Bewerbungsfrustration
Wieso man nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird
Menschen bewerben sich für Jobs, werden aber selten oder nie zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Die wahren Gründe erfahren sie nur selten. Das Problem ist die fehlende Skandalisierung der wahren Hintergründe vieler Stellenausschreibungen.
Von Alev Dudek Montag, 03.06.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 04.06.2013, 23:08 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Menschen unterschiedlicher Qualifikationen und Herkunft bewerben sich für unzählige Jobs. Sie sind ständig dabei, ihre Vitas zu perfektionieren. Sie holen sich Rat von „Experten“, machen alles, was in ihrer Macht steht, um eine Arbeit zu finden. In jede Bewerbung stecken sie Zeit, Arbeit und Hoffnung. Oft werden sie aber nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl in Deutschland angeblich Arbeits- und Fachkräftemangel herrscht.
Viele Bewerber suchen vergeblich nach den Gründen für ihr „Scheitern“. Sie wollen wissen, was sie „falsch“ gemacht haben, um ihre Bewerbung weiter zu optimieren. Hätten sie den einen oder anderen Satz doch nur anders ausgedrückt? Hätten sie den zweiten und dritten Absatz doch lieber ausgetauscht und sich nicht zu selbstbewusst präsentiert? Vielleicht waren sie aber auch nicht selbstbewusst genug. Wer sich mit diesen Details beschäftigt, kann eigentlich schon fast sicher sein, mehr richtig als falsch gemacht zu haben. In den meisten Fällen werden diese Bewerber keine ehrliche Begründung für die Ablehnung bekommen, weil es keine rationale Erklärung gibt.
Das eigentliche Problem sind weder die Bewerber noch die Bewerbungsmappen, es ist der kranke Arbeitsmarkt. Heute gehen pro Stellenausschreibung bis zu mehrere hundert Bewerbungen ein. Wenn Arbeitgeber trotzdem niemand finden können, die zu ihrer Vorstellung passen, spricht viel dafür, dass ihre Vorstellungen und Anforderungen unrealistisch oder schlicht vorurteilsbehaftet sind.
Minoritäten, Frauen und Ältere haben es besonders schwer
Besonders hart trifft das vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen und Ältere. Wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes feststellt, kann schon ein „kurzer Blick auf den Namen, das Geschlecht oder das Alter“ genügen, um eine Bewerbung auszusortieren. Deshalb ist es sehr wichtig, persönliche Informationen wie Staatsangehörigkeit und auch Kinder, Ehestand nicht ohne Grund im Lebenslauf aufzuführen – auch wenn die Bundesagentur für Arbeit etwas anderes empfiehlt. Hinzu kommen muss natürlich, dass Personalverantwortliche über unconscious biases (unbewusste Vorurteile) aufgeklärt werden und Diversitysensibilitätstrainings in jedem Unternehmen selbstverständlich sein sollten.
Gute Stellen werden durch Netzwerke vergeben
Es gibt aber auch eine Reihe von anderen Gründen, die zur Ablehnung führen können. So werden gute Stellen etwa nicht durch Stellenausschreibungen, sondern durch Netzwerke vergeben. Deshalb ist es für Bewerber sehr wichtig, das „richtige“ Netzwerk aufzubauen und Kontakte zu knüpfen. Die richtigen Netzwerke – besonders für Hochqualifizierte – sind jedoch männlich, weiß und bevorzugen ihresgleichen. Deshalb auch der Ausdruck „good old boy network“ im Englischen, die den Zusammenhalt der Männer in Politik, Beruf sehr gut zum Ausdruck bringt.
Vortäuschen von Transparenz und Wettbewerb
Ein weiterer Grund ist: Viele Stellen, die ausgeschrieben werden, sind keine offenen Stellen, sondern dienen zum Vortäuschen von Transparenz und Wettbewerb. Wenn Stellen dennoch ausgeschrieben werden, geschieht das nur deshalb, weil sie ausgeschrieben werden müssen oder sollten – selbst dann, wenn der Arbeitgeber sich längst für jemand entschieden hat. Solche Ausschreibungen dienen nur der Vortäuschung von Transparenz und Wettbewerb. Damit soll der Anschein erweckt werden, als würden nur die qualifiziertesten Personen eingestellt. Das ist übrigens eine sehr gängige Methode, auch in den USA. Wenn sich jemand für diese Stelle bewirbt, bewirbt er sich nicht selten für eine Stelle, die es eigentlich gar nicht (mehr) gibt. Oft werden Stellen aber auch speziell nach einer bestimmten Person, die eingestellt werden soll, ausgeschrieben. In „höheren Etagen“ kommt es sogar vor, dass Stellen aus firmenpolitischen Gründen für eine ganz bestimmte Person geschaffen werden.
