Elterliche Schulwahl
Ungleiche Lernchancen für Kinder mit Migrationshintergrund an Grundschulen
Aktiv von Eltern betriebene Schulwechsel verschärfen die Trennung der Schüler mit und ohne Migrationshintergrund bereits an Grundschulen. Dies führt von Anfang an zu ungleichen Lernchancen. Das besagt eine aktuelle SVR-Studie.
Donnerstag, 29.11.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
In vielen Großstädten Deutschlands ist eine Trennung der Schülerschaft nach Merkmalen wie sozialer Schicht oder Migrationshintergrund bereits an Grundschulen festzustellen. Dies ist nur zum Teil durch die Bevölkerungsstruktur der Schuleinzugsbereiche zu erklären. Die Segregation wird vielmehr durch die elterliche Schulwahl verschärft. Dies zeigt ein Policy Brief des SVR-Forschungsbereichs anhand deutschlandweiter Studien und einer eigenen Analyse von Berliner Schul- und Einwohnerdaten für 108 Grundschulen von vier Berliner Innenstadtbezirken.
Danach haben 21,3 Prozent der Grundschulen einen Zuwandereranteil, der mehr als doppelt so hoch ist wie der Anteil unter den 6- bis 12-Jährigen im dazugehörigen Schulbezirk. „Das zeigt, dass Segregation durch die elterliche Schulwahl verschärft wird“, sagte Dr. Gunilla Fincke, Direktorin des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat. „Gerade Eltern der Mittelschicht wollen das Beste für ihr Kind, verschlechtern dadurch aber ungewollt die Bedingungen für die verbleibenden Kinder vor allem mit Migrationshintergrund.“
Am häufigsten nachgefragt: Zuwandereranteil
Der Policy Brief untersucht die Entscheidungsfaktoren der Eltern, die Folgen für die Schulen und gibt Handlungsempfehlungen. „Da die tatsächliche Qualität einer Schule häufig nicht in Erfahrung gebracht werden kann, nehmen viele Eltern den Zuwandereranteil als Indiz für das Lernumfeld und das Leistungsniveau“, stellte Dr. Gunilla Fincke fest. Dies bestätigt auch die Auswertung von mehr als 900.000 Zugriffen auf Online-Schulportraits in Berlin und Sachsen, wonach der Zuwandereranteil die am häufigsten nachgefragte Information ist.
Schulen mit hohem Zuwandereranteil werden oft gemieden, da die meisten Eltern diese mit mangelhaften Lernmöglichkeiten und einem problembelasteten Umfeld assoziieren. Nationale und internationale Schulleistungstests, die das schlechte Abschneiden von Kindern mit Migrationshintergrund nachweisen, tragen zur Verfestigung dieses Meinungsbildes bei. Dabei belegen zahlreiche Studien übereinstimmend, dass die elterliche Zurückhaltung gegenüber segregierten Schulen nicht immer begründet ist: Gemeinsames Lernen leistungsschwacher und leistungsstarker Schüler ist für letztere kein Nachteil. „Eltern sollten keine Pauschalurteile über Schulen mit einem hohen Anteil von Zuwandererkindern fällen. Entscheidend sind die konkreten Lernbedingungen an einer Schule“, sagte Fincke.
Migranten oft nicht informiert
Diese Erfahrung hat auch die Stiftung Mercator in ihrer Projektarbeit zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gemacht. „Die individuelle Förderung, die in leistungsheterogenen Klassen häufig praktiziert wird, kommt auch den leistungsstarken Schülern zu Gute“, sagte Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Geschäftsführer der Stiftung Mercator.
In Großstädten sorgen rund zehn Prozent der Eltern mit Erfolg dafür, dass ihre Kinder auf die bevorzugte Grundschule wechseln können. Ein großer Teil der Eltern weiß aber gar nicht, dass eine Wahlmöglichkeit besteht: dies gilt für 43 Prozent der Eltern ohne Migrationshintergrund. Bei Eltern mit türkischem Migrationshintergrund sind 57 Prozent nicht über ihre Wahlmöglichkeit informiert.
