Deutsch-Türkische Akademiker
Ach Deutschland, ich bin dann mal weg
Erstklassig ausgebildet und trotzdem keinen Job: Deutsch-Türkische Akademiker finden nur schwer Arbeit in Deutschland. Notgedrungen gehen viele von ihnen in das Land ihrer Eltern zurück. Für Deutschland ein verheerender Braindrain.
Von Patricio Farrell Freitag, 05.04.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 21.01.2014, 12:49 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Müge Yücel hat es getan. Irgendwann nach hundert Absagen war Schluss. Sie packte ihre Koffer und zog von Deutschland in die Türkei, das Land ihrer Eltern. Diesen Schritt hatte sie so nie für sich gewollt. Im Gegenteil: Gerne wäre sie geblieben, um in dem Land, in dem sie sich heimisch fühlt, zu arbeiten, eine Familie zu gründen, alt zu werden.
Die besten Voraussetzungen dafür bringt Yücel eigentlich mit. Gleich zwei Master-Titel aus den USA in „International Management“ und „International Finance“ schmücken ihren Namen, gefragte Ausbildungen in der Finanzbranche. Mühelos findet sie sich in drei Kulturen zurecht – der deutschen, der türkischen und der amerikanischen. Und trotzdem: Auf weit über hundert Bewerbungen erhielt sie nicht eine einzige Zusage.
Das Future-Org Institut in Krefeld warnt schon seit mehreren Jahren, dass Deutschland gut ausgebildete und dringend benötigte Talente verprellt. Knapp die Hälfte der deutsch-türkischen Akademiker denkt darüber nach, Deutschland in Richtung Türkei zu verlassen.
Keine freiwillige Auswanderung
Nach ihrer Ausbildung in den USA folgten für Yücel in Deutschland Jahre der erzwungenen Selbstständigkeit und immer wieder unverhohlener Rassismus. „Mein schlimmstes Erlebnis war, als ein Personaler mir ins Gesicht sagte, dass ich als türkische Frau eigentlich gebären müsse“, sagt Yücel ohne große Gefühlsregung heute. Frau und Türkin, das heißt doppelt diskriminiert zu werden.
Volkan Callar ist zwar ein Mann, hat aber ähnliches durchlebt. Der studierte Betriebswirt aus Hagen arbeitet heute als Marketing-Manager in Istanbul. Auch er wäre gern in Deutschland geblieben. Er vermisst seine Freunde, die Ruhe, die sauberen Straßen. Doch Arbeit fand er in Deutschland auch nicht. Durch die Blume erhielt er Absagen, die sich nicht mit seinen akademischen Leistungen erklären ließen. In Istanbul eröffnen sich ihm zwar als Vermittler zwischen zwei Kulturen ganz neue Karrieremöglichkeiten. Und trotzdem sagt er: „Freiwillig bin ich nicht ausgewandert“.
Hier berichten Müge Yücel und Volkan Callar von ihren Erlebnissen: [audio:deutsch-tuerkische-akademiker.mp3|titles=Deutsch-Türkische Akademiker – Ach Deutschland, ich bin dann mal weg|artists=Patricio Farrell] Aktuell Gesellschaft
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Wendy Sie haben SAP als Beispiel erwähnt… Wie hoch ist der Anteil von türkeistämmigen Führungskräften mit Personal- und Budgetverantwortung bei SAP?
Hallo Wendy,
sicher haben Sie recht! Mit meinen Ausführungen wollte ich auch ein wenig provizieren.
Ja man kann sich das Leben natürlich leicht machen und Absagen durch die Herkunft, das Geschlecht oder das Alter begründen.
Hier mal ein paar Infos zu meinem beruflichen Werdegang:
wie erwähnt mit 28 Jahren Studium (Wirtschaftswissenschaften) mit der Note 2,0 abgeschlossen.
– Problem: schon zu alt (müsste mit 25 Jahren abschließen), Note ist ok, aber eher durchschnittlich
Weil ich im Studium keine Praktika gemacht hatte war für mich ein qualifikationsadäquater Einstieg unmöglich.
– ok hier habe ich einen Fehler gemacht und die spätere Stellensuche unterschätzt.
Nach dem Studium Praktikum im Bereich Onlinemarketing nachgeholt. (Info: Praktikumsbetrieb hatte zu Beginn klar artikuliert, dass eine spätere Einstellung unmöglich ist).
Dann später Traineeship im Bereich Onlinemarketing befristet auf ein Jahr (Info: Vertrag wurde nicht verlängert, sondern nach mir wieder ein Trainee eingestellt. Vor mir war übrigens auch ein Trainee beschäftigt gewesen. Also sozusagen eine Schleife von hochqualifizierten Trainees um Lohnkosten zu drücken).
