Angela Merkel
„Stück für Stück Vorurteile abbauen“
Am Dienstag findet der sechste Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt statt. Bereits Im Vorfeld stellte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel kritischen Fragen zu Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, den NSU-Morden, zum Optionsmodell und zum kommunalen Ausländerwahlrecht. MiGAZIN dokumentiert das Interview im Wortlaut:
Von Tutku Güleryüz Montag, 27.05.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.05.2013, 1:42 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Tutku Güleryüz: Frau Bundeskanzlerin, am 28. Mai findet der 6. Integrationsgipfel statt. Das Thema ist die gleichberechtigte Teilhabe von Migrantinnen und Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Zu oft bekommen Menschen mit einem fremdklingenden Namen – so wie meinem – oder auch wegen ihrer Religionszugehörigkeit keinen Job. Gleichzeitig gibt es Beschwerden wegen Fachkräftemangels. Steht das Thema Diskriminierung auch auf der Agenda Ihres Gipfels? Und was tun Sie konkret dagegen?
Angela Merkel: Also, erst einmal steht die ganze Frage der Bildung und vor allen Dingen der Arbeitsplätze, das heißt, einem elementaren Bereich der Teilhabe, auf der Tagesordnung. Wir haben hier einige gute Entwicklungen, aber wir haben – wie Sie schon sagen – auch einige Probleme. Ich selber habe mir vor geraumer Zeit ein Projekt angeschaut, in dem es um Ausbildung im Bankenbereich ging. Und dort war ganz offensichtlich, dass viele wegen des Namens vielleicht keine Lehrstelle bekommen haben. Dann haben sie eine außerbetriebliche Ausbildung begonnen, haben Praktika in den Banken gemacht, und dann hat sich gezeigt, dass fachlich alle sehr gut waren. Und solche Erlebnisse müssen wir natürlich aufarbeiten. Wir müssen Betriebe ermuntern, voranzugehen. Deshalb hat die Staatsministerin, Frau Böhmer, die Charta der Vielfalt entwickelt, an der inzwischen 1.500 Unternehmen teilnehmen, die ganz bewusst über ihre Erfahrungen sprechen, dass sie eben auch Migrantinnen und Migranten eine Chance geben. Und so können wir Stück für Stück Vorurteile in unserer Gesellschaft abbauen.
Güleryüz: „Es ist normal, verschieden zu sein. Leben wir das!“, haben Sie kürzlich gesagt. Nun gehört Vielfalt auch zur individuellen Identität vieler Bundesbürger. Warum sind junge Menschen gezwungen, sich gegen ihre Vielfalt auszusprechen und eine ihrer zwei Staatsangehörigkeiten abzulegen? Und warum ist es EU- Bürgern gestattet, anderen wiederum nicht?
Merkel: Wir haben eine ganz spezielle deutsche Geschichte, und wir haben uns für dieses Optionsmodell entschieden. Ich glaube auch, dass es ein gutes Modell ist. Man muss ja Vielfalt nicht ablegen, wenn man sich für eine Staatsbürgerschaft entscheidet. Ich weiß, dass es andere Traditionen gibt, aber ich halte diese bewusste Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft für vernünftig. Man muss das bis zum Ende des 23. Lebensjahres gemacht haben. Und die Erfahrung, die wir jetzt damit sammeln, ist, dass sich viele, die eben optieren können oder müssen, dann auch für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Und ich werbe auch ganz offensiv dafür, dass sich diejenigen, die hier geboren sind, für unsere Staatsbürgerschaft entscheiden. Damit müssen sie überhaupt nicht ihre Zugehörigkeit auch zu Familien mit ganz anderen kulturellen Erfahrungen, zu einem anderen Glauben aufgeben. Sondern gelebte Vielfalt in Deutschland heißt: Auch mit einem deutschen Pass kann man hier sein Herkommen sehr, sehr gut leben und sich mit diesen Erfahrungen auch in die Gesellschaft einbringen. Dass sich weit über 90 Prozent entscheiden, die deutsche Staatsbürgerschaft zu nehmen, halte ich auch für ein gutes Signal.
Güleryüz: Wenn es um verschiedene Identitäten in einer Gesellschaft geht, geht es gleichzeitig auch um die Identifikation mit dem politischen System. Diese kann gar nicht erst aufgebaut werden, wenn einem das Recht zur politischen Partizipation nicht gewährleistet wird. Wie stehen Sie zum kommunalen Ausländerwahlrecht?
Merkel: Ich denke, dass wir uns hier eigentlich auch darauf richten sollten, die Staatsbürgerschaft zu erwarten und dann das Wahlrecht zu geben. Ich glaube, dass es nicht zu viel verlangt ist – wir haben eben über das Optionsmodell gesprochen –, sich auch zu dem „Deutschsein“ im Sinne der Staatsbürgerschaft zu bekennen. Ich bin aber dafür, jenseits des Ausländerwahlrechts, wofür ich mich nicht einsetze, im kommunalen Bereich doch sehr viel Partizipation zu ermöglichen. Man kann als Sachverständige in den Bürgerschaften oder in den Gemeindevertretungen mitarbeiten, man kann sich in anderer Weise einbringen. Das heißt, ich bin sehr dafür, dass man auf der kommunalen Ebene die Vielfalt auch wirklich lebt und gerade die Migrantinnen und Migranten auch mit einbezieht.
