Racial Profiling 3/3
Die Politik muss sich ändern
In Deutschland kontrolliert die Polizei gezielt Schwarze Menschen und erfüllt damit den Tatbestand des "Racial/Ethnic Profiling“. Ende Oktober geht ein Prozess in Berufung. Der Fall des Klägers ist kein Einzelfall, wie drei Erfahrungsprotokolle zeigen. Heute: Dr. Anil K. Jain
Von Hadija Haruna-Oelker Freitag, 26.10.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 24.03.2022, 15:22 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Dr. Anil K. Jain ist in München geboren. Der 43-Jährige ist Sozialwissenschaftler und doziert derzeit (neben vielen anderen Aktivitäten) an der Hochschule Kempten.
In Zügen werde ich immer mal wieder von der Bundespolizei kontrolliert. Sehr gehäuft kam es vor, als ich von 2009 bis 2011 in einem Forschungsprojekt arbeitete, das an der TU Chemnitz angesiedelt war. Auf der Fahrt von München dorthin und zurück, die an der Grenzregion zu Tschechien entlang führt, wurde ich sicher bei etwa 50 Prozent der Fahrten kontrolliert – also bis auf sehr wenige Ausnahmen bei allen Fahrten, bei denen überhaupt Beamte der Bundespolizei in den Zug stiegen. Sehr oft war ich der Einzige im Abteil, der sich ausweisen sollte.
Die Häufigkeit und das Muster dieser Kontrollen sind mit Zufall nicht mehr zu erklären, sondern es ist evident, dass hier Mechanismen des »ethnic profiling« zum Tragen kommen – denn bis auf die Tatsache, dass ich nicht so aussehe, wie viele sich einen „typischen Deutschen“ vorstellen, gab es an meiner Person und meinem Verhalten keinerlei Besonderheiten.
Je nachdem, ob ich auf eine Auseinandersetzung Lust hatte, sprach ich die Beamten auf ihr rassistisches Vorgehen an. Die Reaktionen hierauf waren unterschiedlich: Einige zeigten sich gesprächsbereit, andere sprachen leere Drohungen einer Anzeige aus. Ich habe mir jedoch immer die Dienstausweise der Beamten zeigen lassen und deren Daten notiert, bevor ich meinen Ausweis herausgeholt habe. Auch wenn ich letztlich nichts mit ihren Personalien gemacht habe, habe ich so zumindest die Situation umgedreht und umdefiniert. Doch es ärgert mich, dass ich mich in meinem eigenen Land nicht unbehelligt bewegen kann und ich mir diese rassistische Praxis gefallen lassen muss.
Die Begründungen, die die gesprächsbereiten Polizisten für ihre Kontrollen im Allgemeinen anführten, zeigten mir deutlich, wie tief ihr stereotypes Denken verankert und wie fragwürdig solche verdachtsunabhängigen Kontrollen überhaupt sind. Jemand der nicht so aussieht, wie Polizisten sich einen Deutschen oder Europäer vorstellen, gilt ihnen als Kandidat für eine illegale Einreise. Ganz abgesehen davon, dass man in unserer heutigen Welt zum Beispiel an der Hautfarbe keineswegs die Staatsangehörigkeit ablesen kann. Zudem wissen einigermaßen clevere Schmuggler sicher besser als die Polizei, auf welchen Wegen das geringste Risiko herrscht, erwischt zu werden. Und Züge, die regelmäßig vom BGS kontrolliert werden, meiden sie sicher. Für mich sind diese verdachtsunabhängigen Kontrollen nur die Hintertür, um erneut Grenzkontrollen einzuführen. Doch wird mit ihnen klar der Gleichheitsgrundsatz gebrochen, wenn sie weiterhin auf rassistischen Stereotypen aufbauen.
Gegen Ende meines Projekts hat es mir gereicht. Ich wollte etwas dagegen unternehmen. Unter anderem habe ich mich an Parteien gewandt und mich auch bei der Bundespolizei beschwert. Die Reaktion der Bundespolizei klang professionell: „Die Beamten der Bundespolizei sind gehalten, sich bei Personenkontrollen nicht an äußeren Erscheinungsmerkmalen zu orientieren, sondern vielmehr polizeiliche Lageerkenntnisse bei der Kontrolle hinzuzuziehen.“ Andererseits wurde erläutert: „Das Erkennen von relevanten Personen ist dabei für die Polizei besonders schwierig.“
Meine Frage: War es nicht immer schon so, dass Vorurteile – auf Kosten der Diskriminierten – einfache Antworten auf komplexe Probleme liefern? Es hätte natürlich die Möglichkeit gegeben Klage einzureichen, aber dazu hätte ich eine bessere Dokumentation der Vorfälle und idealerweise auch aussagebereite Zeugen benötigt. Aber erstens wären die Erfolgschancen eher gering – mit der Gefahr, dass man im Fall der Niederlage gerichtlich attestiert bekommt, dass man sich die Kontrollen gefallen lassen muss. Und zweitens ist das juristische System eigentlich der falsche Adressat.
Tatsächlich handelt es sich hier nämlich um ein politisch-gesellschaftliches Problem. Denn wenn die Politik wollte, könnte sie Gesetze erlassen, die solche Formen der Diskriminierung klar untersagen, und das Innenministerium könnte – neben notwendigen Schulungs- und Aufklärungsmaßnahmen – aktiv gegen Beamte vorgehen, die Personen in diskriminierender Weise herausgreifen.
Noch viel wichtiger ist es jedoch, dass sich etwas in den Köpfen der Menschen ändert. Denn wenn es einen Punkt gibt, in dem der Nationalsozialismus auch „posthum“ wirklich erfolgreich war, dann ist es in der Schaffung des (Phantasie-)Bildes des blonden, blauäugigen Deutschen, der die „Reinheit“ seines Blutes bis in die zweite Generation seiner Vorfahren nachweisen muss. Bezeichnenderweise dient ja ein ähnliches Kriterium für die Definition des sogenannten „Migrationshintergrunds“.
Immer wieder geht es mir so, dass ich in privaten Gesprächen nach meiner Herkunft gefragt werde. In den seltensten Fällen gibt man sich dann mit meiner Antwort „München“ zufrieden. Es wird nachgehakt: und deine Eltern? Das betrifft auch und gerade viele „gut meinende“ Personen, die sich selbst nie als rassistisch bezeichnen würden. Juristisch kann man dieses Denken, auf dem letztlich auch die staatlichen Diskriminierungspraktiken beruhen, kaum ändern. Hier muss sich die Mitte der Gesellschaft bewegen. Aktuell Meinung
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