutschland jährlich 1000e Kinder abgetrieben, niemand hat diese kleinen Wesen gefragt, ob sie weiter leben oder wieder zurück ins Reich der Seelen wollen. Von diesen Menschen müssen sich die Muslime Belehrungen in Sachen Humanität und Menschenwürde anhören. Man könnte nicht soviel Essen wie man kot… möchte.
@Haanna
Hehre Werte haben nur einen Zweck, das Zusammenleben der Menschen so gut wie möglich zu dienen. Der Zweck von Werten ist jedoch nicht, dass man Menschen damit tyrannisiert. Werte werden wertlos, wenn man diese ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen versucht und dabei andere Werte und Tugenden wie beispielsweise Freiheit und Toleranz brachial zertrümmert.
Die Beschneidung selbst ist kein Wert, sie ist ein Identifikationsmerkmal, sie ist Teil des Selbstverständnisses zweier religiöser Gruppen. Werte sind dagegen die Unversehrtheit des Körpers, das Recht auf religiöse Erziehung und auch das Recht auf Religionsfreiheit.
Wie immer man den Konflikt löst, zur Zeit dominiert bei den Gegnern der Beschneidung eine brachiale Tyrannei ihres Werteverständnisses, was ohne Rücksicht auf Verluste durchgesetzt werden soll. Man dient damit nicht dem Zusammenleben, man dient nicht dem Kinde, man dient in erster Linie hörig seiner nutzlosen Weltanschauung.
@aloo masala
Seien Sie doch mal ehrlich: Waren es die Beschneidungsgegner, die ein Gesetz zur Beschneidung von Jungen auf sehr undemokratische Art und Weise durchzudrücken versuchten? Tut mir leid, aber diejenigen, die sich nicht auf Diskussionen einlassen, sind die Religiösen. Die Beschneidungsgegner sind den Beschneidungsbefürwortern schon entgegengekommen, als man das Alter von 18 auf 14 Jahre gesenkt hat. Inwieweit sind, die Religionen denn den Anderen entgegengekommen? Genau, gar nicht! Warum? Weil man denkt, dass die eigene Weltanschauung über den Gesetzen in Deutschland steht. Anstelle von Einsicht und sich zu schämen, gab es nur wüste Beschimpfungen, abstruse Holocaustvergleiche und die Nazikeule. Also die Tyrannei und Brachialität sind doch bitte bei den Muslimen und Juden zu suchen.
„Die Beschneidung selbst ist kein Wert, sie ist ein Identifikationsmerkmal, sie ist Teil des Selbstverständnisses zweier religiöser Gruppen.“
Ich habe ja persönlich nichts gegen Identifikationsmerkmale, aber kann man das nicht irgendwie so machen, dass die Beschneider sich auch sicher sein können, dass der Junge/Mann das jetzt will und auch später noch? Wie kann man sich als beschnittener Mensch so sicher sein, dass das aufjedenfall Jedem gefallen würde? Ich weiß ja auch, dass es nicht Jedem gefällt unbeschnitten zu sein, aber sollte nicht Jeder selbst entscheiden können, wie man untenrum aussieht? Man muss sich doch auch fragen ob alle Muslime oder Juden so streng gläubig sein wollen, dass man sich Beschneiden lässt. Das sind keine Haare oder Nägel die Nachwachsen, oder ein Blinddarm, den man nie sieht. Das ist das intimste am männlichen Körper was es gibt und darüber haben Eltern nicht zu entscheiden. Niemals!
„Werte sind dagegen die Unversehrtheit des Körpers, das Recht auf religiöse Erziehung und auch das Recht auf Religionsfreiheit.“
Nein, das sind Werte die in Gesetze gegossen wurden und zwar nicht irgendwelche sondern, die aus dem sogenannten GG. Und daran MÜSSEN alle Menschen die in der BRD leben sich halten. Nicht nur an ein oder zwei der Gesetze sondern an alle, ohne Ausnahme, denn wir sind vor dem Gesetz alle Gleich (Auch Babys!). An religiöse Pflichten MUSS keiner sich halten, man KANN und DARF aber. Religionen können auch nicht irgendwelche Gesetze und dem Vorwand der Religionsfreiheit ungültig machen. Das GG steht halt über jeder Religion und über jedem Glauben. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner unserer deutschen Gesellschaft.