Kümmert euch um eure eigene Politik!
Das Erdoğan-Bashing der deutschen Leitmedien nervt
Seit Wochen berichten hiesige Medien über die Demonstrationen am Taksim-Platz in Istanbul. Angeprangert wird vor allem der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan. Unter den Türkeistämmigen sind die Meinungen geteilt, Mustafa Esmer ist genervt.
Von Mustafa Esmer Freitag, 14.06.2013, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.07.2013, 12:13 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Titel wie „Türkischer Frühling“ oder „Die Wut der Türken gegen das System Erdoğan“ zeugen nicht einzig von der Inkompetenz deutscher Redakteure, sondern von eindeutiger Einmischung in die türkische Innenpolitik, durch unhinterfragte Parteiergreifung. Seit Wochen erzeugen die deutschen Medien, durch undifferenzierte Berichterstattung, ein Zerrbild des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan. Er wird als Despot, als Diktator oder bei den ganz kreativen Redakteuren als Sultan beschrieben. Dass man damit lediglich die Zuschreibungen bestimmter oppositioneller Gruppen wiedergibt, scheint unwichtig.
Wer, außer den Volksvertretern, soll denn sonst die Macht innehaben?
Ich als Enddreißiger kenne die Türkei vor der AKP-Regierung. Daher stoßen Aussagen wie, dass es in der Türkei, unter der Erdoğan-Regierung, eine Einschränkung der Freiheitsrechte gibt, bei mir auf taube Ohren. Politik ist jedoch ein Prozess und diese Rechte müssen auch für die Zukunft bewahrt, sogar ausgebaut werden.
Zu allererst müsste den deutschen „Experten“ auffallen, dass die türkische Republik mit einer Junta-Verfassung vom 7. November 1982 regiert wird. Diese sprach dem türkischen Präsidenten immense Macht zu und die Arbeit der großen türkischen Nationalversammlung (TBMM) fand unter dem Damoklesschwert des Militärs statt. Die stets von der Opposition kritisierten Gesetzesänderungen der Regierung stärkten den TBMM und die demokratisch gewählten Vertreter des Volkes. Dieses als Konzentrierung von Macht zu beschreiben ist bedauerlich!
Die Dominanz des Militärs wurde eingeschränkt und die Rechte des Individuums gestärkt. Weitere Beispiele für einen positiven Wandel sind die Abschaffung der Todesstrafe, die Aufhebung der Benachteiligung von Frauen im Erbrecht, die Aufhebung der Strafmilderung für „Ehrenmorde“ und der Strafbarkeit unehelicher Beziehungen. Außerdem wurden die Rechte, der in der Republik lebenden Minderheiten gestärkt. Ein sehr gutes Gesundheitssystem aufgebaut, das Bildungswesen modernisiert und die an das 20. Jahrhundert, zu Zeiten des Kalten Krieges, erinnernden Militärparaden, an nationalen Feiertagen, abgeschafft.
Gleiches Recht für alle!
2005 wurden in der Türkei Anti-Terror-Gesetze verabschiedet, die wesentlich die Handschrift des Militärs und der türkischen Opposition tragen. Diese Gesetze legitimieren heute die Anklagen der Staatsanwaltschaften und haben zu den ganzen Inhaftierungen der letzten Jahre geführt. Selbst Erdoğan hat die Justiz dafür mehrfach kritisiert. Schließlich war er selbst, oft genug, Opfer der türkischen Justiz. Das Problem in der Türkei ist, dass jeglicher Reformversuch der Regierung, beispielsweise der Justiz, an der Opposition scheitert. Mit populistischen Kampagnen werden Vorwürfe wie Landesverrat, Islamisierung und so fort erhoben und eine negative gesellschaftliche Spannung erzeugt.
Man kann sich gerne die Zusammensetzung der Kommission für die neue Verfassung anschauen. Obwohl die AKP mehr als 50 % der Sitze im TBMM, innehat, ist sie selbst, mit der gleichen Anzahl an Mitgliedern vertreten, wie alle anderen im TBMM vertretenen Parteien auch, selbst die BDP (Politischer Arm der PKK), die nur einige Direktmandate hat.