Güleryüz: Der NSU-Prozess hat diesen Monat begonnen, und seit der Aufdeckung der rassistisch motivierten Morde jagt eine Panne die andere. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund ist gegenüber den staatlichen Einrichtungen stark angeschlagen. Wie kann dieses Vertrauen wieder auf gebaut werden?
Merkel: Ja, das stimmt. Wir sind wirklich aufgefordert, das restlos aufzuklären und auch die Konsequenzen zu ziehen. Einige sind schon gezogen worden. Zum Beispiel, indem wir jetzt gemein same Dateien für Rechtsextremismus angelegt haben und die nicht so funktionierende Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern dadurch verbessert werden wird. Wir haben Untersuchungsausschüsse in den Ländern und auch im Bund – und gerade auch der Untersuchungsausschuss im Bundestag hat sehr schonungslos gesagt, was nicht geklappt hat. Und nur so – durch Handeln und durch Veränderungen – können wir wieder Schritt für Schritt Vertrauen aufbauen. Aber ich habe auch zu den Angehörigen der Opfer gesagt, dass dies natürlich eine ganze Zeit dauern wird. Und ich habe damals auch sehr deutlich gesagt, dass wir uns entschuldigen für das, was da auch nicht gut gelaufen ist. Nur durch schonungslose Aufarbeitung kann Vertrauen wieder wachsen.
Güleryüz: Initiativen, die den Dialog zwischen Staat und Muslimen vorantreiben und die Integration besser ermöglichen sollen, sind mehrheitlich dem Vorwurf ausgesetzt, sie hätten nur Symbolcharakter. Ähnliche Äußerungen gibt es auch über den Integrationsgipfel, der lediglich Empfehlungen, aber keine konkreten Gesetzesvorschläge ausarbeitet. Ist es möglich, diese Vorwürfe künftig abzuwehren?
Merkel: Ich glaube, dass es doch erst einmal wichtig ist, dass Diskussionen zwischen den verschiedenen Ebenen in der Bundesrepublik geführt werden – zwischen Bund, Ländern, Kommunen, es sind über 30 Migranten-Organisationen mit in die Debatte einbezogen worden. Und wir haben Vieles auf den Weg gebracht. Natürlich bedarf es an vielen Stellen auch gesetzlicher Regelungen. Deshalb haben wir zum Beispiel – nach vielen Jahrzehnten der Bundesrepublik – endlich ein Gesetz zur Anerkennung von Berufsabschlüssen, die im Ausland erworben wurden, auf den Weg gebracht. Und wir haben gesetzliche Maßnahmen für mehr Teilhabe ergriffen, indem wir zum Beispiel den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz festgelegt haben. Wir haben inzwischen in großer Zahl Sprachkurse angeboten. Wir haben dafür gesorgt – sehr umstritten, aber auch rechtlich festgelegt –, dass zum Beispiel diejenigen, die aus familiären Gründen aus einem an deren Land nach Deutschland kommen, erst mal einen Sprachkurs machen müssen. Darüber ist auch viel gestritten worden, aber trotzdem können diejenigen, die dann Deutsch können, gleich viel besser teilhaben. Aber dann gibt es Bereiche, da kann man nicht alles gesetzlich machen. Und in diesen Bereichen sind ein solcher Dialog und ein solcher Integrationsgipfel ganz wichtig. Er stellt auch viele Dinge in das Zentrum, auf die wir früher gar nicht so geachtet haben. Zum Beispiel: Wie und in welchen Rollen werden Migrantinnen und Migranten in den Medien sichtbar? Wie oft werden sie vielleicht auch indirekt diskriminiert, weil nur bestimmte Rollen mit schlechten Charakteren so besetzt sind? Und das alles kann man nicht per Gesetz machen, sondern da muss Bewusstsein geschaffen werden. Dafür ist der Integrationsgipfel wichtig, und deshalb danke ich allen, die daran mitmachen. Aktuell Politik
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Hinhalte-Taktik…
@Cengiz: So ist es!. Wir müssen selbst auf die Straßen gehen und für unsere Rechte demonstrieren. Wenn Millionen von uns marschieren, hat der deutsche Staat nur zwei Möglichkeiten
1. Niederknüppeln mit Polizei und Bundeswehr oder
2. das Einräumen der uns jahrzehntelang verwehrten Bürgerrechte
Wie sagte angelo merkel noch so schön ,“ multikulti meine damen und herrn , ist gescheitert “ und dann kam der frenetische applaus und jubel der massen im bierzelt .
Und heute heisst es ,“ es ist normal verschieden zusein , leben wir das ! “
Dennoch es muss auch zur ihrer verteidgung gesagt werden , im vergleich zu koch ,kohl und konsorten ist sie vergleichsweise ,aber nur vergleichsweise zurückhaltend was die verbalen attacken und misshandlungen angeht .