Arbeitsgericht Berlin
Drei Monatsgehälter Schadensersatz für Diskriminierung wegen Kopftuch
Gericht spricht einer jungen Frau Schadensersatz in Höhe von drei Monatsgehältern zu. Sie wurde aufgrund ihres Kopftuches nicht eingestellt. Die Begründung des Gerichts: Das Kopftuch ist kein Schmuckstück.
Donnerstag, 18.10.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 23.10.2012, 23:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In einem jetzt bekannt gewordenen und seit Ende September rechtskräftigen Urteil (Az.: 55 C1 2426/12) hat das Arbeitsgericht Berlin einer Kopftuchträgerin eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern zugesprochen. Der beklagte Zahnarzt verlangte von der Klägerin, die sich um einen Ausbildungsplatz bewarb, ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Dieser Aufforderung kam die Bewerberin nicht nach und lies sich zunächst beim Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB des TBB) beraten.
Gemeinsam wurde entschieden, gegen die Zahnarztpraxis zu klagen. Rechtsanwältin Maryam Haschemi Yekani hatte der Klage aufgrund der Beweislage gute Chancen eingeräumt und zeigt sich sehr erfreut über dieses Urteil: „Das Urteil ist vor allem deshalb wichtig, da hier eindeutig die individuelle Glaubensüberzeugung von Menschen vor Diskriminierungen geschützt wird. Gleichzeitig stellt das Urteil fest, dass ein Kopftuch (auch) in medizinischen Berufen mit der üblichen Kleiderordnung vereinbar ist und der Arbeitgeber nicht das Recht hat, dies durch eine individuelle Entscheidung zu unterbinden.“
Kopftuch kein Schmuckstück
Das Kopftuch stellt laut Urteil, die dem MiGAZIN vorliegt, „nicht ein gewöhnliches Kleidungs- oder Schmuckstück dar, bei welchem der Ausbilder aus Gründen der Arbeitssicherheit, der Ästhetik, der Gleichbehandlung oder der Normsetzung im Rahmen einer Kleiderordnung das Ablegen begehren könnte. Vielmehr stellt es den unmittelbaren Ausdruck der eigenen Religiosität gegenüber der Umwelt dar, und sein Tragen ist Akt der Religionsausübung. Das Tragen des Kopftuches steht nicht im Belieben der Klägerin, sondern ist Bestandteil ihres Bekenntnisses.“
Eva Maria Andrades, juristische Mitarbeiterin des ADNB, die die Klägerin als Beistand in der Verhandlung unterstützte, hebt hervor: „Dieses Urteil lässt keinen Zweifel daran, dass Arbeitgeber sich nicht über das Recht auf Gleichbehandlung hinwegsetzen können. Es soll Menschen, die Diskriminierung erfahren, ermutigen, sich dagegen zur Wehr zu setzen.“
Diskriminierung wegen Kopftuch kein Einzelfall
Wie Andrades dem MiGAZIN weiter mitteilt, melden sich viele Frauen mit ähnlichen Problemen beim ADNB. Insbesondere im Arbeitsleben würden Frauen mit Kopftuch häufig diskriminiert. Die meisten würden den Rechtsweg aus Kostengründen oder aufgrund der schwierigen Beweislage scheuen. Andrades: „Dabei reichen nach dem AGG Indizien aus, um eine Beweislastumkehr zu erreichen.“ So müsse der Arbeitgeber beweisen, dass es keine Diskriminierung gegeben hat.
Andrades rät allen Betroffenen, in einem Gedächtnisprotokoll den Diskriminierungssachverhalt festzuhalten. Außerdem sollte man E-Mails oder Schriftwechsel aufbewahren und Zeugen benennen, falls vorhanden. Je besser eine Diskriminierung dokumentiert sei, desto größer seien auch die Erfolgsaussichten einer Klage. In jedem Fall aber sollten sich Betroffene möglichst zeitnah beraten lassen, um keine Fristen zu versäumen. Wichtig sei die Beratung aber auch einem anderen Grund: „Wir dokumentieren Diskriminierungsfälle.“ Das sei ganz wichtig, um das Ausmaß des Problems zu aufzuzeigen.
Gesetzliche Kopftuchverbote färben ab
Viele Menschen hätten immer noch kein Unrechtsbewusstsein entwickelt. Vielen sei nicht einmal klar, dass sie gegen Gesetze verstoßen. Nach Ansicht der ADNB-Rechtsexpertin kann man Diskriminierung allein mit dem AGG nicht verhindern. Die rechtliche Schiene sei nur ein Strang. „Der Staat muss aktiv werden und viel klarer auftreten, Beratungsstellen unterstützen und Aufklärungskampagnen starten“, fordert sie. Das sei zwar ein langer aber wichtiger Prozess.