Die Oppositionsparteien könnten zur Abwechslung auch mal am Tisch sitzenbleiben und gemeinsam mit der Regierung diese notwendigen, sorry, dringend notwendigen Reformen durchführen!
Die Behauptung „Erdoğan lässt knüppeln“ suggeriert doch in sich schon, dass es in der Türkei ein Sultanat gibt, wo der Ministerpräsident alles bestimmt.
Der Oberbürgermeister Istanbuls Kadir Topbaş, Architekt, der dies sicherlich eher entscheidet, ist seit 2004 im Amt und er war vorher Berater von Erdoğan, als dieser selbst noch Oberbürgermeister Istanbuls war. Ruft der dann bei Erdoğan an und fragt, ob er die Umweltschützer niederknüppeln lassen soll? Hat Erdoğan nichts Wichtigeres, worum er sich kümmern muss? Hüseyin Avni Mutlu, der Gouverneur von Istanbul, Jurist, hat lange Jahre die gleiche Tätigkeit im Südosten der Türkei, in Siirt und Diyarbakir, ausgeübt. Er kennt sich also mit gewaltbereiten Protestierenden aus. Ob seine Vita einen Einfluss auf seine Entscheidung bezüglich der Härte des Polizeieinsatzes hatte, kann ich nicht beurteilen. Es sollte dennoch festgehalten werden, dass er, als Gouverneur, die politische Verantwortung für die Ereignisse am Taksim-Platz trägt.
Mich stört, dass die meisten Erdoğan-Gegner – viele studieren oder studierten Wirtschaft oder Sozialwissenschaften – bei der Betrachtung der türkischen Innenpolitik ihre Bildung vergessen aufgrund einer ideologischen Verblendung.
Fördert die Regierung den Handel mit dem „Westen“, dann verkauft sie das Land und sie sind Verräter. Wird der Handel mit den vorwiegend islamischen Nachbarstaaten gefördert, islamisieren sie das Land. Werden Entscheidungsfindungsprozesse de-olligarchisiert und dem TBMM mehr Macht gegeben, versucht Erdoğan Sultan zu werden. Man nehme zum Beispiel das Präsidialsystem, das von Erdoğan favorisiert wird?
Jetzt mal ganz ehrlich! Wie viele Erdoğan-Gegner, die dieses Argument benutzen, haben sich mal angeschaut, wie es gestaltet werden soll? Wie viele haben recherchiert und wissen, wogegen sie sind? Wie viele haben die inhaltliche Validität ihrer Anklage wirklich untersucht?
Es ist die Absurdität der Vorwürfe, die mich ärgert. Natürlich brauchen wir den Handel mit den islamischen oder türkischen Staaten, weil wir kein eigenes Öl oder Gas haben und der Verbrauch, mit steigendem Wohlstand, steigt. Natürlich müssen wir Handel mit dem Westen betreiben, wie auch mit allen anderen Regionen in der Welt. Natürlich ist die USA, gerade in unserer Region ein wichtiger Bündnispartner.
Globalisierung bedeutet in der Türkei das Gleiche wie hier in Deutschland, das sollte jedem bewusst sein.
Mir gefällt’s! Es findet keine Islamisierung statt, was sich im Straßenbild widerspiegelt. Die Menschen dürfen seit den letzten Jahren erst offen zeigen, dass sie Muslime sind, ohne verhöhnt zu werden. Weil sie das tun, fällt auf, das es mehr sind als vorher. Richtig! Aber kämpft man nicht für Freiheiten? Es wird viel von der Symbolik der baulichen Änderungen am Taksim-Platz gesprochen, die man als Indiz für eine Islamisierung und einer Abkehr von Atatürk deutet. Ich frage mich, ob auch nur ein deutscher Journalist das Projekt kennt, wenn Aussagen der Protestler publizistisch reproduziert werden? Dieses Projekt ist bereits 2011 verabschiedet worden und trägt nicht nur die Unterschrift der AKP, sondern auch die Unterschrift, der damals vom Projekt begeisterten und heute dagegen protestierenden Oppositionspartei CHP. Aktuell Meinung
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@Suelo
Der NSU ist hier gerade nicht das Thema.Das beschäftigt uns an anderer Stelle noch eine ganze Weile.
