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Türkei und Erdoğan

„Da wurde viel Öl ins Feuer gegossen“

Die Medien, deutsche wie türkische, haben sich mit Ihrer Berichterstattung über die Unruhen am Taksim Platz in Istanbul und über Erdoğan nicht mit Ruhm bekleckert, sagt Journalist und Buchautor Eren Güvercin im Gespräch mit MiGAZIN. Aber auch die Türkeistämmigen in Deutschland hätten Schwarz-Weiß-Bilder vermittelt.

Montag, 24.06.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.07.2013, 12:14 Uhr Lesedauer: 12 Minuten  |  

MiGAZIN: Seit Beginn der Unruhen am Taksim Platz in Istanbul vor etwa vier Wochen, beobachten Sie als Journalist die Ereignisse mit großer Aufmerksamkeit. Über welche Quellen haben Sie sich informiert?

Eren Güvercin: Ich informiere mich über verschiedene Quellen. In erster Linie natürlich wie jeder andere über die üblichen Medien, sowohl türkischsprachige als auch deutschsprachige. Aber da die Medienberichterstattung über die Proteste eher dürftig waren, habe ich natürlich Twitter genutzt, um mich über die Entwicklungen auf dem laufenden zu halten. Ich habe auch viele Freunde in Istanbul. Das war ganz spannend mich mit ihnen auszutauschen, weil sie aus allen möglichen gesellschaftlichen Schichten und Milieus kommen, und somit die Dinge auch ganz anders sehen. Da wurden mir die verschiedenen Blickwinkeln der Menschen vor Ort noch einmal bewusst.

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Welchen Eindruck hinterlassen die Medienberichte bei Ihnen?

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Güvercin: Es war ein Armutszeugnis, dass fast alle türkischen Medien in den ersten Tagen die Proteste einfach vollkommen ignoriert haben. Und zu Recht wurde dies durch westliche Beobachter kritisiert. Diese fehlende Berichterstattung hat auch dazu geführt, dass Akteure – egal ob von Regierungsseite oder Regierungsgegner – Falschinformationen in Umlauf gebracht haben. Es kursierten etwa Bilder von Verletzten mit angeblichen Kopfschüssen, aber schnell hat sich herausgestellt, dass dies Bilder von den Kämpfen in Syrien und dem Irak stammten. Oder es wurden Bilder in Umlauf gebracht, die angeblich einen Protestzug auf der Bosporusbrücke zeigten, aber in Wahrheit waren das Bilder vom Istanbuler Marathon. Leider sind ganz schnell Trittbrettfahrer in Erscheinung getreten, die gezielt die Proteste für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren wollten und dies auch ein Stück weit geschafft haben. Da wurde viel Öl ins Feuer gegossen.

Nicht wenige Türkeistämmige kritisieren auch die hiesigen Medien.

Güvercin: Das ist ein wichtiger Punkt. Kritik an türkischen Medien, alles schön und gut. Aber unsere Medien hier in Deutschland haben sich auch nicht mit Ruhm bekleckert. Bei allem Respekt, es ist kein Anzeichen von seriösem Journalismus, wenn man mit dem Finger auf die anderen zeigt und bei denen mangelnde Berichterstattung kritisiert, aber nicht vor der eigenen Haustür kehrt. Die Medienberichterstattung hier in Deutschland war sehr tendenziös und hat bei vielen hier lebenden Türken den Eindruck vermittelt, dass die Medien einer bestimmten Agenda folgen.

In den letzten Jahren herrschte eine hohe Inflation an sogenannten Islamexperten, in den letzten Wochen hatten wir eine Explosion, was die sogenannten Türkeiexperten angeht. Und durchgehend konnte man beobachten, dass diese angeblichen Türkeiexperten eine Version der Ereignisse und deren Hintergründe vermittelt haben. Wenn wir uns diese Experten genauer anschauen, sind diese oft türkeistämmige Linke oder Kemalisten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ein sehr großer Teil der in Deutschland tätigen türkischstämmigen Journalisten dem linken oder kemalistischen Lager angehören. Andersdenkende Journalisten haben kaum Möglichkeiten Fuß in diesen Redaktionen zu fassen. Da dominiert die Ideologie, dementsprechend werden mögliche Redakteure und Mitarbeiter ausselektiert. Man braucht nur ihre Beiträge der letzten Jahre sich anzuschauen.