Später eine Stelle als Onlinemarketing-Manager angenommen . (Stelle war auf 1 Jahr befristet. Irgendwie habe ich mich in dem Betrieb unwohl gefühlt, so dass ich mein Potenzial nicht abrufen konnte, Der Chef war ein absoluter Choleriker und wir hatten ein sehr schwieriges Verhältnis. Es gab oft Streit um Kleinigkeiten. Ich habe dem Chef dann mitgeteilt, dass ich kein Interesse an einer Verlängerung des Vertrages habe.)
– rückwirkend betrachtet habe ich auch hier einen Fehler gemacht. Ich hätte mindestens 2 Jahre bleiben sollen.
Jetzt bin ich seit etwa 3 Monaten ohne Job und habe die Zeit genutzt autodidaktisch in diesem Bereich weiterzubilden, um in der Zukunft gut aufgestellt zu sein. Mittlerweile verfüge ich gute Kenntnisse in den Sprachen HTML, CSS, PHP, Javascript und Photoshop, so dass ich neben meinen Marketingkenntnissen jetzt auch Kenntnisse für Webdesign und Webentwicklung mitbringe.
Da in diesem Bereich aktuell Fachkräftemangel herrscht und gerade akademisch gebildete Menschen gefragt sind hatte ich mir sehr gute Chancen ausgerechnet.
Ich habe ein wenig Angst, dass ich wegen meines Lebenslaufs nach der Unizeit als Jobhopper gesehen werden könnte. Andererseits denke ich sind Anfangsschwierigkeiten nicht unnormal. Auch in der Uni und beim Abi habe ich mich zu Beginn schwer getan. Kein Meister fällt vom Himmel.
Ist es in Deutschland bereits so schlimm, dass man nach 2 Fehlern im Berufsleben völlig chancenlos ist. Soll ich denn jetzt schon in Rente gehen. Ich bin doch ein junger, intelligenter Mann. Die Volkswirtschaft könnte mich doch gut gebrauchen. Es wurden sehr viele Steuern in meine Bildung investiert. Warum sollte die hiesige Gesellschaft nicht auf das Potenzial ausschöpfen. Das wäre ja völliger Irrsinn!
Mein Name sagt ja schon alles über mich aus, nicht wahr? Falsch! Ich habe BWL studiert, Praktika und eine Berufsausbildung in der Tasche. Ich habe nach meinem Studium ca. 25 Bewerbungen verschickt und zunächst nur Absagen bekommen, war 4 Monate lang arbeitslos. Seit 2,5 Jahren arbeite ich bei einem großen Wirtschaftsprüfer (Big 4) und kann aus Erfahrung sagen: Ich werden seit genau 2,5 Jahren ausgeschlossen, diskriminiert, gemobbt. Ja, aufgrund meiner Herkunft. Die ersten 12 Monate wurde ich oft nicht mit zum Essen mitgenommen, man hat mich einfach ignoriert, mir wurden lächerliche Fragen gestellt („Wir machen einen Betriebsausflug, darfst du da mit?“, „Warum werden Frauen bei euch getötet, wenn sie Fehler machen?“). Lächerlich. Ich bin in Deutschland geboren und hört hört, ich bin FREI ;) Eine gute Kollegin, selbst Russin (wird im Übrigen ebenfalls ausgeschlossen), erzählte mir kürzlich, dass es schlechte Stimmung gab, als die Kollegen vor 2,5 Jahren erfuhren, dass die neue Kollegin eine Türkin ist. Nun verstehe ich auch, weshalb mich aus der ganzen Abteilung (über 20 Personen), nur ZWEI Personen empfingen/begrüßten. Momentan bewerbe ich mich wieder. Ich weiß, dass meine Bewerbungsunterlagen top sind (wurde mir bestätigt, habe ich prüfen lassen). Das Problem ist doch, dass ich 29 bin, verheiratet, Türkin. Ich werde es trotzdem immer und immer wieder versuchen und wenn es wirklich gar nicht mehr klappt, werden mein Mann und ich gehen. Ungern. Aber so kann das doch nicht weitergehen. Ich will arbeiten!!! Das ist doch verrückt? Mein Mann ist im Übrigen auch Türke, Softwareentwickler, top ausgebildet, hat aber Glück mit seiner Firma (Diversity wird dort gelebt!). Seit Erdogan habe ich, so denke ich, sowieso hierzulande keine Chance mehr. Wirklich schade.