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Deutschland, Pakistan

Sexismus gibt es überall

In einem Gastbeitrag für SPIEGEL Online schreibt die pakistanische Journalistin Hani Yousuf, dass ihr in der Redaktion der “Welt” mehr Sexismus entgegenschlug als in ihrer Heimat. Yousuf verwendet fragwürdige Beispiele um die Emanzipation von Frauen in Südasien zu demonstrieren – wo es doch viele gute gegeben hätte – und vergisst dabei, dass beide Länder vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen.

Von Freitag, 03.08.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 23.10.2015, 17:25 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Als ich das letzte mal nach Bangladesch fuhr, fragte mich ein Bekannter, was es denn damit auf sich habe, dass die Frauen in Deutschland ihre neugeborenen Kinder umbringen würden. Ob das vielleicht mit Karriere zu tun habe, oder damit, dass es so viele Scheidungen gebe. Es fällt mir immer schwer darauf zu antworten: Denn natürlich gibt es immer wieder Fälle, in denen junge Mütter ihre Kinder umbringen, natürlich gibt es viele Scheidungen in Deutschland und viele Frauen stehen immer wieder vor der Entscheidung “Karriere oder Familie?” – und doch ist alles anders.

In Deutschland ergeht es mir genauso: Viele Menschen, mit denen ich spreche, pflegen eine ähnliche Karikatur über Südasien – fragen mich, ob es in Indien immer noch das Kastensystem gebe, ob muslimische Frauen wirklich nicht auf die Straße dürften – und wenn, dann nur vollverschleiert – oder ob es denn den Frauen in Bangladesch nun besser ginge, seit es Mikrokredite gibt. Für jede Frage kann man Ja oder Nein antworten. Und wie in Bangladesch muss ich auch hier antworten: “Ja es ist so, und doch ist alles ganz anders.”

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Genau dieses Gefühl beschreibt die pakistanische Journalistin Hani Yousuf in einem Debattenbeitrag auf SPIEGEL Online hervorragend: Eine überhebliche Bekannte geht davon aus, dass es Frauen in Pakistan grundsätzlich schlechter gehen müsse als in Deutschland. Dass Yousuf als Journalistin und Akademikerin in Pakistan tatsächlich mehr Respekt bekommen könnte als in Deutschland, hält sie für unmöglich. Yousuf selbst kommt zu dem Schluss, dass sie gelernt habe, “Pakistan mehr zu schätzen”.

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Doch Yousufs Begründung, warum, ist bestenfalls zu kurz gegriffen. Sie beschreibt, wie in Sri Lanka, Indien, Bangladesch und Pakistan Frauen schon vor Jahrzehnten regierten – und schreibt nicht dazu, dass diese Frauen häufig die Witwen oder Töchter prominenter Politiker waren. Sirimavo Bandaranaike in Sri Lanka war die Witwe des Parteigründers Solomon Bandaranaike, Indira Gandhi die Tochter von Indiens Gründungsvater Jawaharlal Nehru. In Bangladesch regieren auch Frauen: doch die Sheikh Hasina ist die Tochter des Staatsgründers Sheikh Mujib, und Khaleda Zia die Witwe des Unabhängigkeitskämpfers und späteren Politikers Ziaur Rahman. In Pakistan war Benazir Bhutto die Tochter von dem Premierminister Zulfikar Ali Bhutto.

Wohlgemerkt: Die Frauen waren und sind gewiefte Politikerinnen, doch ihr Potenzial konnten sie in einer patriarchalischen Gesellschaft nur durch ihre Beziehung zu mächtigen Männern erfüllen. Darin sind sie nicht viel anders als beispielsweise Ursula Piëch, Johanna Quandt, Liz Mohn oder Friede Springer, die ihr Talent in einer patriarchalischen Gesellschaft ebenfalls nur entfalten konnten, nachdem sie mächtige Unternehmer heirateten.

Und andererseits: Sirimavo Bandaranaike wurde 1960 demokratisch zur Premierministerin Sri Lankas gewählt – zu jenem Zeitpunkt unterschrieben in der Bundesrepublik noch Männer die Arbeitsverträge ihrer Frauen und die 6-jährige Angela Merkel lebte mit 17 Millionen anderen Deutschen in einer sozialistischen Diktatur. Ungerechtigkeiten werden in unterschiedlichen Ländern nie auf die gleiche Weise und schon gar nicht in einer gleichen Reihenfolge abgebaut.