Leider werden Stellen auch zu Research-Zwecken ausgeschrieben; z.B. um einen Kandidatenpool für die Zukunft zu erstellen, Löhne zu senken und Informationen für eine mögliche Umstrukturierung des Unternehmens einzuholen. Die eingegangenen Bewerbungen dienen in diesen Fällen lediglich der Auswertung. Der Arbeitsuchende ist in diesem Fall ein kostengünstiges Testobjekt, der mit viel Mühe, Zeit und Geld eine Bewerbung zusammengestellt und Hoffnungen reingesteckt hat.
Limitierungen bei der Auslese von Bewerbungen
Amerikanische Personalexperten haben herausgefunden, dass während der Bearbeitung oft innerhalb von wenigen Sekunden entscheiden werden (muss), ob eine Bewerbung bei der ersten Auslese zum Ja- oder Nein-Stapel zugeordnet wird. Es kann also sehr leicht passieren, dass eine Bewerbung, unabhängig davon, ob sie gut ist oder nicht, gar nicht richtig registriert wird. Daher haben Bewerbungen mehr mit Glück als mit Qualifikationen zu tun. Bleibt der Personaler zufällig irgendwo hängen, wozu er schnell eine positive Verbindung aufbauen kann, landet die Bewerbung im Ja-Stapel. Ansonsten hat man mit hoher Wahrscheinlichkeit Pech gehabt.
Überqualifizierung oder Hochqualifizierung ein wichtiges Problem
Ein weiterer Ausschlussgrund kann eine zu hohe Qualifikation sein, so unlogisch das auch klingen mag. Ist ein Bewerber überqualifiziert oder einfach hochqualifiziert, werden viele Firmen angesichts der jetzigen Arbeitsmarktsituation in Deutschland, es sich nicht leisten können, diese Person einzustellen. Nicht nur wegen dem hohen Arbeitslohn, die sie entrichten müssten, um den Bewerber an die Firma zu binden, sondern auch aus organisationspolitischen Gründen.
Eine hochqualifizierte Person kann zudem ein Risiko für die (politischen) Strukturen darstellen, weil sie eventuelle Probleme in der Organisation erkennen und darauf hinweisen könnte. In Unternehmen, wo gute und talentierte Querdenker geschätzt werden, haben diese Bewerber gute Chancen. Das ist in der Realität aber sehr selten der Fall. Viele alteingesessene Mitarbeiter haben es sich bereits bequem gemacht. Sie wollen niemanden, der bessere Methoden vorschlagen, Arbeitsabläufe optimieren oder Mehrarbeit verursachen könnte. Viel lieber sind Mitarbeiter, die mitgehen, mitziehen, mitschwimmen und einfach ihre Arbeit machen. Auch deshalb werden Personen, deren Charakterzüge bereits aus zuvor geknüpften Netzwerken bekannt sind, vorgezogen. Diese kann man besser einschätzen.
Nicht die besten, sondern die geeignetsten
Hochqualifizierte oder überqualifizierte Bewerber können auch aus einem ganz anderen Grund abgelehnt werden. Nämlich dann, wenn der künftige Vorgesetzte selbst geringer qualifiziert ist. In diesem Fall könnte der Bewerber ein Konkurrent sein, der den eigenen Job oder die Beförderung kosten könnte.
Auch deshalb ist die weitverbreitete Annahme, es würden die Besten eingestellt, falsch. Einstellungen erfolgen nicht nach den besten oder höchsten Qualifikationen, sondern danach, ob jemand geeignet ist und zu einem bestehenden Team passt. Diese Bewertung wiederum kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich ausfallen. So kann eine eigentlich positive Eigenschaft zum Ausschluss führen, eine negative Eigenschaft der ausschlaggebende Grund für die Einstellung sein.
Schlechte Bewerbung, falsche Qualifizierung
Selbstverständlich kann es auch sein, dass die Einladung zum Vorstellungsgespräch ausbleibt, weil die notwendigen Qualifikationen nicht vorliegen oder die Bewerbung einfach schlecht ist. In diesen Fällen kann der Bewerber sich mehr Mühe geben, eine bessere Bewerbungsmappe einreichen oder weitere Qualifikationen erwerben. Letzteres sollte aber gut überlegt sein. Am Ende besteht die Gefahr, dass man Zeit, Mühe und Geld in die eigene Weiterbildung investiert hat, die die Einstellungschancen sogar mindern, wenn die Qualifikation nicht zur angestrebten Stelle passt.