Es gibt natürlich auch in den Redaktionsstuben hier bei uns die seltsame Vorstellung, dass alles, was in der Türkei mit dem Islam zu tun hat, erst einmal negativ betrachtet wird, und im Gegensatz dazu alles Säkulare positiv gesehen wird. Das führte dazu, dass eben diese Stimmen ausschließlich zu Wort kamen. Es gibt nicht nur die Positionen Pro-Erdoğan oder Anti-Erdoğan, sondern es gibt viele Stimmen innerhalb der türkisch-muslimischen Community hier in Deutschland aber auch in der Türkei, die die Hintergründe dieser Proteste jenseits einer ideologischen Zugehörigkeit differenziert betrachten. Die deutschen Medien haben genauso wie die türkischen Medien versagt. Das muss ich ganz offen sagen.

Wie bei der „Islamdebatte“ herrscht in den deutschen Medien anlässlich der Unruhen in der Türkei eine Selektion, wenn es um „Experten“ geht, die die Entwicklungen in der Türkei analysieren sollen. Alternative Sichtweisen, die die Dinge jenseits der politischen Lager beurteilen, sind kaum bis gar nicht vorhanden. Wenn wir uns die Rhetorik und Panikmache dieser Türkeiexperten uns anschauen, unterscheiden sie sich nicht sehr von PI-Leuten oder anderen islamfeindlichen Gruppen hier in Europa. Seit 30-40 Jahren reden diese Kreise von einer Islamisierung und einer Einführung der Scharia in der Türkei, ohne auch nur annähernd erklären zu können, was eigentlich die Scharia ist. Diese Panikmacher angelehnt an Patrick Bahners gleichnamigem Buch gibt es also nicht nur hier bei uns in Deutschland, sondern die gab es schon viel vorher in der Türkei.

Der Spiegel hat heute ihre Titelstory zu den Protesten auch in türkischer Sprache gedruckt…

Güvercin: Ach ja, der Spiegel… Das wird sicher ein wichtiger Beitrag für den deutsch-türkischen Kulturaustauch werden. Der Spiegel engagiert sich ja sehr auf diesem Gebiet, exemplarisch ist da etwa der großzügige Vorabdruck von Sarrazins Werk „Deutschland schafft sich ab“ zu nennen und die zahlreichen netten Titelseiten, die sich u.a. den türkischstämmigen Mitbürgern und den Muslimen widmeten. Vielleicht bedankt sich die türkische Presse mit einem Sonderteil in deutscher Sprache, was sich mit dem NSU-Komplex beschäftigt. Der Spiegel und die deutsche Medienlandschaft kann sicher noch das eine oder andere lernen, was den Umgang mit Phänomenen eines „tiefen Staates“ angeht. Die Sonderausgabe ist schön gemacht, liefert aber die übliche einheitliche Soße, die uns von den Medien seit zwei Wochen vorgesetzt werden. Geglänzt hat der Spiegel für mich jetzt damit nicht.

Was glauben Sie ist der Grund dafür, dass zumindest Teile der Demonstranten in Deutschland kaum hinterfragt wurden?

Güvercin: Wenn sie ehrlichen Journalismus bei diesem Thema betreiben wollen, stehen sie vor einem Dilemma. Versucht man differenziert die Lage zu beurteilen, besteht die Gefahr von Erdoğan-Anhängern als Vaterlandsverräter abgestempelt zu werden, aber gleichzeitig wird man von Erdoğan-Kritikern, die schon von einer Diktatur sprechen, als ein Undercover-Journalist bezeichnet, der PR-Arbeit für Erdoğan macht. Sie können es also niemanden recht machen. Aber das ist ehrlich gesagt auch nicht mein Anliegen als Journalist. Ich pfeife darauf, ein paar Gummibärchen von irgendjemandem zu bekommen.

Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Als ich einmal erwähnt habe, dass man die Besetzung eines öffentlichen Parks über mehrere Tage nicht mehr als Demonstration bezeichnen kann, und dass in jedem Land, auch bei uns in Deutschland, die Polizei früher oder später diese Aktion auflösen würde, hat man mir sofort unterstellt, die Erdoğan-Regierung zu verteidigen.

Bei allen Emotionen muss man sich aber einmal klarmachen, dass die ehrlichen Demonstranten von extremistischen Randgruppen instrumentalisiert wurden. Das Atatürk Kulturzentrum am Taksimplatz etwa war regelrecht mit riesengroßen Fahnen von Terrororganisationen tapeziert, die sogar in Europa auf den Terrorlisten gelistet sind. Stellen Sie sich einmal eine Demonstration in Berlin vor, die von RAF-Terroristen gekapert werden würde, mit RAF-Fahnen etc.? Wie würden die deutsche Polizei und das Innenministerium reagieren? Wir können es erahnen, wenn wir uns anschauen wir brutal die deutsche Polizei gegen Occupy-Demonstranten in Frankfurt erst vor wenigen Tagen vorging.

Fakt ist, das Vorgehen der türkischen Polizei ist inakzeptabel gewesen. Fakt ist aber auch, dass diese Proteste vonseiten der Demonstranten auch keine Kuschelveranstaltung war. Schwarz-Weiß-Bilder, Freund-Feind-Schematas sind vielleicht sehr einfach zu übermitteln, aber die Realität ist eine andere. Und ich erwarte von Journalisten, dass sie ihre wie auch immer aussehende ideologischen-geistigen Hintergrund mal beiseite lassen und die Komplexität der Wirklichkeit versuchen zu vermitteln.

Obama war vor einigen Tagen in Berlin und wurde jubelnd von den Menschen und vor allem von den Medien empfangen. Wie hätte man wohl Erdoğan in Berlin empfangen, wenn er mit Drohnen Ziele am anderen Ende der Welt angegriffen hätte und Menschen in einem Lager gefangen halten würde, die nie vor einem Gericht standen? Aktuell Ausland Interview

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  1. mo sagt:

    @Marie
    „Ich “instrumentalisiere” gar nichts.“

    Doch. Sie instrumentalisieren Ihre Empörung hier ständig als die einzig richtige Haltung und als die einzig moralische. Um Ihren Absolutheitsanspruch aufrecht zu erhalten, verdrehen Sie z.B. auch bewusst die Aussagen von Kommentatoren.

    Wenn Ihnen eine Haltung z.B. von einem deutschen Regierungsmitglied nicht passt, dann ist es westliche Doppelmoral, wenn Sie in Ihr Schema passt, dann halten Sie das anderen als absolute Wahrheit vor. Merkwürdige Argumentation.

    Dass Mursi nicht zu Gewalt aufgerufen hat, stimmt. Er hat zu gewaltlosem Widerstand aufgerufen. Jedoch gab es von seiten der Muslimbrüder auch Aufrufe zu Gewalt.

    „drittens sind 22 Millionen NICHT die Mehrheit“

    22 Millionen sind auf die Wahlberechtigten gerechnet ca. 44 Prozent. Bei einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent wären es ca. 54 Prozent. Bei einer Wahlbeteiligung, die so hoch wäre wie bei der Verfassungs-Abstimmung betrügen 22 Millionen 130 (!) Prozent.

    @Lionel
    Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war nach Recht der Weimarer Republik legal, somit auch rechtlich legitimiert. Aus heutiger Sicht und ethisch war sie natürlich nicht legitim.

  2. aloo masala sagt:

    Ich glaube, kaum ein Historiker würde auf die Idee kommen, die Verhältnisse in Ägypten im Zuge des arabischen Frühlings und den Anti-Mursi Protesten mit denen in Deutschland von 1933 zu vergleichen.

  3. Marie sagt:

    „“Der Regierungsantritt Hitlers war dem Recht der Weimarer Republik nach legal, ebenso weitere machtpolitische Elemente wie die Reichstagswahl am 5. März. Bei dieser Wahl hatte die NSDAP mit 44 % zwar nicht die erhoffte absolute Mehrheit der Sitze im Reichstag errungen, verfügte aber gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, der DNVP, für die etwa 8 % der Wähler gestimmt hatten, über eine zuverlässige parlamentarische Mehrheit.”

