Im Frotteemantel der Normalität
Unter Drei – NSU auf der Bühne im Ballhaus Ost
Man wird dahin noch kommen, den NSU eine Verschwörung aus Liebe zu nennen – und an ihr einen zum Schiller werden zu lassen. Warum sich nicht eine Scheibe von den „Döner-Morden“ abschneiden? Begabung ist, nach einer schnell erschöpfenden Definition, in gesellschaftlich aufschlussreiche Situationen zu geraten.
Von Jamal Tuschick Donnerstag, 27.06.2013, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.08.2016, 10:48 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Kein Zweifel, dass der Nationalsozialistische Untergrund in Kreisen so wirkt wie die Rote Armee Fraktion auf modische Entscheidungen einer nun vergreisenden Generation. Radikalität gehört zur jugendlichen Kraftmeierei als einer Möglichkeit, sich besonders zu fühlen und zu zeigen. So einfach ist das, es kam nur angeblich keiner darauf. Deshalb bleibt die Frage im Raum stehen: Wie viel Staat steckt(e) im NSU?
Der Nationalsozialistische Untergrund gedieh im Moos des „Nationalen Widerstands Jena“ (NWJ), der auch da rekrutierte, wo ihm die „akzeptierende Jugendarbeit“ mit pädagogisch motivierter Hinnahmebereitschaft rassistischer Militanz entgegen kam. Das unter anderem zeigt „Unter Drei“ von Mareike Mikat nun auf einer Bühne im Ballhaus Ost: „Im fünf Jahren werden wir verfilmt sein“. Der Titel kommt aus dem Journalismus und beschäftigt sich mit Quellenschutz. Der Untertitel „Beate, Uwe und Uwe“ kommt aus dem Alltag in seinen Spielarten.
Andrej Kaminsky spielt Beate und Eva Bay und Gina Henkel spielen Uwe & Uwe auf der Couch. Das Stück skizziert die Lebensläufe jener drei „als Zwickauer Terrorzelle“ historisch gewordenen Mörder, Bombenleger und Bankräuber, die da hießen Uwe & Uwe nämlich Mundlos und Böhnhardt – und so weit sie noch leben Beate Zschäpe. Ihre Initiation fiel in eine Furor – Phase: 1990 kam es zu fremdenfeindlichen Gewaltausbrüchen wie nie zuvor seit Kriegsende. Es könnte den jungen Thüringern so vorgekommen sein, als erfüllten sie eine Mission, mit allerhand unausgesprochener Zustimmung aus der Mitte der Gesellschaft. Böhnhardt könnte selbst Opfer von Gewalt im Gefängnis geworden sein. Er wurde schon als Heranwachsender aus der mittelständigen Kurve seines Elternhauses getragen. Darauf wird angespielt, „im Frotteemantel der Normalität“.
„Unter Drei“ verfolgt ferner die Biografien der Opfer. Zitiert wird Goethe: „Der Hass ist ein aktives Missvergnügen“. – Im Neid geboren. Von diesem Neid ist die Rede, von der Inferiorität noch einer verlorenen Generation, für die ein biografischer Gau sich ergab, indem der Klassenfeind plötzlich im Klassenzimmer stand. – Und dann kreuzt Mustafa im BMW auf: „Das hätte es früher nicht gegeben“.
So wie die Migration nicht in die Mehrheitsgesellschaft führt, so löst sich auch die aufgelassene DDR nicht auf in einer größeren Bundesrepublik. Es ist eine Leistung des Stücks, dass man daran erinnert wird. Man sieht Leichen auf altdeutschen Sofas, die Uwes trollen als Erschossene durch die Inszenierung. – Selbstmörder, die mit ihren Schatten spielen: „Sieg geil“.
„Wir leben einen Actionfilm“, während ihr in der Durchschnittlichkeit vergammelt. Doch ist die Durchschnittlichkeit bei den Mördern zuhause. Beate grillt Äpfel, sie ist eine tadellose Hausfrau – und auch im Urlaub auf Fehmarn top als eminent durchschnittliche Henne im Korb der Fürsorglichkeit. Sie weiß: „Der eine hängt an der Flasche, der andere am Baum“. Aktuell Feuilleton
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