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Interview mit Kien Nghi Ha

Rostock-Lichtenhagen ist ein institutionelles Versagen – wie die NSU-Morde

Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 20 Jahren. Für Kien Nghi Ha, Kultur- und Politikwissenschaftler, ist das nicht nur die Gewalt von Rassisten, sondern auch ein institutionelles Versagen - vergleichbar mit den NSU-Morden. Daniel Bax sprach mit ihm.

Von Daniel Bax Montag, 27.08.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.08.2012, 7:46 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Anlässlich des 20. Jahrestags des anti-vietnamesischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen sprach der Journalist Daniel Bax (die tageszeitung) mit korientation-Vorstandsmitglied Kien Nghi Ha über Umgangsweisen und Auswirkungen auf die vietnamesische Community in Ost- und Westdeutschland. Dieses Interview wurde in einer gekürzten Fassung unter dem Titel “Rostock ist ein Trauma” in der tageszeitung (taz) vom 17.8.2012 (Seite 14) veröffentlicht. Wir dokumentieren an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung von Daniel Bax die ungekürzte Originalfassung.

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Daniel Bax: Herr Ha, das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen jährt sich jetzt zum 20. Mal. Wie haben Sie es damals erlebt?

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Kien Nghi Ha: Ich war damals gerade zwanzig Jahre alt, hatte soeben mein politikwissenschaftliches Studium aufgenommen und mit wachsendem Unbehagen den aufkommenden Nationalismus wahrgenommen, der sich im Prozess der Wiedervereinigung äußerte. Rostock hat bei mir zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Rassismus geführt, die bis heute einen Schwerpunkt meiner Arbeit bildet.

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Bax: Wie hat Rostock die deutsch-vietnamesische Community geprägt? Wird es, wie die Anschläge von Mölln und Solingen von vielen Deutsch-Türken, als Einschnitt empfunden?

Kien Nghi Ha, promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, ist Fellow des Instituts für post-koloniale und transkulturelle Studien der Universität Bremen und Vorstandsmitglied von korientation. Er hat an der New York University sowie an den Universitäten in Heidelberg und Tübingen zu postkolonialer Kritik, Migration und Asian Diasporic Studies geforscht und gelehrt. Im Juni 2012 erschien der von herausgegebene Sammelband „Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond“ (Verlag Assoziation A).

Ha: Der Begriff der Community ist sicher ein Hilfskonstrukt. Aber wir haben nun mal keinen besseren Begriff, um kulturell unterschiedlich codierte Migrationserfahrungen zu bezeichnen. Wer als Asiatischer Deutscher die hemmungslose Entladung rassistischer Gewalt erlebt hat, die sich nicht zuletzt gegen vietnamesisch aussehende Menschen richtet, dem sollte es nicht schwer fallen, sich selbst als potentielle Zielscheibe rassistischer Gewalt zu sehen. Diese Gewalterfahrung ist für die Vietnamesen in Ostdeutschland kaum zu ignorieren und hat ihre Migrationserfahrungen stark geprägt. Dagegen sind viele vietnamesische “Boat People” für die Aufnahme in Deutschland so dankbar – da dies für sie Rettung und gesellschaftlicher Aufstieg bedeutet, dass sie die rassistische Dimension der deutschen Gesellschaft nicht sehen und sich auch nicht mit den Opfern des Rassismus solidarisieren. Im Bemühen, die eigene Integration nachzuweisen und aus Angst negativ aufzufallen, wird ein verklärtes Deutschlandbild konstruiert.

Bax: Sie sind in Hanoi geboren und mit sieben Jahren mit ihren Eltern aus Vietnam nach Deutschland gekommen. Gibt es große Unterschiede in der kollektiven Erinnerung zwischen den ehemaligen “Boat People” im Westen und den Ex-Vertragsarbeitern im Osten?

Ha: Ja, sehr große. Bis heute bestehen auf Seiten der Vietnamesen im Westen starke Vorbehalte gegen die vietnamesische Community im Osten. Die Mehrheit der Vietnamesen im Westen hat sich eingeredet, sie hätten mit den Vietnamesen im Osten nichts zu tun: man sei gut integriert, während man die Vietnamesen im Osten mit Zigarettenmafia, Schleuserbanden und Kriminalität in Verbindung brachte und die Betroffenen selbst für diese Misere verantwortlich macht. Damit werden jedoch die diskriminierenden Klischees und Schuldzuweisungen der weißen Mehrheitsgesellschaft übernommen, und mit einer so stark marginalisierten Gruppe wollte sich keiner solidarisieren. Die vietnamesische Community im Osten dagegen ist durch Rostock stark traumatisiert worden, was es ihnen erschwert hat, zu einer eigenen Stimme zu finden. Das ändert sich aber allmählich durch die heranwachsende zweite Generation, in der die Ältesten zu Beginn der 1990er Jahre auf die Welt kamen. Sie sind jetzt im Hochschulalter, und die ersten haben mit dem Studium geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer begonnen.

