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Die Kopftuchverbote

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte die betroffenen Frauen und Mädchen.

Kopftuchverbote sind nicht in Stein gemeißelt und werden hoffentlich über kurz oder lang ebenso wie viele andere gesetzliche Vorschriften, die Frauen das Leben schwer gemacht haben, auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Von Donnerstag, 25.04.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.03.2016, 11:12 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

2003 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das islamische Kopftuch im Schuldienst nicht ohne ein entsprechendes Gesetz verboten werden kann. Daraufhin führten zwischen 2004 und 2006 acht Bundesländer, vornehmlich unter CDU/FDP-Regierungen, ein Verbot politischer, religiöser, weltanschaulicher oder ähnlicher äußerer Bekundungen in unterschiedlicher Ausprägung und Reichweite ein. Obwohl in den Gesetzestexten selbst das Wort „Kopftuch“ nicht vorkommt, 1 – das ist in der Regel erst in den Erläuterungen zum Gesetz schwarz auf weiß zu lesen – sind aufgrund der eindeutigen politischen Zielsetzungen im Vorfeld und der Tatsache, dass letztendlich lediglich Frauen mit Kopftuch betroffen sind, diese Gesetze unter dem Schlagwort “Kopftuchverbote” bekannt geworden.

Die politisch und medial bevorzugte und verbreitete Definition des Kopftuches als „Symbol“ reicht von dem eher noch harmlos anmutenden Bekenntnis zu einem rückwärtsgewandten Geschlechterrollenverständnis bis hin zu einem aggressiven Statement gegen den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat. Kopftuchverbote wurden von verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gruppen als probates Mittel der Abwehr gegen solcherlei altmodische bis gefährliche Auffassungen deklariert und entfalteten eine unterschiedliche Wirkung im Alltag von Muslimen und Nichtmuslimen. Da fühlten sich einige Schulleiter ermutigt, die grundgesetzlichen Hürden flink zu überspringen und die eigene Bildungsstätte per Schulordnung zur kopftuchfreien Zone zu deklarieren, andere schickten Rundschreiben an Eltern, in denen sie diese in zunächst freundlichem, doch dann immer bestimmteren Ton dazu aufforderten, ihren Kindern das Fasten zu verwehren. Bisher unbehelligt mit Kopftuch berufstätige Frauen wurden zu Vorgesetzten zitiert und aufgefordert, das „Symbol“ jetzt, wo es amtlicherseits verboten sei, abzulegen, Praktikantinnen sollten sich dazu bereit erklären, dies auf Zuruf ebenfalls zu tun, ansonsten sei ein Praktikum leider nicht möglich. All dies war im Vorfeld der Gesetze absehbar, wurde jedoch geflissentlich ignoriert, vielleicht waren Kollateralschäden aus Sicht einzelner Akteure auch nicht unwillkommen.

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Mit der Zeit sind die dem Kopftuch zugeschriebenen negativen Deutungen Allgemeinwissen geworden und selbst bei denen, die eine differenziertere Sichtweise haben oder haben sollten, hat sich ein achselzuckender Fatalismus breitgemacht.

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So ist in der Werbung für ein Projekt, das jungen Frauen mit Kopftuch beim Einstieg ins Berufsleben helfen soll, zu lesen, es werde an die Arbeitgeber appelliert, doch eine qualifizierte Bewerberin nicht nur wegen des Kopftuches abzulehnen und die jungen Frauen sollten überlegen, ob sie ihr Kopftuch nicht zeitweise ablegen könnten, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Was auf den ersten, unbedarften Blick – doch Organisationen, die sich mit Integration befassen, sollten nicht unbedarft sein – aussieht wie ein Geben und Nehmen, ist tatsächlich etwas ganz anderes: An denjenigen, der mit seiner ausschließlich auf das Kopftuch abzielenden Ablehnung einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz begeht, wird appelliert, davon doch bitte abzusehen, während diejenige, die ein grundgesetzlich geschütztes Recht in Anspruch nimmt, gebeten wird, doch davon bitte zeitweise abzusehen, um – ja, um was eigentlich zu erreichen oder zu gewährleisten? Den Seelenfrieden oder das blank geputzte Selbstbild einer Gesellschaft, die noch immer am Bild einer homogenen Gesellschaft, die die „richtige“ Lebensweise hat, festhält, obwohl die Realität längst zeigt, dass es viele „richtige“ Wege gibt?

