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Das Kopftuch

Verschleierte Probleme

Nur wenig wird in Integrationsdebatten so leidenschaftlich diskutiert wie das Kopftuch. Immer wieder wird in Diskussionen der Ruf nach Kopftuchverboten laut. Dabei ist das Kopftuch in Wirklichkeit nicht das Problem.

Von Laura Wallner Donnerstag, 23.05.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.05.2013, 22:00 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Das Kopftuch ist in den vergangenen Jahren zu einem viel diskutierten Symbol des Islam in Deutschland geworden und hat leidenschaftliche Diskussionen über Integration ausgelöst.

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In acht der 16 Bundesländer gibt es mittlerweile ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen, die an staatlichen Schulen unterrichten. Die meisten dieser Gesetze enthalten ein Verbot religiöser Symbole, mit Ausnahme von Symbolen der christlichen oder jüdischen Tradition vor – nur Berlin hat sämtliche religiöse Symbole für Lehrer verboten.

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Von Befürwortern des Kopftuchverbots werden hauptsächlich zwei Gründe genannt: die negative Religionsfreiheit der Schüler, sowie die Gleichstellung der Frau, der das Kopftuch als Unterdrückungssymbol entgegen stehe. Es wird dabei grundsätzlich davon ausgegangen, dass die betroffenen Frauen das Kopftuch nicht freiwillig tragen, sondern von einem Mann, meistens dem Vater oder dem Ehemann, dazu gezwungen worden seien.

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Die negative Religionsfreiheit wird durch Artikel 4 des Grundgesetzes geschützt und steht in diesem Zusammenhang im Widerspruch zur Religionsfreiheit der betroffenen Lehrerin. Die Frage ist, inwieweit die Religionsfreiheit der Schüler durch das Tragen eines Kopftuchs durch eine Lehrerin beeinträchtigt wird. Insbesondere die Tatsache, dass christliche oder jüdische Symbole, wie zum Beispiel eine Kette mit einem Kreuz, erlaubt sind, lässt daran zweifeln. Verfassungsgemäß wären im Grunde nur zwei Regelungen: entweder alle religiösen Symbole würden an Schulen verboten oder alle religiösen Symbole werden zugelassen. Zweiteres erscheint wünschenswert, da so die Pluralität einer Gesellschaft auch in der Schule abgebildet werden kann und niemand in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt wird. Es ist erstrebenswert, dass junge Menschen der Vielfalt einer Gesellschaft auch in der Schule begegnen. Erst so kann sie eine Selbstverständlichkeit werden.

Wesentlich bedenklicher als ein Kopftuch oder eine Kette mit einem Kreuz, die deutlich einer Person und damit ihrer persönlichen Religionsfreiheit zuzuordnen sind, sind hingegen die Kruzifixe, die beispielsweise in Bayern in vielen Klassenzimmern hängen. Hier ist das religiöse Symbol ganz eindeutig nicht mit einer Person, sondern mit einem staatlichen Gebäude verbunden, weshalb die religiöse Neutralität des Staates nicht mehr gewahrt ist.

Der wesentlich kritischere Punkt in der Diskussion um das Kopftuch ist die Symbolik, die ihm insbesondere von Verbotsbefürwortern und Migrationskritikern zugeschrieben wird. Frauen, die ein Kopftuch tragen, werden grundsätzlich als unterdrückt und schlecht integriert angesehen. Dies ist nicht nur, aber insbesondere, im Bezug auf Lehrerinnen zweifelhaft. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat das Kopftuch bereits mehrfach als „die Flagge des Islamismus“ bezeichnet und mit dem Judenstern verglichen. Dieser Vergleich ist vollkommen unangebracht, da er suggeriert, das Kopftuch sei eine Kennzeichnung von außen. Den Kopftuchträgerinnen wird somit jegliche Selbstbestimmung von vornherein abgesprochen. Er stellt sie zudem in die Ecke des Terrorismus, da dieser mit dem Begriff des Islamismus verbunden ist. Dies ist im Allgemeinen vollkommen unbegründet.