    Auch hier war es also ein demokratisch legitimierter Führer der die Demokratie abgeschafft hat, weil die Demokraten dies nicht verhindert haben … in Ägypten läuft es anders … und das ist auch gut so …

    Josef Özcan (mit guten Geschichtskenntnissen)“

    So gut können Ihre Geschichtskenntnisse nicht sein – denn das Wesentliche, das haben Sie weg gelassen:
    1) Hitler wurde VOR den Wahlen im März von Hindenburg mit der Bildung einer Regierung beauftragt und zum Reichskanzler ernannt – eine wie auch immer geartete Mehrheit hatten die Nazis nicht.

    2) Die Präsidialkabinette, durch die Deutschland ab März 1930 mit Notverordnungen des Reichspräsidenten regiert wurde, hatten keine stabile Stimmenmehrheit im Reichstag. Die Präsidialdiktatur Hindenburgs ging der Machtergreifung“ Hitlers voraus und hat ihr den Weg geebnet.“

    3) Die NSDAP nutzte zur Durchsetzung ihrer Herrschaft Terrormaßnahmen, mit denen politische Gegner eingeschüchtert, verhaftet oder ermordet wurden. (Erinnert mich sehr fatal an die derzeitige Verhaftungswelle gewählter Volksvertreter in Ägypten und die Auflösung des Parlamentes infolge eines Militärputsches).

    .v.a.m. – es ergeben sich erschreckende Parallelen MIT dem Militärputsch und den Vorgängen nach demselben.

    @Alloo Masala: Ihr Beitrag enthält keine sachlichen Argumente, sondern ausschließlich Polemik.

  4. Es geht hier nicht um Historie …

    es geht um strukturelle Analogien … im Kontext der universellen Frage wie mit demokratisch gewählten Machthabern, welche sich gegen demokratische Grundprinzipien wenden umzugehen ist. Aus strukturalistischer Perspektive ist ALLES mit ALLEM vergleichbar, wenn es ausreichende strukturelle Analogien gibt.

    Und das Beispiel „Hitler“ ist in diesem Zusammenhang hochsignifikant, u.a. weil es zeigt in welche Zwickmühlen demokratische Strukturen geraten können, wenn sie noch nicht gefestigt sind und zu wenig Sicherungsmaßnahmen etabliert haben … GANZ GENAU SO wie im heutigen Ägypten …

    Josef Özcan (Diplom Psychologe / Kölner Appell gegen Rassismus)

  5. Marie sagt:

    „22 Millionen sind auf die Wahlberechtigten gerechnet ca. 44 Prozent. Bei einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent wären es ca. 54 Prozent. Bei einer Wahlbeteiligung, die so hoch wäre wie bei der Verfassungs-Abstimmung betrügen 22 Millionen 130 (!) Prozent.“

    Wie bereits erläutert, beruhen die angeblich 22 Millionen zum einen auf nicht belegten Behauptungen. Zum anderen hätte es dem Volk freigestanden, auf demokratischem Wege die Verfassung ABZULEHNEN. Sich an einer Abstimmung NICHT zu beteiligen und hinterher mit Gewalt und Militärputsch die „Ablehnung“ durchsetzen zu wollen, ist NICHT demokratisch. Ein gewähltes Parlament und eine gewählte Regierung mit Gewalt aufzulösen und zu verhaften, ist ebenfalls NICHT demokratisch. Wenn die Protestierenden angeblich die Mehrheit darstellen, wie sie behaupten, dann hätte es Ihnen außerdem freigestanden, bei der in Kürze angekündigten Wahl das Parlament und Herrn Mursi abzuwählen. DAS ist demokratisch.

