NSU-Untersuchungsausschuss
Bouffier ist sich keiner Schuld bewusst
Den letzten Mord verübten die NSU-Terroristen in einem Internet-Café in Kassel. Die Polizei versuchte zu ermitteln, durfte aber nicht. Volker Bouffier verweigerte die Vernehmung von V-Leuten. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss verteidigte er seine Entscheidung – „mit Ausflüchten“.
Montag, 01.10.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.10.2012, 7:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Volker Bouffier verteidigte vor dem NSU-Untersuchungsausschuss seine Entscheidung aus dem Jahre 2007, der Polizei die Vernehmung von V-Leuten zu verweigern. Die Vernehmung hätte den NSU-Mord an Halit Yozgat in einem Kasseler Internet-Café aufklären können.
Im April 2006 hatten, wie man heute weiß, die NSU-Rechtsterroristen den türkischstämmigen Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat in Kassel erschossen. Er war das neunte Opfer einer Mordserie mit einer breiten Blutspur durch die gesamte Republik. Brisant war, dass Andreas T., ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, kurz vor oder sogar während der Tat in dem Café gesurft hatte – nach eigener Aussage nur zufällig. Er galt zeitweise selbst als tatverdächtig. Im Januar 2007 wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt.
Schutz der Geheimdienstquellen vor Aufklärung
Zu diesem Zeitpunkt war Volker Bouffier (CDU), amtierender hessischer Ministerpräsident und ehemaliger Innenminister, höchster verantwortlicher Politiker für die Sicherheit im Land. Und trotz Drängens der Polizeiermittler verweigerte Bouffier damals die Aussagegenehmigung für fünf V-Leute, die Andreas T. geführt hatte. Der CDU-Politiker begründet dies mit dem Schutz der Geheimdienstquellen und der Sicherheit des Landes Hessen.
So auch am Freitag (28.9.12) vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. Bouffier wies jede Schuld von sich: „Meine Entscheidung war seinerzeit geboten. Sie war richtig, auch aus heutiger Sicht.“ Es sei damals nie um die Frage gegangen, ob die V-Leute überhaupt aussagen sollen. Die Frage sei lediglich gewesen, ob sie mittelbar von der Polizei oder unmittelbar durch den Verfassungsschutz befragt werden sollten. „Ich habe mir meine Entscheidung nicht leicht gemacht“, so Bouffier.
Neun Monate Zeit gelassen
Wie der innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im hessischen Landtag, Jürgen Frömmrich, am Freitag in Berlin kritisierte, hat sich Bouffier die Entscheidung nicht nur schwer gemacht, sondern auch neun Monate gewartet, ehe er überhaupt eine Entscheidung über die Aussagegenehmigung der V-Leute traf. „Dies muss die Ermittlungen doch massiv aufgehalten haben“, so der Grünen-Politiker.
„Mich überzeugt Ihre Argumentation nicht“, sagte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), an die Adresse von Bouffier. Die direkte Vernehmung der V-Männer sei „essenziell“ gewesen und dies sei der Polizei verwehrt worden.
Ungenau ausgedrückt
„Mich haben die Ausflüchte von Ministerpräsident Bouffier heute überhaupt nicht überzeugt“, ergänzte SPD-Obfrau im Ausschuss, Eva Högl. Bouffier habe den Schutz von V-Leuten über die Polizeiermittlungen in einer bundesweiten Mordserie gestellt. „Das halte ich für einen schweren Fehler.“ Das Nein zu einer direkten Befragung der V-Leute habe die Ermittlungen lange Zeit in eine falsche Richtung gelenkt, so Högl. Sie kritisierte den hessischen Politiker als „eiskalten Bürokraten“, was sich auch darin zeige, dass er den Eltern des Mordopfers Yozgat ein persönliches Gespräch verweigert habe.
Einen weiteren belastenden Kritikpunkt nannte Nancy Faeser, innenpolitische Sprecherin der hessischen SPD-Landtagsfraktion. „Bouffier hat offenbar den Innenausschuss belogen. Während der Verfassungsschützer T. weiterhin von der Staatsanwaltschaft als verdächtig bezeichnet wurde, bezeichnete er ihn in der Sitzung vom 17. Juli 2006 als unschuldig ”, so die SPD-Politikerin am Freitag in Berlin. Das stimmte aber nicht und Bouffier wusste das. Vor dem Untersuchungsausschuss verteidigte er sich, dass er sich da wohl ungenau ausgedrückt habe. Er habe gemeint, dass T. nicht mehr „dringend tatverdächtig“ gewesen sei. (bk) Leitartikel Politik
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U-Ausschuß läß Bouffier zu leicht davonkommen!
Nach Ermittlungen der Polizei trug Andreas T. in seinem Wohnort Hofgeismar wegen seiner allgemein bekannten „rechten Gesinnung“ den Namen „Kleiner Adolf“.