„Warum berichten die deutschen Medien nicht über die 1.200000 Menschen, die heute in Istanbul Erdogan unterstützt haben.?
Darüber wird berichtet!
Aber welchen Wert hat denn diese „Solidaritätskundgebung“?
Kennt man in vergleichbarer Weise alles: von Russland, von China, von Nord-Korea.Diese Versammlungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein gewaltiger Riss durch die Gesellschaft geht.Das zeigen die Demonstrationen GEGEN Erdogan.Die Mobilisierung seiner Anhänger kann das nicht „weg- lügen“.Die Widerstände gegen eine gleichgeschaltete Gesellschaft werden auf die eine oder andere Weise immer wieder hervorbrechen.Auch Erdogan wird das früher oder später zur Kenntnis nehmen müssen.“Früher“ wäre natürlich besser.
PS. Allerdings beziffern die deutschen Medien die AKP-Anhänger mit einer 0 weniger.Aber das wird wohl eine Verschwörung sein, gelle.
Tja, Marie, um Ihre Argumentation mal auf Deutschland anzuwenden:
Wenn eines Tages mal wieder eine extrem rechte Partei gewählt wird die mit großer Unterstützung in der Bevölkerung dafür sorgt dass alle Türken und Moslems die Koffer zu packen haben (die Juden dann gleich noch mit) dann ist das halt Sache des Deutschen Volkes. Andere haben sich da nicht einzumischen. Punkt! Ist halt so!
Ich hoffe dieses Beispiel verdeutlicht die Kurzsichtigkeit Ihrer Argumentation in Bezug auf die Türkei.
Ein sehr guter atikel.
Ich habe mir gerade einige kommentare durchgelesen weil ich es sehr
Interessant finde, wie und wonach menschen die nicht in der türkei leben
Nicht viel oder nichts über die politische historie dieses landes wissen
Versuchen sich eine meinung über die AKP regierung/ oder erdogan zu bilden. Ich möchte hier an jeden appelieren der anhand der wenigen manipulierten medien in diesem land versucht sich eine meinung über den türkischen präsidenten recep tayyip erdogan und seine partei zu bilden:
Das könnt ihr nicht.es ist euch leider von hier aus nicht gestattet die Medien sind manipuliert und verdrehen jede wahrheit.es ist unfassbar.. aber lasst euch eins sagen. Dieser man verdient keine der ihm angemaßten
„Bei den NSU Morden werden neun ausländische Menschen gezielt umgebracht, die Medien bezeichnen diese als “Döner-Morde”. Wurden hier Döner getötet oder warum werden die Menschen so bezeichnet?
Bevor Deutschland wegen dem Gezi Park aufschreit, sollte es erst bei sich aufräumen“
Sie sagen es, aber mit dem Aufräumen hat man es hier nicht so, wie (nicht nur) die Vorgänge um die NSU beweisen – man zeigt hier lieber mit dem Finger auf andere. Definiert Opfer zu Tätern, bezeichnet Sie als Döner und als „Bosporusmafia“, ermittelt gegen Opfer, aber nicht gegen Täter, aber man behauptet dreist, man sei ein Rechtsstaat. Man will anderen Völkern vorschreiben, welche Regierung sie zu wählen haben, aber man behauptet dreist, man sei demokratisch.
Liebe Marie,
Sie schreiben, „wenn sich die Mehrheit der Deutschen für die CSU entscheiden würde, wäre das auch zu respektieren.“
Im Prinzip haben Sie recht, nur, die CSU ist eine Landespartei und kann nur in Bayern gewählt werden. Dafür gibt es in Bayern keine CDU. Die CSU ist sozusagen die bayerische CDU. Auf Bundesebene bilden sie automatisch die CDU/CSU-Koalition.
MfG posteo
Hallo,
zunächst einmal Danke für den Artikel und die interessanten Kommentare.