Bax: Die Vietnamesen in der Ex-DDR waren ohnehin die großen Verlierer der Einheit. Ein Fall von Rassismus von oben?

„Es ist aber eine Fiktion zu glauben, Vietnamesen seien … wenig von Rassismus betroffen. Sie sind dann weniger davon betroffen, wenn sie einen bestimmten sozialen Status erlangt haben, sich politisch unterordnen und kulturell nicht als Störfaktor auftreten. Aber Alltagsrassismus macht vor Vietnamesen nicht Halt.“

Ha: Die Vertragsarbeiter wurden ja als allererste entlassen, obwohl sie als besonders leistungsfähig und fleißig galten. Das widersprach zwar dem liberalen Credo, nachdem die Arbeitsplatzsicherheit von der Leistungsfähigkeit abhängen sollte, aber bei der Abwicklung der DDR-Wirtschaft galt dieses Prinzip nicht. Dabei waren viele Vietnamesen aufgrund ihrer Ausbildung sogar überqualifiziert für die Jobs, die sie in der DDR ausführen mussten. Nach der Wende wurde ihr Aufenthaltsrecht an strengen Auflagen gebunden: Nur, wer über einen eigenen Arbeitsplatz verfügte und nicht von Sozialhilfe abhängig war, durfte sich in Deutschland niederlassen. Mit dieser gesetzlichen Regelung hat die Bundesregierung viele in die Zwangsselbständigkeit unter prekären Bedingungen getrieben, denn die Wirtschaftslage in der Ex-DDR war ja bekanntlich dramatisch.

Bax: Warum hat das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen nicht dazu geführt, den skandalösen Umgang mit den vietnamesischen Ex-Vertragsarbeitern zu überdenken?

Ha: Es gab zumindest eine Solidarisierung von unten, die von kirchlichen, gewerkschaftlichen, linken und antirassistischen Gruppen ausging. Anfang der 1990er Jahre haben sich Vietnamesen und Deutsche in einigen Städten zu lokalen Initiativen zusammen geschlossen, um den Ex-Vertragsarbeitern bei Alltagsproblemen und in rechtlichen Fragen Hilfestellung zu geben. Diese Vereine gibt es bis heute, viele von ihnen bieten jetzt Integrationskurse, Beratung oder Folklore-Workshops an. Die meisten arbeiten lokal im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten und müssen jedes Jahr aufs Neue Anträge auf Projektförderung stellen, um ihr finanzielles Überleben sicher zu stellen. Mir ist nicht bekannt, dass es da eine bundesweite Vernetzung gäbe. Die Kraft und politischen Kapazitäten zur Skandalisierung der gesellschaftlichen Ausgrenzung der vietnamesischen Migranten in Ostdeutschland ist angesichts der beschränkten Möglichkeiten ihrer kleinen Vereine nicht gegeben.

Bax: Vietnamesen gelten als sehr integriert, weil sie im Bildungsbereich überdurchschnittlich gut abschneiden, und werden von konservativen Politikern und Publizisten deshalb gerne als Vorbild hingestellt. Zu Recht?

Ha: Ja, die vietnamesischen Migranten gelten als Modellminorität. Diese Sichtweise hat sich aber erst in den letzten Jahren durchgesetzt. Das zeigt, wie wandelbar solche Bilder sind. Davor hat man sich für die Vietnamesen im Westen kaum interessiert, obwohl man sie einst nach dem Vietnamkrieg unter großer Anteilnahme als Opfer des Kommunismus ins Land geholt hatte. Die ostdeutschen Vietnamesen gelten bis heute eher als ungebetene Gäste, die Probleme verursachen, weshalb man sie so schnell wie möglich abschieben wollte. Nicht zufällig wurde das Rückführungsabkommen 1995 geschlossen, nachdem 40.000 Vietnamesen Deutschland verlassen sollten. Es ist aber eine Fiktion zu glauben, Vietnamesen seien pauschal „gut integriert“ und besonders wenig von Rassismus betroffen. Sie sind dann weniger davon betroffen, wenn sie einen bestimmten sozialen Status erlangt haben, sich politisch unterordnen und kulturell nicht als Störfaktor auftreten. Aber Alltagsrassismus macht vor Vietnamesen nicht Halt.

Bax: Werden Asiaten denn nicht mit positiveren Klischees bedacht als andere Gruppen?