Essenzielles Problem seien aber auch die gesetzlichen Kopftuchverbote für bestimmte Berufe im öffentlichen Dienst oder auch die Kirchenklausel im AGG. Danach dürften kirchliche Einrichtungen wie Krankenhäuser Menschen anderer Konfessionen ganz offen aufgrund der Religion ausgrenzen, ohne eine Sanktion befürchten zu müssen. „Ist das der richtige Weg? So etwas hat doch Signalwirkung auf die gesamte Gesellschaft“, stellt Andrades fest. Solche Verbote und Regelungen färbten ab, so wie im vorliegenden Fall.
AGG als Erziehungsprogramm
Der angeklagte Zahnarzt hatte die Ablehnung der Bewerberin aufgrund ihres Kopftuches zugestanden, sah darin aber keine Diskriminierung. Er allein könne bestimmen, wer in seiner Praxis arbeitet. Deshalb begrüßt Zülfukar Çetin, Vorstandsmitglied des TBB, neben dem Urteil auch die klaren Worte, die der Richter gefunden hat: Dass der Richter im AGG einen Versuch eines „gesellschaftlichen Erziehungsprogramms“ sieht, ist ein großer Schritt in Richtung einer Antidiskriminierungskultur.“ Leitartikel Recht
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@Der Türke
„wenn euch die deutsche Gesetzgebung nicht passt, könnt ihr ja nach Taka-Tuka Land auswandern.“
Danke gleichfalls. In Zukunft wird ja jeder sich an die Gesetze halten: es gibt einfach keine Begründung und gut iss. Man wird nicht mal mehr fragen ob es für die Dame auch möglich wäre ohne Kopftuch zu arbeiten, man wird einfach sofort ablehnen. Was hat man erreicht? Nichts! Wer ist der Blöde?
@Tim B.
Na und? Eures gleichen will surreal leben und sich eine Parallel Gesellschaft schaffen? Wen interresiert das? Das sorgt im Umkehrschluss das sich meine Community noch mehr engagiert, noch mehr Ärzte, noch mehr Anwälte ect. pp. hervorbringt. Goldene Regel : was nicht passt wird halt passend gemacht. Früher oder später sind auch wir,so wie wir sind, ein vollwertiger Bestandteil dieser Gesellschaft. Und die Geburtenrate der Bio-Deutschen ist auch nicht grad blumig.
Wie sagtest du gleich? ……….“…und gut is!“
Als erstes solltet ihr aufhören zu stressen, euch zurück lehnen und entspannen……ganz cool!
Ha! Über manche der Kommentare kann man sich wie häufig nur wundern. Diese gemeinen, rückständigen Muslime berufen sich aufs Grundgesetz, wie fies. Das ist mal eine Rechtsauffassung. Und ja, natürlich hätte der Arzt die Klage umgehen können, in dem er eine andere Ablehnung forumuliert hätte. Das ist aber nicht „Problem“ des Urteils, sondern seine Voraussetzung: Es ist ja nicht die Aufgabe des Gerichts, den Arzt von seinen Vorurteilen zu befreien. Das erstens nicht möglich, zweitens ist das auch nicht mit dem „Erziehungsauftrag“ (damit bin ich allerdings auch nicht so einverstanden) gemeint. Der bezieht sich darauf, dass das Gericht feststellt, dass eine Diskriminierung aufgrund des Kopftuches rechtswidrig ist. Der Arzt, dem das nicht mal bewusst war, ist jetzt schlauer und sogar der eine oder andere Kommentator unter diesem Artikel weiß jetzt, dass seine persönlichen Vorurteile nicht mit dem deutschen Rechtssystem konform gehen.
„Gerber sagt:
18. Oktober 2012 um 15:52
… Ich frag mich gerade warum man lieber das Kopftuch weiterhin trägt, als dieser Gesellschaft als Arbeitsloser nicht zur Last zu fallen. Ist das nicht ziemlich egoistisch und selbstherrlich? …“
Stell die Frage doch dem Zahnarzt! Warum hat er sie NUR wegen dem Kopftuch nicht eingestellt und sie somit gezwungen weiter in der Arbeitslosenstatistik zu verweilen. Was wird dann wohl das nächste K.O.-Kriterium sein: Körbchengröße A, midle Age, kurze Haare, Jeanshose statt Mini?
„Belladetta sagt:
18. Oktober 2012 um 22:29
…Die Frage ist doch, inwieweit sich jemand als teamfähig erweist und sich in eine Gruppe einfügen kann und will oder eben nicht. Auch mit Doktortitel können Sie sich keine Punkfrisur leisten, …“
Ah, der Spießbürger meldet sich zu Wort.
