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Interview mit Klaus J. Bade

Gesellschaftspolitik im Einwanderungsland – Teil 1/2

Ist Bundesinnenminister Friedrich überfordert mit der Integrationspolitik? Werden die „Roma“ Wahlkampfthema? Und wie reagieren Sicherheitsbehörden bei Islamfeindlichkeit? Über diese und andere Themen sprach das MiGAZIN mit Prof. Klaus J. Bade - Teil 1/2:

Von Montag, 18.03.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.03.2013, 23:03 Uhr Lesedauer: 15 Minuten  |  

MiGAZIN: In Ihrer Abschiedsrede als Gründungsvorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) im August 2012 kündigten Sie an: „Sie werden weiter von mir hören.“ Sie haben Wort gehalten. Soeben ist Ihr neues Buch „Kritik und Gewalt“ erschienen. Und gleich im Inhaltsverzeichnis sticht ein Kapitel ins Auge: „Das Agitationskartell: Kelek, Sarrazin & Co.“. Ist das Buch eine Abrechnung mit Ihren Kritikern?

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Prof. Klaus J. Bade: Nein, es geht mir nicht um eine Abrechnung mit Personen. Es geht vor dem Hintergrund der Entwicklung von Integration in Deutschland um eine kritische Bilanz agitatorischer Argumente und um die Kreisläufe bei ihrem Fortleben in der öffentlichen und insbesondere digitalen Kommunikation. Argumente verselbstständigen sich, lagern sich in zunehmend vergröberten Versionen im Netz ab. Sie heizen sich dort gegenseitig auf und finden von dort ihren Weg zurück in die Kommentarspalten auch großer Online-Zeitungen. Sie wirken auf diese Weise auch auf Redaktionen zurück, die den Kommentarschleifen entnehmen, wie zumindest der netzaffine Teil ihrer Leserschaft denkt.

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Prof. Dr. Klaus J. Bade, Historiker, Migrationsforscher, Publizist und Politikberater lehrte bis 2007 Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück. Von Ende 2008 bis Mitte 2012 war er Gründungsvorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Berlin. Im März 2013 ist sein neustes Buch „Kritik und Gewalt“ erschienen im Wochenschau Verlag.

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In der Sache gibt es fließende Grenzen im Dreieck zwischen 1. Islamismuskritik als Auseinandersetzung mit dem fundamentalistischen Islamismus, der auch in der Bundesrepublik gefährliche Brückenköpfe hat, 2. Islamkritik als Auseinandersetzung z.B. mit islamischen Lehrtraditionen und religiös geprägten Lebensformen sowie 3. einer aggressiv kämpferischen, ganze Religions- und Bevölkerungsgruppen denunzierenden und diffamierenden islamfeindlichen Agitation, die sich aber auch als Islamkritik versteht und von Navid Kermani zu Recht als „vulgärrationalistisch“ gebrandmarkt worden ist. Deshalb gebrauche ich den Begriff „Islamkritik“ nur noch in Anführungszeichen. Die mitunter zwischen diesen drei Polen oszillierende publizistische „Islamkritik“ hat – sicher oft unbeabsichtigt, aber als Berufungsinstanz de facto – den Boden bereitet für eine fundamentalistische Islamophagie.

Die wütet in den sumpfigen Abgründen von islamfeindlichen Internetblogs, deren giftiger Smog zunehmend auch die Kommentarspalten der medialen Online-Welt überzieht. Das merkt man sofort, wenn man den Duktus von Leserbriefen des späten zwanzigsten Jahrhunderts mit den Einträgen in den Kommentarschleifen der heutigen Online-Zeitungen vergleicht. Diese hassgetriebenen gruppenfeindlichen Aggressionen sind eine Gefahr für den sozialen und kulturellen Frieden in der demokratischen Einwanderungsgesellschaft. Und dort, wo sogar die Einschränkung der religiös-kulturellen Freiheitsrechte von Einwanderern propagiert wird, handelt es sich eindeutig um Verfassungsbruch.

MiGAZIN: Sie haben im Laufe Ihrer Arbeit höchste Anerkennung gefunden, aber auch viel Kritik einstecken müssen von rechter Seite. Vor allem rechte Internetseiten haben nicht selten gegen Sie mobilgemacht. Auch dem widmen Sie ein Kapitel. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, die vom Internet ausgeht?