Die Symbolik des Kopftuchs ist nicht die entscheidende Frage. Durch ein Kopftuchverbot sollen Frauen dazu gezwungen werden, ihr Kopftuch abzulegen. Man nimmt wegen ihres Kopftuches an, dass sie von ihren Männern unterdrückt und bevormundet werden. Ein – angenommener – Zwang wird hier also lediglich durch einen anderen ersetzt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat sich mit den Auswirkungen des Kopftuchverbots für Lehrerinnen beschäftigt und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Das Kopftuchverbot bringt die Lehrerinnen in eine unglaublich schwierige Situation. Viele der befragten Frauen tragen ihr Kopftuch aus Überzeugung und sind nun hin- und hergerissen zwischen ihrer Überzeugung und der Ausübung ihres Berufes.

Das selbstbestimmte Leben dieser Frauen wird durch ein Kopftuchverbot keinesfalls verbessert, es wird im Gegenteil eher verhindert. Das Kopftuchtragen zu verbieten trägt also weder zur Emanzipation der betroffenen Frauen bei, noch zur Integration von Frauen mit Migrationshintergrund. Oftmals wird zusätzlich ein Migrationshintergrund unterstellt, obwohl es sich um Menschen ohne Migrationshintergrund handelt, die zum Islam konvertiert sind. Die Gleichsetzung von Kopftuch und Migrationshintergrund ist das zentrale Problem.

Es ist also offensichtlich, dass das Kopftuch in der Debatte eine vollkommen andere Symbolik bekommen hat. Es steht für unterdrückte Frauen als Zeichen der Rückständigkeit des Islam und für fehlende Integration. Das sagt mehr über die unsere Gesellschaft aus als über Kopftuchträgerinnen.

Zusätzlich ist die Frage, warum ein Sturm der Empörung losbricht, wenn eine vermeintlich unterdrückte Frau ein Kopftuch trägt, die Empörung bei Gehaltsunterschieden von 22 Prozent zwischen Männern und Frauen in Deutschland aber ausbleibt. Auch diese Tatsache deutet darauf hin, dass es Verbotsbefürwortern nicht um die Gleichstellung der Frau geht.

Gedanken machen müssen wir uns über unseren Umgang mit Vielfalt und über die strukturelle Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft.

Das Kopftuch ist jedenfalls nicht das Problem. Aktuell Meinung

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  1. M.Ahmed sagt:

    Sehr geehrte Frau Wallner,
    das Kopftuch ist nicht ein Zeichen der Unterdrückung, ganz im Gegenteil. Das Kopftuch zeichnet uns muslimische Frauen aus und zeigt, welcher Glaubensrichtung wir angehören. Es ist unser Stolz und kein Zeichen dafür, dass wir den Männern untergeben sind. Außerdem heißt es nicht, dass wenn man Kopftuch trägt, man nicht integriert ist. Das Kopftuch hat keinen Zusammenhang mit der Integration. Kopftuchtragende Frauen sind durchaus integriert.
    Mit freundlichen Grüßen
    M. Ahmed

  2. aloo masala sagt:

    @Lionel

    ———
    Eine solche Konstellation war im bekannten Fall von F. Ludin gegeben und hier hat das BVerfG den Landesgesetzgebern aufgezeigt, das Kopftuch für Lehrerinnen verbieten zu können, wenn es durch ein ordentliches Gesetz geschieht, wovon ja auch Gebrauch gemacht wurde.
    ———-

    Es wäre gut gewesen, wenn man in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Frau Ludin über 5 Jahre ohne Rechtsgrundlage das Tragen eines Kopftuchs als Lehrerin untersagt wurde. Das Bundesverfassungsgericht wies nach seinem Urteil 2003 die Bundesländer an, entsprechende Gesetze zu schaffen.

    Die angebliche Kollision mit der negativen Religionsfreiheit wird in Deutschland in Abhängigkeit der Religion ausgelegt. Es ist somit ein an den Haaren herbeigezogenen konstruiertes und diskriminierendes Argument, das zudem mit dem Gleichheitsgrundsatz kollidiert.