Yousuf ignoriert ebenfalls weit verbreitete Klassengrenzen, die es ihrer Haushälterin unmöglich machen würden tatsächlich mal Premierministerin Pakistans zu werden. Die weit verbreitete Armut in südasiatischen Ländern und die ungleiche Verteilung von Reichtum heißt, dass Frauen flächendeckend prekärer Leben als in Ländern wie Deutschland. Doch was diese Länder auszeichnet ist nicht ihre Akzeptanz für weibliche Führungspersonen, sondern die Tatsache, dass es vor allem Feministinnen und Frauenaktivistinnen sind, die Klassengrenzen überwinden um sowohl gegen Armut als auch gegen Sexismus vorzugehen. International bekannt sind beispielsweise die indischen Aktivistinnen Vandana Shiva oder Arundhati Roy – beide hochgebildete Akademikerinnen, die sich für die Ärmsten der Armen einsetzen.

Mindestens genauso wichtig sind aber zigtausende gebildete und engagierte Frauenrechtlerinnen der Mittelschicht. In Bangladesch waren sie es, die durch die Dörfer zogen, um mit Dorffrauen über Familienplanung zu sprechen: Die Kinder pro Frau sanken innerhalb einer Generation von sieben auf etwas mehr als zwei. Die ökofeministische Initiative Ubinig eröffnete das einzige Frauencafe in der Hauptstadt des Landes und arbeitet ebenfalls mit Bäuerinnen und Bauern für den Erhalt traditionellen Saatguts. Und es waren organisierte Anwältinnen, die sich für ein drastisches Gesetz gegen Säureattacken auf Frauen einsetzte und an einem neueren Gesetz gegen häusliche Gewalt mitschrieb.

Wenn Hani Yousuf schreibt, ihre Wertschätzung für Pakistan steige, sollte sich diese Wertschätzung weniger auf die Tatsache beziehen, dass das Land mal eine Premierministerin hatte oder, dass ihre Familie sich eine Haushälterin leisten konnte – und stattdessen darauf, dass Razia Bhatti schon in den 70ern Chefredakteurin einer einflussreichen Zeitschrift werden konnte um später das ebenfalls einflussreiche Magazin „Newsline“ zu gründen, in dem Yousufs Karriere begann. In Deutschland dagegen muss die Chefredakteurin der taz als Feigenblatt herhalten. Konsequent ist in jedem Fall, dass sich Yousuf in Deutschland für eine Frauenquote in Medienunternehmen engagiert.

Diese Widersprüche muss man zur Kenntnis nehmen: Dass in Pakistan schon vor Jahren eine Frau Chefredakteurin eines Nachrichtenmagazins werden konnte und es doch vorkommt, dass Frauen gesteinigt werden. Dass in Deutschland zwar keine Frau gesteinigt wird, aber es sowohl in Nachrichtenmagazinen noch in den Tageszeitungen kaum Chefredakteurinnen gibt. Wer darauf hinweist, dass man ja wenigstens sagen könne, in Deutschland werde Frauen das nackte Leben gelassen, vergisst einerseits dass Steinigungen in Pakistan seltener sind als Babyleichen in Deutschland und andererseits, dass in beiden Ländern häusliche Gewalt ein viel größeres Problem ist – und dabei auch in Deutschland Frauen regelmäßig von ihren Ehemännern umgebracht werden.

Es ist diese überhebliche Vergesslichkeit, die für Szenen wie im Einstieg von Yousufs Artikel sorgen, oder denen, die sich bei ihrer Zeit bei der “Welt” abspielten: Yousuf wird als besonders geeignete Autorin für ein Stück über Emanzipation gesehen, weil sie ja eine „unterdrückte“ Pakistanerin sei andererseits aber kritisiert, dass sie die Zustände im Land der „180 Millionen unterdrückten Frauen“ verharmlose 1. Bei der konservativen Zeitung ist Yousuf nicht nur Opfer des deutschen Sexismus geworden, sondern auch jenes deutschen Rassismus, der sich keine emanzipierte Muslimin vorstellen kann.