Chancenungleichheit durch Segregation
Die Folgen der elterlichen Schulwahl für die Zusammensetzung der Schülerschaft sind schwerwiegend: „Die Segregation führt vom ersten Schultag an zu schlechteren Startchancen für Kinder mit Migrationshintergrund, die bereits in vielen Fällen auf Grund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt sind“, sagte Fincke. „Es ist viel schwieriger, Deutsch zu lernen, wenn Kinder nichtdeutscher Herkunftssprachen weitgehend unter sich bleiben.“ Da die meisten Familien bei der Wahl der Sekundarschule der Übergangsempfehlung der Grundschule folgen, kommt den Grundschulen in Deutschland eine im internationalen Vergleich besonders richtungsweisende Bedeutung zu. „Segregierte Grundschulen beeinträchtigen daher die Bildungsmobilität junger Menschen mit Migrationshintergrund in hohem Maße“, warnte Fincke.
Download: Der Policy Brief „Segregation an Grundschulen: Der Einfluss der elterlichen Schulwahl“ kann hier heruntergeladen werden.
„Die negativen Leistungseffekte schulischer Segregation lassen sich nicht durch eine erzwungene Mischung der Schülerschaft beseitigen“, sagte Fincke. Erfolgversprechend sei vielmehr eine gezielte Verbesserung von Lernmöglichkeiten an segregierten Schulen. Der SVR-Forschungsbereich empfiehlt drei Maßnahmen, die von den Schulen selbst in die Wege geleitet werden können:
Gezielte Förderung
(1) Kooperative Elternarbeit, um Eltern zur aktiven Unterstützung der Schullaufbahn ihrer Kinder zu befähigen; (2) Vernetzung zwischen Schulen sowie mit externen Partnern wie Vereinen und Kultureinrichtungen, um die Schule auch für bildungsnahe Eltern attraktiver zu machen; (3) koordinierte und zielgerichtete Lehrerfortbildung für das gesamte Kollegium, z.B. bei der durchgängigen Sprachbildung oder der individuellen Förderung.
Darüber hinaus bedarf es struktureller Maßnahmen, die in die Zuständigkeit der Bundesländer fallen. Ein Beispiel hierfür ist eine gezielte Unterstützung der Schulen auf Basis von Sozialindizes, die den Förderbedarf einzelner Schulen anhand verschiedener Indikatoren der Schule und ihres sozialen Umfelds (z.B. Arbeitslosenquote) ermitteln. (sb) Gesellschaft Leitartikel Studien
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Eine bedauerlich Entwicklung für alle integrationswilligen Kinder mit Migrationshintergrund. Man kann es den „deutschen“ Eltern allerdings kaum verdenken, dass sie ihre Kinder an andere Schulen schicken: Es fehlt an Lehrern und es sind an etlichen Schulen zu viele nicht-deutschsprechende Kinder, um eine zügige Integration zu erreichen.
Da stecken die Anhänger der politischen und kulturellen Gleichmacherei natürlich in einem gewaltigen Dilemma.
Denn grundsätzlich gilt doch: Keinem Elternpaar kann und darf es zum Vorwurf gemacht werden, wenn es für seine eigenen Kinder hinsichtlich der Bildungschancen das Beste will. Es ist die natürlichste Sache der Welt, dass Eltern für ihre Kinder eine Schule wollen, auf der es ruhig, friedlich, diszipliniert zugeht und auf der sie was lernen.
Und somit ist es doch nur eine Frage der mathematischen Logik: Entweder trifft es nun zu, oder es trifft nicht zu, dass Schulen mit einem hohen Anteil an Migrationshintergrundschülern ein niedrigeres Leistungsniveau und ein problembelasteteres Umfeld haben als Schulen mit weniger Migrationsanteil.
Sollte es nicht zutreffen, würde es überhaupt keinen Unterschied machen, auf welche Schule ein Kind geht. Weil dann nämlich alle Schulen das gleiche Leistungsniveau und das gleiche soziale Umfeld hätten.
