Internationaler Wunsch und Deutsche Wirklichkeit
Zugegeben, es ist nicht einfach Deutsche oder Deutscher zu sein, sei es, dass man Markus, Susanne oder Udo heißt oder aber Nevin, Nassan oder Svetlana. Vor allem, wenn es um die Selbstdarstellung des Landes im Ausland geht, wird es oft kompliziert und nicht selten verkrampft.
Von Zdravka Bajovic Donnerstag, 04.07.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.04.2015, 21:36 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Im Moment lässt sich diese Befindlichkeit gut in Venedig beobachten. Dort eröffnete am 1. Juni 2013 die 55. Internationalen Kunstausstellung, La Biennale di Venezia, eines der wichtigsten Kunstereignisse der Welt. Wer nicht viel reisen kann oder wenig Zeit hat, Kunst und Kultur aus fernen und nahen Ländern zu sehen, der reise in die Lagunenstadt Venedig. Denn inspiriert vom Format der Weltausstellung wetteifern dort bereits seit 1895 alle zwei Jahre immer mehr Länder mit zum Teil eigens dafür gebauten Länderpavillons um den besten künstlerischen Beitrag.
Es geht um zeitgenössische Kunst, aber immer auch um (politische) Repräsentation. Dieses Jahr sind 88 Länder vertreten, die traditionell in den Giardini – den Gärten, aber auch im Arsenale, der historischen Schiffswerft oder kreuz und quer in der Stadt verteilt aufgesucht werden können. Einige Länder, die dieses Jahr zum ersten Mal mitspielen, sind Angola, die Bahamas, Bahrain, die Elfenbeinküste, das Kosovo, Kuwait, die Malediven, Tuvalu und der Vatikan.
Und was macht Deutschland? Es tauscht dieses Jahr den 1909 in den Gardini errichteten und 1938 umgestalteten ländereigenen Pavillon mit dem gegenüberliegenden französischen Pavillon. Der Tausch war eine Idee der beiden Auswärtigen Ämter, die Kommissarinnen und Kuratorinnen Susanne Gaensheimer (Deutschland) und Christine Marcel (Frankreich) nahmen das Angebot an. Die 50 Jahre seit der Unterzeichnung des Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrages, des Élysée-Vertrages sollen mit diesem Tausch gebührend gefeiert werden.
Das Verwirrspiel beginnt beim Betreten der Pavillons. Während Christine Marcel den in Berlin lebenden Franko-Albaner Anri Sala als Künstler ausgewählt hat, choreographiert Susanne Gaensheimer eine Gruppenausstellung mit gleich vier KünstlerInnen und zwar mit dem Alleskönner und politischen Aktivisten Ai Weiwei aus China, dem Fotografen Santu Mofokeng aus Südafrika, der indische Fotografin Dayanita Singh und dem deutschen Filmemacher mit französischem Pass Romuald Karmakar.
Karmakar ist der Einzige, der in Deutschland geboren wurde und hier für längere Zeit studiert und gearbeitet hat und immer noch zeitweise hier lebt und arbeitet. Die Kuratorin begründet ihre Entscheidung mit dem Fakt, dass die Kunst- und Kulturwelt ohnehin international arbeitet, und Deutschland für sehr viele internationale zeitgenössische KünstlerInnen ein zentraler Produktionsort sei.
Es ist nicht das erste Mal, dass die klassische Präsentation aufgebrochen wurde. So repräsentierte der Brite Liam Gillick Deutschland im Jahre 2009. Und auch die kritische Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe der nationalsozialistischen Architektur ist ein Dauerthema im Deutschen Pavillon, eindrucksvoll umgesetzt von Hans Haacke im Jahre 1993, als er den Marmorboden des Pavillons zerschlug und das alte Germania symbolisch in Trümmer legte.
Daher erschien mir die Idee von Susanne Gaensheimer zunächst einleuchtend, denn es stimmt: Die Welt wird zunehmend transnational und wird belebt von hybriden und multinationalen Identitäten.
