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Bildungsoptimistische Einwanderer

Schulkarrieren von Migranten scheitern nicht am mangelnden Ehrgeiz

Bei vergleichbarer sozialer Herkunft sowie vergleichbaren Schulnoten geben Eltern mit Migrationsgeschichte häufiger das Gymnasium als Ziel an als Eltern ohne Migrationshintergrund. Trotzdem sind Migrantenkinder auf dem Gymnasium unterrepräsentiert.

Von Cornelia Gresch Mittwoch, 23.01.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 24.01.2013, 17:43 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Migrantenkinder sind im deutschen Bildungssystem in vielerlei Hinsicht schlechter gestellt als Kinder ohne Migrationshintergrund. Sie erzielen schlechtere schulische Leistungen, sind in Hauptschulen deutlich über- und auf dem Gymnasium unterrepräsentiert und beenden die Schule im Mittel mit niedrigeren Schulabschlüssen. Betrachtet man dagegen die Wünsche und Hoffnungen, die Eltern mit Migrationshintergrund an die Bildungswege ihrer Kinder knüpfen, zeigt sich ein interessanter Kontrast: Die Bildungsaspiration, wie der Fachjargon die Ziele der Eltern nennt, ist in zugewanderten Familien nämlich häufig besonders hoch. Migranten wünschen oft höhere Schul- und Ausbildungsabschlüsse für sich und für ihre Kinder, als dies bei Einheimischen der Fall ist. Wie kommt das?

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Die Untersuchung der Bildungswünsche von Migranten, deren Kinder die vierte Klasse besuchen und kurz vor der Übergangsempfehlung für eine weiterführende Schule stehen, kann Aufschluss darüber geben. Datengrundlage ist die TIMSS-Übergangsstudie, eine bundesweite Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, in der mehr als 5.000 Viertklässler untersucht wurden. Die Schülerinnen und Schüler nahmen am Ende der vierten Klasse an standardisierten Schulleistungstests teil, wie sie auch durch internationale Studien wie PISA oder IGLU bekannt sind. Damit standen objektive Informationen zum aktuellen Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler zur Verfügung. Zusätzlich wurden die Eltern und Lehrkräfte zu verschiedenen Zeitpunkten im Laufe der vierten Klasse befragt.

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Im Mittelpunkt der im Folgenden vorgestellten Analysen stehen türkischstämmige Eltern sowie (Spät-)Aussiedler, die mit Eltern ohne eigene Migrationserfahrung verglichen werden. Das Bildungsziel der Eltern wurde über eine Befragung gemessen, in der die Eltern angeben sollten, welche Schulform ihr Kind voraussichtlich im folgenden Schuljahr besuchen würde – und zwar, bevor sie die Übergangsempfehlung ihres Kindes kannten.

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Es zeigte sich zunächst, dass insbesondere türkischstämmige Eltern seltener das Gymnasium als angestrebte Schulform angaben als Eltern ohne Migrationshintergrund: Während rund 58 Prozent der Nicht-Migranten das Gymnasium nannten, lag der entsprechende Anteil bei türkischstämmigen Eltern und (Spät-)Aussiedlern teilweise deutlich niedriger, beispielsweise bei rund 47 Prozent unter Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern aus der Türkei nach Deutschland zugewandert waren.

Ein wichtiger Aspekt, der bei der Untersuchung ethnischer Ungleichheit nie außer Acht gelassen werden sollte, betrifft die Sozialschichtzugehörigkeit von Migranten. Diese nehmen häufig vergleichsweise niedrige berufliche Positionen ein und als Folge stehen diesen Familien wenig Mittel zur Verfügung, die eigenen Kinder in schulischen Belangen zu unterstützen. Hinzu kommen bei Migrantenkindern mögliche sprachliche Schwierigkeiten, die ebenfalls dazu beitragen, dass die schulischen Leistungen und entsprechend auch die Noten eher schlecht ausfallen. Der Bildungswunsch orientiert sich allerdings immer auch an den tatsächlichen Gegebenheiten. Sofern die Möglichkeiten sehr begrenzt sind, ein hohes Bildungsziel tatsächlich zu erreichen, kann schon diese Perspektive zu einer niedrigeren Bildungsaspiration führen.

Aus diesem Grund wurde in einem zweiten Schritt geprüft, ob die unterschiedliche Bildungsaspiration auf die sozioökonomische Position der Eltern zurückgeführt werden kann und welche Rolle die Schulnoten der Kinder einnehmen. Dabei ergab sich folgendes Bild: Wenn Migranten und Nicht-Migranten vergleichbare Bildungsabschlüsse und berufliche Positionen aufwiesen, konnten keine Unterschiede in den Bildungswünschen festgestellt werden. Wurden zusätzlich auch die unterschiedlichen Schulnoten der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, kehrte sich das Bild sogar um: Bei vergleichbarer sozialer Herkunft sowie vergleichbaren Schulnoten gaben Eltern mit Migrationshintergrund häufiger das Gymnasium als Ziel an als Eltern ohne Migrationshintergrund. Unter gleichen Ausgangsbedingungen nannten zum Beispiel Eltern, die mit ihrem Kind aus der Türkei nach Deutschland zugewandert waren, etwa dreimal so häufig das Gymnasium wie Nicht-Migranten. Auch bei (Spät-)Aussiedlern konnte ein positiver Zusammenhang nachgewiesen werden, wenngleich dieser nicht so hoch ausfiel wie bei den türkischstämmigen Eltern.