Ich finde es wichtig, sich über verschiedene Quellen zu informieren und eine eigene Meinung zu bilden. Herr Esmer ist einer der wenigen, dessen Meinung sich diametral zu der Meinung der deutschen Presselandschaft verhält. Das ist sehr interessant.
Er schreibt:
1. Wer, außer den Volksvertretern, soll denn sonst die Macht innehaben?
Grundsätzlich gilt das Prinzip der Volkssouveränität. Alle Macht geht vom Volke aus und wird von bestimmten demokratisch gewählten Organen, z.B. Volksvertretern (der Legislativen), der Exekutiven und der Judikativen (unabhängige Gerichte) ausgeübt. Es, das Volk, bleibt aber immer der Souverän im Staate (quasi der Herrscher).
Die AKP hat es tatsächlich in den letzten Jahren geschafft, alte Elemente der Militärjunta aus der Verfassung zu verbannen und das Militär dem Volke unterzuordnen und weitere Reformen einzuleiten.
Die Todesstrafe wurde aber, wie Herr Esmer schreibt, nicht abgeschafft.
Sie kann in Kriegszeiten und bei „terroristischen“ Verbrechen angewandt werden. Der Begriff „terroristische Verbrechen“ wurde aber nicht definiert so dass es auch teiweise eine Frage der Interpretation ist.
Die Regierung hat aber erklärt, Strafen dieser Katgorie in lebenslange Haft umzuwandeln. Aufgehoben ist Sie aber nicht.
Weiterhin schreibt er im Absatz 2. Gleiches Recht für alle!
Das es Defizite in der Anti-Terror Gesetzgebung gibt, ist unbestritten.
Aber wieso nutzt dann die Regierung von Erdogan eben diese kritisierte
Gesetzgebung aus, um Hunderte politische Aktivisten, Journalisten, Schriftsteller und Anwälte zu verhaften, die eine anderen Meinung vertreten und das demokratische Recht der freien Meinungsäußerung ausüben.
Dabei handelt es sich in der Regel um Untersuchunghaft, obwohl in den bisherigen Fällen kein dringender Tatverdacht vorlag, was quasi die Vorraussetzung für eine Untersuchungshaft darstellt.
Kritiker werden so aber sehr schnell mundtot gemacht.
Im 3. Absatz schreibt Herr Esmer:
Die Behauptung „Erdoğan lässt knüppeln“ suggeriert doch in sich schon, dass es in der Türkei ein Sultanat gibt, wo der Ministerpräsident alles bestimmt.
Da haben hat er absolut Recht. Niemand darf vorverurteilt werden, ohne
trifftige Beweise. Da Herr Erdogan federführend Gespräche mit den Protestierenden geführt hat, könnte die Medienlandschaft in als Verantwortlichen ausgemacht haben. Zumal der Zeitpunkt seiner Wortwahl und der Räumung des Parks eng beieinander lagen.
Aber bewiesen ist das nicht.
Aber genau da setzen die Protestierenden an, den Sie verlangten Anfangs eine ehrliche Aufklärung der Polzeigewalt und die Suspendierung der Veranwortlichen.
Im 4. Absatz schreibt Herr Emser:
Mich stört, dass die meisten Erdoğan-Gegner – viele studieren oder studierten Wirtschaft oder Sozialwissenschaften – bei der Betrachtung der türkischen Innenpolitik ihre Bildung vergessen aufgrund einer ideologischen Verblendung.
Das Herr Emser „die meisten Erdogan Gegner“ als Studierende oder studierte Wirtschafts-und Sozialwissenschaftler zu kennen glaubt, entbehrt jeder Grundlage. Das mag in seinem persönlichen Umfeld der Fall sein, bildet aber eine subjektive Wahrnehmung und ist nicht repräsentativ. Eine wissenschaftliche Erhebung über die von Ihm genannten „Erdogan Gegner“ gibt es nicht. Ebenso gut könnte ich behaupten, dass „die meisten Erdogan Gegner“ keinen Schulabschluss haben. Der daraus implizierte Satz von Herrn Emser: „bei der Betrachtung der türkischen Innenpolitik ihre Bildung vergessen aufgrund einer ideologischen Verblendung.“ ist somit falsch.
