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Offener Brief der Lehrkräfte

Illegale Arbeitsverhältnisse in Integrationskursen

Die Lehrkräfte in Integrationskursen protestieren seit Jahren gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen und die Unterfinanzierung der Integrationskurse. Nun werfen sie den Volkshochschulen und den privaten Trägern öffentlich illegale Arbeitsbedingungen vor. Hier der offene Brief:

Montag, 03.12.2012, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.12.2012, 8:18 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Sehr geehrter Herr Dr. Schmidt,
Sehr geehrte Frau Jordan,
Sehr geehrte Damen und Herren des Ausschusses für Inneres,
Sehr geehrte Verantwortliche in den Volkshochschulen,
Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Integrationskursen,

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die Initiative Bildung Prekär ist ein Bündnis von bundesweit über 500 freiberuflichen DaF/DaZ-Lehrkräften in Integrationskursen, die sich für eine Verbesserung der Situation der freiberuflichen Dozenten einsetzt und mit der GEW zusammenarbeitet. Wir haben die zweite Verordnung zur Änderung des §15 Abs. 3 Satz 2 der IntV zur Kenntnis genommen. Hier heißt es, dass ab dem 01.01.2014 Lehrkräfte, die vom BAMF anerkannte Alphabetisierungskurse bei Sprachkursträgern anbieten, eine Zusatzqualifikation für diese Kurse nachweisen müssen. Die überwiegend freiberuflichen Lehrkräfte in Integrationskursen sind angesichts ihrer prekären Einkommenssituation leider nicht in der Lage, den steigenden Anforderungen an Qualifikation und Qualität Folge zu leisten.

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Wir möchten uns erkundigen, ob es möglich ist, vom BAMF eine Unterrichtsausfallentschädigung für die 80 Stunden zu bekommen, die uns wegen der Zusatzqualifikation verloren gehen. Bei einem Stundensatz von 18 € halten wir 1440 € Honorarausfallsentschädigung für angemessen.

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Von der GEW haben wir gehört, dass nun 15 Millionen € an Integrationsmitteln eingespart werden sollen. Zitat aus einer Nachricht von Stephanie Odenwald: „Ich habe dann heute Nachmittag beim Abteilungsleiter Matthias Menzel im Innenministerium angerufen, ob die von ihm angekündigte Erhöhung der Finanzierung pro Teilnehmer und Unterrichtseinheit damit hinfällig ist. Er verneinte dies. Die Erhöhung auf 2,94 Euro sei geplant und werde kommen. Aber die Berechnungen hätten ergeben, dass trotz Erhöhung 15 Millionen „übrig“ wären, die dann nur so “ rumliegen“ würden. Das sei dadurch bedingt, dass die Teilnehmerzahl um 20 % runtergegangen ist. Meinem Einwand, dass also eine kräftigere Erhöhung möglich gewesen wäre , entgegnete er natürlich, dass dies im Innenministerium nicht auf Unterstützung treffe.

Da nun 15 Millionen „übrig“ sind, die nur so „rumliegen“, ist es doch sicherlich möglich, dass die Lehrkräfte nun anständig bezahlt werden, oder? Das Innenministerium sieht das aber anders. Offensichtlich will das CSU-geführte Innenministerium an der Verarmung der Lehrkräfte festhalten.

Von der Linksfraktion haben wir erfahren, dass nicht nur 15 Millionen € eingespart werden, sondern dass 59 Millionen Euro unverbrauchter Mittel zu einem ganz anderen Bereich des Innenministeriums umgelagert werden, nämlich zur Bundespolizei. Zitat aus der Pressemitteilung von Sevim Dağdelen: „Statt das Angebot wieder zu verbessern, werden die Gelder gekürzt: 59 Mio. von 224 Mio. Euro werden in diesem Jahr voraussichtlich selbstverschuldet nicht abgerufen, für das kommende Jahr wird der Haushaltsansatz entgegen früheren Versprechungen um 15 Mio. Euro reduziert. Das ist schäbig und das Gegenteil der versprochenen Prioritätensetzung beim Thema Integration.

In der Pressemitteilung von Frau Burchardt (SPD) ist von diesen 59 Millionen Euro nicht die Rede. Frau Burchardt hat aber recht, wenn sie schreibt: „Zudem wird dringend eine angemessene Regelung für die soziale Absicherung benötigt, damit von dem ohnehin geringen Honorar noch die Rentenversicherung bezahlt werden könne.