Doch warum blieb bei mir ein schales Gefühl zurück, als ich durch die perfekt gehängte, technisch ausgefeilte und wohlproportionierte Ausstellung ging? Ich suche die Klammer zwischen den KünstlerInnen und finde sie nicht. Ich versuche mich konzentriert den Arbeiten zu widmen, doch auch das ist schwierig. Der politisch korrekte Überbau schwebt über allem. Die sonst so von mir geschätzten KünstlerInnen wirken wie ein plakatives Beiwerk für die Idee eines Welt-Deutschlands. Wäre das nicht schön: Deutschland ganz international?
Im Interview in der Wochenzeitung „der Freitag“ sagt Gaensheimer: „Was ist denn ein deutscher Künstler überhaupt? Heute gibt es keine Eindeutigkeit mehr. Das entspricht nicht den Erfahrungen, die wir in der Welt und im Alltag machen.“
Es scheint, dass Susanne Gaensheimer in einer anderen Welt lebt als ich. Mich als Deutsche zu rechtfertigen, gehört zu meinem Alltag. Allein der Name sorgt für Infragestellung meines Deutschseins, bei anderen ist es die Hautfarbe oder die Kopfbedeckung.
Ähnlich ergeht es scheinbar auch Romuald Karmakar. Im Interview mit der „Zeit“ sagt er: „Ich bin in Deutschland geboren, meine Filme sind alle in deutscher Sprache, auch im Ausland werde ich als Deutscher wahrgenommen. Als bekannt gegeben wurde, wer die deutsche Ausstellung bespielen wird, wurde ich als Künstler aus Deutschland richtiggehend ausgeschlossen.“
Es gibt demzufolge eine Mehrheit in diesem Lande, die eine relativ klare Vorstellung davon hat, was deutsch ist. Und auch außerhalb des Landes haben Menschen ein Bild von Deutschland und von deutschen KünstlerInnen. Wir können es Vorurteile, Stereotype oder Klischees nennen. Diese existieren und werden weiter existieren. Nicht zu sprechen von der klaren Regelung, wer oder was deutsch ist, die der deutsche Rechtsstaat vorgibt. Auf politischer Ebene ist eine weitere Wirklichkeit zu beobachten, und zwar ein starkes Bedürfnis nach Re-Nationalisierung in vielen Ländern.
Und auch Susanne Gaensheimer gehört, ob sie es will oder nicht, zu einer deutschen Mehrheit. Ihr Deutschsein wird vermutlich weder im Inland noch im Ausland hinterfragt. Ihre künstlerische Auswahl verweigert sich dieser Wirklichkeit. Sie wird damit weder den ausgestellten KünstlerInnen und ihren Arbeiten gerecht noch ihrer eigenen Idee.
Es wäre doch ein Einfaches gewesen, die facettenreiche Welt auch innerhalb Deutschlands zu finden. Deutschland ermöglicht vielen hier lebenden und arbeitenden KünstlerInnen – mit und ohne deutschen Pass – in Freiheit ihrem künstlerischen Weg nachzugehen. Und man glaubt es kaum: Einige sehr gute KünstlerInnen der zweiten und dritten Generation von MigrantInnen, die sehr gerne für Deutschland in Venedig um den Goldenen Löwen streiten würden, gibt es auch.
Es hätte ein belebender Deutscher Pavillon mit einer starken, repräsentative Botschaft werden können, wenn die Kuratorin eher die neue deutsche Wirklichkeit als den Wunsch von Transnationalität vor Augen gehabt hätte. Ich wünsche mir für alle alten und neuen Deutschen statt Negation und Verweigerung des eigenen Landes eine Geste der Umarmung. Im Deutschen Pavillon in Venedig 2015 könnte das so aussehen: Die teilnehmenden Künstler heißen Ayşe und Michael. Aktuell Feuilleton Meinung
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Aufschlussreicher Beitrag.
Die gemeinsame Klammer der Künstlerauswahl kann ich nur so interpretieren: Seht her, wir können es uns leisten, die renommiertesten Namen einzukaufen. Damit ist eine Kunstschau der Nationen allerdings passee.
Nebenbei hielt den deutschen Pavillion auf den ersten Blick für eine öffentliche Bedürfnisanstalt, wie man sie in deutschen Parks zuweilen noch antrifft.