Zudem ist das von Erdogan favorisierte Präsidialsystem im Detail noch gar nicht ausgearbeitet. Ausser der Tatsache, das der Präsident dann direkt vom Volk gewählt wird und mehr Machtbefugnisse hat, ist nicht sehr viel mehr bekannt.
Grundsätzlich ist im Präsidalsystem dass das Staatsoberhaupt auch gleichzeitig Regierungschef ist.Abgeleitet auf die aktuellen Befugnisse des Präsidenten und Ministerpräsidenten bedeutet dies, das im Präsidialsystem der zukünftige Präsident
-der Oberfehlshaber der Armee ist
-die Richter des Verfassungsgericht ernennt
-Gesetze beschließen kann
-die Vertreter des nationalen Sicherheitsrates sowie alle
Minister ernennen und entlassen kann
-sowie bi-oder multilaterale Verträge beschließen kann
-usw.
Faktisch hätte ein Präsident im Präsidialsystem die Kontrolle über das ganze Land, ohne selbst kontrolliert zu werden. Der Weg zu Machtmißbrauch wäre nicht sehr weit.
Im Absatz 5. schreibt Herr Emser:
Globalisierung bedeutet in der Türkei das Gleiche wie hier in Deutschland, das sollte jedem bewusst sein.
Das die islamische Gesellschaft in der Türkei mehr Rechte hat, begrüße ich. Jede Frau sollte selbst entscheiden, können, ob Sie mit oder ohne Kopftuch eine Hochschule oder eine öffentliches Gebäude betritt.
Die Verbote waren bis dato absurd.
Ob alle deutschen Redakteure den Sachverhalt zum Taksim Platz/Gezi Park m Detail kennen, weiß ich nicht. Sicherlich werden auch einfach die Nachrichten der verschiedenen Agenturen 1:1 übernommen.
Grundsätzlich gilt aber im Pressekodex das Prinzip der Sorgfalt.
Das sich die großen Gazetten wie Süddeutsche, FAZ oder die kleinere TAZ daran halten, ist im Internet durch die sehr gut recherchierten Artikel
reproduzierbar. Das gilt auch für den Spiegel.
Die Proteste gibt es ja schon länger, und nicht erst seit 2 Wochen.
Aber nie wurde den Betroffenen zugehört, auch unter der CHP nicht.
Was Herr Emser jedoch vergißt – damals wurden die Meschen nicht brutal zusammengeschlagen und verjagt. Vielmehr wurden Sie einfach ignoriert.
Im Absatz 6 schreibt Herr Emser:
Anders als die Vielen vor ihm setzt Erdoğan um, was er verspricht.
Er mag größenwahnsinnig sein und seine Projekte unvorstellbar. Diese schaffen aber Arbeitsplätze und bedeuten Aufträge für die heimischen Handwerks- und Industriebetriebe.
Das stimmt, Herr Erdogan setzt vieles schneller um als seine Vorgänger.
Andererseits tut er das nicht nur aus Interesse zum Volk.
Seine Spender kommen aus der Baubranche, das ist allgemein bekannt.
Um diese zufrieden zustellen, müssen natürlich Aufträge an Sie vergeben werden.
Was ausser Acht gelassen wird, ist die Tatsache, das wir eine große Immobilienblase haben. Also quasi spanische Zustände wir vor der Krise. Die Bauprojekte werden weder auf Ihre Wirtschaftlichkeit, noch auch Ihre Nachhaltigkeit hin überprüft. Von einer Ausschreibung können wir überhaupt nicht reden. Der Neubau des Flughafen Izmir wurde einer Firma zugeschanzt, die erst eine Woche vor der Ausschreibung gegründet wurde. Der Mann hinter der Firma ist ein Parteifunktionär aus Erdogans Partei.