Allerdings bleibt der SPD-Antrag vom 11.09.2012 (Drucksache 17/10647) weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Rechtlich bedenklich ist besonders der Passus: „Der Träger muss unverzüglich nach Vertragsabschluss ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund beantragen, um zu klären, ob eine selbständige oder abhängige Tätigkeit besteht und um so Rechtssicherheit für die Lehrkräfte zu erreichen.

Wir befürchten hier einen systematischen Betrug von Träger und Lehrkraft an der Deutschen Rentenversicherung Bund, denn der Träger kann wegen der Unterfinanzierung nur Lehrkräfte einstellen, die von der RV Bund das Prädikat „Selbstständig“ erhalten, obwohl die konkrete Arbeitssituation auf eine Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV hindeutet. Für die Lehrkräfte bedeutet dieser Antrag der SPD die völlige Entrechtung gegenüber dem Träger und die Scheinlegalisierung einer unzumutbaren Arbeitssituation. Außerdem wird der Sinn der Statusfeststellung völlig ausgehebelt.

Zur SPD ist noch zu sagen, dass sie mit ihrer Forderung nach 26 € nun nicht nur hinter der Linksfraktion und der GEW liegt, sondern anscheinend auch hinter die Grünen zurückgefallen ist, die, wie wir von anderer Stelle erfahren haben, nun 30 € fordert. Am 09.11.2011 hatten die Grünen noch eine Erhöhung der Mindestvergütung von 15 € auf 24 € gefordert (Drucksache 17/7639). Solche Forderungen sind allerdings von Seiten des BAMF bzw. des BMI gegen die Träger gar nicht umsetzbar, weil das BMI immer wieder darauf hinweist, dass es zwischen Träger und Lehrkraft Vertragsfreiheit gibt. Der Staat kann einem Unternehmen nicht vorschreiben, wieviel es seinen „selbstständigen“ Honorarkräften zu zahlen hat. Die Grünen haben das selbst erkannt, wenn sie schreiben: „Die 2008 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eingeführte Zulassungsbefristung auf ein Jahr für Kursträger, die ihren Honorarkräften weniger als 15 Euro die Stunde bezahlen, hat sich als unzureichend erwiesen.“ Gerade deshalb ist völlig unverständlich, warum die Grünen weiterhin an der (illegalen) Honorarlösung festhalten und nicht nach Wegen suchen, um endlich reguläre Beschäftigungsverhältnisse einzuführen.

Die Lehrkräfte sind gerne bereit, nach den Anweisungen der Träger zu arbeiten und sich in die Arbeitsabläufe der Träger zu integrieren. Tatsächlich ist das sowieso der Fall, da eine Lehrkraft sich nicht aussuchen kann, wann und wo sie arbeitet. Arbeitszeit und Arbeitsort werden immer vom Träger vorgegeben, und das BAMF bestimmt, welche Unterrichtsmaterialien zum Einsatz kommen. All das deutet auf eine abhängige Beschäftigung hin, derzufolge der Träger die Hälfte des Sozialversicherungsanteils zahlen muss. Wer das nicht tut, macht sich strafbar nach § 266a StGB. Verantwortlich sind die Leiterinnen und Leiter der Volkshochschulen, denn sie machen die Verträge mit den Lehrkräften und führen keine Sozialversicherungsabgaben ab. Der Deutsche Volkshochschulverband hält es offensichtlich für zumutbar, dass die Leiterinnen und Leiter der Volkshochschulen in dieser pikanten Situation sind. Uns ist nicht bekannt, dass der DVV sich jemals für abhängige Beschäftigungsverhältnisse der Lehrkräfte eingesetzt hätte. Aber solange kein VHS-Leiter zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird, sieht der DVV wohl keinen Handlungsbedarf. Von der Situation der Lehrkräfte wollen weder die Volkshochschulen, noch der DVV etwas wissen.