Bade: Die Gefahr ist eminent und wird stärker. Auch hier geht es weniger um die Schreiber als Akteure und mehr um ihre Argumente sowie deren potenzielle Folgen. Es gibt hier ja nicht nur die kriminelle Kommunikation von extremistischen Hassblogs der verschiedensten Seiten, die indirekt und zuweilen auch direkt zur Gewaltanwendung aufrufen. Es ist z.B. auch möglich, dass ein im doppelten Sinne braun gebrannter Mallorca-Rentner nach seinem schmackhaften Frühstück auf einem fremdenfeindlichen Internet-Portal unter Pseudonym erst mal so richtig seine Aggressionen ablässt und dann nach dem Abendessen wieder nachsieht, was in den Kommentarschleifen so daraus geworden ist. Er kann im Netz unter Pseudonym tun und lassen, was er will, der Blogbetreiber erklärt sich für unzuständig und niemand kann einschreiten, weil der Server z.B. in den USA steht, weshalb das amerikanische Medienrecht gilt, das es im Prinzip kaum gibt. Deswegen bin ich kein Freund der feige codierten digitalen Kommunikation, die häufig schlicht Denunziation ist.

Die unkalkulierbare Gefahr liegt aber auch hier nicht bei den Schreibern, sondern bei gewaltbereiten Lesern, die die aggressiven Botschaften zum Anlass nehmen könnten, gewalttätig zu werden, was sicher manche Schreiber auch bewusst einkalkulieren. Das wird zunehmend gefährlicher, weil sich die gewaltbereite Szene nach Einschätzung der Sicherheitsdienste in immer kleinere, konspirativ kommunizierende Einheiten und möglicherweise auch solitäre Terrorkommandos zergliedert. Sie stehen zum Teil nur über ein Mitglied mit anderen Kleingruppen in konspirativer Verbindung, sind also auch über V-Leute nur schwer zu enttarnen und können unkalkulierbar jederzeit irgendwo aktiv werden, von der Demonstration über die Veranstaltungsstörung bis zur Gewaltanwendung.

MiGAZIN: Wie schätzen Sie die Arbeit der Sicherheitsbehörden ein in Bezug auf die fremdenfeindliche und insbesondere islamfeindliche Propaganda im Internet?

„Rassismus, Israelfeindschaft und insbesondere antisemitische Gewaltverherrlichung zum Beispiel werden im Land des Holocaust scharf beobachtet und verfolgt, antiislamische Volksverhetzung nicht, nicht einmal einschlägige islamfeindliche Wahlslogans wie ‚Gas geben!'“

Bade: Die Sicherheitsbehörden sind nach dem NSU-Schock mit erhöhtem Fahndungsdruck aktiv, weshalb auch mehr als 200 meist auch wegen anderer Delikte mit Haftbefehl gesuchte Rechtsextremisten in den Untergrund abgetaucht sind und damit nur einmal mehr gezeigt haben, dass es diesen Untergrund gibt, in dem man spurlos verschwinden kann. Die Sicherheitsbehörden folgen in Ihrem Rechtsextremismusbild aber meist überholten Rastern, die oft noch aus dem Kalten Krieg stammen. Rassismus, Israelfeindschaft und insbesondere antisemitische Gewaltverherrlichung zum Beispiel werden im Land des Holocaust scharf beobachtet und verfolgt, antiislamische Volksverhetzung nicht, nicht einmal einschlägige islamfeindliche Wahlslogans wie „Gas geben!“ Die Sicherheitsdienste haben trotz ihrer NSU-Blamage noch immer keinen zureichenden Blick für die fließende Grenze zwischen antiislamischem Kulturrassismus, Neonationalsozialismus und fremdenfeindlicher Gewalt.

Hinzu kommt die terminologische Engführung der Begriffe „rechtsradikal“ und „rechtsextremistisch“. „Rechtsextremistisch“ ist eine weniger auf individuelles Verhalten als auf die Mitgliedschaft in oder die nachweisliche Nähe zu Gruppen, Organisationen, Verbänden oder Parteien mit entsprechenden Zielsetzungen gerichtete Kategorie. Anders gewendet: Eine Person ist „rechtsextremistisch“ weniger wegen ihres Verhaltens als wegen ihrer Mitgliedschaft oder Nähe zu als „rechtsextremistisch“ erkannten Vereinigungen. Folge: Selbst eine spontane Gewalttat, die sogar durch ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild ausgelöst wird, erscheint vor diesem Hintergrund oft nicht als rechtsextremistisch, sondern als Affekthandlung und geht demzufolge unter Umständen auch nicht in die Statistik „rechtsradikaler“ oder gar „rechtsextremistischer“ Gewalttaten ein. Bleibt zu hoffen, dass sich das bei der laufenden Reform der Dienste ändert. Interview Leitartikel

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