Wenn es aber zutrifft, und alle PISA-Studien und sonstigen Erhebungen deuten darauf hin dass es so ist, dann sind alle diejenigen Eltern vollkommen im Recht, die ihre Kinder auf eine andere Schule mit weniger Migrationsanteil schicken. In dem Fall wäre also die daraus folgende Segregation positiv zu bewerten.
Eine Auflösung dieses Dilemmas kann also nicht darin bestehen, aus Gründen der Gleichmacherei alle Kinder gegen ihren Willen oder gegen den Willen ihrer Eltern zwangsweise auf eine Schule mit hohem Migrationsanteil zu schicken, sondern nur darin, für alle Eltern und Schüler die jeweilige Auswahl der Schule freizugeben.
Wenn also alle Eltern, d.h. alle Deutschen und alle Migranten, jeweils für sich frei entscheiden könnten, auf welche Schule sie ihre Kinder schicken, dann wäre das doch die Lösung aller Probleme. Dann könnte sich eine Segregation einstellen, aber eben nicht zwangsläufig zwischen Deutschen und Migranten, sondern zwischen Bildungshungrigen und Bildungsfernen.
Wer etwas lernen will, soll das Recht haben auf eine entsprechende Schule gehen zu können. Und wer nichts lernen will, soll andere nicht vom Lernen abhalten.
„Man kann es den “deutschen” Eltern allerdings kaum verdenken, dass sie ihre Kinder an andere Schulen schicken“
Chris, es handelt sich einfach um Rassismus, das ist alles. Die Deutschen wollen nicht mit uns Schwarzköpfen in einer Klasse sitzen. Das ist der Grund.
Die Trennung erfolgt bei genauerem Hinsehen nicht entlang der Grenze MIgrant oder autochthon, sondern entlang bildungsinteressiert oder nicht. Auch ambitionierte Migranteneltern schicken ihre Kinder in Schulen außerhalb des sozialen Brennpunktes.
Anders formuliert: Das Problem heißt weniger Migrant oder nicht, sondern eher perspektivlos oder nicht.
Wir haben unsere Kinder an eine Schule in Berlin mit ungefähr fifty fifty Migrationsanteil geschickt. Und ich muss sagen, dass es bedenkenlos einfach klappt. Kein Kind ist genetisch dümmer oder inkompetenter, wenn es darum geht etwas zu lernen, sich zu bilden. Jeder Hinterwäldler müsste so allmählich begreifen ,dass Kinder alles was man ihnen mitgibt wie einen Schwamm aufsaugt. Der Knackpunkt ist nur ,das es pädagogisch richtig gemacht werden sollte.
Meine Generation, mit ihren von der Politik zugewiesenen Bezirken und der daraus resultierenden Paralellgesellschaft kann ein Lied davon singen wie man es politisch NICHT angehen sollte. Denn wir galten sowohl politisch als auch gesellschaftlich als Putzfrauen und Fliessbandarbeiter die man ruhig rumschubsen konnte. Denn der Deutsche Michel ist halt der Beste, Klügste und überhaupt der Alleskönner schlecht hin. So hat man sich verstanden und so war auch alles heile Welt. Bis das Kartenhaus dann zusammenfiel….Einerseits haben wir die negativen Schlagzeilen einiger ghetto ähnlichen Bezirken mit lauter Menschen denen man jegliche Perspektive abgesprochen hat. Andererseits haben wir trotz dessen mehr und mehr Akademiker die überhaupt nicht ins Muselmanen Bild vieler Deutschen passen.
Das Problem wäre zu klären wie man der Gesellschaft und der Politik eintrichtert, dass man keinem 14 Jährigen , der offenlegt das er ein Interesse an einem Studium hat, nicht sagen kann/darf er eh nur ein Obst- und Gemüsehändler wird und er aufhören soll zu träumen.
Denn genau das ist es, was mir zwei Lehrer in der Oberschule ans Herz gelegt haben.
…..und noch heute schallt es in meinem Kopf.
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