Heymat
Babylonische Sprachverwirrung im Kontext der Migration und Integration
Es ist zugegebenermaßen nicht einfach, die unterschiedlichen Gruppen von Personen mit Migrationshintergrund zu differenzieren. Aber was Fritz Friedebold in seinem Beitrag „Lebt eine halbe Million Türken mehr in Deutschland?“ auf Welt Online fabriziert hat, trägt gewisse satirische Züge.
Von Coşkun Canan Donnerstag, 07.02.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 10.02.2013, 21:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Obgleich der Gegenstand seines Beitrags – es geht um in Deutschland als Deutsche geborene Personen mit türkischem Migrationshintergrund, die in den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts seit neustem berücksichtigt und ausgewiesen werden – immer derselbe bleibt, wechseln ständig die Begriffe, welche jenen Gegenstand umschreiben sollen.
Gleich im Titel stößt man als erstes auf den Begriff „Türken“. Es geht zunächst also um Türken oder ganz formal ausgedrückt um türkische Staatsangehörige. Dann kommt die Bezeichnung „`türkischstämmige´ Deutsche“. Hier sind wohl deutsche Staatsangehörige mit türkischem Migrationshintergrund gemeint. Darauf folgt der alleinstehende Begriff „Türkischstämmige“. Hier könnte die/der eine oder andere verunsichert werden: Sind das jetzt die „türkischstämmigen Deutschen“ oder sind damit auch die türkischstämmigen „Türken“ gemeint? Oder vielleicht sogar beide? Die Verunsicherung wird größer, wenn man als nächstes die Bezeichnung „Türkeistämmige“ liest. Warum plötzlich dieser Begriff ? Und worin liegt der Unterschied zur Bezeichnung „Türkischstämmige“? Ein Kollege erklärt mir, beim Begriff „türkeistämmig“ beziehe sich der Migrationshintergrund auf die Region Türkei, wodurch eine mögliche Verengung des Migrationshintergrundes auf einen ethnischen Hintergrund, die der Begriff „türkischstämmig“ suggeriere, vermieden würde. Auf das „Warum“ gibt es keine Antwort.
Jetzt kommen drei Sätze, die das Rätsel um den alleinstehenden Begriff „Türkischstämmige“ von vorhin lösen könnten: „Die Zahl der Türkischstämmigen stieg während nur einen Jahres um rund 20 Prozent. Dabei war die Anzahl der Einwohner Deutschlands mit türkischer Staatsbürgerschaft im selben Zeitraum um knapp 1,5 Prozent gesunken. Eingewandert waren die „neuen Türken“ auch nicht.“ Hier wird also die Bezeichnung „Türkischstämmige“ mit „Einwohner Deutschlands mit türkischer Staatsbürgerschaft“ in eine paradoxe Beziehung gesetzt. Aus diesem Paradoxon resultiert schließlich die Bezeichnung „`neue Türken´“. Interessant, weil eine andere Fraktion zuletzt von „neuen Deutschen“ sprach. Dennoch die Verwirrung bleibt. Des Rätsels Lösung findet sich in der darauffolgenden Teilüberschrift: „`Türkischstämmige´ sind in Deutschland geborene Babys“ Aha!
Und die Antwort auf die einleitende Frage im Titel: „Lebt eine halbe Million Türken mehr in Deutschland?“ gibt Friedebold selbst, indem er eine Aussage von Gunter Brückner, einem Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes, zitiert: „Es handelt sich hierbei um 471.000 Kinder, die in Deutschland als Deutsche auf die Welt gekommen sind“ Aha! Es sind also Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund.
Es ist erstaunlich wie oft in der Öffentlichkeit, Politik, Wissenschaft und in den Medien Begriffe reproduziert werden ohne hinterfragt zu werden. Hierzu zählt auch die Bezeichnung „Migranten“, die als Synonym für Personen mit Migrationshintergrund verwendet wird und auch Nachkommen von Zugewanderten, die in Deutschland geboren wurden, umfasst. Ich verstehe unter Migranten Personen, die ihren Lebensmittelpunkt von einem Land in ein anderes Land verlagern. Das haben aber 30% der Personen mit Migrationshintergrund nicht getan. Bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund sind es sogar 50%. Warum also noch die Bezeichnung Migranten? Aktuell Meinung
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@Lothar Schmidt.. Ach und was ist ein „Bio-Detuscher“ ? Das ist doch Schwachsinn. Es hat im Laufe der Zeit immer Menschen gegeben die von A nach B wanderten und sich dort natürlich auch vermehrten , über Generationen hin… Was in ihren Adern fließt ist auch nur Blut. Ob das nun zu 70% oder zu 7% in den letzen X-Generationen von hier kommt ist prinzipiell vollkommen egal, entscheidend ist was sie daraus machen.
Ich bin hier geboren, ich mächte das es diesem Land, meiner Heima und der meiner Kinder, jetzt und in Zukunft gut geht. Als „Bio-Deutscher“ betrachte ich mich nicht. Ich bin einfach Deutscher, jeder der obigen Satz auch für sich gelten läßt ist für mich genauso Deutscher.
Der Ausdruck „Bio-Deutsch“ ist für mich ganz einfach Rassismus, und ich nehme dieses Wort extrem selten in den Mund, mir bedeutet das etwas.
Gut, dass der recht dämliche Ausdruck „Bio-Deutscher“ (der vor Jahren von Cem Özdemir ironisch verwendet wurde) aus verschiedener Perspektive angegangen wird.
Auch die damit Gemeinten empfinden ihn überwiegend als herabwürdigend – es gibt ja auch keine Bio-Belgier oder Bio-Franzosen.
Sicher kann man sich persönlich als Teil einer großen bunten Gesellschaft sehen, jedoch befindet die sich in einem Staat namens Deutschland – oder sollte der vielleicht in Neubuntland umbenannt werden?
@Soli
Vollkommen richtig, Bio-Deutsch ist ein hetzender, rassistischer, anti-deutscher Begriff, der unter anderem von verschiedenen Autoren hier auf Migazin benutzt wird. Er ist das Gegenteil von dem hetzerischen Begriff „Pass-Deutscher“, der gerne von Islamophoben und Rassisten bentutzt wird, um Migranten zu diskreditieren.
@Dilara „Muss ich mich denn überhaupt über eine Nationalität identifizieren oder kann ich das nicht “einfach” über mein Sein als Mensch als Teil einer großen bunten Gesellschaft?“
Vielleicht wollen aber die Deutschen auch eine deutsche Nation bleiben und keine „große bunte Gesellschaft“ werden.
Haben Sie darüber mal nachgedacht?