Natürlich soll den jungen Frauen, die auf das Berufsleben vorbereitet werden, die Realität nicht schöngeredet werden, aber sie zu vorauseilendem Gehorsam zu ermutigen, darf weder Ziel noch Nebenprodukt eines Projektes sein, das der Integration dienen soll. Integration ist keine Einbahnstraße und so sollte auch den Arbeitgebern die rechtstaatliche Realität in aller Konsequenz deutlich gemacht werden.

Kopftuchverbote sind nicht in Stein gemeißelt und werden hoffentlich über kurz oder lang ebenso wie viele andere gesetzliche Vorschriften, die Frauen das Leben schwer gemacht haben, auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. Heute kann sich kaum noch jemand vorstellen, dass bis 1958 bzw. 1977 Frauen nicht eigenständig darüber entscheiden konnten, ob sie einer Arbeit nachgehen, 2 es vor 1968 keine Mutterschutzfristen gab, eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bis 1994 und eine Vergewaltigung in der Ehe bis 1997 rechtlich kein Straftatbestand war – all diese Defizite wurden jedoch seinerzeit nicht als solche gesehen, sie spiegelten das, was gesellschaftlicher Konsens, also „normal“ war. Viele Kopftuch tragende Frauen hat das gesetzliche Kopftuchverbot zurück ins Jahr 1977 katapultiert, nur, dass nicht der Ehemann darüber bestimmt, ob und wo sie arbeiten dürfen, sondern der Staat ihre Berufsfreiheit mit den beschriebenen Nebenwirkungen drastisch begrenzt. Umso wichtiger ist es, die Gesetzeslage genau zu kennen, denn nur auf diesem Hintergrund lässt sich eine (derzeit noch) rechtlich zulässige Ablehnung oder Ungleichbehandlung, die allein auf dem Tragen eines Kopftuches beruht, von einer Diskriminierung, gegen die rechtliche Schritte möglich sind, unterscheiden. Einen kompakten Überblick dazu bietet das Infoblatt des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen mit dem Titel „Das islamische Kopftuch im Spiegel der Gesetze“.

Hoffen wir, dass das Kopftuchverbot in absehbarer Zeit in die Liste der überkommenen Gesetze eingereiht wird und in ein paar Jahren als Gegenstand soziologischer Forschungen als das beschrieben wird, was es ist: eine der Sackgassen auf dem nicht ganz schmerzlosen und keineswegs gradlinigen Weg in eine globalisierte Gesellschaft.

  1. Im Schulgesetz des Landes NRW, wo die meisten Betroffenen leben, heißt es in § 57 (Lehrerinnen und Lehrer), Absatz 4: „(4) Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.“
  2. Das Recht von Frauen auf Berufstätigkeit wurde erst 1958 (mit Erlaubnis des Ehemannes) bzw. 1977 (ohne Erlaubnis des Ehemannes) gesetzlich verankert.
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  1. Umbecco sagt:

    @Nachtigall
    Was Sie geschrieben haben, spiegelt voll und ganz die aktuelle Sachlage wieder und ich sehe es absolut genau so wie Sie!

  2. Lionel sagt:

    Das gefügelte Wort der hinkenden Trennung wurde Mitte der 20er von einem Staatsrechtler geprägt und bezieht sich auf die staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung, die durch Art. 140 GG auch heute noch Gültigkeit besitzen und daher verfassungskonform sind.

    Wenn mit Sonderrechte für Großkirchen deren Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts gemeint sein solte, ist anzumerken, dass nur die einzelnen kath. Bistümer bzw. die evang. Landeskirchen über einen solchen Staus verfügen.
    Wie viele Freikirchen, Zeugen Jehovas, Christian Science, die Bahai, die Israelitischen Kultusgemeinschaften, der Bund für Geistesfreiheit, der Humanistische Verband Niedersachsen, etc. auch – das sind alles Körperschaften öffentl. Rechts gem. Art. 140 GG.

  3. TaiFei sagt:

    Lionel sagt: 3. Mai 2013 um 15:48
    „…Wenn mit Sonderrechte für Großkirchen deren Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts gemeint sein solte, ist anzumerken, dass nur die einzelnen kath. Bistümer bzw. die evang. Landeskirchen über einen solchen Staus verfügen…“
    Die Sonderstellung betrifft eben nicht nur einige Bistümer. Kirchliche Einrichtungen haben Sonderrechte im Bildungs- und Sozialwesen, haben Sonderrechte im Arbeitsrecht, bis hin zur Einschränkung der Tarifautonomie und und und. Die Humanistische Union kämpft schon lange gegen diese Sonderrechte, die sogar auf die neuen Bundesländer ausgedehnt wurden, obwohl die Kirchen dort noch nicht mal „Volkscharakter“ haben.

