Wahl in den Niederlanden
Schallende Ohrfeige für Geert Wilders
Die Niederlande erlebten am 12.09.2012 eine historische Wahlnacht: Die rechtsliberale VVD feierte das beste Ergebnis in ihrer Geschichte. Der christdemokratische CDA erlebte ein weiteres Waterloo. Und die rechtspopulistische PVV verlor 9 ihrer 24 Mandate.
Von André Krause Montag, 17.09.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 21.09.2012, 8:00 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
In der niederländischen Politik gibt es eine goldene Regel: „De breker betaalt.“ – Wer eine Regierung zu Fall bringt, wird bei der nächsten Wahl von den Bürgern abgestraft. Genau dies ist am vergangenen Mittwoch geschehen: Die PVV verbuchte zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahre 2006 eine empfindliche Niederlage. Selbst die arg gebeutelten Christdemokraten büßten am 12. September 2012 letztendlich ein Mandat weniger ein als die rechtspopulistische Ein-Mann-Bewegung. Wilders, der auch eine unerwartete Niederlage in seiner Heimatstadt Venlo zu verschmerzen hatte (es siegte auch dort die VVD vor der PvdA), bekannte nach den ersten Prognosen: „Ich fiel beinahe vom Stuhl. Es ist eine gigantische Niederlage.“
Wie konnte es dazu kommen? Ein Rückblick: Der Wahlkampf begann in diesem Jahr für die PVV bereits unter äußerst üblen Vorzeichen. Nachdem Geert Wilders den Medienvertretern in Den Haag das druckfrische Wahlprogramm „Hun Brussel, ons Nederland“ (Ihr Brüssel, unsere Niederlande) vorgestellt hatte, kaperten die beiden Abgeordneten Marcial Hernandez und Wim Kortenoeven die Pressekonferenz, um ihr sofortiges Ausscheiden aus der PVV-Fraktion in der Zweiten Kammer zu verkünden. Begründung (zum Teil unter Tränen vorgetragen): Wilders ist ein Diktator, der in Alleingängen alles selbst entscheidet und sich um die Ansichten seiner Fraktion nicht schert. Schon zu Beginn des Jahres hatte der trinkfreudige und im wahrsten Sinne des Wortes schlagfertige Hero Brinkman die Rechtspopulisten verlassen, weil er unter anderem mit der „Polen-Meldestelle“ im Internet, bei der sich niederländische Bürger über „problematische“ Osteuropäer beschweren durften, nicht einverstanden war. Auch der Islam-Standpunkt der PVV sei etwas undifferenziert. Zudem konnte sich Brinkman, in der öffentlichen Wahrnehmung seit 2006 die Nummer 2 hinter Wilders, mit seinem Wunsch nach einer Demokratisierung der „Freiheitspartei“ zum wiederholten Male nicht durchsetzen: Wilders und Chefideologe Martin Bosma waren nicht gewillt, die Ein-Mann-Bewegung zu einer klassischen Mitgliederpartei mit Parteitagen, Programmkommissionen oder Jugendabteilung umzugestalten. Auch an anderen Stellen, allen voran auf regionaler Ebene, brannte es auf personeller Ebene mitunter lichterloh. In der Provinz Limburg musste der PVV-Abgeordnete Cor Bosman die Fraktion verlassen, weil er einen türkeistämmigen PvdA-Kollegen in einer Mail als „ausgekotztes Stück Halal-Fleisch (aber dann von einem türkischen Schwein)“ bezeichnet hatte. Ausgerechnet in Limburg, Wilders‘ Heimatregion, scheiterte zudem die VVD-CDA-PVV-Koalition, weil die Rechtspopulisten allzu heftig gegen den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Gül protestierten. Die PVV ähnelte immer mehr der inzwischen aufgelösten Lijst Pim Fortuyn (LPF), die sich im Laufe des Jahres 2002 mit internen Querelen zum Gespött des Landes gemacht und den christdemokratischen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende (2002-2010) dazu genötigt hatte, nach nur 87 Tagen die Zusammenarbeit mit den Erben Fortuyns zu beenden. „LPF-toestanden“ (LPF-Zustände) ist seitdem ein geflügeltes Wort in Den Haag. Und „LPF-toestanden“ machten dem einst unangreifbar wirkenden Wilders das Leben immer schwerer. Kein Wähler schätzt Personalchaos. Eine weitere goldene Regel, deren Gültigkeit anno 2012 erneut bestätigt worden ist.
Wenn man den abgelaufenen Wahlkampf Revue passieren lässt, ist zudem festzuhalten, dass Wilders‘ Kernthema, die vermeintliche Islamisierung der Niederlande, in den TV-Debatten der Spitzenkandidaten keine Rolle spielte. Stattdessen ging es in den letzten Wochen vor dem Urnengang um die effektivste Bekämpfung der gestiegenen Arbeitslosigkeit, die Wiederbelebung der schwächelnden Wirtschaft und die Zukunft der Europäischen Union bzw. des Euros. Bei diesen vorwiegend sozial-ökonomischen Themen, bei denen PvdA und VVD als issue owners fungieren, konnte Wilders das Elektorat offenkundig nicht überzeugen. Die in gewohnt kernige Oneliner verpackten Plädoyers für den sofortigen EU-Austritt der Niederlande sowie die Wiedereinführung des Guldens waren für 9 von 10 Wählern keine Alternative für den Kurs der etablierten Parteien im politischen Den Haag.