„Die Haltung bei vielen Vietnamesen ist: Wenn wir uns politisch passiv und freundlich verhalten, dann bieten wir keine Angriffsfläche. Das ist eine kulturelle Überlebensstrategie. Aber diese ständige Unterordnung hat ihren Preis, denn sie führt dazu, dass man sich klein macht und seine Interessen verleugnet. Doch alle Bemühungen und auch eine erfolgreiche Bildungskarriere garantieren nicht, dass man als vollwertiger Teil dieser Gesellschaft akzeptiert wird und nicht immer wieder an gläserne Decken stößt.“

Ha: Mag sein. Die Haltung bei vielen Vietnamesen ist aber auch: Wenn wir uns politisch passiv und freundlich verhalten, dann bieten wir keine Angriffsfläche. Das ist eine kulturelle Überlebensstrategie, die in vielen Familien weiter gegeben wird. Aber diese ständige Unterordnung hat ihren Preis, denn sie führt dazu, dass man sich klein macht und seine Interessen verleugnet. Doch alle Bemühungen und auch eine erfolgreiche Bildungskarriere garantieren nicht, dass man als vollwertiger Teil dieser Gesellschaft akzeptiert wird und nicht immer wieder an gläserne Decken stößt. Von vietnamesischer Seite wird da leider keine offensive Auseinandersetzung eingefordert. Andere Gruppen sind da selbstbewusster, und nur so kann man auf Medien und Politik einwirken. Das vermisse ich bei den vietnamesischen Organisationen.

Bax: Deutschland wollte lange kein Einwanderungsland sein. Aber jetzt tut die Politik doch eine ganze Menge: Stichwort Integrationsgipfel, Integrationskurse, nationale Integrationspläne. Ist das so falsch?

Ha: Natürlich war es wichtig und richtig, dass Deutschland sich endlich als Einwanderungsland begreift. Die aktuelle Integrationspolitik finde ich aber auch problematisch. So, wie ich sie lese, gehen die Integrationskurse etwa von der Projektion aus, dass insbesondere die muslimische Kultur als Problem angesehen wird, weshalb diese Migranten ihre Integrationsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein repressives Mittel helfen kann, dem Ziel einer diskriminierungsfreien Gesellschaft näher zu kommen. Wenn die Werte der Verfassung für alle gelten sollen, dann muss der Staat gerade im Umgang mit gesellschaftlich ausgegrenzten Minderheiten auf freiwillige Anreize statt auf Kontrolle und Zwang setzen.

Bax: Was wünschen Sie sich?

Ha: Eine Integrationspolitik, die ihre proklamierten Ziele ernst nimmt, müsste versuchen, alle Formen der strukturellen Diskriminierung und des institutionellen Rassismus zu beseitigen. Rostock steht für mich da nicht nur als Chiffre für die Gewalt, die von einem rassistischen Mob ausging, sondern auch für ein institutionelles Versagen – das macht es vergleichbar mit den NSU-Morden. Hinzu kam die Instrumentalisierung durch die Politik. Denn das Pogrom in Rostock wurde benutzt, um das Asylrecht de facto auszuhebeln.

Uns sollte klar sein: Rassistische Gewalt geht nicht nur vom extremistischen rechten Rand aus, sondern ist ein Strukturproblem, das institutionelle Reformen erfordert. Aber es gibt in Deutschland keinen antirassistischen Konsens, der glaubwürdig vertreten wird. Wenn man nach Großbritannien schaut, dann wird der Kampf gegen Rassismus dort auf allen Ebenen geführt, und dort gibt es weit weniger Toleranz gegenüber rassistischen Diskursen à la Sarrazin. Aktuell Gesellschaft Interview

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  1. Optimist sagt:

    „Die Mehrheit der Vietnamesen im Westen hat sich eingeredet, sie hätten mit den Vietnamesen im Osten nichts zu tun: man sei gut integriert, während man die Vietnamesen im Osten mit Zigarettenmafia, Schleuserbanden und Kriminalität in Verbindung brachte und die Betroffenen selbst für diese Misere verantwortlich macht.“

    Wow, interessant, hätte ich nicht erwartet, klingt ja nicht besonders solidarisch. Man lernt nie aus…

  2. Buarom sagt:

    Optimist, wie wäre es denn damit? :http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2012/09/459655/arbeitsmarkt-in-der-tuerkei-100-000-qualifizierte-arbeitskraefte-fehlen/
    Sie sind doch angeblich Ingineur. Was wollen Sie in einem Land das mehr als 5 Millionen Juden umgebracht hat? Haben Sie nicht Angst davor das die bösen Deutschen demnächst fünf Milionen Muslime hier in Deutschland vergasen? Ich an hrer Stelle würde das böse Deutschland schnellstens verlassen. Ändern können Sie ja sowiesonix.