    Ebenso konstruiert ist auch das Argument:

    ——–
    Und auf die Meinung eines Einzelnen kommt es sehr wohl an, nämlich dann, wenn er seinerseits glaubt in seinen Grundrechten beeinträchtigt zu sein, z..Bsp. durch das Handeln eines anderen, der meint, dies sei durch die positive Religionsfreiheit gedeckt.
    ——–

    Das wurde im Falle des Kopftuchs nicht glaubwürdig belegt.

  3. Federleicht sagt:

    @aloo masala
    „Es ist somit ein an den Haaren herbeigezogenen konstruiertes und diskriminierendes Argument, das zudem mit dem Gleichheitsgrundsatz kollidiert.“

    Was ist daran an den Haaren herbeigezogen? Wie soll man denn den Kindern für ihr späteres Leben und Arbeit säkulares Denken nahe bringen, wenn dieses nirgendwo vorgelebt wird, bzw. wenn nicht mal Staatsangestellte sich säkular, also religionsneutral behnehmen können?
    Negative Religionsfreiheit wird von den Religiösen selbstverstädnlich nicht begrüsst, da es die omnipräsenz ihrer Religion ausschaltet, aber es sollte den kindern ja auch beigebracht werden außerhalb ihrer religiösen Ideologie denken zu können. Das Lehrpersonal ist meiner Meinung nach dazu verpflichtet, den Schülern das richtige Maß an religiösität beizubringen und dass diese auch mal außen vor bleiben kann, wenn man interreligiöse Konflikte lösen will. Wie will man denn sein Recht auf Religionsfreiheit wahrnehmen und ausüben, wenn man einfach nur die Religion der Eltern übernehmen soll.

    Ich finds gut, wenn eine Frau mit Kopftuch ihr Kopftuch der Arbeit wegen abnimmt und ihrer Religion damit einen angemesseneren Stellenwert während ihrer Arbeit zuteilt.

  4. Lionel sagt:

    @aloo masala

    Ohne Rechtsgrundlage? F. Ludin war vor dem Gang zum BVerfG in drei Gerichtsinstanzen unterlegen. Das wäre wohl kaum geschehen, wenn das von ihr beklagte Land BW rein willkürlich, ohne Rechtsgrundlage gehandelt hätte.

    Das BVerfG führte im Ludin-Urtei aus:“Trotz fehlenden Gesetzesvorbehalts sei die Glaubensfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet. Einschränkungen ergäben sich aus der Verfassung selbst, insbesondere aus kollidierenden Grundrechten Andersdenkender. Art. 4 Abs. 1 GG verleihe dem Einzelnen auch keinen uneingeschränkten Anspruch darauf, seine Glaubensüberzeugung im Rahmen staatlicher Einrichtungen zu betätigen (…)“

    Und ob etwas im Falle des Kopftuchs glaubwürdig belegt wurde, oder nicht; es ändert nichts am Wahrheitsgehalt der Aussage, dass es auf den einzelnen Grundrechtsträger ankommt, der meint, persönlich in seinen Grundrechten verletzt worden zu sein, nicht auf eine Gruppe.
    Ohne die Darlegung der persönlichen Betroffenheit wird nämlich eine Verfassungsbeschwerde gar nicht erst angenommen.

  5. aloo masala sagt:

    @Federleicht

    Das Argument der negativen Religionsfreiheit ist aus zwei Gründen an den Haaren herbeigezogen:

    1. Es wird nur selektiv in Abhängigkeit der Religion angewendet.

    2. Es wurde an keiner Stelle glaubwürdig belegt, inwiefern Frau Ludin mit ihrem Kopftuch religiösen Einfluss auf die Schüler ausübe.

    Der erste Punkt verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz und ist ein Indiz dafür, dass es nicht um negative Religionsfreiheit geht.

    Der zweite Punkt ist ein Indiz dafür, dass es sich um ein an den Haaren herbeigezogenes Argument handelt. Insbesondere dann, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Schluss kommt, dass ein Kruzefix im Klassenzimmer nicht nachweisbar Einfluss auf die Schüler ausüben würde.