  1. Pakistan hat nur 180 Millionen Einwohner – alle sind ganz bestimmt nicht Frauen
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  1. AI sagt:

    ein sehr pointierter und feinfühliger artikel..

  2. Songül sagt:

    Habe den Artikel gestern auf SPON gelesen und es fiel mir leicht, Frau Yousufs Ausführungen nachzuvollziehen.

    Die Kommentare lassen eher darauf schließen, dass es nicht allen so leicht fiel wie mir. Die meisten nahmen eine, zum Teil aggressive, Abwehrhaltung ein. Man ist es hierzulande einfach nicht gewöhnt, mit solchen Vorwürfen konfrontiert zu werden. Man sieht sich viel eher als das Über-Ich der Welt.

    Naja, wer austeilen kann, muss auch einstecken können.

  3. Hani Yousuf sagt:

    Thank you you much for this fabulous piece, Lalon, and for filling in the holes in piece and defining social structures in South Asia with greater clarity. Let me clarify and reassert that I do not believe that Pakistani women have it great. On the contrary. I am also very much aware that the feminist conversation has only extended itself to women of the middle to upper class. However, there is an underclass of women, AND MEN, in the society that will never become prime minister. However, I have a small disagreement with your argument: that the women who make it to the top are all associated with powerful men. Sure. But, some successful male politicians have also been associated with powerful women. Such as Rajeev Gandhi with his mother. And, currently President Zardari is cashing in on the name and popularity of his widow, Benazir Bhutto. These poitical families operate in a dynastic and feudal way. I am in Karachi right now and am shocked, as I am every time I am back, by the blatant inequalities of wealth and social status. I appreciate your pointing this out and am aware that this is the ugliest side of South Asian society.

    I wanted also to clarify that the headline, about appreciating Pakistan more than Germany was decontextualised. I meant it in a very specific sense of being a particular kind of journalist. I certainly appreciate Germany’s welfare state and think it is a real model for the world. Also, the cafes in Berlin are unbeatable.

    The German translation of my article did not perhaps do justice to my point. The concept of being orientalised and „othered“. My English manuscript used the word west, perhaps once and that too in quote marks. That did not come across in the German version. The motivation to writing the piece was to point out the offensive and misogynistic way in which I’m often treated by white German women in Berlin. I’m often told I’m not independent because of my views on marriage or because I don’t mind asking a male taxi driver for helping me with my bags. I have been told that I get assignments and, even dates, because I’m exotic and not because I’m intelligent or desirable. I’m told that I must be the exception and only able to do the things I could do becasue I’m privileged. Often, I’m hurt bythe hypocrisy of these statements, as the women who make them are often not financially independent, ambitious, or well-traveled. The primary intention of my article was to point out that this offensive use of language is not ok. As a qualified woman, living in Berlin or wherever is not-Pakistan, I’m stripped of my upbringing, privileged or otherwise. I merely want to be treated as a qualified individual who can do more than write about growing up in „Islamising Pakistan“ or what it feels like to be in „free“ Germany. I don’t want to be exotic or suppressed.

    In fact, that was the reason I mentioned Mina, the housekeeper. I think to term her efforts ,to break out of a difficult socio-economic system and to put up a fight, as suppression would be hugely arrogant and completely disrespectful to her endeavours. Even, in my own household, things have evolved even in the last decade. I do happen to be the first woman, or man, in my family to be living without my family, elsewhere in the world. My sister is the next. This could not have been possible without the collective efforts of the women in my family. I cannot call these brave fighting women suppressed.

    The race and immigration debate in Germany needs to evolve further and I’m glad that my piece provoked thought in that respect.

    Thank you again for contributing to this debate with your clear, coherent and well-informed arguments.

  4. gut sagt:

    Sehr interessanter Artikel, dem ich nur zustimmen kann. Man selber sieht immer nur die „Anderen“ und sieht die Probleme der eigenen Gesellschaft nicht.

  5. Die Argumentation ist zwar einerseits differenziert (ja, sie waren in führenden Positionen, als es in Deutschland noch keine Chefredakteurin und keine Ministerpräsidentin gab – aber sie waren Verwandte…) andererseits fehlen mir aber noch die Unterschiede zwischen den hauptsächlich genannten Staaten Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka.