Erst vor wenigen Tagen haben wir von Lehrkräften gehört, die bei ihrer VHS einen Antrag auf Urlaubsvergütung gestellt haben. Die Konsequenz war die sofortige Kündigung. Wegen der „Störung des Betriebsfriedens sei eine Zusammenarbeit nun nicht mehr möglich„. Das sind die Folgen der totalen Entrechtung, die durch die Scheinselbstständigkeit ermöglicht wird. Die Kolleginnen stehen jetzt auf der Straße, weil sie es gewagt haben, einen Antrag zu stellen. Das sind die feinen Methoden, mit denen die Volkshochschulen arbeiten.

Nun erwartet das BAMF, dass alle Lehrkräfte in Alphabetisierungskursen eine Zusatzqualifikation machen. Diese Anweisung geht an die Volkshochschulen und die anderen Träger, und von dort wird sie an die Lehrkräfte weitergereicht. Die Lehrkräfte müssen punktgenau die Arbeitsanweisungen ausführen, die sie von ihren Volkshochschulen bekommen, ansonsten brauchen sie am nächsten Tag nicht wiederzukommen. Wir gehen davon aus, dass die Träger ganz genau wissen, dass die Arbeitsverhältnisse ausbeuterisch und zudem nicht legal sind.

Die Teilnahme an Maßnahmen zur Zusatzqualifikation ist trotz der derzeit noch gewährten 750 € Förderungsmittel unzumutbar. Die Qualifizierung findet zu einem erheblichen Anteil an Arbeitstagen statt, was für die Lehrkräfte sowohl einen 100%igen Verdienstausfall als auch eine Eigenbeteiligung von 50,- € sowie Fahrtkosten und gegebenenfalls Unterbringungs- und Verpflegungskosten bedeutet. Zudem wird uns nicht verbindlich in Aussicht gestellt, dass diese vom BAMF geforderte Leistungs- und Qualitätssteigerung endlich auch eine Verbesserung der Situation der Lehrkräfte nach sich ziehen wird. Dies betrifft sowohl den rechtlichen Status (Festanstellung) als auch eine angemessene Vergütung der Arbeit in den Integrationskursen.

Die Initiative Bildung Prekär bestärkt ihre Mitglieder darin, nicht an der Zusatzqualifikation teilzunehmen, solange sich die unerträgliche prekäre Beschäftigungssituation der Lehrkräfte nicht signifikant verbessert. Wir empfehlen den Lehrkräften, die Arbeit in Integrationskursen aufzugeben und sich einen seriösen Arbeitgeber zu suchen. Nachdem bekannt geworden ist, dass der Bundestag selbst Scheinselbstständige ausbeutet und sich auch noch gegen das Urteil des Sozialgerichts zur Wehr setzt, wundert uns gar nichts mehr. Zitat aus der SZ: „Das Sozialgericht äußerte sein Unverständnis, dass sich der Bundestag gegen die Rentenversicherung per Klage zur Wehr setzte. In einem Bericht der Innenrevision des Bundestages sei zuvor eingeräumt worden, dass bei Besucherbetreuern Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit fehlten. Zuletzt hatte die Süddeutsche Zeitung im März von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Parlamentsverwaltung wegen der Beschäftigung von Scheinselbstständigen berichtet.

Der Erfolg der Integrationskurse darf sich nicht auf die Ausbeutung der Lehrkräfte stützen. Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die zuständigen Stellen im Innenministerium von der Forderung nach Zusatzqualifikation in Alphabatisierungskursen abrücken und verbindlich eine Besserstellung der freiberuflichen Lehrkräfte zusagen.

Mit freundlichen Grüßen
Georg Niedermüller
Marion Bergmann
Stephan Pabel
(Initiative Bildung Prekär)
und ca. 500 Lehrkräfte Aktuell Meinung

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  1. Gabi Braun sagt:

    Hallo Marion,

    noch ein Versuch; ich würde gerne über Xing mit Dir Kontakt aufnehmen, da ich nicht auf Facebook bin und meine e-mail nicht publik machen will. Ich habe 10 Marion Bergmann gefiunden, wie ist Deine Jobbezeichnung auf Xing?

    viele Grüße

    Gabi

  2. Marion Bergmann sagt:

    Hallo Gabi,

    du findest mich unter „selbstständig“ und QMB…

    Herzlichen Gruß

    Marion

  3. Marion Bergmann sagt:

    Erfreuliche Mitteilung

    Statusfeststellungklage gegen den Internationalen Bund gewonnen

    Unter dem Münchner Aktenzeichen 39 Ca 8383/12, verkündet am 21.12.2012, hat eine DaZ-Lehrkraft von Integrationskursen gegen den IB gewonnen.

