Interview mit Michael Hartmann
„Die Elite hier ist deutsch und männlich.“
Elite, einst ein Begriff, um sich von der ererbten Machtposition (Adel und Klerus) abzugrenzen und die Eigenleistung in den Vordergrund zu stellen. Der Elite- und Organisationssoziologe Michael Hartmann entlarvte in unserer Zeit den Begriff der Leistungselite . Ein Gespräch zum Thema:
Von Alpay Yalçın Dienstag, 22.01.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 24.01.2013, 7:22 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Alpay Yalçın: Gibt es Migranten innerhalb der deutschen Elite?
Michael Hartmann: Nein, nur in seltenen Einzelfällen wie bei Cem Özdemir und das wird sich auch in den nächsten 30 Jahren nicht ändern. Die Elite hier ist deutsch und männlich.
Es gibt die weitverbreitete Meinung, dass es vor allem Juden seien, die die Weltelite bildeten. Was sagen Sie dazu?
Michael Hartmann lehrt als Professor am Institut für Soziologie der Technischen Universität Darmstadt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Eliteforschung, Industrie- und Organisationssoziologie, Managementsoziologie, Globalisierung und nationale Wirtschaftskulturen Professionsforschung.
Hartmann: So ein Unsinn. Das Bild stammt aus den vorigen Jahrhunderten, als es noch zahlreiche vor allem jüdische Privatbankiers gab. Darauf haben sich solche unsinnigen Vorstellungen vielfach gegründet. Selbst diese oberflächliche Begründung funktioniert aber nicht mehr weil die Privatbanken bis auf das Haus Rothschild entweder von den Großbanken aufgekauft oder aber aufgrund ihrer geringen Größe keine Rolle mehr spielen. Meiner Meinung nach gibt es außerdem weder eine homogene Weltelite noch auch nur eine europäische Elite.
Es gibt nicht nur Angriffe nach „oben“, sondern auch nach „unten“ oder auf bestimmte Gruppen. Worauf zielen öffentliche Angriffe auf beispielsweise Migranten oder Hartz IV-Bezieher ab?
Hartmann: Im Vordergrund steht von der Einkommensumverteilung abzulenken und die bisher existente Mittelschicht dazu zu bewegen, sich nach unten abzugrenzen. Das verstellt dann den Blick auf das, was da Oben eigentlich vor sich geht. Während der Anteil der mittleren Einkommen von Jahr zu Jahr gesunken ist, haben diejenigen, die mehr als das doppelte des Durchschnittseinkommens verdienen, um über ein Drittel zugelegt. Der Anteil derjenigen, die weniger als die Hälfte verdienen, ist sogar um fast zwei Drittel gestiegen. Bei den Vermögen sieht es genauso aus. Die untere Hälfte der Bevölkerung hat gar kein Nettovermögen. Die oberen zehn Prozent verfügen demgegenüber über ungefähr zwei Drittel und das oberste Promille hält fast ein Viertel des gesamten Vermögens in Händen. Ähnlich ist es dann auch bei der Bildung. So konzentriert z.B. die Exzellenzinitiative die Ressourcen. Ich nenne das die Bevorteilung der Bevorteilten, das klassische Matthäusprinzip. Wer hat, dem wird gegeben. Die Verhältnisse der Eliten werden stabilisiert.
Folgt man Ihnen, könnte man das Gefühl bekommen, dass das, was Sie als Elite bezeichnen, über dem Gesetz steht. Oder sogar über dem System. Können Eliten bewusst Gesellschaften destabilisieren?
Hartmann: Nein, da haben Sie einen falschen Eindruck. Eliten stehen nicht völlig über dem Gesetz, aber sie können anders als die normalen Bürger die Gesetzgebung erheblich beeinflussen oder zumindest auf bestimmte Änderungen zu ihren Gunsten drängen. Ein nicht unerheblicher Teil der Reichen glaubt allerdings, sich seine Regeln ein Stück weit selbst machen zu können, dass die allgemeingültigen Gesetze nur eingeschränkte Gültigkeit für sie besitzen. Sie haben ihr eigenes Wertesystem. Was die Finanzkrise angeht, so zeigt sich historisch, dass solche Finanzkrisen immer dann entstehen, wenn die Ungleichverteilung am größten ist. Krisen gehören allerdings zum kapitalistischen System zwingend dazu. Die wichtige Frage ist deshalb eher, wie gehen die Eliten mit solchen Krisen um.
Oft wird auch unterstellt, dass sich eine alt-68er Elite gebildet habe, welche die allgemeine Debatte bestimme und unliebsame Themen ausblende.
Hartmann: Auch das ist völliger Unsinn. Das liegt an einem missverstandenen Elitebegriff. Es gibt nur sehr wenige Alt-68er wie Joschka Fischer, die es wirklich bis in die Eliten geschafft haben. Unter den Journalisten sind es zwar ein paar mehr. Die prägen aber nicht den Mainstream. Außerdem haben die, die es wie der Chefredakteur der Welt tatsächlich bis nach oben gebracht haben, zumeist ihre politische Position massiv verändert.
Könnte man dann vom Marxismus als einer Art allgemeiner volkswirtschaftlichen Bilanzkritik der Ungleichverteilung reden?
Hartmann: Ja das könnte man so sehen.
Bilden Eliten eine Parallelgesellschaft? Wie sollte eine Demokratie damit umgehen?
Hartmann: Nein, diese Tendenzen sind eher bei den Reichen zu sehen, wobei beide Gruppen sich teilweise überlappen, vor allem in der Wirtschaft. Man braucht Personen in Spitzenpositionen, doch müssen diese widerrufbar sein, auch zeitlich begrenzt und durchlässiger. Zudem dürfte die Besetzung nicht vom Eigentum oder der sozialen Herkunft abhängig sein. Eine Kontrolle der Eliten durch öffentlichen Druck ist entscheidend.
Herr Hartmann, vielen Dank für das Gespräch. Aktuell Interview
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