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FES-Studie

Rechtsextremes Denken in der Mitte weit verbreitet

Extremistische Einstellungen sind weit verbreitet, zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Danach sind 39 Prozent der Ostdeutschen ausländerfeindlich, gegenüber 22 Prozent der Westdeutschen. Besonders hoch ist die Islamfeindlichkeit.

Dienstag, 13.11.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Seit Jahren weist die Friedrich-Ebert-Stiftung anhand empirischer Befunde darauf hin, dass rechtsextremes Denken in Deutschland kein „Randproblem“, sondern eines der Mitte der Gesellschaft ist. Auch 2012 wurde wieder eine bundesweite repräsentative Befragung durchgeführt.

Danach verharren rechtsextreme Einstellungen in Deutschland auf einem hohen Niveau. Während die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur abnimmt, ist Chauvinismus bundesweit bei knapp 20 % der Bevölkerung anzutreffen. Die Ausländerfeindlichkeit ist mit 25,1 % bezogen auf ganz Deutschland die am weitesten verbreitete rechtsextreme Einstellungsdimension. Der Antisemitismus ist bei rund jedem elften Deutschen manifest und findet sich zum ersten Mal bei Ostdeutschen häufiger als bei Westdeutschen. Schien die Verharmlosung des Nationalsozialismus bisher vor allem ein Problem in Westdeutschland, ist sie nun ebenfalls im Osten deutlicher ausgeprägt.

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Bildung schützt vor Rechts
Dabei finden sich zwischen den Bevölkerungsgruppen differenziert nach Merkmalen wie Alter, Bildungsgrad oder Migrationshintergrund deutliche Unterschiede. Über alle Dimensionen hinweg ist Bildung ein „Schutzfaktor“ gegen rechtsextreme Einstellungen: Personen mit Abitur neigen prozentual deutlich weniger zu rechtsextremem Denken als Personen ohne Abitur. Besonders ausländerfeindlich eingestellt zeigen sich Arbeitslose, und Antisemitismus ist unter Ruheständlern am weitesten verbreitet. Bei den über 60jährigen finden sich bundesweit in allen Dimensionen die höchsten Werte.

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Bezogen auf ganz Deutschland ist im Vergleich zu 2010 ein Anstieg rechtsextremen Denkens (geschlossenes rechtsextremes Weltbild) von 8,2 auf 9,0 % zu verzeichnen. Einem moderaten Rückgang in Westdeutschland (von 7,6 auf 7,3 %), steht ein massiver Anstieg in Ostdeutschland (von 10,5 auf 15,8 %) gegenüber. Dieser Trend zeigt sich auch im Zeitverlauf seit 2006: Während die Gruppe derjenigen mit geschlossenem rechtsextremen Weltbild in Westdeutschland kontinuierlich von 9,1 auf 7,6 % gesunken ist, hat sie sich im Osten von 6,6 auf 15,8 % mehr als verdoppelt.

Ausländerfeindlichkeit steigt
Während in Westdeutschland 2012 jeder fünfte Bürger eine ausländerfeindliche Einstellung hat, denken in Ostdeutschland fast 39 % manifest ausländerfeindlich. Der Wert für den Osten steigt seit 2004: Damals zeigte sich jeder vierte Ost- wie Westdeutsche ausländerfeindlich. Trotz vielfältiger Bemühungen um die Stärkung der Zivilgesellschaft und trotz erfolgreich arbeitender Projekte sind in den letzten Jahren positive Effekte nur im Westen festzustellen. Einmal mehr bestätigt sich, dass Ausländerfeindlichkeit da besonders hoch ist, wo kaum Migranten leben.

Für die besorgniserregende Tendenz im Osten werden von den Autoren u.a. ökonomische Strukturmerkmale als Ursache vermutet, vor allem das Phänomen der Entkopplung bestimmter Regionen von der allgemeinen sozioökonomischen Entwicklung (insbesondere „abdriftende“ ländliche Regionen). Allerdings gibt es solche abwärtsdriftende Regionen nicht nur im Osten sondern auch im Westen. Generell schneiden Stadtstaaten (Berlin, Hamburg) besser ab als ländlich geprägte, weniger industrialisierte Flächenstaaten. Rechtsextremismus ist also ausdrücklich nicht nur ein Problem des Ostens. Allerdings ist der sonst übliche Alterseffekt in Ostdeutschland teilweise gegenläufig: Die Ostdeutschen weisen in der jungen Altersgruppe (14-30 Jahre) anders als in früheren Befragungen bei der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Sozialdarwinismus und der Verharmlosung des Nationalsozialismus höhere Werte auf als in der Altersgruppe über 60. Die Ausländerfeindlichkeit beläuft sich bei jungen Ostdeutschen auf 38,5 %.

Mehr als jeder zweite Islamfeindlich
Wie die Ausländerfeindlichkeit allgemein, so ist insbesondere die Islamfeindschaft in den letzten Jahren zunehmend zum Propagandafeld für rechtsextreme Parteien geworden. Warum, dass belegen die Zahlen der Erhebung: Eine Rückständigkeit des Islams behaupten 57,5 % der Deutschen, 56,3 % halten den Islam für eine „archaische Religion“. Es zeigt sich, dass sich Rassismus in hohem Maße auf den Islam verschiebt und damit im neuen Kleid des Kulturalismus daherkommt: Die rassistischen Ressentiments werden mit einer religiös- kulturellen, nicht mehr mit einer phantasierten biologischen Rückständigkeit begründet.

