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Verwaltungsgericht Karlsruhe

Wieso ist Emine nicht integriert?

Emine lebt seit 30 Jahren in Deutschland, hat 20 Jahre gearbeitet, sechs Kinder großgezogen - allesamt deutsche Staatsbürger mit Uni-Abschluss - und noch nie staatliche Hilfe bekommen. Laut VG Karlsruhe ist sie trotzdem „in besonderer Weise integrationsbedürftig“.

Montag, 19.11.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.08.2013, 17:32 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Emine 1 (62) lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Von 1992 bis 2007 hat sie ihren Ehemann, ein Lebensmittelhändler, im Familienbetrieb unterstützt – sie hat geputzt und aufgeräumt, bis sie aufgrund körperlicher Beschwerden aufhören musste.

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Nebenbei hat Emine sechs Kinder großgezogen. Sie sind deutsche Staatsbürger, haben eine Ausbildung absolviert oder studieren. Auch Emine selbst hat noch nie Sozialhilfe bekommen. Heute betreut sie ihre Enkelkinder, damit ihre Kinder arbeiten können.

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Den Alltag meistert Emine ganz gut. Ihr Deutsch ist zwar nicht sonderlich gut, zum Einkaufen oder für einen kleinen Plausch reicht es. Auch während ihres Krankenhausaufenthaltes aufgrund einer größeren Operation konnte sie sich mit den Krankenschwestern und den Ärzten verständigen.

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Der plötzliche Sprachbefund
Emine hat nur einen Makel: sie besitzt nur einen befristeten Aufenthaltstitel. Deshalb muss sie alle Jahre wieder in die Ausländerbehörde und dort eine Verlängerung ihres Aufenthaltserlaubnisses beantragen. So auch im Jahre 2010. Reine Routine, für die 62-Jährige. Diesmal sollte es aber anders kommen. Die Beamten attestierten Emine mangelnde Sprachkenntnisse. Bei einem Test habe sie sechs von 13 Fragen nicht beantworten können. Folge: Sie wurde per Bescheid zu einem Integrationskursbesuch verpflichtet.

Das fällt Emine aber aus mehreren Gründen schwer: ihr fortgeschrittenes Alter, ihre körperlichen Beschwerden, die Betreuung der Enkelkinder sowie die Tatsache, dass Emine weder lesen noch schreiben kann. Hinzu kommt, dass sich Emine nicht mit dem Gedanken anfreunden kann, wie ein Neuzuwanderer behandelt zu werden. Sie habe mehr für Deutschland geleistet, als so manch anderer.

Emines Wille interessiert nicht
Das interessierte die Ausländerbehörde aber nicht. Der Integrationskurs müsse sein. Emine blieb – überzeugt von ihrer Lebensleistung – nichts anderes übrig, als zu klagen. Zu Unrecht, entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe im Oktober 2012 (4 K 2777/11). Emine müsse den Integrationskurs besuchen. Denn sie sei in „besonderer Weise integrationsbedürftig“.

Laut Aufenthaltsgesetz gehöre zur Integration auch die Eingliederung in „das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben“ in Deutschland. So habe es der Gesetzgeber geregelt. Und bei Emine gebe es keinerlei Anhaltspunkte, dass sie „außerhalb ihrer Familie gesellschaftlich und kulturell integriert“ sei. Ob Emine das wolle, sei unerheblich.

Nur geputzt und aufgeräumt
Ihre besondere Integrationsbedürftigkeit sei jedenfalls „nicht dadurch weggefallen, dass sie im Bundesgebiet sechs Kinder zur Welt brachte, die die deutsche Staatsangehörigkeit und eine Ausbildung besitzen“, so das Gericht. Ebenso sei die Teilnahme an einem Integrationskurs auch nicht wegen der Betreuung ihrer Enkelkinder und ihres Gesundheitszustandes unmöglich und nicht unzumutbar.

Schließlich komme auch der Beschäftigung von Emine im Betrieb ihres Ehemannes kein entscheidendes Gewicht für ihre Integration zu, weil sie, so die Urteilsbegründung, „im Geschäft nur putzte und aufräumte.“ (es)

  1. Name geändert
Leitartikel Recht
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  1. Mehtap sagt:

    Ich finde es nicht schlimm einen Kurs zu besuchen, lernen kann man in jedem Alter.
    Was mich stört ist, dass ein Ausländer, der über 30 Jahre in Deutschlan lebt, der hier jahrelang einiges geleistet hat immer noch einen befristeten Aufenthaltserlaubnis bekommt. Das ist entwürdigend.

  2. Soli sagt:

    @Mehtap – und das wäre der eigentlich wichtigste Punkt.
    Warum kann man verdienten Mitbürgern den Titel nicht deutlich früher geben?
    Ich meine es gibt auch genug Deutsche die nicht lesen können und sich wer weiß was zu schulden kommen lassen – da frage ich mich wer den Titel eher verdient hätte….

    @Cemal… da fällt einem nichts mehr zu ein. Welche „Rechte“ sollen die „Millionen“ denn einfordern? Und was wäre denn die „Mehrheitsgesellschaft“ einfach mal IHR Recht, nämlich das auf die Beachtung der Grundsätze unserer SOLIDARgemeinschaft beharren würde? Merke: Der Migrant hat eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten…

  3. Hyper On Experience sagt:

    So einfach ist der Fall nicht:

    Die Dame möchte mit ihrem Mann ihren Lebensabend überwiegend in der Türkei verbringen und gleichzeitig ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland nicht verlieren. Dazu hat sie eine unbefristete Niederlassungserlaubnis beantragt. Für diese benötigt sie aber den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse, beruft sich jedoch auf eine Ausnahmeregelung, nach welcher von diesem Erfordernis bei körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheiten oder Behinderungen abgesehen werden kann.

