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Kılıçs kantige Ecke

Beschneidungsdebatte nicht abwürgen

Im Bundestag wurde ein Antrag zur rechtlichen Regelung der Beschneidung beschlossen. In diesem Kolumnenbeitrag möchte ich meine persönliche Erklärung dazu mit Euch teilen.

Von Memet Kılıç Freitag, 17.08.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.08.2012, 1:24 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Der Grundrechtkatalog unseres Grundgesetzes ist ein guter Roter Faden für das Zusammenleben in unserer heterogenen Gesellschaft. Dort werden die Grundfreiheiten und Grundrechte und ihre Schranken definiert.

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Sowohl die Religionsfreiheit (Glaubensfreiheit, Nichtglauben, Wechsel der Religionen) aber auch körperliche Unversehrtheit sind Grundrechtsgüter. Wenn sie miteinander kollidieren, sind sie abzuwägen und es muss gegebenenfalls ein guter Kompromiss gefunden werden. Sowohl die heiligen Schriften der Religionen aber auch die religiösen Riten, Gebräuche und Traditionen beinhalten naturgemäß alte Elemente, die im Lichte der Vernunft und den neuen Einsichten der Wissenschaft neu zu verstehen und zu interpretieren sind.

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Die Menschheit kann mit Glück und Stolz darauf zurück blicken, dass wir keine Menschenopfer mehr bringen, die Steinigung von Ehebrechern nicht mehr Teil unserer Rechtsprechung ist, verwitwete Hindufrauen seit mehr als 100 Jahren nicht mehr mit ihren verstorbenen Ehemännern verbrannt werden und die Beschneidung von Mädchen weitgehend verpönt und strafbar ist. Bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Nichtdiskriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wurden einige Fortschritte erzielt, aber auch einige Rückschritte verzeichnet.

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Die Kinder sind nicht das Eigentum der Eltern, der Religionsgemeinschaften oder des Staates. Sie sind Individuen mit vollen Rechten. Das Kindeswohl zu gewährleisten obliegt den Eltern und dem Staat in den gesetzlichen Rahmen.

Der säkulare Staat hat auch die Aufgabe, den Druck der Religionsgemeinschaften oder Weltanschauung auf einzelne Individuen abzuwenden oder dies zumindest abzumildern, damit sich das Individuum frei entfalten kann (Art 2, Grundgesetz). Medizinisch notwendige Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit stehen hierbei außer Diskussion.

Zur Disposition steht nur, in wie weit die blutigen Rituale der Religionsgemeinschaften, die einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – sogar bei Kleinkinder – darstellen allein der Entscheidung der Religionsgemeinschaften bzw. Eltern zu überlassen ist.

Bei der Beschneidung stellt sich diese Frage vordergründig.
Es besteht sowohl wissenschaftliche wie politische Einigkeit darüber, dass die Zirkumzision einen irreversiblen und nicht zu bagatellisierenden Eingriff in die Körper von Menschen darstellt. Es ist aber auch soziologischer Fakt, dass sich viele Eltern in der Religions- oder Traditionspflicht sehen, diesen Vorgang bei ihrem Kind vornehmen zu lassen.

Um eine selbstbestimmte Erwachsenenentscheidung – im Idealfall zu einem unblutigen Religionsbekenntnis – zu ermöglichen, kann der Gesetzgeber einen Übergangskompromiss vorlegen.

Solch eine gesetzliche Regelung mit einer großen, gesellschaftlichen und grundrechtlichen Reichweite darf nicht in einem Schnellverfahren erfolgen. Dafür müssen gründliche Anhörungsverfahren durchgeführt werden. Aktuell Meinung

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  1. Rasti sagt:

    @Berlin

    Die Beschneidungsgegner (oder sagen wir besser die „Strafbarkeitsbefürworter“, ich persönlich kann mit der Beschneidung auch wenig anfangen, bin aber gegen die Strafbarkeit in der vom LG Köln ausgesprochenen Form) sind es doch gerade, die die Selbstbestimmung einschränken wollen.

    Statt den muslimischen und jüdischen Familien die Freiheit zu lassen, ihren Glauben auszuleben, konstruieren Sie einen Konflikt, wo keiner ist, um eine Begründung zu haben, diese Freiheit einzuschränken.

    Lesen Sie Artikel 14 der UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere den 2. Absatz (am besten im englischen Original, die deutsche Version ist ziemlich schwach übersetzt).

    Mit den gleichen Argumenten kann man z. B. die Zwangsadoptionen in Australien (http://de.wikipedia.org/wiki/Stolen_Generation) rechtfertigen.
    Schon oft waren diejenigen, die Freiheiten einschränken wollten, der Meinung, damit den Betroffenen etwas Gutes zu tun. Auch der spanischen Inquisition ging es nur um das Seelenheit der Betroffen.

  2. Mercks sagt:

    @Rasti

    Unser GG schützt keine Religionsgemeinschaften oder deren Riten sondern die Religion und der Glauben des Einzelnen. Es geht um den Einzelnen und nicht darum, dass innerhalb einer Religionsgemeinschaft Personen anderen Personen Körperverletzungen gegen deren Willen und Wissen zufügen können.
    Und wie Herr Kilic bereits im Artikel geschrieben hat: Kinder sind kein Eigentum der Eltern. Eltern können keine Operation anordnen, wenn keine medizinische Notwendigkeit besteht. Ein Kind ist doch kein Auto was man übers Wochenende mal schnell tunen lässt. Wären Kinder tatsächlich Eigentum ihrer Eltern, dann wären auch Ohrfeigen Heute noch kein Problem, die gibt es schließlich mit Sicherheit länger als die Beschneidung. Ohrfeigen sind aber – mit gutem Recht – verboten. Da kann das Kind noch so nervend sein, man hat es nicht zu schlagen.