Wenn ein Projekt nicht wirtschaftlich ist, dann wird es die Kosten niemals einspielen. Ein internationaler Flughafen aus Kapazizätsproblemen sicher sinnvoll, aber reicht nicht ein deutlich kleinerer.
Was nützt dem Volk ein Flughafen, der jedes Jahr Millionen Verluste einfährt. Für das Geld könnte man Schulen und Krankenhäuser bauen.
Die Binnennachfrage, also der inländische Konsum, wird nicht ausschließlich durch diesen neuen Projekte angekurbelt. Vielmehr haben sich die Pro-Kopf Schulden der türkischen Bevölkerung auf ein bedrohliches Maß gesteigert, wie in anderen Südeuroppäischen Ländern vor der Krise. Auch bedingt durch die laxe Vergabe von Krediten, Kreditekarten u.a. Die Türken kaufen quasi vieles auf Pump.
Im Absatz 7 schreibt Herr Emser:
Zu den deutschen Medien: Ich frage mich seit Tagen, warum die deutschen Leitmedien, ähnlich den türkischen Linksextremen und Kemalisten, die Proteste derart personalisieren. Die Frage, warum man dem Fehlverhalten der Polizei bei „Frankfurt-Occupy“ nicht angemessen Raum gibt und stattdessen lieber dem Fehlverhalten der Polizei in der Türkei, bleibt unbeantwortet. Statt Innenpolitik berichtet man lieber Mutmaßungen aus der Türkei, im Konjunktiv.
Das ist nicht so ganz richtig. Sämtliche große Gazetten haben über die Vorfälle ausführlich beschrieben.Selbst die FAZ ging diesmal mit der Kritik viel weiter als man es von Ihr gewohnt ist. Es gab danach weitere friedliche Kundgebungen gegen die Polizeigewalt ohne das es zu Ausschreitungen gekommen ist.
Er schreibt zum Abschluss:
Am 27. Oktober 2013 finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Man wird an der Wahlurne sehen, wie die Mehrheit des türkischen Wahlvolkes über Erdoğan denkt. 2015, falls das Präsidialsystem noch nicht eingeführt wurde, wird Erdoğan, aufgrund der AKP-Parteisatzung, nicht erneut antreten und wahrscheinlich das Amt des Präsidenten, der türkischen Republik, übernehmen. Das Amt wird zum ersten Mal per Direktwahl besetzt und auch da hat die türkische Bevölkerung die Möglichkeit ihren Willen zum Ausdruck zu bringen.
Das ist mehr echte Beteiligung, als die türkische Nation je hatte!
Ich habe zu Beginn ja bereits erläutert, das die Macht vom Volke aus geht.
In einer Demokratie kann man sich auch zwischen den Wahlen an der
Entwicklung der Politik und Gesellschaft beteiligen. Ziel ist es die verschiedenen Interessen in Einklang zu bringen.
Wahlen bedeuten aber auch, das diese fair und nachvollziehbar durchgeführt werden müssen:
Fair heißt auch, das sich der mündige Bürger mehrere Quellen zur Meinungsbildung aussuchen kann und muss! Aktuell sind die großen Medienanstalten in der Türkei aber gleichgeschaltet.
Das haben die Protestete gezeigt.
Eine objektive Berichterstattung war zu keinem Zeitpunkte gegeben.
Wie soll sich der Bürger so eine Meinung bilden?
Er wird bereits im Vorfeld manipuliert, ohne es zu merken.
Die Wahl der AKP führte in ländlichen REgionen auch nachweislich
zu Geschenkpacketen für die Wähler? Ist das keine Beeinflussung?
Zudem haben mehreren ausl. Wahlbeobachter von Wahlfälschungen, vor allem im Osten der Rebuplik, berichtet. Was ist daran fair und nachvollziehbar.
FAZIT:
Ich finde Herrn Emsers Ansatz gut. Er versucht andere Facetten des Konflikts aufzuzeigen. Leider scheitert er dabei an seinem eigenen Anspruch.