Darüber hinaus hat Wilders fraglos viel von seinem Kredit verspielt. 43% seiner ehemaligen Wähler sind laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Synovate der Ansicht, dass eine Stimme für die PVV verschenkt ist. Die Rechtspopulisten würden in Den Haag für „Henk und Ingrid“ (Wilders‘ Musterpaar, hart arbeitende, autochthone Niederländer, denen nichts geschenkt wird) ohnehin nichts ausrichten können. Das stimmt fraglos: Eine erneute direkte oder auch nur indirekte Regierungsbeteiligung war bereits im Vorfeld nahezu ausgeschlossen. Im Bereich der Immigrationspolitik hat die PVV in den anderthalb Jahren „Tolerierungsunterstützung“ für das Minderheitskabinett Rutte I fast nichts erreicht. Der Verlust an Glaubwürdigkeit hat jedoch auch andere Ursachen. Zur Erinnerung: Vor den letzten Wahlen zur Zweiten Kammer am 9. Juni 2010 sprach sich die PVV vehement für die Beibehaltung des Renteneintrittsalters von 65 Jahren aus. Am 10. Juni teilte Wilders den verdutzten Journalisten am Binnenhof plötzlich mit, dieser Punkt sei nun doch verhandelbar. Wen wundert es, dass anno 2012 die „Seniorenpartei“ 50+ aus dem Stand 2 Parlamentssitze erobern konnte. Vermutlich befanden sich unter deren Wählern zahlreiche enttäuschte, ältere Ex-PVV-Sympathisanten. Eine exakte Auswertung des diesjährigen Urnengangs in puncto Wählerwanderungen wird diesbezüglich in Kürze mehr Klarheit verschaffen.
Nach den inzwischen fünften Wahlen zur Zweiten Kammer nach der Jahrtausendwende scheint der Vormarsch des Rechtspopulismus in den Niederlanden einstweilen gestoppt worden zu sein. Beeindruckend war am 12. September 2012 das unerwartete Comeback der politischen Mitte: Zwei der drei traditionellen Volks- bzw. Großparteien, VVD und PvdA, verfügen im neuen nationalen Parlament über 79 der 150 Sitze. Mit dem CDA und den linksliberalen D66 erreicht das von den Populisten regelmäßig verschmähte „Establishment“ am Binnenhof sogar eine komfortable Mehrheit von 104 Sitzen. Es liegt auf der Hand, dass diese Parteien alles daran setzen werden, eine Regierung zu bilden, die zum ersten Mal seit „Paars I“ (violette Koalition, PvdA, VVD und D66, Ministerpräsident Wim Kok, 1994-1998) die komplette Legislaturperiode von vier Jahren im Amt bleibt.
Aus Geert Wilders‘ Perspektive ist dieses Zukunftsszenario ziemlich reizvoll: Sofern die politische Mitte einträchtig zusammenarbeitet, kann er eine neue Regierung, mutmaßlich Rutte II, von der rechten Flanke rhetorisch unter Beschuss nehmen. Ob er probiert, das inzwischen abgenutzte Anti-Islam-Thema wieder prominent auf die Agenda zu setzen, erscheint fraglich. Nach Koranverbot, Fitna und „Kopflumpensteuer“ gibt es keine Steigerungsmöglichkeiten mehr.
Es ist jedoch auch nicht ausgeschlossen, dass die niederländische Politik vor dem nächsten regulären Wahltermin ihre schillerndste Figur verliert: Womöglich setzt Wilders ähnlich wie seine ehemalige VVD-Parteikollegin Ayaan Hirsi Ali auf eine internationale Karriere bei einer mehr oder weniger konservativen US-amerikanischen Denkfabrik. Ein längerfristiges Abenteuer in Übersee könnte nach mittlerweile 22 Jahren im politischen Den Haag für den Politiker aus Venlo durchaus verlockend sein. Sein großer Traum, Ministerpräsident der Niederlande zu werden, wird sich nach menschlichem Ermessen nie erfüllen. Ausland Leitartikel
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„Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“
(Francis Picabia)
Momentmal, Henk & Ingrid. Da war doch was. Lieber Autor, können Sie mir folgende Nachricht bestätigen??
http://allaboutgeertwilders.wordpress.com/2012/07/06/henk-ingrid-schlagen-turken-tot/
Ob Wilders Verluste hat oder nicht. Es ändert nichts an der Tatsache, das die Wählerschaft mit Hang zum Rechten Spektrum da ist und da bleibt.
Sie suchen sich nur andere Parteien die ihnen eher entsprechen.
AHA, ein ganz normaler Vorgang, wenn kulturfremde Zuwanderer die Kultur und die Einheimischen selbst verdrängen, wenn sie mich fragen. Das wird noch schlimmer werden. Eine multikulturelle Gesellschaft GIBT es nicht. Und wenn sich die Verfechter eben jener auf den Kopf stellen.