    Wie man jetzt denken kann, dass Beschneidungen (die weitreichende Folgen fürs Sexualleben haben) harmloser oder anders zu bewerten wären als Ohrfeigen kann ich nicht verstehen. Die drei großen Religionen in Deutschland: Islam, Christentum und Judentum treiben die per GG zugesicherte Religionsfreiheit ad absurdum. Beschneidungen bei unmündigen Menschen zu tolerieren wäre ein großer Fehler und widerspricht unserem freiheitlich Grundgedanken in Deutschland.

  3. Zerrin Konyalioglu sagt:

    „Gemeinsam setzen wir uns entschlossen ein für eine Gesellschaft, die den Religionen mit mehr Respekt gegenübertritt, als wir es gerade erleben.“ Dr. Dieter Graumann, Zentralrat der Juden.
    Dr. Graumann hat es auf den Punkt gebracht, das Thema ist nicht Vorhaut, sondern mangelnder Respekt gegenüber jüdischen und muslimischen Bürgern. Aber es war schon immer einfacher sich populistisch zu positionieren, statt sich respektvoll zu verhalten.

  4. Kurt Schubert sagt:

    Alle Achtung, lieber Herr Kilic. Folgen Sie nur weiter Ihrem Gewissen. Ich bin überzeugt, künftige Generationen werden es Ihnen danken.

  5. Mustafi sagt:

    Was will der typ? Wir beschneiden, und fertig! ANsonsten fahren wir in die Türkei zum Beschneiden. Niemand in Deutschland wird uns verbiten, zu beschneidden! Niemand!

  6. Rasti sagt:

    @Mercks

    Noch einmal: Lesen Sie Artikel 14 der UN-Kinderrechtskonvention. Kinder sind nicht Objekte, sondern Subjekte der Religionsfreiheit. Bei deren Wahrnehmung werden sie, solange das notwendig ist, von ihren Eltern unterstützt.

    Von daher macht die Aussage, bei der Beschneidung würden „anderen“ Körperverletzungen zugefügt, wenig SInn, da Kinder keine „andere“ im Sinne des Satzes sind.

    Da gibt es auch einen Riesenunterschied zu Ohrfeigen, weil Ohrfeigen nichts mit der Religionsfreiheit des Kindes zu tun haben.

    Was mir noch zu dem Satz einfällt:

    „Kinder sind nicht das Eigentum ihrer Eltern.“

    „… sondern des Staates“.
    Das würde jedenfalls ins linke Denkmuster passen.

  7. Rasti sagt:

    P.S.: Und natürlich schützt das GG auch die _Riten_ der Religionsgemeinschaften. Was könnte sonst wohl mit „ungestörter Religionsausübung“ gemeint sein?

  8. Mercks sagt:

    @Rasti
    “ Von daher macht die Aussage, bei der Beschneidung würden “anderen” Körperverletzungen zugefügt, wenig SInn, da Kinder keine “andere” im Sinne des Satzes sind.

    Da gibt es auch einen Riesenunterschied zu Ohrfeigen, weil Ohrfeigen nichts mit der Religionsfreiheit des Kindes zu tun haben.“

    Sie wollen mir also klar machen, dass das Kind sozusagen ein Teil der Eltern sein soll!? Na klar ist das Kind eine andere Person und ein anderer Mensch, als seine Eltern, sowohl juristisch wie auch auf allen anderen Ebenen.

    Versuchen sie bitte Gesetze oder Konventionen, nicht so zu deuten, wie es ihnen gerade in den Kram passt. Sie haben das auch schon öfter in anderen Kommentaren gemacht.

    Na klar, hat das Kind als eigenständige Person eigene Rechte und sogar eine Würde und die gilt es zu verteidigen und wenn die Eltern daran scheitern, weil sie sich nicht vorstellen können, dass ihr Kind vllt nix mit Religion am Hut haben will, dann muss der Staat mithelfen. Wenn sie dies als Religiöser Mensch nicht nachvollziehen können ist nicht schlimm, aber versuchen sie doch bitte nicht anderen Menschen ihre per Religion begrenzten Gedankengänge hier aufzudrücken und sie als die einzige Wahrheit zu verkaufen. Das können sie in ihrem Gotteshaus machen.

  9. Mr. Zirkum sagt:

    In was für einer Welt leben wir eigentlich? Das Entfernen der nach der Geburt unnötigen Vorhaut wird in Deutschland mit „Amputation des Penis“ in Verbindung gebracht und dann noch als Körperverletzung definiert.
    In der Hitler-Zeit gab es auch ein paar „Humanisten“, die gegen die Beschneidung waren, mit dem Argument, die Juden verschwören sich mit der Beschneidung gegen die Arische Rasse.

    Vielleicht sollten sich die Deutschen um die 100.000 Kinder kümmern, die jährlich ohne „Entscheidungsfreiheit“ barbarisch „entfernt“ werden?

  10. Ali sagt:

    Herr Kilics Position spiegelt lediglich seine persönliche Meinung wieder. Bei den Grünen, wie bei anderen Parteien auch, gehen die Meinungen zur Beschneidung auseinander. Daher halte ich Pauschalurteile wie „Nie wieder Grüne“ für obsolet. Vielleicht sollte man eher Herrn Kilics Motivation vor der Aufstellung der Bundestagskandidaten im Herbst klären. Sie kann auch schlicht für einen Versuch betrachtet werden, sich endlich mal zu profilieren. Für die Migranten spricht Herr Kilic hier nicht.