    Deswegen versuchte die Klägerin zunächst körperlich Beschwerden geltend zu machen. Das Gesundheitsamt hat daraufhin empfohlen, die Klägerin wegen Krankheit von dem Integrationskurs für 3 Monate zurückzustellen, mittlerweile ist sie aber körperlich, geistig und seelisch in der Lage, an diesem Kurs teilzunehmen. Daraufhin hat die Klägerin versucht, die Tatsache, dass sie Analphabetin ist, als eine Art „geistige Behinderung“ darzustellen, mit der Folge, dass die Ausnahmeregelung greift und sie eine Niederlassungserlaubnis ohne Nachweis von Sprachkenntnissen erhält.
    Dieser Argumentation ist das Gericht nicht gefolgt.

    Urteil: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=16234

    Rassismusvorwürfe sind hier fehl am Platz:

  4. epze sagt:

    @Hyper On Experience

    „… Rassismusvorwürfe sind hier fehl am Platz:“ – warum sollte man denn von diesem ‚Allheilmittel‘ – was in DE immer und überall wirkt – ablassen??
    Man kann doch damit so einfach die Schuld-/Verantwortungfrage `klären` …

    … und wer die 110%-ige Verantwortung nicht zweifelsfrei (und natürlich ebenso vorurteilsfrei!) bei DE und den Deutschen sieht – der ist eben Rassist und/oder Rechtspopulist … so schön einfach ist die Welt …

  5. semih sagt:

    Jetzt lernen auch alle deutschen Thailändisch als Rache…..!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

  6. Cengiz K sagt:

    …Merke: Der Migrant hat eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten…

    Umgekehrt hat der Satz eine Bedeutung, die einen Kern trifft, mit denen die üblichen Verdächtigen sich nicht anfreunden können..
    Merke: Der Migrant hat eben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte…

    Das vergessen die solidarischen Hyperventilierenden leider auffällig zu oft..

  7. Tai Fei sagt:

    Hyper On Experience sagt:
    22. November 2012 um 08:42
    „So einfach ist der Fall nicht:
    Die Dame möchte mit ihrem Mann ihren Lebensabend überwiegend in der Türkei verbringen und gleichzeitig ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland nicht verlieren. Dazu hat sie eine unbefristete Niederlassungserlaubnis beantragt.“
    Dann ist der Fall aber noch merkwürdiger. Die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung/später Niederlassungserlaubnis hätte ihr ja schon lange VOR der Einführung der Integrationskurse zugestanden. Wieso also erst jetzt (2010) diese beantragen?

  8. Tina sagt:

    Hier wird so getan, als seie Bildung eine Zumutung. Ich verstehe die Energie nicht, die Emine aufbringt – wäre es nicht einfacher, Deutsch zu lernen, als dagegen zu klagen? Meiner Meinung nach ist das ein unfreundlicher Akt. Ich lebe in Italien und spreche natürlich die Landessprache. Bevor es zu Vorverurteilungen kommt: Ich habe türkische/deutsche Freundinnen mit türkischen Eltern, bin für doppelte Staatsbürgerschaft, lerne sogar Türkisch. Aber ich finde es einfach traurig, dass vielen Familien es völlig egal ist, dass die Mütter der Familie sich hier nicht ohne Hilfe der Familienmitglieder zurechtfinden können. Für mich sind das archaische und anti-emanzipative Vorstellungen. Ein Mann, der seine Frau liebt, will, dass sie sich selbst in der neuen Heimat zurechtfindet. Oder ist es vielen Männern nicht ganz recht, dass ihre Frau so unmündig bleibt? Eine Frau, die so wenig Zugang zu Bildung hat, weiß doch gar nicht, was ihr entgeht. Ich wähle links, und bin daher für das Urteil: Ziel einer linken Politik ist die Mündigkeit des Individuums und ich finde es rassistisch und klassistisch, diese einer ungebildeten Migrantin nicht genauso zuzugestehen wie jeder anderen deutschen Frau. Bildung ist ein Menschen- und sehr junges Frauenrecht, sie jemandem „wohlmeinend“ vorzuenthalten ist paternalistisch.

  9. BiKer sagt:

    @ tina

    grundsätzlich haben sie recht. aber wie alt sind sie – auch wenn die frage unhöflich daherkommt. habe sie ihrer oma schon mal versucht beizubringen, wie man seinen computer vor virenbefall schützen kann? wäre doch auch wichtig zu wissen, wenn sie überhaupt computer bedienen kann. man kann nicht immer von sich aus auf andere schliessen. die frau ist alt und hat das ganze leben lang nicht aktiv gelernt! das macht schon etwas aus. und überlesen sie bitte auch nicht, dass die frau im alltag sprachlich zurechtkommt. und was die energie angeht: finden sie es nicht auch dreist, dass die ausländerbehörde jetzt von ihr diesen kurs abverlangt und sogar einen rechtsstreit nicht scheut. wo waren sie, als die frau jung und fit genug für das lernen war. ach ja: da war sie zum putzen gut genug und hatte keine zeit für die ach so wichtige sprache. bitte nicht alles nur von einer perspeltive betrachten! und: freiheit ist nicht, dass man alles tun kann was man will, sondern das nicht zu tun, was man nicht will – appropos emanzipation!

  10. Klarsteller sagt:

    Die Dame ist eine Rosinenpickerin: Überall mitnehmen, was ihr gefällt, den Rest fallenlassen.