  4. Soli sagt:

    aloo masala:
    Die Toleranz der Muslime ein Schweineschnitzel in der Schulkantine zuzulassen auch wenn dort mittlerweile 95% der Schüler muslimischen Glaubens sind.

    Den umgekehrten Fall haben wir ja bereits.

  5. Umbecco sagt:

    @aloo masala
    Beschreiben Sie mir doch erst mal was genau Sie unter Toleranz verstehen!
    Ich habe bei Ihnen den Verdacht, als ob extrawürste für Muslime die einzige Möglichkeit ist Toleranz zu zeigen! Anpassung an die hiesigen kulturellen Gegebenheiten werden immer als Diskriminierung dargestellt.
    Ich finde zum Beispiel das deutsche Sozialsystem extrem tolerant im Vergleich zu anderen Einwanderungsländer.

    Denken Sie nicht auch, dass Sie ein bisschen zu viel verlangen? Oder ist die Toleranz die Ihnen entgegengebracht wird schon zur Selbstverständlichkeit verkommen?

    Ich finde es Schade, wenn jemand Forderungen stellt die sich komplett entgegengesetzt zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung wenden. Auch wenn Sie es nicht wahr haben wollen, aber die Sexualisierung unserer Kinder wurde vor ein paar Jahrzehnten abgeschafft! In Deutschland trugen Mädchen auch Kopftücher und saßen getrennt von Jungs. Und man hat all dies abgeschafft!
    Es kann nicht sein, dass jetzt die alten Regeln wieder eingeführt werden , weil eine bestimmt Gruppe von Zugewanderten diese Entwicklung nicht mitgemacht haben.
    Toleranz ist das Ablegen seines Kopftuches aus Respekt gegenüber den andersgläubigen, die auch keine religiösen Symbole tragen. Aber das überfordert ganz offensichtlich die Toleranz mancher Muslime gegenüber den hiesigen kulturellen Besonderheiten.

  6. Tai Fei sagt:

    Umbecco sagt: 6. Mai 2013 um 17:12
    „Ich finde zum Beispiel das deutsche Sozialsystem extrem tolerant im Vergleich zu anderen Einwanderungsländer“
    Das dt. Sozialsystem verwirklicht lediglich den Anspruch aus dem GG und das inzwischen auch eher schlecht als recht. Ich sehe hier keinen kausalen Zusammenhang zu anderen „Einwanderungsländern“. Saudi Arabien ist. z.B. auch ein Einwanderungsland. Wollen Sie dessen Sozialsystem oder Rechtssprechung auf DE übertragen?

  7. aloo masala sagt:

    @Umbecco

    Unter Toleranz verstehe ich, dass ich andere Überzeugungen, andere Sitten, andere Gebräuche, andere Kulturen und andere Religionen innerhalb der Grund- und Menschenrechte gelten lasse.

    Also so ziemlich alles, was Ihnen fehlt. Wie intolerant Sie sind verdeutlicht die folgende Aussage:

    „Toleranz ist das Ablegen seines Kopftuches aus Respekt gegenüber den andersgläubigen, die auch keine religiösen Symbole tragen. Aber das überfordert ganz offensichtlich die Toleranz mancher Muslime gegenüber den hiesigen kulturellen Besonderheiten.“

    Als Andersgläubiger respektiere ich, wenn eine Muslima ein Kopftuch tragen möchte. Ich verachte jedoch den intoleranten Gesinnungsdiktator, der meint für alle Nicht-Muslime sprechen zu dürfen und von anderen Menschen als Zeichen des Respekts erwartet, dass sie gegen ihre eigene inneren Überzeugungen handeln. Was Sie fordern ist nichts als eine Erniedrigung und Verachtung anderer Religionen. Ich denke wer hier mit Toleranz überfordert ist, das sind Sie.

  8. Umbecco sagt:

    @aloo masala
    Das GG ist übrigens nicht vom Himmel gefallen.

  9. aloo masala sagt:

    @umbecco

    Ihre Forderungen an Muslime sind übrigens nicht vom GG gedeckt.

  10. Umbecco sagt:

    @aloo masala
    Natürlich sind meien Forderungen von der Verfassung gedeckt! Negative Religionsfreiheit lautet das Stichwort. Das gibt es ja auch in vereinzelten Bundesstaaten.
    Sie glauben, wenn da Religionsfreiheit steht, dass dann Narrenfreiheit herrscht solange man es mit seiner Religion begründen kann. So ist es aber nicht! Wo wäre denn dann noch der Unterschied zwischen Heute und Mittelalter?