Racial Profiling
Tahir Della: „Es braucht ein öffentliches Bewusstsein“
Tahir Della ist eines der Vorstandsmitglieder der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Gemeinsam mit dem Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) hat der Verein eine Petition gegen diskriminierende Polizeikontrollen – dem sogenannten Racial Profiling - im Bundestag eingebracht.
Montag, 10.12.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.12.2012, 7:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
MiGAZIN: Was bedeutet die Petition im Bereich der Anti-Rassismusarbeit in Deutschland?
Tahir Della: Zunächst ist die Kampagne „Stoppt Racial Profiling“ so bedeutend, weil darüber ein Thema verhandelt wird, dass schwarze Menschen und People of Color in Deutschland schon seit sehr langer Zeit bewegt. An der polizeilichen Praxis lässt sich auch der Umgang Deutschlands mit dem Thema „Alltagsrassismus“ abbilden.
MiG: Wie genau?
Della: Die Polizei und die Justiz sind von Berufs wegen die machtvoll Handelnden, mit einer starken Perspektive auf „Kriminalität“. Doch als Teil der gesamtgesellschaftlichen Struktur handelt auch sie im Einklang mit vorherrschenden bewussten sowie unbewussten rassistischen Denk- und Wahrnehmungsmustern wie dem des „afrikanischen Drogendealers“ oder generell des „kriminellen Ausländers“ beispielsweise. In dieser Kombination sprechen wir also nicht von einem individuellen Rassismus, der sich vom Motiv des Handelns auf den Einzelnen bezieht, sondern von einer institutionalisierten Form. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, das auch aus anderen europäischen Ländern und den USA bekannt ist und seinen Ursprung in der Mitte der Gesellschaft hat.
MiG: Welche Schritte braucht es, um mehr Bewusstsein dafür zu schaffen?
Della: Seit ihrem Bestehen hat die ISD nichts unversucht gelassen, institutionellen Rassismus in den bundespolitischen Diskurs zu bringen und ist dabei immer wieder auf Widerstand gestoßen. In Großbritannien wurde im sogenannte Stephen Lawrence Inquiry bereits 1999 festgestellt, dass „institutional racism“ bei der Polizei existiert. Im Gegensatz zu anderen Ländern besteht in Deutschland jedoch wenig Diskussion darüber, wie solche diskriminierenden Vorgehensweisen bekämpft werden können. Das Problem ist, dass die Existenz von strukturellem Rassismus nicht gesehen wird. Daher greifen auch aktuelle Bekenntnisse der Polizei, etwas gegen Diskriminierung unternehmen zu wollen, bisher zu kurz. Oftmals sind sie nicht mehr als rhetorische Strategien, um die bestehende Praxis zu rechtfertigen.
MiG: Warum hat sich Deutschland im internationalen Vergleich bisher wenig bis gar nicht mit dem Thema Racial Profiling befasst?
Countdown läuft: Die Petition gegen das Racial Profiling läuft bis zum 18.12.2012. Benötigte Unterschriften 50.000. Hier können auch Sie unterzeichnen.
Della: Ein Grund dafür ist, dass das Selbstbild Deutschlands immer noch sehr stark davon geprägt ist, sich als eine Gesellschaft zu betrachten, die sich ausschließlich oder zumindest überwiegend aus weißen Menschen zusammensetzt. Folglich werden diskriminierende Handlungen seitens der Sicherheitsbehörden kaum problematisiert beziehungsweise es wird teilweise angenommen, dass es sich bei den rassistischen Polizeikontrollen um „nötige“ Mittel handelt, um zum Beispiel die „illegale Migration“ oder so genannte „Ausländerkriminalität“ zu verhindern. Dass sich diese Maßnahme logischerweise generalisierend gegen alle Schwarze Menschen und People of Color richtet, wird dabei in Kauf genommen.
MiG: Hat sich mit der Kampagne im letzten halben Jahr etwas an dieser Perspektive geändert?
Della: Der Zuspruch und die Solidarisierung von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Initiativen sowie die Unterstützung durch einige im Bundestag vertretene Parteien und Parlamentarier_innen ist ein Beleg für den Erfolg in Sachen Bewusstseinsbildung. Rechtsgutachten wurden vorgelegt, die die derzeitige deutsche und internationale Rechtslage fundiert analysieren. Die Facebookgruppe „Stoppt Racial Profiling“ wurde gegründet und das rot-weiße Logo gilt als fester Bestandteil der Kampagne, um ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen. Zudem haben wir die Problematik bei einer Konferenz der Organisation für Sicherheit und Kooperation in Europa (OSZE) in Warschau erläutert und im Oktober fand eine Konferenz zu „Racial/Ethnic Profiling“ in Berlin statt. Auch die Resonanz in den Medien hat sich verändert. Früher haben nur wenige Fälle mediale Öffentlichkeit erfahren und waren meist von einer kriminalisierenden Darstellung der Betroffenen gezeichnet. Auch kamen dabei Sprecher von Gruppen wie der ISD nicht zu Wort kamen. Das ist im Moment anders, aber auch nur ein Anfang.
MiG: Was muss sich politisch verändern?
Della: Die Petition gegen „Racial/Ethnic Profiling“ ist ein weiterer Schritt, sich politisch zu positionieren, zu mobilisieren und aufmerksam zu machen. Sie kann bis zum 18. Dezember unterschrieben werden. Darin fordern wir die Abschaffung der sogenannten „verdachtsunabhängigen Personenkontrollen“, die Racial Profiling erst möglich machen und Menschen kriminalisieren. Es müssen aber auch nachhaltige Maßnahmen entwickelt werden, um dem strukturellen Rassismus entgegenzutreten. Es bedarf unabhängiger Meldestrukturen, um polizeiliches Fehlverhalten besser feststellen und ahnden zu können. Diese Forderung wird auch von Amnesty International oder Barbara John, der Ombudsfrau für die Opfer der NSU-Terrorzelle, schon lange erhoben. Neben unseren Forderungen ist aber auch entscheidend, dass sich das Selbstverständnis Deutschlands ändert. Denn Rassismus ist kein Problem der Betroffenen, sondern muss als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt werden. Ohne eine flankierende, umfassende Antidiskriminierungspolitik können Gesetze auch in Zukunft nur zäh umgesetzt werden wird. Aktuell Gesellschaft Interview
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