    Die größte und haarsträubendste Verbiegung findet jedoch mit dem Begriff „negative Religionsfreiheit“ selbst statt. Wenn man schon nicht die Religionsfreiheit einschränken kann, dann versucht man es eben über die Hintertür der negativen Religionsfreiheit. Das macht man so, dass man eine Grundfreiheit so verbiegt, dass aus der Freiheit sich zu keiner Religion bekennen zu müssen ein Verbot für die Freiheit macht, sich zu einer Religion bekennen zu dürfen.

  6. aloo masala sagt:

    @Lionel

    Das BVerfG kassierte die Urteile ein und entschied, dass ohne Rechtsgrundlage einer Lehrerin das Kopftuch nicht untersagt werden könne. Das bedeutet, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gab, diese aber nachträglich von den Ländern geschaffen wurde, nachdem man Frau Ludin ohne Rechtsgrundlage das Kopftuch für etwa 5 Jahre untersagt hatte.

    Selbstverständlich spielt es eine wichtige Rolle ob negative Religionsfreiheit nachgewiesen werden kann. Das zeigen beispielsweise entsprechende Kruzefix Urteile. Das Belege dieser Art beim Kopftuch für einige keine Rolle spielen, zeigt ja die Verlogenheit der Debatte und es zeigt auch wie konstruiert die Argumente sind.

  7. Lionel sagt:

    @aloo masala

    Das BVerfG hat überhaupt nicht die Befugnis ein Urteil zu kassieren, es ist kein Oberstes Gericht, keine „Superrevisionsinstanz“.
    Die erforderliche Rechtsgrundlage ergab sich spätestens mit dem Urteil des VG Stuttgart im Jahr 2000 in diesem Fall, in dem dem Land BW Recht gegeben wurde.
    Der Verwaltungsgerichtshof BW und das BVerwG haben nachfolgend dieses Urteil bestätigt.
    Und deshalb bestand bis zum Entscheid des BverfG im Jahr 2003 natürlich eine gerichtsbestätigte Rechtsgrundlage.
    Das BVerfG erachtete diese als zwar nicht ausreichend, zeigte aber an, wie diese geschaffen werden könne.
    Und der Gesetzgeber in BW hat dann umgehend die gesetzliche Grundlage geschaffen – wo ist das Problem?

    Der zweite Absatz ist für mich inhaltlich nicht verständlich , sorry.

  8. aloo masala sagt:

    @lionel

    Es gibt für mich kein Problem. Sie bestätigen ja inzwischen selbst, dass die Rechtsgrundlage fehlte. Bemerkenswert ist jedoch, dass Sie alles mögliche erzählen, jedoch nicht die wichtigsten Punkte des Urteils zitieren. Da ist zum einem der erste Leitsatz:

    ———-
    „Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.“
    ———-

    Zum anderen das Urteil selbst:

    ———–
    Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts […], das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg […], das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart […] und der Bescheid des Oberschulamts Stuttgart […] verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Rechten […]. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.
    Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Baden-Württemberg haben der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren je zur Hälfte zu erstatten.
    ———–

    Das BVerfG hatte natürlich auch all die Dinge gesagt, die Sie zitieren. Allerdings hat es auch ausdrücklich das gesagt, was ich erwähnte, nämlich dass im Umkehrschluss Frau Ludin ohne Rechtsgrundlage die Ausübung Ihres Jobs verweigert wurde.

    Quelle: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20030924_2bvr143602.html

  9. Lionel sagt:

    Das BVerfG formulierte:“(…) ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.“
    Sie schrieben oben:“(…) dass Frau Ludin über 5 Jahre ohne Rechtsgrundlage (…) verwehrt wurde.“
    Ohne Rechtsgrundlage ist falsch. Ein Urteil ist eine Rechtsgrundlage.
    Das Land BW konnte sich in drei Verwaltungsgerichtsinstanzen auf entsprechende Urteile und somit Rechtsgrundlagen berufen.

    Die vom BVerfG als nötig erachtete gesetzliche Grundlage ist ja vom Land BW und weiteren Ländern geschaffen worden.

  10. aloo masala sagt:

    @Lionel

    Lesen Sie bitte noch einmal den ersten Leitsatz des Gerichtsurteils:

    ———-
    “Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.”
    ———-

    Dort steht genau das drin was ich sage.