Die Studie erfasst Islamfeindlichkeit und sachliche Islamkritik differenziert. Beide Phänomene lassen sich voneinander abgrenzen, wobei islamfeindlich eingestellte Personen in der Regel auch den islamkritischen Aussagen zustimmen. Einzelnen islamfeindlichen Aussagen wird von etwa 50 bis nahezu 60 % der Befragten ganz oder überwiegend zugestimmt. Die Zustimmungswerte bei der Islamkritik liegen bei über 60 %. Interessant ist ferner, dass die islamfeindlich Eingestellten häufiger von sozialer Ausgrenzung betroffen sind als die Islamkritischen.

Antisemitismus
Des weiteren belegen die „Mitte-Studien“ seit Jahren, dass mit leichten Schwankungen knapp 10 % der Deutschen manifest antisemitisch eingestellt sind. Allerdings ist auch eine „Kommunikationslatenz“ zu beobachten. Das heißt, Deutsche äußern ihren Antisemitismus nicht im selben Maße offen, wie zum Beispiel Ausländerfeindlichkeit. Erstmals in einer „Mitte-Studie“ wurde neben der Zustimmung zu „klassischen“ antisemitischen Aussagen auch sekundärer Antisemitismus gemessen („Antisemitismus trotz und wegen Auschwitz“).

Download: Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012“ kann im Internet als PDF-Datei kostenlos heruntergeladen werden.

Beispielsweise stimmen 31,9 % der Deutschen dem Satz zu: „Die Juden nutzen die Erinnerung an den Holocaust heute für ihren eigenen Vorteil aus.“ Durchgängig ist die Zustimmung zu sekundär-antisemitischen Aussagen noch höher als die zu primär- antisemitischen Aussagen. Beim primären Antisemitismus fällt zudem auf, dass dieser gerade in der muslimischen Bevölkerung sehr ausgeprägt ist. Beim sekundären Antisemitismus erreichen Muslime in Deutschland dagegen eher durchschnittliche Werte.

Politische Einstellungen von Migranten
Die neue FES-„Mitte-Studie“ erfasst erstmals auch politische Einstellungen abhängig davon, ob die Personen einen Migrationshintergrund (mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren) haben oder nicht sowie als dritte Gruppe Befragte ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Insgesamt ist die Zustimmung zum Rechtsextremismus-Fragebogen bei den Befragten mit Migrationshintergrund erwartungsgemäß niedriger, nicht so jedoch bei der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur. Außerdem ist der Unterschied in der Dimension „Antisemitismus“ nicht besonders groß.

Hinzu kommt: Die Gruppe der Befragten ohne deutsche Staatsbürgerschaft hat in diesen beiden Dimensionen die höchste Zustimmung. Ebenso fällt auf, dass diese Gruppe den höchsten Wert in der Dimension „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ aufweist. Befragte ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind zudem nicht weniger autoritär eingestellt als solche im Besitz derselben, eher im Gegenteil. Außerdem stimmt die Gruppe ohne deutsche Staatsbürgerschaft eher primär antisemitischen Aussagen zu, Deutsche (mit und ohne Migrationshintergrund) dagegen eher sekundär antisemitischen Aussagen.

Befragte ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind häufiger von sozialer und politischer Deprivation betroffen. Bei den Deutschen mit Migrationshintergrund äußert sich dies in einer vergleichsweise sehr hohen Nichtwählerquote. Auch andere Formen politischer Partizipation (z.B. Demonstrationen oder Teilnahme an öffentlichen Diskussionen) werden seltener wahrgenommen. Was für die Menschen in Deutschland allgemein gilt, trifft in besonderem Maße auch auf diejenigen mit Migrationshintergrund zu: Demokratie wird oft nicht als etwas erlebt, was einen selbst betrifft.

Fazit
Was ist zu tun? „Dem Kampf gegen rechts muss auch über das durch die „NSU“-Mordserie bedingte Aufmerksamkeitshoch hinaus höchste Priorität eingeräumt werden. Außerdem gilt es, die Demokratie selbst zu stärken“, so die Friedrich Ebert Stiftung. Das bedeute: „Nicht nur mehr Demokratie sondern auch mehr Politik zu wagen. Gerade in sogenannten Krisenzeiten darf nicht mit Sachzwängen argumentiert werden. Vielmehr müssen die zweifellos tiefgreifenden und vielfältigen gesellschaftlichen Umbrüche aktiv gestaltet werden“.

Denn laut Studie bestünde ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen sozialer Spaltung bzw. sozialstruktureller Desintegration und menschenfeindlichem Denken. Auf europäischer wie auf nationaler Ebene sei es deshalb besonders wichtig, sozio-ökonomische Fragen, also Fragen der Wohlstandsverteilung, als eben solche auszuhandeln. Soziale Konflikte zu ethnisieren, spiele nur dem Rechtspopulismus und der Verbreitung rechtsextremer Einstellung in die Hände.

Außerdem: „Die Anstrengungen zur Stärkung der Demokratie müssen intensiviert werden. Zivilgesellschaftlichen Projekte mit einer ‚Extremismusklausel‘ unter Generalverdacht zu stellen und gleichzeitig die menschenverachtende Ideologie des Rechtsextremismus mit einem wie auch immer gearteten Linksextremismus gleichzustellen, ist inakzeptabel und kontraproduktiv“. Die sehr reale rechtsextreme Bedrohung dürfe nicht durch die Gleichsetzung mit einer fiktiven Bedrohung durch Linksextremismus relativiert werden. (bk) Gesellschaft Leitartikel Studien

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