    „Doch. Sie instrumentalisieren Ihre Empörung hier ständig als die einzig richtige Haltung und als die einzig moralische. Um Ihren Absolutheitsanspruch aufrecht zu erhalten, verdrehen Sie z.B. auch bewusst die Aussagen von Kommentatoren.“

    Ihre Behauptung, ich hätte Aussagen von Kommentatoren „bewusst verdreht“, bitte ich Sie, entsprechend üblicher Diskussionsgepflogenheiten zu belegen (Welche Aussage habe ich angeblich wie und womit/wodurch „bewusst verdreht“?).

    Des Weiteren erhebe ich hier weder einen Absolutheitsanspruch oder bezeichne meine Meinung als die einzig richtige. Das tun eher die Verfechter des Militärputsches, indem beispielsweise Herr Öczan behauptet, hier gäbe es angeblich „nichts zu diskutieren“.

    Wie jeder andere Forist vertrete ich hier meine Meinung, dass diese Meinung angeblich die einzig richtige sei, habe ich an keiner Stelle behauptet. Somit sind Sie es, der meine Aussagen bewusst verdreht. Für das, was Sie in meine Beiträge hinein interpretieren, trage nicht ich die Verantwortung.

    Ich warte noch immer darauf, dass Sie und andere Putschbefürworter auf die zahlreichen, aus zahlreichen Quellen zusammengetragenen Sachargumente zahlreicher Kommentatoren, die ich teile, inhaltlich-sachlich eingehen. Zu behaupten, derjenige, der eine andere Meinung vertritt, „instrumentalisiere“ seine „Empörung“, „verdrehe“ angeblich Kommentare, ohne das zu begründen und zu belegen, zu behaupten, der Andersdenkende würde seine Meinung angeblich als „einzig richtige“ darstellen und vertrete einen „Absolutheitsanspruch“, ohne das zu belegen, das sind keine Sachargumente, das ist reine Polemik.

  6. Marie sagt:

    Um die Diskussion zu versachlichen, bitte ich die Putschbefürworter um die sachliche Beantwortung dieser sachlichen Fragen:

    1)Weshalb haben die angeblich 22 Millionen, die Mursi und seine Verfassung ablehnen, die Verfassung nicht in der Volksbefragung auf demokratischem Wege ABGELEHNT, sondern stattdessen einen Militärputsch provoziert?

    2) Weshalb hat die angebliche Mehrheit die Absetzung Mursis nicht áuf demokratischem Wege bei den Wahlen betrieben, die noch in diesem Jahre anstanden?

  7. Marie sagt:

    „Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi haben Menschenrechtsorganisationen vor einer Militärdiktatur gewarnt. […]
    „Amnesty International (AI) rief die ägyptischen Sicherheitskräfte auf, die Menschenrechte zu schützen. „Es gibt begründete Sorge, dass es zu Repressalien und Racheakten kommt“, sagt Ägypten-Expertin Alexia Knappmann am Donnerstag in Berlin. Die Armee habe bereits verkündet, auf jegliche Gewalt mit Entschlossenheit und Härte zu reagieren. „Das Militär und die Polizei hat sich in der Vergangenheit immer wieder schwerer Menschenrechtsverletzungen wie Folter und der Anwendung exzessiver Gewalt gegen Demonstranten schuldig gemacht.“ Niemand dürfe für die friedliche Ausübung des Demonstrationsrechtes bestraft werden.“
    „Auch die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ sieht unter Verweis auf die Schließung Mursi nahestehender TV-Sender die Pressefreiheit in Gefahr. Die neuen Machthaber versuchten offenbar mit allen Mitteln, eine kritische Berichterstattung zu verhindern, forderte Geschäftsführer Christian Mihr. Jetzt müsse zügig eine Verfassung ausgearbeitet werden, die die Pressefreiheit und andere Menschenrechte schütze.“

    http://www.katholisch.de/de/weltkirche/aktuelles/20130705_aegypten_reaktionen.php

    „Die Sicherheitskräfte schalteten einen Fernsehsender der Islamisten ab und nahmen Mitarbeiter eines weiteren Senders fest, der Mursis Ansprache ausgestrahlt hatte.
    Soldaten drangen auch in das Studio des Senders al-Dschasira ein und nahmen nach Angaben von Journalisten fünf Mitarbeiter fest. Die Berichterstattung des von Kritikern als islamisten-nah beschriebenen katarischen Senders über eine Pro-Mursi-Demonstration sei unterbunden und die Berichterstatter vor Ort seien ebenfalls verhaftet worden.“

    http://www.blick.ch/news/ausland/verhaftungswelle-gegen-fuehrende-aegyptische-muslimbrueder-id2360715.html