    Ich habe Betsy Udinks Buch „Allah und Eva“ gelesen und gebe seither garnichts auf ein paar Vorzeigefrauen in Pakistan. Aber sieht es nicht im ehemaligen Ostpakistan besser aus, schon wegen der oben erwähnten niedrigeren Geburtenrate? Das scheint auch viel weniger Brutstätte des Terrorismus zu sein. Gerne erführe ich mehr darüber und vor allem, woran es liegt. Überhaupt nicht erwähnt wurde, daß der Anteil der Frauen an den Bevölkerungen in Pakistan, Indien und Bangladesh niedriger ist als 50%, in Sri Lanka aber höher (biologisch normal)

    Pakistan soll inzwischen schon 190 Mio Einwohner haben, nach der Teilung des Subkontinents hatten nicht mal West- und Ostpakistan zusammen 80 Mio (Brockhaus von 1958). Inzwischen gibt es also allein in (West-)Pakistan mehr Frauen als damals in beiden Gebieten Menschen überhaupt. Vernünftig ist diese Entwicklung nicht.

  6. Vanessa Vu sagt:

    Brillanter Artikel, Lalon! Ich habe Hani Yousufs Artikel mit Begeisterung auf SPON gelesen und mich durch die ganzen erschütternden User-Kommentare gekämpft (sollte man sich nicht allzu oft antun), mit dem Fazit, dass das meiste zwar absolut übertrieben war, aber der Artikel doch noch Lücken und schiefe Vergleiche aufwies und man alles so noch nicht stehen lassen konnte. Diese Lücken hast du sehr eindringlich, durchdacht, und außergewöhnlich gut recherchiert herausgestellt – letzteres findet sich leider immer seltener in Onlinemedien. Danke dafür und ich hoffe, man begegnet sich noch einmal im Leben!

  7. Lynx sagt:

    Die Befürworter des Kopftuchverbots sehen in diesem Bekleidungsstück ein Symbol für alles Mögliche, in seinem Tragen nur nicht das, was es für die meisten muslimischen Frauen ist, nämlich zu allererst die Erfüllung einer religiösen Vorschrift. Nach der von jenen Leuten angewandten Logik könnte man das Kopftuch auch als Symbol für die Unterdrückung – nicht der muslimischen Frau, sondern – des muslimischen Mannes sehen: die emanzipierte muslimische Frau, die dieses Bekleidungsstück bewußt trägt, lebt nach dem islamischen Recht in Gütertrennung von ihrem Ehemann und besitzt das Recht, über ihr Vermögen selbst und unabhängig zu verfügen und damit als Geschäftsfrau tätig zu werden. Wenn nun ihr Mann, der ja mit seinem Einkommen und Vermögen für seinen eigenen Unterhalt und denjenigen seiner Frau, seiner Kinder und möglicherweise noch anderer Familienmitglieder aufzukommen hat, nur über ein unzureichendes Einkommen verfügt und kein Vermögen besitzt, kann es geschehen, daß er sich bei seiner Frau, die ja nicht dazu verpflichtet ist, für den Unterhalt der Familie aufzukommen, immer mehr verschuldet und in finanzielle Abhängigkeit von ihr gerät, so daß sie ihn mit diesem Mittel unterdrücken kann. Daher kann das Kopftuch der muslimischen Frau auch als ein Symbol für die Unterdrückung des Mannes angesehen werden.
    Wie bei „Unterdrückung“ in muslimischen Gesellschaften, so mögen wohl die meisten westlichen Nichtmuslime auch auch bei häuslicher Gewalt daran denken, daß es stets die armen Frauen seien, denen Gewalt angetan wird. Wenn Frauen in ihrem Zorn mit harten, spitzen oder scharfkantigen Gegenständen werfen, kann das für Männer gefährlich werden. Auch das ist häusliche Gewalt.

  8. Lalon Sander sagt:

    Vielen Dank für die freundlichen Kommentare und auch an Hani Yousuf für die Ergänzungen zu ihrem und meinem Artikel.

