Eine Frage der Konfession?
Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland
Im Sommer sollen die ersten der 5.000 syrischen Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Die Auswahlkriterien für die Flüchtlinge bleiben relativ intransparent und die Äußerung Friedrichs, christliche Syrer bei der Auswahl zu bevorzugen, sorgte schon im März für politischen Unmut.
Von Janos Tubel Freitag, 24.05.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.06.2013, 20:34 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
Während in der Weltpolitik über das Für und Wider von militärischen Interventionen und Waffenlieferungen diskutiert wird und konkurrierende Machtblöcke um die politische Zukunft Syriens feilschen, findet im Nahen Osten die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Irakkrieg im Jahr 2003 statt. In Syrien sind Schätzungen des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zur Folge bereits ein Viertel der gut 20 Millionen Einwohner auf der Flucht. 1,4 Millionen Menschen haben das Land verlassen und befinden sich in der überwiegenden Mehrheit in grenznahen Flüchtlingslagern in den Nachbarländern. Bis zu fünf Millionen Syrer gelten als internally displaced people, als Flüchtlinge, die (noch) keine Staatsgrenze überschritten haben. In Jordanien und im Libanon befinden sich mittlerweile jeweils über 400.000 syrische Flüchtlinge.
Es droht eine humanitäre Katastrophe. Internationale Geldgeber stellten dem UNHCR bei einer Konferenz in Kuwait Hilfszahlungen von über einer Milliarde Dollar in Aussicht, bis jetzt wurden aber nur etwas mehr als die Hälfte der zugesagten Hilfsleistungen tatsächlich geleistet. UNICEF schätzt, dass bis Jahresende jeder zweite Syrer humanitäre Hilfe benötigt. Ausmaß und Schwere der Flüchtlingskrise am Mittelmeer haben bisher jede noch so düstere Prognose übertroffen.
Am 20. März dieses Jahres erklärte Bundesinnenminister Friedrich im Rahmen einer Pressekonferenz, Deutschland werde 5000 syrische Flüchtlinge aufnehmen. Hauptkriterium für eine Aufnahme sei die Schutzbedürftigkeit. In erster Linie sollen Familien mit Kindern, Waisen, aber auch Menschen, die in Deutschland bereits Verwandte haben, aufgenommen werden. Außerdem laste auf Christen ein besonderer Verfolgungsdruck, sie gehörten zu den besonders schutzbedürftigen Menschen, so Friedrich wörtlich.
Zwei Aspekte dieser Aufnahmeaktion verlangen eine eingehendere Betrachtung: Der verhältnismäßig geringe Umfang der Aufnahme und die Äußerung Christen sollten bevorzugt aufgenommen werden.
Deutschland kann mehr tun
Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl, beurteilt das Vorhaben des Bundesinnenministers als Schritt in die richtige Richtung. Friedrich setze damit ein positives Zeichen, die geplante Aufnahmeaktion sei aber bei Weitem nicht ausreichend. Ein erster nötiger Schritt müsse eine unbürokratische Visavergabe an Syrer sein, die bereits Angehörige in Deutschland besitzen. Pro Asyl fordert von der deutschen Regierung mehr Engagement und meint, Deutschland könne weit mehr tun.
Die Aufnahme von 5000 Menschen in Deutschland signalisiert eine gute Absicht, wird aber wegen geringen Umfangs die drohende humanitäre Katastrophe nicht abwenden. Zwanzig mal so viele Flüchtlinge leben alleine im jordanischen Flüchtlingslager Zaatari in einer provisorischen Stadt aus Zelten und Containern. Gerne wird darauf hingewiesen, dass Deutschland mit der Aufnahme der syrischen Flüchtlinge eine Vorreiterrolle in Europa spiele. Deutschland und Schweden hätten zusammen europaweit zwei Drittel aller bisherigen Flüchtlinge aufgenommen. Die geplante Aktion, bei der Schutzbedürftige in den Flüchtlingslagern ausgewählt werden, ist also auch als Demonstration guter Absichten zu verstehen, soll evtl. Anstoß geben für eine gemeinsame europäische Hilfsaktion. Fraglich ist dabei, ob die europäischen Staaten in einer Phase der ökonomischen Krisen und der Desintegration gewillt oder überhaupt in der Lage sein werden, weitreichende humanitäre Projekte außerhalb Europas umzusetzen.
Abgesehen von der Problematik der Verhältnismäßigkeit des deutschen Engagements zum Ausmaß der stattfindenden Flüchtlingskatastrophe, erscheinen die Kriterien, nach denen die Flüchtlinge ausgesucht werden sollen, einer näheren Betrachtung Wert. Besondere Schutzbedürftigkeit soll hier laut Friedrich das Kriterium sein.
Sind Christen besonders schutzbedürftig?
Es stellt sich die Frage: Leiden Christen in Syrien unter besonderer Verfolgung aufgrund ihrer Religion und sind sie im Vergleich zu Syrern anderer Konfession besonders schutzbedürftig?