Der Text ist jedoch in vielen Teilen nicht nur subjektiv sondern auch falsch (dass die meisten Erdoğan-Gegner – viele studieren oder studierten Wirtschaft oder Sozialwissenschaften). Seine wirtschaftwissenschaftlichen Ausführungen sind sehr oberflächlich und versuchen einen komplexen Sachverhalt auf einige wenige Faktoren zu reduzieren, die seine Thesen unterstützen. Die Makroökonomischen
Zusammenhänge werden in keinster Weise differenziert betrachtet.
Das würde sein Kartenhaus zusammenbrechen lassen.
(Wirtschaftslichkeitsrechnung von Projekten, Leistungsbilanzdefizit der Türkei,Korruption)
Seine Ausführungen zur Demokratie und der Machtverteilung sind unzureichend.
Wo bleibt die Medienvielfalt statt Gleichschaltung der Medien?
Wo bleibt die Aufarbeitung der Vorfälle?
Wieso muss das Volk unterdrückt und verfolgt (Ärzte im/um den GEzi Park wurden verhaftet, Anwälte wurden verhaftet, weil Sie den Demonstranten geholfen haben)
Seine Betrachtungsweise zu Tayip Erdogan ist nicht selbstkritisch, sondern vielmehr unterwürfig.
Muss das Volk sich vom einem Choleriker alles gefallen lassen?
Wieso spricht der Premierminister immer Drohungen aus?
Wieso spaltet er die Gesellschaft in dem er z.B. alle DEmonstranten Terroristen nennt?
und wieso behauptet er falsche Tatschen (Er sagte das eine Moschee geschändet wurde obwohl Imam der Moschee das Gegenteil bestätigte, der Iman wurde übrigens entlassen).
Wieso werden auf Staatkosten Besucher zu seiner Kundgebung
gefahren und mit Geschenken belohnt?
Wieso werden Staatbedienstete gezwungen, zu seinen Kundgebungen zu gehen und mit Konsequenzen gedroht, wenn diese nicht erscheinen?
Diese Einschätzung mag vor einigen Tagen noch zutreffend gewesen sein, jetzt haben wir es mit Polizeikräften zu tun, die bewusst nicht identifiziert werden sollen und vor allem mit Massenverhaftungen von Juristen und zuletzt Ärzten.
Wer Sanitätseinrichtungen angreift macht sich selbst im Krieg strafbar.
Wer gezielt verhindert, dass Polizisten identifizierbar sind um die Verfolgung von Straftaten zu erschweren, macht sich der Strafvereitlung im Amt schuldig und da dies vorbeugend geschiet muss man wohl von der Anstiftung wenn nicht der Anordnung von Straftaten sprechen.
Wer so handelt verliert jede Legimität für sein handeln, völlig unabhängig von Amt und Wahlergebnissen.
Es gab Erfolge in der Türkei, große Erfolge, dem stimme ich zu. Aber was da derzeit läuft ist vollkommen inakzeptabel und wenn da sollte sich jeder genau fragen ob er das unterstützt.
Ist das die AKP? Steht die dafür?
Ist das Islam?
Das ist Staatsterror und wenn das weitergeht muss man von Staatsstreich sprechen, denn was da passiert ist mit rechtsstaatlichen Regeln längst nicht mehr vereinbar.
Deshalb hoffe ich sehr, dass die AKP selbst die Reißleine zieht, diesen Wahnsinn stoppt und Erdogan in die Wüste schickt. Und mit Sicherheit kommt der nach diesem Verhalten als Staatspräsident nicht mehr in Frage – Staatsfeinde sind schlicht nicht wählbar, so einfach ist das.
Nochmal ganz deutlich: Was in der Türkei wiederholt und fortgesetzt passiert wäre selbst im Krieg nach Völkerrecht verboten.
Wer im Kriegsfall für sein Verhalten als Kriegsverbrecher angeklagt werden müsste, kann wohl schwerlich als Präsident kandidieren.
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Mustafa Esmer hat leider ein Kurzzeitgedächtnis und schwadroniert bagatellisierend,
Aber Esmer, solange sich Herr Erdogan mit einer paternalistischen Art und Weise in die Innenpolitik Deutschland einmischt, wird das wohl auch Deutschland machen dürfen.