Hierzu ist folgendes anzumerken:
Erstens ist es extrem unwahrscheinlich, daß der Verfassungsschutz (VS) bei seiner Personenüberprüfung von Andreas T. dies nicht festgestellt hätte, und auch daß T. ohne besonderen Grund eine derartige Gesinnung öffentlich zur Schau gestellt hätte, obwohl er hätte davon ausgehen müssen, daß dies, sofern es nicht mit dem Amt abgestimmt worden wäre, ihn den Job hätte kosten können.
Gerade deswegen ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß der VS eine solche Person mit Absicht beschäftigt haben könnte, um ihn als Agent Provocateur einzusetzen. Es sind Fälle belegt, in denen Verfassungsschutzbeamte Rechtsextremisten mit dem Köder anzuwerben versuchten, daß der VS eigentlich für die gleichen Ziele kämpfe wie sie selbst. In anderen Fällen haben Verfassungsschutzbeamte – und in einigen bekannten Fällen sogar Polizeibeamte des Staatsschutzes (mit gefälschten Identitäten) – rechte „Kameradschaften“ und ähnliche Strukturen gezielt radikalisiert und zu Gewalttaten animiert. Ein besonders spektakulärer Fall in Baden Württemberg flog nur deswegen auf, weil der betreffende Agent in feucht-fröhlicher Kollegenrunde von seinem tollen Einsatz erzählte, und ein Kollege dies im Baden-Württembergischen Landtag aufs Tapet brachte. – Die Erwägung der Möglichkeit, daß auch Andreas T. von Amts wegen als Agent Provocateur gearbeitet haben könnte, ist also insofern keineswegs abwegig, als es durchaus entsprechende Präzedenzfälle gibt.
Wenn es den Behörden und Untersuchungsausschüssen wirklich daran läge, die tatsächlichen Hintergründe der NSU-Morde aufzuklären, müßten sie also schon aus diesem Grund den Fall T. wesentlich gründlicher aufklären, als jetzt der Fall zu sein scheint.
Das gilt umso mehr, da die Kasseler Staatsanwaltschaft Anfang dieses Jahres den Generalbundesanwalt darüber informierte, daß es im Zusammenhang mit den seinerzeitigen Ermittlungen wegen des Mordes an dem Türken Halit Yozgat (Kassel, 2006) einige Eigentümlichkeiten gab, die jetzt, nach Aufdeckung des NSU-Terrors, in einem neuen Licht erscheinen.
Zum Beispiel:
1. Andreas T. war nicht nur ausgerechnet zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat im betreffenden Internetladen anwesend (Zeitfenster: wenige Minuten, in denen er sich dort aufhielt), sondern er hat außerdem ca. 4 Stunden vor dem Mord mit dem von ihm geführten V-Mann in der Kasseler rechten Szene (Tarnname: „GP 389“) telefoniert, und zwar ganz kurz, nämlich 17 Sekunden – zu kurz für ein wirkliches Gespräch, aber ausreichend für eine kurze Bestätigung oder für die Übermittlung einer Anweisung oder Information.
2. Der V-Mann „GP 389“ rief dann am Mordtag um 16.11 Uhr, also ca. 50 Minuten vor dem Mord, von sich aus bei der Kasseler Außenstelle des Landesverfassungsschutzes an und sprach mit seinem V-Mann-Führer Andreas T. Kurze Zeit danach muß sich T. zum Internetcafé begeben haben.
3. Darüber hinaus wurde Andreas T. nur 20 Minuten nach dem Mord von einem ebenfalls von ihm geführten V-Mann aus der „Islamistenszene“ angerufen.
4. Laut Unterlagen, die vor sechs Jahren bei T. beschlagnahmt wurden, waren zwischen ihm und seinem V-Mann „GP 389“ auch am 9. Juni 2005 und am 16. Juni 2005 Telefonate vereinbart. Am 9. Juni 2005 wurde der Türke Ismail Yasar in seinem Nürnberger Döner-Lokal ermordet, am 15. Juni 2005 der Grieche Theodorus Boulgarides in München.
Wenn vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund des inzwischen bekannten NSU-Terrors und der im Zusammenhang damit in verschiedenen Hinsichten ohnehin bestehenden Verdachtsmomente gegen amtliche Stellen Ministerpräsident Bouffier sich immer noch weigert, die V-Leute von Andreas T. vernehmen zu lassen, so muß ich dem linken Mitglied des Bundestags-U-Ausschusses Petra Pau recht geben. Sie sagte kürzlich, daß es immer schwieriger werde, sogenannten Verschwörungstheorien überzeugend entgegenzutreten. – – – Eine ganz andere Frage ist natürlich, warum man es überhaupt sollte, wenn sie durchaus stimmen könnten.
Sigge
Der „tiefe Staat“ schützt seine Handlanger. Alles wie gehabt.