    Wir, die Initiative Bildung Prekär, halten die Begründung der Richterin für exemplarisch. Zudem „entspannt“ dieses Urteil im Wesentlichen die Fixierung auf das „Kieler Urteil“, das eben NICHT bedeutet, dass Lehrkräfte in Bezug auf ihren Status das Rechtsverfahren verlieren müssen.

    Bitte einfach bei uns anfragen, falls Interesse besteht, das Urteil einsehen zu können. (Name und Mail-Adresse). Wir senden es dann in anonymisierter Form zu.

  4. Roswitha Haala sagt:

    @Gerd und andere, die Honorar mit Stundenlohn verwechseln:
    Zur Verdeutlichung der prekären Einkommenssituation noch eine Ergänzung:
    45 Wochen x 25 UE = 1.125 Unterrichtsstunden zzgl. unbezahlte Vor- und Nachbereitungszeit*.
    Dreisatz:
    27,30 € Honorar* (12,60 € Bruttolohn, Mindestlohn in der Weiterbildung) entsprechen umgerechnet einem monatlichen Bruttolohn von 2.132,68 €. (s. ausführlich unter: Thema Zusatzquali-Alpha)

    15 € Honorar* ab 1. Jan. 2005 bis Juli 2012 entsprechen einem monatlichen Bruttolohn von 1.171,80 € :
    Die Ex-Innenminister Schäuble (2007) und de Maiziere (2010) sowie Innenminister Friedrich sprechen von einer „angemessenen Bezahlung“! Danke!

    18 € Honorar* ab 1. Juli 2012 entsprechen einem monatlichen Bruttolohn von 1.406,16 €.

    20 € Honorar* ab 1. Jan. 2013 entsprechen einem monatlichen Bruttolohn von 1.562,40 €. TOPP!
    Immer vorausgesetzt: ohne Krankheitsfall…

  5. Roswitha Haala sagt:

    Supernachricht:
    Linda Sulimma hat ihren Prozess gegen die VHS Lüneburg auch in 2. Instanz beim Landesarbeitsgericht Hannover mit dem Anwalt ihres Vertrauens, den die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft/GEW nicht bezahlen wollte, gewonnen!!!

    Eine Revision ist nicht möglich.

    Die Volkshochschule wird verpflichtet ihr seit März 2013 ein angemessenes Gehalt (!) und alle Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen.

    Es betrifft den 2. Bildungsweg/Schulabschlusskurse, vorwiegend freiwillige Erwachsene. Vergleiche Integrationskurse!

    Mit ihrem Mut, das Risiko der (hohen) Kosten nach der GEW-Absage auf sich zu nehmen, sowie eine hohe Abfindung (kurz vor dem Gerichtstermin schriftlich angeboten) abzulehnen, hat sie vielen Anderen den Weg ins angemessen bezahlte Angestelltenverhältnis geöffnet!

    Es sind bereits einige weitere Prozesse anhängig oder in Vorbereitung. Nach Lindas 1. Urteil/Arbeitsgericht anderenorts auch durch die GEW vertreten (s. GEW online). Nun, ein Leichtes dank Lindas Vorlage für diese GEW-Anwälte. Kann nix mehr so schief gehen, wie z.B. bei mir…. :-)

    Das Aktenzeichen beim Landesarbeitsgericht Hannover ist 6 Sa 595/14 .

    Zur Erinnerung und Kommentare lesen: http://www.landeszeitung.de › Lokales › Lüneburg
    Der damalige „bittere Sieg“ ist jetzt ein freudiger, denn die Kündigungsschutzklage wurde rechtzeitig von dem Anwalt ihres Vertrauens eingereicht.

    „Mein GEW-Anwalt“ hatte mich damals nicht über die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage informiert bzw. als „meine“ anwaltliche Vertretung, die ja rechtlich kompetent sein müsste, so wie es sich eigentlich gehört die Inititative dafür ergriffen.

    Aufgrund meiner anwaltlichen Erfahrungen, wäre ich schon längst raus aus der GEW! Aber, um die Prozesskosten nicht zurückzahlen zu müssen, muss ich die vorgegebene Frist einhalten!