    Hierauf basierend meine dritte Frage:

    Weshalb soll die Entmachtung eines demokratisch gewählten Präsidenten durch das Militär, das sich seit 60 Jahren in Ägypten schwerster Menschenrechtsverletzungen wie der „Folter und exzessiver Gewalt gegen Demonstranten“ schuldig gemacht hat und das nach dem Militärputsch zu Massenverhaftungen schreitet und die Pressefreiheit einschränkt, indem es „mit allen Mitteln eine kritische Berichterstattung verhindert, ein „demokratischer Fortschritt“ sein?

  8. mo sagt:

    @Marie
    Es haben schon andere erfolglos versucht, Ihnen zu erklären, was ein Vergleich ist und was nicht.

    „“Möglich wäre, dass die Ägypter einfach nur nicht so dumm (oder so feige) sind wie die Deutschen es vor rund 80 Jahren waren.”

    Die Zustände unter Mursi mit Hitler und den Millionen vom Faschismus verursachten Toten zu vergleichen, das ist schon ein starkes Stück. Mursi war kein zweiter Hitler.“

    Sie setzen hier den Vergleich mangelnder Widerstandsbereitschaft gegen Auflösung der Demokratie über rechtlich legale Mittel mit dem Vergleich von Zuständen bzw. gar Personen gleich. Entweder können Sie nicht lesen oder Sie wollen nicht.

    Ein Beispiel von vielen. Es tut mir leid, ich kann aus Zeitmangel hier nicht sämtliche Verdrehungen auflisten. Wenn Sie nach jedem Kommentar 4 Kommentare schreiben kann man das nicht alles aufdröseln.

    Sachargumente: Gehen Sie soch erst einmal auf die Sachargumente anderer ein. Dann fällt nämlich einiges Ihrer so genannten Sachargumente weg. Zum Beispiel, Sie schreiben:
    „Weshalb hat die angebliche Mehrheit die Absetzung Mursis nicht auf demokratischem Wege bei den Wahlen betrieben, die noch in diesem Jahre anstanden?“

    Das müssen Sie die rund 14 Millionen fragen, die demonstriert haben. Sicherlich hätten die auch warten können. Haben sie aber nicht. Oder wollten es nicht. Und ich bin es sicher nicht, der 14 Millionen Ägyptern einen Vorwurf wegen ihrer Ungeduld machen werde.
    Ich habe bereits vorher darauf hingewiesen, dass das Militär in die Situation gedrängt war, einzugreifen. Hätten sie zu den Demonstranten sagen sollen „So Leute, die Party ist vorbei, jetzt geht mal friedlich nach Hause“. Hätten Sie eine Auflösung der Demonstrationen mit Schlagstöcken und Tränengas und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Toten befürwortet?
    Das Militär hat sich – mangels der Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens – und einer drohenden Eskalation zum Ungehorsam entschieden und sich auf die Seite der Demonstranten gestellt. Nicht ohne vorher versucht zu haben, auf Mursi einzuwirken und ihn zum Rücktritt und Neuwahlen aufzufordern.

    Vorausgegangen ist dem unter anderem, dass das ägyptische Verfassungsgericht dem von Muslimbrüdern und Salafisten dominierten Oberhaus des Parlaments die Legitimität abgesprochen hatte. In der „Zeit“ vom 2.6.2013 heißt es: „Das Wahlrecht, auf dessen Grundlage der Schura-Rat gewählt wurde, sei nicht verfassungsgemäß, begründeten die Richter ihre Entscheidung. (..) Der Senat könne zwar vorläufig fortbestehen, entschied der Präsident des Verfassungsgerichts, Maher al-Beheiri. Doch büße er die Gesetzesvollmacht ein. Dem widersprach das Präsidialamt von Mohammed Mursi: Bis zur Wahl eines neuen Parlaments dürfe der Schura-Rat weiter Gesetze erlassen. Derzeit arbeitet die Schura unter anderem an einem neuen Wahlgesetz.“