Arbeitgeber legen sehr viel Wert darauf, herauszufinden wie qualifiziert genau ein Bewerber ist. Sie recherchieren im Internet, stellen kritische Fragen über den Werdegang und disqualifizieren zu hoch Qualifizierte. Sie tun alles, um unter- und überqualifizierte Bewerber auszusortieren. Das sollte man in Betracht ziehen, bevor man in zusätzliche Qualifikationen investiert, es sei denn, man tut dies für die persönliche Entwicklung und Weiterbildung.
Falsche Debatte
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Arbeitsmarktlage und Bewerbung ein sehr komplexes Thema sind. Es kann von unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und analysiert werden. Es gibt viele Fragen und selten zufriedenstellende Antworten. Das liegt mitunter daran, dass oft Arbeitgeber, Unternehmen und Politiker zu Wort kommen und nur selten die Arbeitsuchenden. Das ist aber dringend notwendig. Zu oft werden angeblich fehlende Qualifikationen thematisiert und selten die Arbeitsmarktstruktur und das dahintersteckende System, das viele Chancen bietet aber eben auch verhindert. Hilfreich wäre auch eine Ausweitung der Debatte über die Arbeitsmarktintegration. Die Diskussion sollte sich nicht auf Minoritäten, Frauen und ältere Menschen beschränken, sondern auf alle Arbeitssuchenden. Aktuell Wirtschaft
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Was für ein Witz! Erst bekommt man nichts, weil man keine Erfahrungen vorweisen kann und dann nicht, weil man schon so lange raus ist oder aber man ist plötzlich “ überqualifiziert“ und soll sich noch schämen, wenn man schlicht den üblichen Lohn fordert, weil die gerne Leute heute überall einstellen, die gar nicht genug qualifiziert sind, kaum eingearbeitet werden und ausser für unliebsame Routine zu nichts zu gebrauchen sind, ABER BILLIGER.
Das Schleimen und Vitamin B ist heute das Wichtigste überhaupt um eine Stelle zu bekommen. Und am Schlimmsten ist das im ö.D wo fast alle Angestellten nur noch befristet sind und die meiste Stellen eh nur noch pro Forma ausgeschrieben sind.
Wenn man dann nach Jahren verbittert ist und sich kaum noch Hoffnungen macht und sich das dann auch langsam auf die Psyche auswirkt, was bei jedem so wäre – ist das auch wieder der schuld, der sich bewirbt an den weiteren Ablehnungen.
“ Teamfähig“ ist doch heute nur noch ein Synonym für Cliquenwirtschaftstauglichkeit udn Schleimerei. Die Kollegen und Chefs wollen keine motivierten Neuen, sondern beueme Jasager, die mitlaufen und sie in Ruhe lassen und die Schnauze halten, Dienst nach Vorschrift erledigen. ich bin knapp Ü50 und selbst die einfachsten Jobs krieg ich nicht mehr. Befristet als Aushilfe höchstens. Und selbst da werden überall die vorgezogen, die länger da sind, egal was für faule Eier das sind. Weil inoffiziell die ausgeschriebene Stelle schon lange vergeben ist an die und die die nur aufgrund gesetzlicher Vorschriften ausgeschrieben wird. ( die jedem Zugang zum ö. D ermöglichen und Ungleichbehandlung verhindern soll ,- hahahaha )
Die Stellen gehen fast alle an hausinterne befristete Mitarbeiter, die Anschlussveträge wollen. Glaubt einer wirklich, dass sich nur da geeignete Bewerber finden auf all die Stellen im ö. D. ? Das ich nicht lache.
Wie sind die also mal reingekommen da ? Meine Recherchen hier – immerhin eine dem Bundesministerium angegliederten Institution : Die Hälfte hat da schon Ehepartner, Elternteile oder andere nahe stehende Personen vorher sitzen gehabt ( und zweifellos von denen erfahren überhaupt von den Stellen, die nur intern ausgeschrieben werden ) und die andere Hälfte hat da schon gelernt. Zum Kotzen !
Planstellen sind hier wie ein Sechser im Lotto und da die alle fast befristet sind ( Angestellten, nicht Beamte natürlich ) gibts es einen Konkurrenzdruck und eine sehr schlechte Mitarbeiterzufriedenheit, viele Krankenstände, die privatwirtschaftlich schon lange das Ende jeden Betriebes wären. Da wundert einen die Ineffizient des ö. D in weiten Teilen gar nicht mehr.