Verschiedenen Quellen zur Folge gab es Vertreibungen von christlichen Syrern in verschiedenen Landesteilen. Laut der syrisch-orthodoxen Kirche ist es zum Beispiel in der Stadt Homs zu weitreichenden Vertreibungen bzw. zur Flucht der dortigen Christen gekommen. Manche Quellen sprechen gar von einem Exodus der syrischen Christen. Davon abgesehen, dass es schwierig ist Informationen aus einem Gebiet in dem ein politischer und militärischer Kampf tobt, zu verifizieren und auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, kann davon ausgegangen werden, dass Teile der Opposition radikale Islamisten sind. Auch sickern zunehmend dschihadistische Kämpfer aus dem Ausland in Syrien ein. Für Angehörige von religiösen Minderheiten ist im von ihnen angestrebten islamischen Staat keine Rolle vorgesehen. Nicht nur Christen werden von den fundamentalistischen Gruppen potenziell bedroht, sondern auch Schiiten und Alawiten sowie jede Person, die nicht mit ihren starren Vorstellungen von Moral, Recht und Verhalten konform geht. Damit ist auch ein großer Teil der sunnitischen Syrer betroffen.
In Syrien kam es wiederholt zu Massakern. Truppen der syrischen Regierung löschten ganze Ortschaften aus, die als besondere Widerstandsnester ausgemacht wurden. Die Freie Syrische Armee (FSA) beging ebenso wiederholt Menschenrechtsverletzungen. Radikalen Gruppierungen in der FSA werden Vertreibung von Christen und anderen Minderheiten und mehrere Massaker an religiösen Minderheiten vorgeworfen. Klarheit zu Täterschaft und Motiven gibt es allerdings nicht. Die verschiedenen Konfliktparteien belasten sich gegenseitig, der Kampf findet auch um die öffentliche Meinung im In- und Ausland statt. Als am 22. April zwei Bischöfe in der Nähe von Aleppo entführt wurden und deren Fahrer, ein Diakon, erschossen wurde, war unklar, wer verantwortlich ist. Die zwei gegensätzlichen Schuldzuschreibungen in diesem Fall stehen exemplarisch für Propaganda und Gegenpropaganda: Von Seite der syrischen Regierung wird über die staatliche Nachrichtenagentur Sana verbreitet, radikale Islamisten führten einen Krieg gegen religiöse Minderheiten, während die Opposition erklärt das Regime wolle mit selbst fingierten Anschlägen den Aufstand spalten.
Laut Christian Thuselt, Experte für den Libanon und Syrien und Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, seien Christen in Syrien aktuell vor allem gefährdet, da ihnen keine eindeutige regionale Basis zur Verfügung stehe. Ihnen fehle damit ein Zufluchtsort und die Fähigkeit, sich effektiv zu verteidigen. Thuselt hält aber die Entstehung eines fundamentalistisch-theokratischen Systems für unwahrscheinlich. Laut Schätzungen liegt das Potential sunnitischer Islamisten bei ca. 60 Prozent der arabischen Sunniten. Auf die syrische Gesamtbevölkerung umgerechnet, hätten Islamisten mit 40 Prozent also keine Mehrheit.
Christian Thuselt meint weiterhin: „Es gibt im Nahen Osten sicherlich viele Minderheiten, die gefährdet sind, deshalb macht es auch keinen Sinn, dies an einem einzigen primordialen Merkmal festzumachen. […] In Gesellschaften mit einer, von einer starken öffentlichen Moralität geprägten, überwiegend autoritären politischen Kultur, sind all jene, die aus dem Raster dieser Moralität herausfallen, immer ganz besonders gefährdet. Das lässt sich nicht auf Christen reduzieren, zumal Asylrecht immer noch ein Individualrecht darstellt.“ Leitartikel Politik
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Wenn man das im Zusammenhang mit der jüngst bekannt gewordenen Einstellungspolitik des BMI sieht, ergibt sich ein stimmiges Bild:
http://www.migazin.de/2013/05/23/personalauswahl-innenministerium-soll-christliche-bewerber-bevorzugt-haben/
Zeit für eine neue Regierung.
Die Bundespolitik hat diese Sichtweise schon lange aufgenommen und sich vom Grundgesetz erheblich entfernt. Diese verfassungswidrige Sichtweise ist auch in der deutschen Bevölkerung leider mehrheitsfähig und daran wird auch eine von diesem Volk gewählte neue Regierung deshalb nichts ändern. In vielen Bereichen ist das GG mittlerweile Makulatur und nicht mehr wert, als das Papier, auf dem es gedruckt steht.
Die einzige Art, die deutsche Bevölkerung – vor allem die ländliche – auf die Zunahme der asylsuchenden Menschen einzustimmen, ist über Identifikation – wir müssen Christen retten. Erschwerend kommt hinzu, dass spätestens seit dem neunten September die Bereitschaft in der westlichen Welt, sich mit Menschen aus arabischen Ländern zu solidarisieren, wenig bis garnicht vorhanden ist. Insofern ist der Regierungssprecher auf einer Linie mit dem Volk, wenn er ankündigt, aus humanitären Gründen bevorzugt Christen aufnehmen zu wollen.
Ein sehr informativer und sehr gut recherchierter Artikel zu diesem traurigenThema!