    Weiter heißt es:
    „Das Verfassungsgericht erklärte zudem die Verfassungsgebende Versammlung für ungültig, die im Winter eine neue Verfassung erarbeitet hatte. Sie sei nicht unter gesetzeskonformen Umständen zustande gekommen, hieß es in dem Urteil. Damit wären die wichtigsten Neuerungen der islamistischen Führung zurückgenommen.“

    So eindeutig ist also die Legitimität nicht. Ein Präsident, der sich über das Verfassungsgericht hinwegsetzt – da ist die Legitimität aber so was von infrage gestellt.

    Den Kommentaren von AI kann man sich problemlos anschließen. Man muss dafür nicht Ihre Meinung teilen. AI hat sich zur Legitimität nicht geäußert. Das Militär wird ja nicht als über jede Kritik erhaben hingestellt, wenn man den politischen Weg der Absetzung eines Despoten, der sich über das Verfassungsgericht hinwegsetzt, befürwortet.
    Menschenrechtsorganisationen warnen viel, wenn der Tag lang ist. Human Rights Watch hatte auch mal den Verfassungsentwurf kritisiert. Hat in Ägypten aber auch keinen interessiert.

    Von einem demokratischen Fortschritt – hier wieder Ihre Verdrehungen – hat niemand gesprochen. Das Militär hat – bildlich gesprochen – die Reset-Taste gedrückt. Dass es nach dem Reset zu einem demokratischen Fortschritt kommt, ist Hoffnung, keine Gewissheit.

  9. Marie sagt:

    „Es haben schon andere erfolglos versucht, Ihnen zu erklären, was ein Vergleich ist und was nicht.

    ““Möglich wäre, dass die Ägypter einfach nur nicht so dumm (oder so feige) sind wie die Deutschen es vor rund 80 Jahren waren.”

    Die Zustände unter Mursi mit Hitler und den Millionen vom Faschismus verursachten Toten zu vergleichen, das ist schon ein starkes Stück. Mursi war kein zweiter Hitler.”

    Sie setzen hier den Vergleich mangelnder Widerstandsbereitschaft gegen Auflösung der Demokratie über rechtlich legale Mittel mit dem Vergleich von Zuständen bzw. gar Personen gleich. Entweder können Sie nicht lesen oder Sie wollen nicht.“

    Also bitte – wenn Sie hier die mangelnde Widrstandsbereitschaft der Deutschen gegen Hitler mit der von Ihnen gelobten Widerstandsbereitschaft der Ägypter vergleichen, dann impliziert das sehr wohl einen Vergleich der Zustände – wenn die Zustände in keiner Weise vergleichbar sind, worauf sollte denn dann das Recht und die Pflicht zum Widerstand basieren? Dass Mursi die Demokratie „aufgelöst“ habe, ist falsch. Und der Herr Özcan, der Ihnen in allem zustimmt, der hat Ihren Vergleich mit den Worten: „Ich finde den Vergleich mit Nazi-Deutschland in diesem Falle (Ägypten) angebracht“ explizit befürwortet und für gut geheißen.

    „Das müssen Sie die rund 14 Millionen fragen, die demonstriert haben. Sicherlich hätten die auch warten können. Haben sie aber nicht. Oder wollten es nicht. Und ich bin es sicher nicht, der 14 Millionen Ägyptern einen Vorwurf wegen ihrer Ungeduld machen werde.“

    Ich finde es bezeichnend, dass Sie sich über die wahren Motive der Demonstranten, die es nicht einmal für notwendig erachteten, die Verfassung demokratisch per Referendum abzulehnen und stattdessen einen Militärputsch herauf beschworen, so gar keine Gedanken machen. Zur Beurteilung von Sachverhalten gehört m.E. die Beurteilung der Motive und Hintergründe- die Verfassung hätte auf demokratischem Wege abgelehnt werden können, in Kürze standen Neuwahlen an. Man hätte in Kürze Mursi problemlos abwählen können, wenn es denn tatsächlich hierfür eine Mehrheit GÄBE. Stattdessen hat jetzt das Militär die Herrschaft, das 60 Jahre lang mit Folter und Repression in Ägypten sein Unwesen trieb und verhaftet scharenweise Muslimbrüder und Berichterstatter.