    @Norbert Schnitzler: Leider werde ich es nicht schaffen, hier einen Überblick über die sehr unterschiedlichen Gesellschaften Südasiens zu geben. Schon in Indien, in dem jedes Bundesland meist eine größere Bevölkerung hat als z.B. Deutschland, ist sehr unterschiedlich: Das fängt schon damit an, ob das Bundesland kommunistisch (=nach dt. Verständnis sozialdemokratisch), von der hindunationalistischen BJP oder der säkulären Volkspartei Kongress regiert wird. Abgesehen davon, weiß ich gar nicht, wieviel Vorwissen über die Geschichte des indischen Subkontinents ich voraussetzen könnte – ausgehend von meinen bisherigen Gesprächen in Deutschland, wäre das nicht viel.

    Bei der Geschlechterverteilung kann ich aus meinem Wissen nur bestätigen, dass dieses insbesondere in Indien augrund von vorgeburtlicher Selektion stark abweicht (1.12 Männer pro Frau bei der Geburt) – das wird aber auch schon in Indien stark thematisiert. In Sri Lanka, Pakistan und Bangladesh liegt das Verhältnis näher an dem weltweiten Durchschnitt von 1.05 Männern pro Frau bei der Geburt (in Deutschland 1,06).

    Statt emanzipierte Frauen in Pakistan als „Vorzeigefrauen“ zu delegitimieren, möchte ich hier wieder auf meinen Artikel verweisen: Man muss Widersprüche in Gesellschaften zur Kenntnis nehmen. Pakistan hat sehr komplexe politische Realitäten – eine Frau in Islamabad oder Karachi lebt in einer sehr anderen Welt als eine Frau im Dorf an der afghanischen Grenze. Das heißt weder, dass die schlimmen Verhältnisse der einen Frau akzeptiert werden müssen, noch dass die besseren Verhältnisse der anderen geleugnet werden sollten.

    Ebenfalls würde ich mich davor verwahren, ein Land pauschal als „Brutstätte des Terrorismus“ zu karikieren. Das „ehemalige Ostpakistan“ ist zwar ebensowenig eine „Brutstätte des Terrorismus“ wie das „ehemalige Hitlerdeutschland“ eine „Brutstätte des Nazitums“ ist (ein Hitlervergleich ist zwar überzogen, aber Sie sollten wirklich nochmal nachdenken, bevor Sie das heutige Bangladesch als „ehemaliges Ostpakistan“ bezeichnen) – doch so wie es in Deutschland Polizisten beim Ku Klux Klan und rechtsextreme Terrorzellen gibt, gibt es auch in Bangladesh problematische Entwicklungen des Dschihadismus. Da Sie ja aber eher auf Pakistan anspielen, muss ich erneut auf die komplexen politischen Bedingungen dort verweisen, deren Kenntnis vorausgesetzt werden sollte, bevor man das Land as „Brutstätte des Terrorismus“ bezeichnet.

  9. Ich war mir meines Halbwissens bewußt und wollte mehr erfahren über Unterschiede zwischen erwähnten Ländern. Ich bedauere, mich nicht klarer ausgedrückt zu haben. Wie die vorurteilsbeladenen GesprächspartnerInnen von Hani Yousuf schnappte ich mal dieses und jenes auf, aber ich habe nie versucht, zum Spezialisten für eine Region zu werden. (Nebenbei meine ich, es wäre gut, wenn es in Deutschland mehr SpezialistInnen für den indischen Subkontinent gäbe, während wir für Israel und Palästina eher schon zu viele haben.)

    Was mir da über Pakistan und Bangladesh in Erinnerung ist, sind Reportagen über Arsen im Boden, Überschwemmungen und drohenden Meeresanstieg, Ausbeutung von Textilarbeiterinnen für Kik und ähnliches aus Bangladesh einerseits und Blasphemiegesetze, Ermordung eines „weltlicheren“ Politikers (Salman Taseer) und Demonstrationen für seinen Mörder andererseits. (Das habe ich aus dem DLF, Hintergrund Politik) und das erwähnte Buch von Betsy Udink, das ich mir auch nach einer Besprechung im DLF kaufte.