Weshalb streben Migranten unter gleichen Voraussetzungen häufiger das Gymnasium an als Nicht-Migranten? Befunde wie diese werden in der Regel über den sogenannten „Zuwanderungsoptimismus“ erklärt: Demnach verbinden gerade Zuwanderer aus ursprünglich niedrigen Sozialschichten mit ihrer Migration gezielt den Wunsch, im Aufnahmeland ein besseres Leben zu führen als im Herkunftsland. Die Möglichkeiten der Zuwanderer, diese Wünsche selbst umzusetzen, sind allerdings begrenzt, weshalb sie ihre Bildungsziele häufig auf die Kinder übertragen. Empirisch äußerte sich dies in der vorgestellten Studie darin, dass die befragten Migranten dem Abitur einen höheren Stellenwert beimaßen als Einheimische. So beantworteten türkischstämmige Migranten und (Spät-)Aussiedler verschiedene Fragen zur Bedeutung des Abiturs für den weiteren Lebensweg positiver als Eltern ohne Migrationshintergrund.

Zudem konnte in der Studie eine zweite Erklärung für die hohe Bildungsaspiration identifiziert werden: Demnach besteht ein Missverhältnis zwischen den Leistungserwartungen der Eltern und den über standardisierte Leistungstests objektiv gemessenen Leistungen, den Noten oder auch der Übergangsempfehlung. Beispielsweise rechneten Migranten, und dabei insbesondere türkischstämmige Migranten, deutlich häufiger mit einer Gymnasialempfehlung, als letztlich ihrem Kind ausgestellt wurde. Auch schätzten sie die schulischen Leistungen ihres Kindes höher ein, als sich diese in Noten und Leistungstests widerspiegelten. Sofern die Eltern nun überzeugt sind, dass ihr Kind gute schulische Leistungen erbringt und beispielsweise das Gymnasium gut meistern kann, streben sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einen hohen Bildungsabschuss an als Eltern, die das Leistungsvermögen der Kinder eher gering einschätzen.

Die Diskrepanz zwischen den Leistungen und den Leistungseinschätzungen kann verschiedene Ursachen haben. Eine systematische Benachteiligung durch die Lehrkräfte kommt insofern nicht in Betracht, als sich dieselbe Diskrepanz nicht nur bei den erwarteten Noten oder der Übergangsempfehlung zeigt, sondern ebenfalls bei einem Vergleich mit den Ergebnissen standardisierter Leistungstests. Möglicherweise sind die Eltern allerdings unzureichend über die tatsächlichen schulischen Leistungen und Möglichkeiten ihrer Kinder informiert. In diesem Fall würden sie ihre Vorstellungen über die Bildungslaufbahn der Kinder an falsche Erwartungen anpassen. Oder Eltern mit Migrationshintergrund berücksichtigen bei der Einschätzung des Leistungsvermögens ihrer Kinder, dass diese durch Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache zusätzliche Anforderungen zu meistern haben. In diesem Fall würden die Eltern andere Maßstäbe für die Beurteilung ansetzen, als dies bei der Auswertung von Leistungstests oder auch beim Ausstellen der Übergangsempfehlung der Fall ist.

Die Analyse zeigt jedenfalls, dass es nicht am mangelnden Bildungswillen in den Familien liegt, wenn Kinder mit Migrationshintergrund immer noch unterdurchschnittlich an deutschen Gymnasien vertreten sind. Im Vergleich zu Familien ohne Migrationshintergrund, die einen ähnlichen sozioökonomischen Hintergrund aufweisen und deren Kinder vergleichbare Noten erzielen, verfolgen sie ähnliche, beziehungsweise häufig sogar höhere Bildungsziele.

Literatur
Becker, Birgit: Bildungsaspirationen von Migranten – Determinanten und Umsetzung in Bildungsergebnisse. Arbeitspapier. Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung 2010.

Gresch, Cornelia: Der Übergang in die Sekundarstufe I. Leistungsbeurteilung, Bildungsaspiration und rechtlicher Kontext bei Kindern mit Migrationshintergrund. Wiesbaden: Springer VS 2012.

Gresch, Cornelia/Maaz, Kai/Becker, Michael/McElvany, Nele: „Zur hohen Bildungsaspiration von Migranten beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe: Fakt oder Artefakt?“ In: Patricia Pielage/Ludger Pries/Günther Schultze (Hg.): Soziale Ungleichheit in der Einwanderungsgesellschaft: Kategorien, Konzepte, Einflussfaktoren. WISO Diskurs, Friedrich-Ebert Stiftung 2012, S. 56-67.

Maaz, Kai/Baumert, Jürgen/Gresch, Cornelia/McElvany, Nele (Hg.): Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule – Leistungsgerechtigkeit und regionale, soziale und ethnisch-kulturelle Disparitäten. Bonn: BMBF 2010. Aktuell Meinung

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