    So eindeutig ist Übrigens auch die Verfassungstreue des Verfassungsgerichtes nicht – da stellt sich nämlich die Frage, von welchen Strömungen es dominiert wird – der Militärrat war während der gesamten Regierung Mursis mächtiger, als Mursi selbst. Das beispielsweise gehört zur Beleuchtung der Hintergründe. Bezüglich der Motive des Militärs und derer, die den Militärputsch heraufbeschworen, anstatt einfach abzustimmen, liegt da durchaus die Vermutung nahe, dass die alten Garden wieder an die Macht gebracht werden sollen – die, die Ägypten jahrzehntelang mit Folter und Repression beherrschten.

    „Von einem demokratischen Fortschritt – hier wieder Ihre Verdrehungen – hat niemand gesprochen. “
    „Nun ja, wer schreibt: was mit Islamisten an der Macht in dieser immer postmoderner werdenden Zeit sehr schnell geschehen kann hat Ägypten aktuell sehr SCHÖN belegt …“ (Özcan) oder “ Ich hoffe sehr, dass der Islamismus bald überwunden werden kann“ (Özcan), der zeigt m.E., dass es ihm nicht um die Demokratie, sondern allein um die Bekämpfung des sogenannten „Islamismus“ geht (wobei der Begriff Islamismus impliziert, dass hier seitens der angeblichen Islamisten ein grundsätzliches Potential zur Gewaltbereitschaft bestehen würde, wohlwissend, dass gerade die Muslimbrüder in Ägypten sich auf breiter Basis für die Einführung einer Demokratie mit islamischen Elementen aussprechen und sich der Demokratie öffneten, indem sie sich an Wahlen aktiv und passiv beteiligten und dass es die Muslimbrüder waren, die zuvor von den ägyptischen Diktatoren von des Militärs Gnaden verhaftet und gefoltert wurden) und dazu sind anscheinend alle Mittel bis hin zum Militärputsch mit der Gefahr eines blutigen Bürgerkrieges, mit Verhaftungen und Unterdrückung der Pressefreiheit recht.

    Und wenn Sie, Herr Mo, die derzeitigen Zustände in Ägypten nach dem Militärputsch nicht als Fortschritt sähen, dann würden Sie den Militärputsch einschließlich der damit verbundenen Verhaftungswelle und der Schließung von Sendern, der Verhaftung von Reportern und der Androhung, schweres militärisches Gerät einzusetzen, ja wohl kaum befürworten.

    Entweder es handelt sich um einen Schritt in die richtige Richtung (Fortschritt) oder um einen in die falsche Richtung (Rückschritt). Aus allen Ihren Beiträgen wird deutlich, dass Sie den Militärputsch für einen Schritt in die richtige Richtung und somit für einen Fortschritt halten. Nix mit Verdrehung.

  10. Mathis sagt:

    Mursi wurde gewählt, die „revolutionären Forderungen“, für die die Ägypter auf die Straßen gegangen waren, in eine demokratische Struktur zu bringen.
    Die Strukturen, die Mursi, schuf waren weder rechtsstaatlich noch demokratisch.Er sorgte sich nicht, wie versprochen, um alle Ägypter, sondern betrieb Klientelpolitik, verbunden mit einer desaströsen Menschenrechts- und Wirtschaftsbilanz.Diesen Auftrag hatten ihm die Wähler nicht gegeben.Er hat seine Macht und damit das Amt missbraucht, um eine Agenda für die Muslimbrüder durchzusetzen,anstatt eine Agenda für Ägypten.
    Der Putsch ist nicht die demokratische Lösung, sondern die Notbremse, die Millionen Ägypter gezogen haben und die nur das Militär betätigen konnte.Wer sonst hätte dies übernehmen können? Etwa der Sektenbeauftragte der Grünen?

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