Ehrlich gesagt, ist die Frisur für mich kaum relevant, wenn ich eine kompetente Behandlung haben möchte. Allerdings hat auch ein Doktortitel diesbezüglich kaum Relevanz. Was hat den bitte TEAMFÄHIGKEIT mit Kopftuch zu tun. CI ist zwar gerade en vouge, das heißt aber noch lange nicht, dass man nicht gemoppt werden kann.
@einspruch.
Ein „Pseudo-Kopftuch“ im Gesundheitswesen ist nicht nötig, da das Kopftuch in diesem Fall als religiöse Kopfbedeckung vom AGG gedeckt wird.
Das gilt auch für Bedienstete in kirchlichen Einrichtungen, weiß ich aus Erfahrung mit einem kirchlichen Altersheim , in dem eine Altenpfllegerin mit Kopftuch arbeitet.
Das Kirchenprivileg gilt nur für Schlüsselpositionen und bezieht sich nicht auf die Kleidung, sondern auf die Konfessionszugehörigkeit.
Das heißt, eine Muslimin müsste für eine leitende oder repräsentative
Funktion in so einem Haus der jeweiligen Kirche beitreten.
Ob sie dann weiterhin kraft AGG ein Kopftuch tragen darf, wäre sicher ein interessanter Fall für ein Jura-Seminar;-)
@türke.
das ist wieder DAS totschlagargument. wir bekommen wenig oder keine kinder, aber ihr. wenn ich mir aber unsere türkischen nachbarn so anschau, haben die auch nur noch höchstens 2 kinder. und alle anderen werden auch von der eigenen klientel schief angeschaut.
genau das gleiche haben in den 70er jahren die jugoslawen auch gemeint und man schaue und staune, was aus denen geworden ist. warten wir also ein paar jahre…….
wie heißt es so schön: hochmut kommt vor dem fall
@türke.
In andere Länder migrieren und den Einheimischen mit demographischer Verdrägung drohen, wie primitiv ist DAS denn?
@Der Türke
“wenn euch die deutsche Gesetzgebung nicht passt, könnt ihr ja nach Taka-Tuka Land auswandern.”
@Torgey
„und sogar der eine oder andere Kommentator unter diesem Artikel weiß jetzt, dass seine persönlichen Vorurteile nicht mit dem deutschen Rechtssystem konform gehen.“
Vollkommen richtig. Die Richter haben Recht angewandt. Sie haben vollkommen korrekt gehandelt.
Auch beim Beschneidungsurteil wurde korrekt deutsches Recht angewandt. Wenn die oben genannten Zitate zutreffend sind, dann sind sie ebenso zutreffend in Zusammenhang mit dem Beschneidungsurteil. Das ist lediglich eine logische Konsequenz.
…Auch beim Beschneidungsurteil wurde korrekt deutsches Recht angewandt. Wenn die oben genannten Zitate zutreffend sind, dann sind sie ebenso zutreffend in Zusammenhang mit dem Beschneidungsurteil. Das ist lediglich eine logische Konsequenz…
und nochmals, nein, das ist nicht der Fall: bei erster Betrachtung widersprechen sich beide Urteile, weil sie das Grundgesetz unterschiedlich einbeziehen! Der „Beschneidungsrichter“, sehr offensichtlich ein Islamophober im Schafstalar, haut die Beklagenden weg, stellt eine abstrakte und fehlerhafte Begründung, womöglich Ausdruck seiner eigenen Eitelkeit, über das Wohl der Allgemeinheit, und negiert gleichzeitig das Grundgesetz! Das will den Internet“rebellen“ noch nicht ein mal auffallen, wie er ganze Artikel des Grundgesetzes weg haut, und geben oben drein noch allen Anderen Schuld, aber nicht dieser Fehlbesetzung..
Dieser Richter hier hingegen schafft einen Ausgleich auf der Grundlage des Grundgesetzes, verschont den Arzt sogar weitest gehend!
Sie, in Ihrem Trolleifer aber, wollen einfach die Kröte nicht schlucken, dass es in der BRD nun einmal Fehlurteile gibt. Und nach diesem Fehlurteil sogar „rassistisch motivierte“..
Bitte erkundigen Sie sich endlich darüber, wie Ihre Umwelt so funktioniert, e.g. lesen Sie Artikel bei Migazin oder wo anders, und vergleichen Sie.. Und versuchen Sie hier nicht bei jeder Gelegenheit jedermann/frau, die Naturgesetze Ihres Paralleluniversums zu erklären..
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