    Wahrscheinlich grob vereinfacht ergab sich für mich daraus der Eindruck, daß sich die Menschen westlich von Indien (wobei Afghanistan und Pakistan sich vielleicht immer ähnlicher werden, nur daß Afghanistan keine Ministerpräsidentin bekommt) sich stark fanatisieren (wenn auf anderen Kontinenten eine Karikatur veröffentlicht oder ein Koran verbrannt wird) und vermehren, womit nach Gunnar Heinsohn („Söhne und Weltmacht“) Mord und Krieg drohen. Ich weiß, daß die ZEIT urteilte, die These sei „dem Stammtisch näher als der Wissenschaft“ Und weiter ergab sich der Eindruck, daß die Menschen östlich von Indien (also in Bangladesh) hauptsächlich darum kämpfen, ihre eigenen Lebensbedingungen zu verbessern, sich nicht darum scheren, was auf anderen Kontinenten geschieht und auch mit Pakistan, durch das sie viel Leid erfahren haben, wenig zu tun haben wollen. Mir war zwar der Name Taslima Nasrin bekannt, aber auch, das sie nicht mehr mit der Todesstrafe rechnen muß. Ihre Verfolgung hat zwar mit Islam oder Islamismus zu tun, aber nicht mit Terrorismus. Und außerdem ist es intern. Was Frauen in führenden Positionen angeht, scheint es aber große Ähnlichkeiten zu geben.

    Als ich Bangladesh als „viel weniger Brutstätte des Terrorismus“ als Pakistan bezeichnete, war mir überhaupt kein Terrorakt mit Wurzeln in diesem Land bekannt, und 0 ist nun mal viel weniger als jede natürliche Zahl. Deshalb finde ich meine Formulierung (bitte unterschlagen Sie nicht das „viel weniger“) immer noch richtig. Im übrigen ist auch Deutschland eine solche Brutstätte, schließlich lebten die Attentäter des WTC vorher in Hamburg. Inzwischen habe ich natürlich nach Meldungen gesucht und finde als aktuellstes, daß 5 Männer aus Bangladesh 2011 in der Nähe von Sellafield beim Fotografieren von Atomanlagen festgenommen wurden. Aber die meisten Attentäter in Großbritannien stammten aus pakistanischen Einwandererfamilien. Was daraus wurde weiß ich nicht, auch nicht, was daran schlimm ist, das habe ich ja selbst schon gemacht.

    Da ich in meiner Anmerkung und bei meinen Fragen bis zur Teilung des Subkontinents beim Ende der britischen Kolonie zurückging, habe ich noch von West- und Ost-Pakistan geschrieben und von ehemaligem West- oder Ostteil. Genauso würde ich wahrscheinlich auch unterschiedliche Entwicklungen in Tschechien und Slowakei beschreiben, wenn ich bis zur Zeit des gemeinsamen Staates zurückginge. Die Souveränität wollte ich damit nicht in Frage stellen.

    Die Souveränität Bangladesh lehnt aber, wie ich inzwischen gelesen habe, die islamistische „Jamaat-e-Islami“ ab, die im Unabhängigkeitskrieg 1971 in Kriegsverbrechen gegen die Separatisten verwickelt war. Es ist kein Wunder, daß solche Kräfte es jetzt schwer haben.

    Die Geschlechterverteilung habe ich übrigens aus „Welt in Zahlen“: Da steht Sri Lanka auf Platz 172 zwischen vielen anderen Staaten, die der Natur ihren Lauf lassen, die übrigen Nachbarländer aber zwischen 22 und 32.

  10. Stefan sagt:

    Ich denke, die Hauptmotivation für Hani Yusoufs Kritik an den deutschen Verhältnissen ist die Solidarität mit der pakistanischen Gesellschaftsschicht, aus der sie kommt, und die sie persönlich protegiert. Die deutsche Kritik an den pakistanischen Verhältnissen empfindet sich einfach als Angriff auf ihren pakistanischen Patriotismus. Im Grunde steht sie für die pakistanische Mittel- und Oberschicht, die verantwortlich ist für die Zustände in den Unterschichten Pakistans ist, in denen dann die pakistanischen Frauen völlig unterpriviligiert sind. So gesehen gehört sie selber zu den Unterdrückern der Mehrheit der pakistanischen Frauen. Aber das will sie natürlich nicht hören, wenn sie in den pakistanischen Salons mit einflussreichen Männern parliert.